Internationale Politik 62 (2007), 9

Titel der Ausgabe 
Internationale Politik 62 (2007), 9
Zeitschriftentitel 
Weiterer Titel 
Islam in Europa–Gewinn oder Gefahr?

Erschienen
Frankfurt am Main 2007: Societäts Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: deutsch (monatlich), russisch (monatlich), englisch (vierteljährlich)
ISBN
419672150995609
Anzahl Seiten
144
Preis
9,95

 

Kontakt

Institution
Internationale Politik
Land
Deutschland
c/o
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Rauchstraße 17-18 10787 Berlin Tel.: +49-(0)30-25 42 31-46 Fax: +49-(0)30-25 42 31-67
Von
INTERNATIONALE POLITIK

Islam in Europa
„Im Dialog mit dem Islam dominiert der sicherheitspolitische Blick“, konstatiert die Berliner Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus in dieser IP: „Häufig werden Bemühungen um die Kommunikation mit Muslimen mit den Folgen terroristischer Anschläge begründet.“ In der Tat: Seit islamische Fundamentalisten in Europa Bomben werfen, Züge in die Luft sprengen, Filmemacher ermorden und frustrierte junge Muslime Pariser Banlieues abfackeln, nehmen die europäischen Mehrheitsgesellschaften aufgeschreckt zur Kenntnis, dass unter ihnen auf dem Kontinent rund 15 Millionen Muslime leben – zum Teil schon seit drei Generationen, zum Teil in „Parallelgesellschaften“, auf jeden Fall eher am Rande als in der Mitte unserer Gemeinwesen. Aufgewühlte Debatten finden statt. Begriffe schwirren hin und her. „Multikulti“ ist tot, „Leitkultur“ aber auch. Ja, wir sind ein Einwanderungsland, aber nein, Kopftücher in den Schulen wollen wir nicht, auch keine hochaufragenden Minarette an deutschen Moscheen. Warum scheitert die Integration? Wieviel Assimilation verlangen wir? Welche Bildungschancen haben Migrantenkinder aus muslimischen Ländern? Wer oder was behindert ihren gesellschaftlichen Aufstieg? Und, vor allen Dingen: Ist „der Islam“ das Problem? „Der Islam“ existiert natürlich genauso wenig wie „das Christentum“. Deshalb bedarf es schon eines genaueren Blickes, einer sorgfältigeren Analyse – und unweigerlich auch der Selbstanalyse: Wie halten wir Europäer es denn generell mit den Religionen? Welchen Platz in der Gesellschaft räumen wir ihnen ein? Oder anders gefragt: Wieviel „Vertrautheit mit Verschiedenheit“ (Marcia Pally) sind wir zu ertragen bereit? „Für den Ort, die Rolle, die Zukunft des Islams als Bestandteil europäischer Gemeinwesen“, schreibt der Philosoph Otto Kallscheuer in dieser Ausgabe, „gibt es kein historisches Modell. Auch deshalb, weil er in der historischen Erinnerung Europas dessen Anderes, sein Gegenüber, in bestimmten Epochen seinen Feind darstellt.“ Von solchem (unbewussten?) historischen Ballast muss die heutige Debatte über den Islam in Europa sich befreien. Nur dann kann sie sich entfalten.
SABINE ROSENBLADT | CHEFREDAKTEURIN

Inhaltsverzeichnis

Islam in Europa

Gewinn oder Gefahr?
8 Otto Kallscheuer
Keine Religion wie jede andere
Im Westen ankommen – aber wie? Wege zur Integration des Islams
Über Jahrhunderte verkörperte der Islam für Europa das
„Andere“, zuweilen gar den Feind. Doch heute gilt es, Wege zu finden, muslimische
Religiosität in Europa zu integrieren. Voraussetzung dafür: der
Abschied von einem primär national regulierten und an der ethnischen
Herkunft orientierten Religionsverständnis.

16 Kerstin Schweighöfer
Meister Proper
Amsterdam: Wie ein Marokkaner seinen Landsleuten westliche Werte eintrichtert

Ghettobildung, Verwahrlosung, Hass auf die fremde Heimat:
Der Amsterdamer Stadttteil Slotervaart spiegelte exemplarisch das Scheitern
einer Politik, die von den Einwanderern nichts fordert und alles erlaubt.
Doch die Niederlande sind aufgewacht: Keiner steht besser für den Kurswechsel
als Bürgermeister Marcouch, der als „Superbulle“ Null-Toleranz predigt.

24 Sadik J. Al-Azm
Galilei und Rushdie
Zwei Ketzer, zwei Opfer religiöser Orthodoxie: ein Vergleich
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts setzen sich auch muslimische
Intellektuelle mit den Erkenntnissen und Folgen der europäischen
Aufklärung auseinander. Lassen sich Wissenschaft und Islam miteinander
vereinbaren? Der Ausgang der Debatte ist offen. Aber der Umgang mit dem
Häretiker Rushdie weist verblüffende Parallelen zum Fall Galilei auf.

30 Fakhri Saleh
Freidenker leben gefährlich
Wer den Koran wissenschaftlich analysiert, setzt sein Leben aufs Spiel
Der Koran kann als ein Code, als Stück Geschichte oder als
literarisches Werk verstanden werden. Immer mehr arabische Forscher
analysieren die heilige Schrift der Muslime mit wissenschaftlichen Methoden.
Doch an arabischen Hochschulen kommen sie nicht zu Wort –
einige von ihnen erhalten sogar Todesdrohungen.

36 Sabine Riedel
Zwischen „Euro-Islam“
und Islamophobie
Einheit in Vielfalt? Wider den Zwang, Europas Muslime zu institutionalisieren
Lässt sich der Islam von außen „europäisieren“? Muss er sich
nach dem Vorbild der christlichen Kirchen institutionalisieren, um für
Europas Mehrheitsgesellschaften akzeptabel zu werden? Solche Versuche,
einen okzidental domestizierten „Euro-Islam“ heranzuzüchten, müssen
fehlschlagen. Und, noch schlimmer: Sie fördern islamistische Ideologen.

46 Ayatollah Ghaemmaghami
»Ideologisierung ist eine Epidemie«
Warum Islam und Demokratie kein Widerspruch sind
48 Mina Ahadi & Barbara John
»Ein guter Muslim muss antiwestlich sein«
Eine Exil-Iranerin und eine Deutsche streiten über Islam und Integration
Ist unser Land zu tolerant? Wer bedroht, wer verteidigt unsere Werte?
Verträgt sich der Koran mit dem Grundgesetz? Ein Streitgespräch über die
Gefahr einer islamischen Gegenkultur, die Radikalisierung durch Religion
und zerplatzte Träume der multikulturellen Gesellschaft.

56 Riem Spielhaus
Die Integration religiöser Symbole
Kopftuch und kein Konsens: viel zu tun für die Islamkonferenz
Wenn Integration ernst gemeint ist, muss auch nichtchristliche
Religiosität sichtbar sein können, ohne als Bedrohung empfunden zu
werden. Der Umgang mit islamischen Symbolen ist von Vorurteilen geprägt,
die es vor allem muslimischen Frauen erschweren, ihren Platz in der Gesellschaft
zu finden. Es gibt noch viel zu tun für die Deutsche Islamkonferenz.

61 Marcia Pally
Amerika, machst du es besser?
Warum muslimische Einwanderer in den USA besser integriert sind als in Europa
Im Gegensatz zu europäischen Muslimen verüben muslimische
Amerikaner keine Selbstmordattentate gegen ihr Gastland, und sie müssen
sich ihrer Identität auch viel weniger durch rebellisches islamistisches
„Anderssein“ vergewissern. Worin unterscheidet sich das amerikanische
Integrationsmodell vom europäischen? Ein interkultureller Vergleich.

Internationale Politik
70 Europa | Alan Posener
Europas sanfter Imperialismus
Wie man Imperium wird, ohne es selbst zu merken
Die Vorstellung, dass ein Bewohner Istanbuls, Kiews, ja, Tel
Avivs oder Casablancas eines Tages sagt: „civis europaeus sum“, erfüllt die
einen mit Stolz, die anderen mit Verlustängsten. Doch stehen hier lediglich
zwei Varianten imperialer europäischer Politik zur Debatte. Nicht Amerika,
Europa ist das Imperium der Zukunft.

80 Türkei | Jürgen Gottschlich
Ein Sieg des Islams über Europa?
Wohin die Türkei nach dem AKP-Triumph steuert, hängt auch von der EU ab
Viele Türken haben die Erdogan-Partei gewählt, weil sie
dem Land Wachstum und Wohlstand beschert hat. Auch die Öffnung zur EU
hat die AKP betrieben, während die säkularen Parteien auf ihrem europafeindlichen
Nationalismus beharrten. Doch wenn sich die Tür nach Europa
schließen sollte, entfällt der Zwang zur Modernisierung. Was dann?

85 Nahost I | François Zabbal
Das große Durcheinander
Dringend gesucht: eine identitätsstiftende arabische Ideologie

Der Irak-Krieg, Syriens Rauswurf aus dem Libanon, der
Wahlsieg der Hamas und der Sieg der Hisbollah über Israel haben das bisherige
Machtgefüge des Nahen Ostens zum Einsturz gebracht. Die Eliten
sind verunsichert, die Feindbilder stimmen nicht mehr – aber statt einer
Debatte herrscht ratloses Schweigen. Neue Konzepte sind nicht in Sicht.

90 Nahost II | Daoud Kuttab
Palästina und die Welt –
eine Hassliebe
Die Zeit für einen Neuanfang scheint günstig – wenn alle Beteiligten ihn wollen
Seit 40 Jahren zerbricht sich die Welt den Kopf, wie dieser
endlose Konflikt zu lösen ist. Generationen von Vermittlern haben sich
daran die Zähne ausgebissen; beide Seiten beharren auf ihren Standpunkten,
Fehlern und Ängsten. Im Moment ist die Zeit für einen entschlossenen
Neuanfang günstig – aber er muss von allen Beteiligten gewollt sein.
98 Porträt | Manuel Fröhlich
Manager an drei Fronten
Die Zwischenbilanz des UN-General-sekretärs Ban Ki-moon ist durchwachsen
Implementation statt Innovation bestimmte bislang die Agenda des UN-Generalsekretärs.
Auch in naher Zukunft sind groß angelegte Reformvisionen
von Ban Ki-moon nicht zu erwarten. Langfristig aber wird der Nachfolger
Kofi Annans sich kaum in konzeptioneller Bescheidenheit üben können.

104 Iran | Karl-Heinz Kamp
Wenn der Iran Nuklearmacht
würde ...
... wäre die atomare Abschreckung auch gegen Teheran wirksam?

Die nuklearen Ambitionen des Iran bestimmen seit langem
die internationale Sicherheitsdebatte. Mit immer neuen Kombinationen von
Anreizen und Sanktionen wird versucht, Teheran von seinem gefährlichen
Kurs abzubringen. Was wäre, wenn das letztlich doch nicht gelingt und der
von Mullahs regierte Gottesstaat Iran zur Nuklearmacht wird?

116 EU-Erweiterung | Andreas Schockenhoff
Ruf der Region
Die Europäische Union braucht dringend eine Schwarzmeer-Kooperation
Mit ihrer jüngsten Erweiterung wächst die Europäische
Union an den Schwarzmeer-Raum heran, berührt uns dessen Entwicklung
unmittelbar. Doch mit einer rein bilateralen Nachbarschaftspolitik
ist es für Brüssel nicht mehr getan. Zeit für eine stärkere Zusammenarbeit,
um die Chancen der Region zu nutzen und ihre Konflikte zu schlichten.

120 Afghanistan | T. Noetzel & S. Scheipers
Flüchten oder Standhalten
Wer den Abzug aus Afghanistan fordert, muss die Konsequenzen benennen
Im Vorfeld der Bundestagsdebatte über die
Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes werden Stimmen laut, die einen
schnellen Abzug deutscher Truppen fordern. Braucht Deutschland eine
Exit-Strategie für Afghanistan? Ist der Rückzug aus der Operation Enduring
Freedom (OEF) sinnvoll? Was fehlt, ist eine klare Strategie des Einsatzes.

128 Nahostbilder | Götz Nordbruch
Genozid oder zionistische Verschwörung?
Die Darfur-Krise im Spiegel der arabischen Medien
132 Buchkritik | J. Croitoru, Th. Speckmann
Die neue Furcht vor dem Islam
Zwischen Angstmache und Analyse: Kapituliert der Westen vor den Islamisten?

Kolumnen
68 Werkstatt Deutschland | Manfred Güllner
Don’t shoot the messenger
Über die fatalen Folgen politischer Verdrängungsmechanismen
96 Ökonomie | Henrik Enderlein
Brechstange gegen „Blümchen-rühr-mich-nicht-an“
Das deutsch-französische Sommertheater um die Europäische Zentralbank
114 Kultur | Lorenz Jäger
Deutsch-polnische Wunschlandschaften
Poesie statt Politik: Wege aus der bilateralen Sprachlosigkeit
126 Technologie | Tom Schimmeck
Wind machen und Wellen schlagen
Sonnenaufgang: warum den Uralt-Energien die Zukunft gehört

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