Alle Prognosen waren falsch: weder die in den achtziger Jahren verbreiteten Abgesänge auf die Staatsform Demokratie noch die in den neunzigern diskutierten Visionen vom "Ende der Geschichte" haben sich bestätigt. Obwohl die schiere Zahl demokratischer Systeme seit 1985 um fast 100 Prozent zugenommen hat, stehen Demokratien heute vor allem vor der Herausforderung, ihren "Effizienzpol" zu stärken – gelingt ihnen das nicht, drohen sie an Selbstüberforderung zu scheitern. Doch auch Herausforderungen von außen wie der internationale Terrorismus stellen die Demokratien auf die Probe, ob sie ihre Werte auch angesichts äußerer Gefahren bewahren.
August 2003 -- Nr. 8 -- 58. Jahr
DEMOKRATIE
Eberhard Sandschneider Tod durch Überforderung?
Udo Steinbach Islamische Fata Morgana
Normann Birnbaum Amerikas innere Defizite
Sonja Margolina Russlands zynische Lehrjahre
Zbigniew Brzezinski Europäer in den Irak!
Demokratie
ANALYSEN / ESSAYS / STANDPUNKTE / DEBATTEN
Tod durch Überforderung? Über die Zukunft der repräsentativen Demokratie 1 von Eberhard Sandschneider Alle Prognosen waren falsch, argumentiert der neue Otto-Wolff-Direktor des Forschungsinstituts der DGAP: Weder die in den achtziger Jahren verbreiteten Abgesänge auf die Staatsform Demokratie noch die damals diskutierten Visionen vom "Ende der Geschichte" haben sich bestätigt. Obwohl die schiere Zahl demokratischer Systeme seit 1985 um fast 100 Prozent zugenommen hat, stehen Demokratien heute vor allem vor der Herausforderung, ihren "Effizienzpol" zu stärken - gelingt ihnen das nicht, drohen sie an Selbstüberforderung zu scheitern.
Irakische Fata Morgana. Projekt Demokratie in islamischen Ländern: zum Scheitern verurteilt? 11 von Udo Steinbach Die im Westen verbreitete These, "der Islam" und Demokratie seien inkompatibel, wird von Ländern wie der Türkei, Indonesien und Bangladesch widerlegt; dennoch zeige ein Überblick über den islamisch geprägten Raum, dass die Errichtung demokratischer Ordnungen "von innen" international wenig Unterstützung finde und deshalb oft in Apathie ende, schreibt der Direktor des Orient-Instituts. Mit Blick auf Irak schlägt er vor, "zivilgesellschaftliche Kräfte" zu unterstützen und "es ihnen selbst zu überlassen, ein System nach ihrer eigenen Wahl zu schaffen."
Was Demokratie fördert. Mittelosteuropa und Lateinamerika im Vergleich 19 von Martin Brusis und Peter Thiery Zwei Weltregionen, nämlich Mittel-/Osteuropa und Lateinamerika, haben seit Beginn der neunziger Jahre große Fortschritte beim Aufbau stabiler und funktionierender Demokratien gemacht. Die Autoren untersuchen, welche Faktoren diese Erfolge ermöglicht haben und ob sich aus dieser Analyse Lehren für künftige Transformations-Prozesse kondensieren lassen.
Lücken und Tücken. Der EU-Verfassungsentwurf auf dem Prüfstand 27 von Janis A. Emmanouilidis und Claus Giering Hat der Verfassungsentwurf des EU-Konvents sein Ziel erreicht, das Demokratie-Defizit im EU-System abzubauen? Emmanouilidis und Giering begutachten den Mega-Vertrag und konstatieren etliche Mängel: Lücken in den Legitimationsketten, Unübersichtlichkeit, unklare Gewaltenteilung, schwache Problemlösungs-Kompetenz. Und sie formulieren, was die schon absehbare Reformrunde leisten muss, um die EU-Verfassung wirklich effizient und bürgernah zu gestalten.
Verzerrtes Vorbild. Amerikanische Demokratie zwischen Anspruch und Wirklichkeit 33 von Norman Birnbaum Eine "Synthese aus nationaler Selbstherrlichkeit und moralisierender Heuchelei" nennt der streitbare Jurist den "globalen Kreuzzug für Demokratie" von Präsident George W. Bush: Birnbaum wirft einen sehr kritischen Blick auf die inneren Defizite des amerikanischen Systems .
Sonne mit Flecken. Wie Russlands Realpolitiker vom westlichen Zynismus lernten 43 von Sonja Margolina Nach Jahren der naiven Bewunderung für den Westen sind die russischen "Demokraten" endlich in der Wirklichkeit angelangt, meint die in Berlin lebende russische Publizistin Sonja Margolina: Putins "gelenkte Demokratie" hat Russland in einen neoautoritären Zwitter zwischen Militärokratie und Oligarchie verwandelt, in dem ausschließlich das Recht des Stärkeren gilt.
Ach, Berlusconi! Über italienische Zustände 51 von Pasquale Pasquino Nicht nur die Europäer, auch viele Italiener schütteln über die Eskapaden ihres Regierungschefs den Kopf. Allerdings, urteilt der Autor, war die italienische Demokratie bereits vor Berlusconis rabiaten Versuchen, die Justiz lahm zu legen, in einem eher schlechten Zustand - einiges, etwa das neue Wahlrecht, ausgesprochen unabhängige Richter und "die konstante und freundliche Kritik der anderen europäischen Länder" werde Italien schon noch auf den rechten Weg führen.
Europäer in den Irak! Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen 57 von Zbigniew Brzezinski Jimmy Carters nationaler Sicherheitsberater konstatiert, dass die militärische Glaubwürdigkeit der Vereinigten Staaten noch nie so hoch, ihre politische Glaubwürdigkeit dagegen noch nie so niedrig war wie heute; er schlägt vor, wie Europa mit dieser schwierigen Situation strategisch umgehen sollte.
Atommacht Iran - was tun? 67 von Oliver Thränert Der Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik beschreibt den Stand des iranischen Nuklearprogramms, beleuchtet die Motive Teherans für den forcierten Ausbau des Programms und wägt die Handlungsoptionen des Westens ab: Welche Strategie ist die beste, um Iran vom Bau der Bombe abzuhalten?
BUCHKRITIK
Corporate Citizenship. Verantwortung der Wirtschaft im Globalisierungsprozess 73 von Brigitte Hamm Mit unterschiedlichen Instrumenten für Corporate Social Responsibility (soziale Verantwortung von Unternehmen) soll der ökonomischen Macht und dem wachsenden politischen Einfluss der Konzerne Rechnung getragen werden. Ein wichtiges Ziel von Initiativen, wie dem Globalen Pakt der UN oder der OECD-Leitlinien, ist, weitere, über bestehende Gesetze hinausgehende, verbindliche Regulierungen zu vermeiden. Brigitte Hamm stellt zwei Neuerscheinungen vor, die dieses Thema aus rein privatwirtschaftlicher Sichtweise behandeln.
Neue Bücher zur internationalen Politik 76 De Montbrial, L’action et le système du monde; Laqueur, Krieg dem Westen.
DOKUMENTATION
Dokumentation. Dokumente zu Demokratisierung, Menschenrechten und guter Regierungsführung 81 Der "unaufhaltsame Siegeszug der Demokratie", das "Ende der Geschichte" sind ausgeblieben. Zwar ist der Sowjetblock verschwunden, doch sind neue Feinde der Demokratie auf den Plan getreten, ideologische, wie religiöser Fundamentalismus jeglicher Spielart, aber auch kommerzielle wie das Organisierte Verbrechen oder "warlords", die Kriege zur persönlichen Bereicherung führen. Eine Reihe von internationalen Organisationen und natürlich demokratische Staaten selbst bemühen sich, den Aufbau von Demokratie wie ihre Nachhaltigkeit international zu fördern und zu unterstützen. Dies spiegelt sich in Beschlüssen internationaler Organisationen wie beispielsweise den UN, der EU, dem Ostsee-Rat sowie in Reden und Interviews führender Politiker und hoher Beamter.
Rede des deutschen Außenministers, Joschka Fischer, im Plenum der 59. Menschenrechtskommission der UN am 25. März 2003 in Genf 84
Rede des Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes, Jürgen Chrobog, über "Erfordernisse und Grenzen deutscher und europäischer Politik in Asien" vor der Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Asienkunde am 22. Mai 2003 in Berlin 86
Resolution 1483 (2003) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu Irak vom 22. Mai 2003 91
Resolution 1484 (2003) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zur Lage in der Demokratischen Republik Kongo vom 30. Mai 2003 98
Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union auf der 2518. Tagung des Rates - Außenbeziehungen - zu Birma/Myanmar am 16. Juni 2003 in Luxemburg 100
Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union auf seiner 2518. Tagung - Außenbeziehungen - zur Operation Artemis in Bunia (Demokratische Republik Kongo) am 16. Juni 2003 in Luxemburg 100
Erklärung des Gipfeltreffens der Europäischen Union (EU) mit den Beitritts- und Kandidatenstaaten des westlichen Balkans am 21. Juni 2003 in Thessaloniki 102
Bericht der Arbeitsgruppe Demokratische Institutionen (WGDI) für die Tätigkeitsperiode 2002-2003, am 21. Juni 2003 dem Rat der Ostsee-Staaten in Pori (Finnland) vorgelegt 105
Rede des amerikanischen Präsidenten, George W. Bush, am 8. Juli 2003 auf der Insel La Gorée (Senegal) 110
Pressekonferenz des amerikanischen Präsidenten, George W. Bush, und des südafrikanischen Präsidenten, Thabo Mbeki, anlässlich des Besuchs von Bush am 9. Juli 2003 in Pretoria (Südafrika - gekürzt) 113
Interview des Hohen Vertreters für Bosnien-Herzegowina, Paddy Ashdown, mit dem bosnischen Radiosender Radio 1 am 12. Juli 2003 in Sarajewo 119
Artikel des Chefs der zivilen Übergangsverwaltung in Irak, L. Paul Bremer III, in der "New York Times" vom 13. Juli 2003 122
Interview mit Andreas Gross, dem neuen Berichterstatter des Ausschusses für Politische Angelegenheiten des Europarats nach seinem ersten Besuch in Moskau und Kasan, am 15. Juli 2003 in Kasan (Russland) 124
Interview mit dem deutschen Außenminister, Joschka Fischer, zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen und möglicher deutscher Unterstützung bei der Befriedung Iraks, am 17. Juli 2003 in den ARD-Tagesthemen (Auszüge) 125
Rede von Peter Schieder, Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, am 17. Juli 2003 vor dem Parlament von Serbien und Montenegro in Belgrad 126
Erklärungen der französischen Regierung zur Entwicklung ihrer Kuba-Politik vom 15. und 18. Juli 2003 130
Interview mit der deutschen Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, über die Lage in Hongkong am 22. Juli 2003 im Deutschlandfunk 132
Redigierte Mitschrift eines Interviews des britischen UN-Botschafters, Sir Jeremy Greenstock, für das BBC-Programm "Breakfast with Frost" vom 27. Juli 2003 13