„Meeting the Superpower“ titelte der britische Economist, nie um plakative Zuspitzungen verlegen, in der Woche des Besuchs von US-Präsident George W. Bush in Peking am 19. November: Auf dem Titel sah man dazu riesige Konterfeis von Bush, Mao und Hu Jintao. Chinas knabengesichtiger Präsident selbst war gerade von einer Rundreise durch Europas Metropolen zurückgekehrt. An rotem Teppich für den Gast hatte man auch in Berlin nicht gespart.
Superpower, Supermacht, Super-Markt? In allen Schilderungen vom rasanten Aufstieg des 1,3-Milliarden-Einwohner-Landes wird mit Superlativen inzwischen nicht mehr gegeizt. Anfang des Jahres hatte ein gewaltiger Textil-Tsunami made in China die Welt überrollt, nachdem die Importquoten für Textilien aufgehoben worden waren; hastig mussten einige Notdämme errichtet werden, um wenigstens eine rudimentäre nichtchinesische Textilindustrie zu retten. Elektrogeräte, Mobiltelefone, Spielzeug, Schuhe, Flachbildschirme, PCs made in China überschütten uns sowieso schon in ungebremster Fülle und zu ständig sinkenden Preisen; westliche Verbraucher freuen sich, westliche Arbeitnehmer zittern. In diesem Sommer wurden sogar die ersten Autos made in China hierzulande gesichtet – und noch belächelt. Es mag sein, dass uns dieses Lächeln ebenfalls rasch vergeht.
Seit dem Fall der Mauer 1989, so der amerikanische Ökonom Clyde Prestowitz, seien mit China, Indien und dem ehemaligen Ostblock „drei Milliarden neue Kapitalisten in die Weltwirtschaft eingetreten“; von den Folgen, die das für die reichen Industrieländer des Westens haben wird, spürten wir erst ein laues Lüftchen. Wenn es richtig losginge, rät Prestowitz, sollten Amerika und Europa sich besser sehr warm anziehen, sonst gerieten sie rasch auf die Verliererstraße. Doch: Sind sie vorbereitet? Erkennen sie die Größe der Herausforderung? Eher nicht, meinen die Autoren dieser Ausgabe. Denn auch hier gilt: Nur gemeinsam sind sie stark. Und nur wer begreift, wie China wirklich tickt, kann mithalten, wenn die Zeiten noch rauer werden. Asiens Aufstieg ist unaufhaltsam. Wie damit umgehen, das ist die entscheidende Frage für die transatlantische Welt von heute.
China, China, China!
Eberhard Sandschneider Anleitung zur Drachenpflege China ist High-Tech-Land, Wirtschaftsmotor und größter Nutznießer der Globalisierung. Kurz: kein Land, mit dem der Westen fahrlässig umgehen darf High-Tech- und Entwicklungsland, kommunistisches Einparteienregime und Weltwirtschaftsmotor, kommende Supermacht und fragiler Gigant – China kann vieles gleichzeitig sein. Nur eines ist es nicht mehr: ein Staat, mit dem der Westen fahrlässig umgehen darf. China ist – mit Hilfe des Westens – zum größten Nutznießer der Globalisierung geworden. Es stellt heute eine Herausforderung dar, der koordiniert und strategisch durchdacht begegnet werden muss. Das geschieht derzeit zu wenig.
François Godement Die mit dem Riesen tanzen Wer es mit einem Giganten aufnehmen will, braucht Größe. Europäische Einzelaktionen sind angesichts der Macht des chinesischen Marktes unangebracht. Koordination tut Not Vom Aufschwung Chinas wollten Experten sich lange nicht blenden lassen. Man sah hinter die Kulissen und erblickte auch Mängel. Dennoch ist ein Ende des Wachstums nicht abzusehen. China meistert die Gefahren einer rasanten Entwicklung und erringt größtes Gewicht auf der internationalen Bühne. Höchste Zeit für die Europäer, China zur Priorität zu erklären und eine gemeinsame Politik zu formulieren.
Suisheng Zhao Pragmatismus und Parolen Mit nationalen Parolen die Bevölkerung an sich binden und international zuverlässiger Partner bleiben. Das ist die gefährliche Gratwanderung der chinesischen Führung Wenn in China die Bevölkerung mit der Parteiführung eines verbindet, ist es der Nationalismus, der sich aus dem Gefühl speist, in Vergangenheit und Gegenwart vom Ausland gedemütigt worden zu sein. Die Kommunistische Partei versucht die Gratwanderung, durch nationalistische Rhetorik die Bevölkerung an sich zu binden und sich gleichzeitig in internationalen Beziehungen als berechenbarer Partner zu erweisen.
Bonnie Glaser Amerikas Ängste Chinas Macht wächst schnell. Aber von Kooperation statt Konfrontation profitieren beide Seiten – und die ganze Welt Im Verhältnis zwischen den USA und China steigt das gegenseitige Misstrauen. Die USA bezweifeln etwa, dass China seine Ambitionen gegenüber Taiwan allein mit nichtmilitärischen Mitteln verfolgen wird, wenn sein weltpolitischer Einfluss zunimmt. Peking wiederum befürchtet, die USA könnten Chinas Aufstieg zu blockieren versuchen. In dieser Situation sind vertrauensbildende Maßnahmen jeglicher Art das Gebot der Stunde. Ein neuer „Kalter Krieg“ würde niemandem nutzen.
Frank Sieren Konkubinenwirtschaft Der Westen buhlt um die Gunst Chinas wie die Konkubinen um den Kaiser. Wie seit jeher hat der Kaiser die Wahl. Wird Deutschland zum Freizeitpark für reiche Chinesen? Schon heute nutzt China die Zwänge des westlich dominierten globalen Kapitalismus für seine eigenen Ziele. Es entwickelt eine einzigartige Verlaufsform des gesellschaftlichen Aufstiegs und gelangt dabei immer mehr in die Position, nicht nur die wirtschaftlichen, sondern auch die politischen und sozialen Spielregeln der Welt maßgeblich mit zu bestimmen – Regeln, denen sich auch Deutschland, die noch führende Industrienation Europas, immer weniger entziehen kann.
Jörn-Carsten Gottwald und Svenja Schlichting Marktwirtschaftliche Regulierungsdiktatur Chinas Bankensystem lässt stark zu wünschen übrig. Scheitert seine Modernisierung, drohen massive Auswirkungen auf die Weltwirtschaft Die jüngsten Reformen des chinesischen Finanzmarkts werfen ein neues Licht auf den Wandel des chinesischen Staates und die Absichten der Parteiführung. Die Reformen haben unter anderem das Ziel, Chinas Staatsbanken an die Börse zu bringen. Eine Privatisierung der Wertpapiermärkte ist im strengen Sinne jedoch nicht erfolgt. Entwickelt sich die Volksrepublik China zu einer speziellen Form der Regulierungsdiktatur?
Eva Sternfeld und Christoph Graf von Waldersee Die Lage der Umwelt in China Jahrzehntelang wurde rücksichtslos die Umwelt verschmutzt. Jetzt zwingen die immensen Schäden zum Kurswechsel. Es entsteht ein großer Markt für grüne Technologien „Wir werden nicht aus Angst vor dem Ersticken das Essen aufgeben, nicht aus Angst vor Verunreinigung der Umwelt darauf verzichten, unsere Industrie zu entwickeln.“1 Diese Position, dargelegt von einem Vertreter Chinas auf der ersten UN-Umweltkonferenz 1972 in Stockholm, umschreibt den jahrzehntelang offiziell vertretenen Standpunkt zum Umweltschutz. Die Folge: Heute sind die ökologischen Schäden im Land der Mitte dramatisch. In Peking beginnt man umzudenken. Und für westliche Umwelttechnologie entsteht ein neuer, gigantischer Absatzmarkt.
Lothar Rühl Lange Schachpartie Amerikas Ängste vor Pekings militärischer Macht sind unbegründet. Noch befindet sich das Land in der strategischen Defensive. Nur: wie lange noch? Wächst mit China auch militärisch eine neue, potenziell bedrohliche Supermacht heran? Der heutige Rüstungsstand des Landes kann die amerikanischen, japanischen oder australischen Befürchtungen vor Chinas Militärmacht nicht begründen. Im Gegenteil: China ist in der strategischen Defensive. Aber wie wird sich die Lage langfristig entwickeln?
Lee Hsien Loong Integration in ein neues Asien China geht auf seine Nachbarn zu. Die haben allerdings kein Interesse, sich zwischen Washington und Peking entscheiden zu müssen. Europa kann sich intensiver engagieren Chinas Aufstieg ist das wichtigste Ereignis unserer Zeit. Seine Teilnahme an der globalen Wirtschaft erhöht den Wettbewerb, übt Druck auf Industrie und Staaten aus und diktiert weltweit das Tempo von Veränderung und Umstrukturierung. Vor allem in Asien ist Chinas Einfluss gigantisch. Es wird eine große Herausforderung für die ganze Welt bedeuten, mit dieser tektonischen Verschiebung fertig zu werden.
Internationale Politik FRANKREICH Französische Flammenschrift von Steffen Angenendt Was Deutschland aus dem Umgang mit der Vorstadtrevolte lernen kann Die Krawalle in den französischen Banlieues bieten keinen Anlass, von rechtsrheinischer Seite mit dem Finger auf Frankreich zu zeigen. Zum einen, weil Frankreich selbst umfassende soziale Hilfsmaßnahmen in Angriff nimmt. Zum anderen, weil Deutschland bei allen Unterschieden mit ähnlichen Zuwanderungs- und Integrationsproblemen konfrontiert ist.
EUROPA Draufsatteln oder totsparen? von Silvana Koch-Mehrin Wie eine richtungsweisende EU-Finanzplanung aussehen sollte Nach den gescheiterten Referenden in Frankreich und Holland herrscht tiefe Verunsicherung in der EU. Dennoch muss dringend über die Finanzen der Union Klarheit geschaffen werden – und zwar so, dass die verkrusteten Strukturen aufgebrochen werden und Europa den Anschluss an die Weltwirtschaft nicht verliert. Europas künftige Wettbewerbsfähigkeit muss oberstes Verhandlungsziel sein. Vor allem für Deutschland.
SYRIEN I Vom Wohl und Wehe Washingtons abhängig von Eyal Zisser Die USA werden über das Schicksal Syriens entscheiden Hochrangige Mitglieder des syrischen Regimes sollen in das Attentat auf den ehemaligen libanesischen Premier Rafik Hariri verwickelt gewesen sein, konstatiert der Zwischenbericht des UN-Ermittlers Detlev Mehlis. Mehr noch als die Hintergründe des Mordes an Hariri offenbart der Bericht auch die Schwächen der Präsidentschaft Baschar al-Assads. Weder konnte er bislang die erhofften innenpolitischen Reformen durchführen, noch die Isolation seines Landes verhindern. Wie wird sich Syrien aus der Krise befreien können? Eyal Zisser und Volker Perthes kommen zu unterschiedlichen Schlüssen: Arabische Diktaturen seien zäh und langlebig, deshalb hinge die Zukunft des Regimes von Washingtons Politik ab, meint Eyal Zisser. Nur innenpolitische Reformen und nicht Interventionen führen zu Änderungen, schreibt Volker Perthes im nachfolgenden Beitrag.
SYRIEN II Veränderung kommt sicher, aber wie? von Volker Perthes Ganz im Gegenteil: Auf die innenpolitischen Entwicklungen kommt es an Nicht die alte Garde verhinderte eine Demokratisierung Syriens, sondern die Wankelmütigkeit von Präsident Baschar al-Assad. Für die Zukunft sind drei Szenarien möglich: Al-Assad könnte sich entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch zu Reformen durchringen. Der syrische Staat verliert weiter an Autorität und versinkt im Chaos. Oder ein Militärcoup würde eine Wandlung herbeiführen und gleichzeitig Stabilität garantieren.
EUROPÄISCHE UNION Der Nahe Osten rückt noch näher von Felix Neugart und Christian Hanelt Fünf Aufgabenfelder für Europas künftige Politik gegenüber den Mittelmeer-Anrainern Nach zehn Jahren euro-mediterraner Partnerschaft kann bislang nur eine ernüchternde Bilanz gezogen werden. Und auch die Konflikte im Nahen Osten stellen die Europäische Union vor große Aufgaben, die engagiert angegangen werden müssen. Die wichtigsten werden hier benannt.
VEREINTE NATIONEN Völkerrecht und internationale Politik von Johannes Varwick Was kann und muss das Völkerrecht heute leisten? Was kann, was muss das Völkerrecht heute, in Zeiten der Globalisierung, überhaupt leisten? Welche Bedeutung hat es? Wie kann demokratisches und effektives Regieren jenseits des Nationalstaats möglich sein? Die Meinungen darüber gehen weit auseinander. An die Vereinten Nationen werden hohe Erwartungen gestellt; es kommt jetzt darauf an, was die Mitgliedstaaten aus diesem so wichtigen Rahmen machen.
AMERIKABILDER von Tim B. Müller Foucault und der Stellvertreter Bleiben, um zu gehen. Im jüngsten Streit über den Irak geht es um Bushs Nachfolge
BUCHKRITIK von Dirk Nabers Ideologie und Interessen Neuerscheinungen zu Chinas Außenpolitik. Und die besten Bücher des Jahres Vor wenigen Monaten hat der einflussreiche amerikanische Autor Robert Kaplan einen neuen Kalten Krieg prophezeit. In diesem Szenario standen sich als künftig gleichrangige Gegner USA und China gegenüber. China ist der aufsteigende Stern unter den Großmächten. Einige Neuerscheinungen helfen dabei, die chinesische Außenpolitik besser zu verstehen.
Kolumnen ÖKONOMIE von Norbert Walter Weder Seifenblase noch „gelbe Gefahr“ China wird weiter boomen. Es gibt aber keinen Grund, sich davor zu fürchten
WERKSTATT DEUTSCHLAND von Manfred Güllner Tief enttäuscht: der Souverän Die Wähler von CDU/CSU und SPD wollten alles Mögliche – bloß nicht diese Regierung
KULTUR von Mathias Greffrath Die Wut der Vorstädte Die Ausgrenzung der Arbeitslosen ist es, die Europas Sozialstaatsmodelle bedroht
TECHNOLOGIE von Tom Schimmeck Verdammt zu aller Ewigkeit Der Mensch-Maschine-Mix kommt, sagt Ray Kurzweil. Und der Tod wird abgeschafft!
Service Veranstaltungskalender Nachwuchsforum Dokumentation