Entwicklungspolitik: Adieu, Almosen! Noch nie in der Geschichte der Menschheit, schreibt der britische Ökonom Gregory Clark in seinem gerade erschienenen Buch „A Farewell to Alms“, haben so extrem arme (und so unermesslich reiche) Menschen auf der Erde gelebt wie heute. Die Einkommensunterschiede zwischen den reichen und den armen Ländern liegen inzwischen bei 50:1 – eine gigantische Kluft, die zudem immer un-überbrückbarer zu werden scheint. Denn trotz der rund 600 Milliarden Dollar, die den Entwicklungsländern seit Beginn der sechziger Jahre von den Industrieländern überwiesen worden sind, geht es manchen Empfängern – vor allem in Subsahara-Afrika – heute weit schlechter als zu Beginn der Hilfe. Deshalb fordern Ökonomen wie Jeffrey D. Sachs oder Philanthropen wie Bono neue „Big-Push“-Initiativen, sprich viel mehr Geld, um die im Jahr 2000 verabschiedeten UN-Millenniumsziele – bis zum Jahr 2015 Halbierung der weltweiten Armut und des Hungers, Schulbildung für alle Kinder, Senkung der Kindersterblichkeit um zwei Drittel und der Müttersterblichkeit um drei Viertel – doch noch zu erreichen. Aber was ging bisher schief? Warum half die Hilfe nicht? Was machen die Geber falsch? Welche strukturellen Defizite hindern die Empfänger daran, sich mithilfe der Hilfe zu „entwickeln“? Die Autoren dieser IP versuchen, das Durcheinander von Initiativen, Organisationen, Projekten, Paradigmen, Theorien und Moden, das sich heute Entwicklungszusammenarbeit nennt, zu entwirren und Klarheit zu schaffen. Dabei zeigt sich, in den Worten des Afrika-Kenners Bartholomäus Grill: „Einen Masterplan, der in einer aus den Fugen geratenen Welt menschenwürdige Verhältnisse herstellt, gibt es nicht. Aber es wird allmählich Zeit, Entwicklungspolitik jenseits der humanitären Selbstverpflichtung als globale Strukturpolitik zu begreifen.“ „Capacity Development“ heißt eines der Instrumente, mit denen etwa die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) heute arbeitet. Eine ganz neue Form der Entwicklungszusammenarbeit entsteht derweil im Internet: Dort suchen sich die Empfänger ihre Geber selbst. SABINE ROSENBLADT | CHEFREDAKTEURIN
Entwicklungspolitik: Adieu, Almosen!
8 Bartholomäus Grill Schneepflüge für Guinea - Warum die Entwicklungshilfe gescheitert ist und was wir daraus lernen können Die Bilanz eines halben Jahrhunderts Entwicklungspolitik ist desaströs. Milliarden sind vom Norden in den Süden geflossen, aber sie haben das Los der Hilfsempfänger keineswegs verbessert – vielen Afrikanern geht es schlechter denn je. Nicht weitere Big-Push-Initiativen, sondern eine radikale Fehleranalyse tut not: Was ging schief? Was ist zu tun?
16 Andrew M. Mwenda Investieren geht über Schmieren - Statt korrupte Eliten sollte der Westen in Afrika innovative Unternehmer fördern Machen wir uns nichts vor: Das Konzept der Entwicklungshilfe in Form von Geldtransfers an die Regierenden in Afrika ist gescheitert. Um für nachhaltiges Wachstum zu sorgen, gilt es stattdessen, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass sich privates Unternehmertum erfolgreich entfalten kann.
24 Thomas Wolf »Wir sind alle Entwicklungsländer« Hilft Entwicklungspolitik überhaupt? Ja – wenn sie auf Hilfe zur Selbsthilfe setzt Hilft Entwicklungshilfe überhaupt? Der Streit darüber wird derzeit wieder heftig geführt. Die Meinungen reichen von „viel mehr Geldinvestieren“ bis zu „total abschaffen“. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit setzt seit langem erfolgreich auf das Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe – was simpel klingt, aber in der Praxis schwer zu verwirklichen ist.
32 Christian Kreutz Das Netz der Ideen - Wie das Internet die Entwicklungszusammenarbeit herausfordert Mit seiner mittlerweile mehr als einer Milliarde Nutzern ist das Internet auch zur globalen Plattform für radikal neue Formen der Entwicklungszusammenarbeit geworden: Wer Hilfe braucht, sucht sich seine Geber selber im Netz. Traditionelle Entwicklungsorganisationen können von dieser neuen Dynamik, die von ganz alleine wächst, viel lernen.
38 Gregory Clark Die Große Divergenz - ... oder warum es noch nie so arme und so reiche Menschen gab wie heute Die gewaltigen Einkommensunterschiede, die die Welt von heute prägen, gibt es erst seit rund 200 Jahren: In den 100 000 Jahren der Menschheitsgeschichte vor dem Ende des 18. Jahrhunderts verbesserte sichder Lebensstandard kaum. Das änderte sich total mit der industriellen Revolution. Aber warum? Und warum begann es in England, nicht in China?
46 Ronald Bailey Reich ohne Rohstoffe - Rechtsstaatlichkeit und Bildung als Garanten nachhaltiger Entwicklung „Money can’t buy me love“, sang einst Paul McCartney, ein Diktum, das mutatis mutandis auch heute noch Gültigkeit beanspruchen kann. Etwa für die Entwicklungspolitik: Nicht Geld oder Bodenschätze, sondern „immaterielles“ Kapital wie Rechtsstaatlichkeit und Bildung ist nach einer Studie der Weltbank Garant für nachhaltige Entwicklung.
49 Joachim Betz Gut gemeint ist noch nicht gut gemacht - Entwicklung braucht effiziente Programme und überprüfbare Verpflichtungen Seit die Welt über Millenniumsziele und internationale Entschuldungskampagnen debattiert, feiert auch die totgesagte Entwicklungszusammenarbeit ein fulminantes Comeback. Doch mehr Geld muss mehr Güte folgen – sonst drohen die zusätzlichen Mittel im Durcheinander unterschiedlicher Projekte und widersprüchlicher Interessen der Geber zu zerrinnen.
58 Manuel Fröhlich Die Clinton-Formel - Der ehemalige US-Präsident erschließt neue Ressourcen der Weltpolitik Wenn er ruft, kommen die Mächtigen und Reichen und wollen Gutes tun. In nur drei Jahren ist es Bill Clinton gelungen, seine Initiative als Drehscheibe der globalen Philanthropie zu etablieren. Konkrete Hilfszusagen in Milliarden-Höhe werden in Projekte umgesetzt, die der Entwicklung dienen und zugleich auch Profit bringen können.
61 Thorsten Benner & Till Blume „Ma Ellen“ macht Staat - Wie Liberias Präsidentin für den Wiederaufbau des Landes kämpft Vor knapp zwei Jahren übernahm Ellen Johnson-Sirleaf als erstes frei gewähltes weibliches Staatsoberhaupt Afrikas das Ruder in Liberia. Die Erwartungen der Bevölkerung sind enorm. Schnell avancierte die Harvard-Absolventin auch zum Liebling der Geber. Doch der Aufbau der völlig zerstörten Staatsstrukturen ist ein Sisyphusjob.
Internationale Politik 72 Afrika I| Hans-Georg Ehrhart Jenseits von Darfur - Zum EU-Engagement im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik Der siebte Afrika-Einsatz der EU geht in die Nachbarländer des Sudan, die eine gemeinsame Grenze mit der Krisenregion Dafur haben. Diese auf ein Jahr begrenzte „Überbrückungsoperation“ soll das gegenwärtige Engagement der AU bis zum Eintreffen der UN-Blauhelme unterstützen. Keine leichte Aufgabe angesichts der schwierigen Lage vor Ort.
78 Afrika II | Dustin Dehéz Ein Kommando für Afrika - Warum die USA ihre militärische Präsenz auf dem schwarzen Kontinent ausbauen Mit der Schaffung von AFRICOM, einem eigenen Afrika- Kommando, bauen die USA ihre militärische Präsenz auf dem schwarzen Kontinent deutlich aus. Dabei haben sie vor allem zwei Interessen im Blick: die Energieversorgung und den Kampf gegen den Terror. Wird aber Afrika von seiner gestiegenen Rolle profitieren können?
86 Energie | H. W. Maull & M. Sander Mit gutem Beispiel voran - ... in der Energie- und Klimapolitik: eine Aufgabe für Deutschland und die EU Die Aufgabenstellung ist anspruchsvoll: krisenflexibel soll sie sein, umweltverträglich, effizient und gerecht. Deutschland und die EU sollten in der Energie- und Klimapolitik eine Vorreiterrolle übernehmen und mit der Einführung einer CO2-Steuer notwendige Veränderungen in Gang setzen.
94 EU | Rachel Herp Tausendfreund Europas wunderbares Chaos - Wird die EU je mit einer Stimme sprechen? Wohl nicht – und das ist gut so Wird sich das „Demokratiedefizit“ der Europäischen Union jemals beheben lassen? Wird die EU je ein mächtiger globaler Akteur werden, der mit einer Stimme spricht? Werden die außerordentlich mühsamen Abstimmungsprozeduren bald leichter? Vermutlich nicht. Aber das ist auch gut so, argumentiert die Autorin dieses Beitrags.
100 USA/Indien | H. Müller & C. Rauch Wahl zwischen Pest und Cholera - Nützt das geplante amerikanisch-indische Nuklearabkommen der Abrüstung? Die USA wollen den Export nuklearer Brennstoffe und ziviler Technologie nach Indien erlauben, obwohl Delhi den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat. Damit hätte die De-facto-Atommacht eine Sonderstellung. Zurzeit liegt das umstrittene Abkommen auf Eis – und es ist fraglich, ob es jemals in Kraft treten wird.
108 Balkan | J. Winterhagen & P. Hockenos Neubeginn mit Altlasten - Montenegros junge Unabhängigkeit: Erfolge und Herausforderungen Seit seiner Unabhängigkeit im Juni 2006 ist Montenegro stabil und kann erste Fortschritte verzeichnen. Doch die Nachfolgepartei der Kommunisten dominiert die demokratische Kultur, eine sorgfältige Vergangenheitsaufarbeitung findet nicht statt und die politischen Parteien definieren sich zunehmend nach ethnischen Kriterien.
114 Politikberatung | Volker Perthes Zwischen Hofnarr und Agendasetter - Über wissenschaftliche Beratung in der Außen- und Sicherheitspolitik Einen Studiengang „wissenschaftlicher Politikberater“ gibt es nicht. In der Außen- und Sicherheitspolitik muss sich wissenschaftliche Beratung daher selbst einen Orientierungsrahmen geben. Wie könnte der aussehen? Einige Betrachtungen über Relevanz, Unabhängigkeit, Distanz, Nähe und die Fallstricke des von den Medien so geschätzten Alarmismus.
126 Amerikabilder | Patrick Keller Auf Seelensuche - Amerikas Intellektuelle sind verunsichert und diskutieren über Grundsatzfragen
130 Buchkritik | Renate Wilke-Launer, S. Bauer & J. Leininger, Henning Hoff, Bernd Volkert In den Sand gesetzt Neue Bücher zu gescheiterter Entwicklungshilfe, notwendigen UN-Reformen und angedrohten Kriegen
Kolumnen 70 Werkstatt Deutschland | Manfred Güllner Verwirrungen über den Geist der Zeit Die Kluft zwischen Bürgern und gesellschaftlichen Institutionen wächst
84 Ökonomie | Norbert Walter Ab nach Putrajaya! Warum der Internationale Währungsfonds seinen Sitz nach Asien verlegen sollte
106 Kultur | Lorenz Jäger Das Rätsel der „Zebra Killings“ Hollywood macht einen Fall von schwarzem Rassismus zum Thema
124 Technologie | Tom Schimmeck Mondsüchtig Unser Erdtrabant feiert derzeit ein unerwartetes Comeback Service
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