„Immigration and Security: European Challenges and International Perspectives“ heißt eine Konferenz, die die DGAP, die Heinrich-BöllStiftung und das New Yorker World Policy Institute gemeinsam vom 23. bis 25. März in Berlin veranstalten. Die IP druckt einige wesentliche Beiträge von Teilnehmern in dieser Ausgabe vorab.
Bedrohen Europas zwölf Millionen muslimische Einwanderer unsere Sicherheit? Nach wochenlangen gewalttätigen Ausschreitungen in der gesamten islamischen Welt, ausgelöst durch einige Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung, könnte das Thema kaum aktueller – und brisanter – sein. Denn wie immer in derart aufgeregten Zeiten wird auf beiden Seiten gezündelt, übertrieben, verallgemeinert und dem grobem Klotz ein noch gröberer Keil aufgesetzt: Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen“ scheint in vollem Gange zu sein.
Stopp! So geht es nicht. Denn wer jetzt nicht genau hinschaut, wer nicht bereit ist, zu differenzieren und seine Vorurteile zu überprüfen, der läuft Gefahr, irreparablen Schaden anzurichten. Erstens: Es ist nicht „der Islam“, der hier auf die Barrikaden geht, sondern es sind radikale Islamisten und autoritäre Regierungen, die aus eigennützigen Motiven den muslimischen Volkszorn schüren. Islamistischer Fundamentalismus ist eine totalitäre, menschenfeindliche Ideologie, vergleichbar dem Faschismus und dem Stalinismus; ihn gilt es mit aller Härte zu bekämpfen, aber nicht „die Muslime“, die ihn in ihrer Mehrheit ebenfalls ablehnen. Zweitens: Die „drei Millionen Muslime“, die in Deutschland leben sollen, gibt es als Gruppe überhaupt nicht. Wer säkulare, fromme und extremistische Menschen aus muslimischen Ländern der Einfachheit halber in einen Sack steckt, darf sich nicht wundern, dass dies von den Betroffenen als „Abgrenzungsdiskurs“ empfunden wird. Hier muss sich die Mehrheitsgesellschaft fragen, was an ihrer „Leitkultur“ faul ist. Drittens: Ganz fatal würde es, wenn sich iranische und dänische Zeitungen (wie zwischendurch gemeldet) einigten, gemeinsam Holocaust-Karikaturen zu drucken – und so den Antisemitismus zum gemeinsamen Nenner machten. Ein solcher Kotau vor dem Islamismus zeigte, dass sich Europa seiner eigenen Werte nicht mehr sicher ist. Dann müssten wir dringend über uns reden.
Migration und Sicherheit
Steffen Angenendt und Belinda Cooper Zuwanderung in Zeiten des Terrors Einwanderer bringen ihre Arbeitskraft, ihre Kreativität und ihr Knowhow in die Aufnahmeländer mit – aber bringen sie auch den Terror? Lassen sich angesichts der neuen Gefahren die Prinzipien offener Gesellschaften aufrechterhalten? Wie kann die Balance zwischen Bürgerrechten und Sicherheit gewahrt werden? Europa und die USA reagieren sehr unterschiedlich auf diese Fragen. Eine internationale Debatte über Migration, Integration und Sicherheit ist überfällig.
Rita Süssmuth Zusammenhänge sehen, Chancen nutzen Vorschläge der Weltkommission für internationale Migration für eine moderne Migrationspolitik Nach Schätzungen gibt es 185 bis 200 Millionen Migranten in der Welt. Was diese Wanderungsbewegungen für die Herkunfts- und Aufnahmeländer ökonomisch und politisch bedeuten, wird oft diskutiert. Weniger werden Zusammenhänge von Migration und Sicherheit, Entwicklung, Integration und Menschenrechten beachtet. Die UN-Kommission hat neue Handlungsprinzipien auch für diese Aspekte der Zuwanderung vorgelegt.
Robert S. Leiken Mythos Integration Welche Probleme mit ihren Immigranten haben sich die europäischen Gesellschaften selbst zuzuschreiben – und welche haben sie mit ihrer eigenen Identität? Warum revoltieren französische Jugendliche? Warum töten scheinbar gut integrierte Marokkaner oder Pakistanis der zweiten Generation niederländische Filmemacher oder legen Bomben in der Londoner U-Bahn? Und was hat das alles mit dem Islam zu tun? Die europäischen Gesellschaften täten gut daran, sich mit den Problemen ihrer Immigranten näher zu befassen – und sich zu fragen, welche sie selbst zu verantworten haben.
Riem Spielhaus Religion und Identität Die Muslime in Deutschland sind kein homogenes Kollektiv, schon gar kein religiös definiertes Nachdem jahrzehntelang die Religion von Zuwanderern überhaupt keine Rolle spielte, wird im derzeitigen Diskurs über Muslime in Deutschland häufig deren religiöse Identität betont. Dies geht einher mit der Konstruktion einer muslimischen Gemeinschaft, die hier als solche bisher gar nicht existiert. Das verkennt die ethnische, religiöse und kulturelle Verschiedenheit von Muslimen – und es grenzt sie von der Mehrheitsgesellschaft ab.
Dilek Zaptcioglu Kein Zutritt für „Ausländer“ Migrantenkinder, hier geboren, werden von der deutschen Leitkultur immer noch ausgeschlossen Die dritte und vierte Generation der „Gastarbeiter“-Kinder – hier geboren, sozialisiert und ausgebildet – stößt an unsichtbare Grenzen, wenn sie hierzulande Karriere machen will: Deutsche mit türkischem Namen werden immer noch benachteiligt. Deutschland muss sich endlich dazu durchringen, seine Einwanderer willkommen zu heißen und ihnen Chancengleichheit mit seinen anderen Bürgern zu gewähren.
Jean-Louis Bruguière High Noon für Virenjäger Die neue islamistische Bedrohung macht eine offensive, kooperative Terrorabwehr notwendig Der offene europäische Raum und das Fehlen einer gemeinsamen Immigrationspolitik haben die Entstehung dezentraler islamistischer Terrorzellen in Europa begünstigt. Um dieser zersplitterten Bedrohung Herr zu werden, sind schärfere Grenzkontrollen, aber vor allem ein „dynamischerer“ Ansatz der Risikovorbeugung nötig: Am dringlichsten ist eine enge, präzise abgestimmte Kooperation der Nachrichtendienste.
Ulf Gartzke »Wir brauchen einen Zaun!« In den USA wird der Ruf nach strikteren Maßnahmen gegen illegale Einwanderung immer lauter
Susanne Fischer »Manchmal stehe ich wie in der Luft« Wie ein deutscher Exil-Iraker das irakisch-kurdische Erbil zu einer boomenden Stadt machte 23 seiner 48 Lebensjahre hat Nihad Salim als Asylant in Deutschland verbracht. Heute ist er Oberbürgermeister von Erbil, der Hauptstadt Irakisch-Kurdistans, und er hat diese Stadt zu einer der blühendsten des Iraks gemacht. Denn Salim ist furchtlos genug, um vieles über den Haufen zu werfen, was aus seiner „deutschen“ Perspektive keinen Sinn macht. Seine kurdischen Landsleute lernen über ihn neue Ideen und Werte kennen.
Internationale Politik IRAN I Wieso will der Iran ein Atomprogramm? von Thomas Weihe Beim 132. Bergedorfer Gesprächskreis der Körber-Stiftung in Dubai stießen grundsätzlich verschiedene Auffassungen zum iranischen Atomprogramm aufeinander Nach dem Beschluss der Internationalen Atomenergiebehörde(IAEA), das iranische Projekt zur Urananreicherung vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen, will der Iran sein in Teilen suspendiertes Atomprogramm in vollem Umfang wieder aufnehmen. Die Drohungen des iranischen Präsidenten Achmadinedschad gegen Israel verschärften die Krise. In den Diskussionen des 132. Bergedorfer Gesprächskreises zeigten sich die Bruchstellen zwischen iranischen und nahöstlichen Experten auf der einen und westlichen Politikern und Sachverständigen auf der anderen Seite. Doch auch innerhalb dieser beiden „Lager“ herrschte keineswegs Einigkeit. Thomas Weihe bilanziert die Schwerpunkte der Diskussion. Im Anschluss erläutert der Politologe Wahied Wahdat-Hagh, warum das Atomprogramm aufgrund der totalitären Struktur des Irans unbedingt verhindert werden sollte. In seiner Analyse zeigt der pakistanische Kolumnist Irfan Husain, dass man auch in Pakistan die Entwicklung einer iranischen Atombombe mit großer Besorgnis verfolgt.
IRAN II Europäische Diplomatie in der Sackgasse von Wahied Wahdat-Hagh Eine innere Demokratisierung des Irans erscheint derzeit ausgeschlossen. Unter diesen Umständen wäre die iranische Atombombe eine Katastrophe Der totalitäre Charakter der Islamischen Republik Iran lässt demokratische Reformen innerhalb des bestehenden politischen Systems nicht zu. Die europäische Außenpolitik gegenüber dem Iran nährte jedoch genau diese Illusion, da der Iran ein begehrter Handelspartner ist, der nicht verschreckt werden sollte. Doch nun entwickelt sich der islamistische Staat auch zu einer Gefahr für Europa und den Westen.
IRAN III Unheimliche Nachbarn von Irfan Husain Angesichts des iranischen Atomprogramms hofft man in Pakistan insgeheim, dass die Amerikaner ausreichend Druck auf den schiitischen Nachbarn ausüben Pakistan entwickelt sich unaufhaltsam zum islamischen Staat – aber zu einem sunnitischen. Deshalb verschärfen sich auch die Konflikte mit dem schiitischen Iran. Sollte das iranische Nuklearprogramm gewaltsam beendet werden, würde man das in Islamabad insgeheim begrüßen.
VEREINTE NATIONEN Ein neues System internationaler Sicherheit? von Peter Wittig Auf dem UN-Reformgipfel von 2005 gelang keine Einigung auf einen gemeinsamen Sicherheitsbegriff, da zahlreiche Staaten ihre Souveränität nicht einschränken wollen Beim UN-Reformgipfel von 2005 waren sich alle Beteiligten im Prinzip einig, dass neue Regeln zur Sicherung von Frieden und kollektiver Sicherheit unabdingbar sind. Doch die Einigung auf einen erweiterten Sicherheitsbegriff, der die Rechte von Individuen umfasst und notfalls die Pflicht zur Intervention impliziert, scheiterte am Widerstand von Staaten, die um ihre Souveränität fürchten. Reformbedarf für die UN besteht weiterhin.
NAHOST Cry for me, Palästina von Pierre Heumann Die Hamas betreibt nach ihrem Wahlsieg eine radikale Islamisierung im Taliban-Stil Bei den Parlamentswahlen von Ende Januar verhalfen die Palästinenser den Islamisten der Hamas zu einem Erdrutschsieg. Nun stellen sie mit Schrecken fest, dass die neue Regierung ein Taliban-Regime in der Westbank und Gaza installieren könnte. Deshalb behilft man sich mit schwarzem Humor. Und hofft auf Neuwahlen in nicht allzu ferner Zukunft.
PALÄSTINA Mit Hamas reden! von Jamil Hamad Ein palästinensischer Publizist über den Umgang mit den gewählten Fundamentalisten
EUROPÄISCHE UNION Der erste Schritt vor dem zweiten von Claudia Major und Henning Riecke Das „Solana-Papier“ zur Europäischen Sicherheitsstrategie allein sorgt noch nicht für eine geschlossene und handlungsfähige europäische Außen- und Sicherheitspolitik Vor zwei Jahren hat die Europäische Union mit der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) zum ersten Mal ein Strategiepapier verabschiedet und ihren Anspruch auf eine Rolle als globale Akteurin unterstrichen. Was hat das so genannte „Solana-Papier“ seither bewirkt? Hat es Europas außenpolitische Handlungsfähigkeit entscheidend verbessert? Eine Analyse der Strategie und Empfehlungen zur weiteren Umsetzung.
TERRORABWEHR Übertreibungen einer Superbehörde von Josef Braml Restriktive Einreisebestimmungen wirken sich negativ auf die internationalen Beziehungen aus Eine proaktive Heimatschutzstrategie forcierte Präsident George W. Bush mit der Schaffung des Heimatschutzministeriums. Doch restriktive Visavergaben wirken sich vor allem negativ auf amerikanische Universitäten, die Wirtschaft und die transatlantischen Beziehungen aus.
RUSSLAND »Fest im Griff des Regimes« von Garri Kasparow Interview mit dem ehemaligen Schachweltmeister über Putins Demokratieverständnis und den „weichen Faschismus“ in Russland
DEUTSCHLAND Jenseits des Tellerrands von Cornelius Adebahr Auslandserfahrung scheint keine Karrierevoraussetzung für deutsche Politiker zu sein Deutsche Politiker haben kaum Auslandserfahrung. Für die junge, international ausgerichtete Generation ist eine Karriere in der hiesigen Politik daher kaum attraktiv, argumentiert Cornelius Adebahr. Die Barrieren zwischen Verwaltungs-, Wissenschafts- und Unternehmenskarriere, zwischen Berufswegen im In- und Ausland sollten aufgehoben werden.
NAHOSTBILDER von Wael El-Gayar und Felix Struening Überraschungen und Selbstkritik Der Wahlsieg der Hamas und der Eklat um die dänischen Mohammed-Karikaturen im Spiegel arabischer Medien
BUCHKRITIK von Stefan Alscher Grenzüberschreitungen Ein Überblick über aktuelle Berichte und Studien aus der Migrationsforschung Die Migrationsforschung hat sich mittlerweile zu einem derart weit aufgefächerten Gebiet entwickelt, dass ein Überblick über die aktuelle Literatur, in der sich die derzeit geführten Debatten widerspiegeln, zwangsläufig unvollständig bleiben muss. Neben den periodisch erscheinenden Berichten internationaler Organisationen sowie nationaler Verbände und Institutionen sollen hier Schlaglichter der aktuellen wissenschaftlichen Debatte sowohl in Deutschland als auch in den USA vorgestellt werden. Obgleich die Auswahl begrenzt und lückenhaft ist, gibt sie doch die grundlegenden Themen und den aktuellen Stand der Diskussion der Migrationsforschung wieder.
Kolumnen ÖKONOMIE von Norbert Walter Die Ära der größten Völkerwanderung? Der Zusammenhang zwischen Migration und Freiheit verschwindet aus dem Bewusstsein
WERKSTATT DEUTSCHLAND von Manfred Güllner Die Erosion des deutschen Parteiensystems Die heutige Ausgefranstheit der Parteienlandschaft hat ihre Wurzeln in der Ära Kohl
KULTUR von Lorenz Jäger Für eine Bibliothek der politischen Bilder Ikonographische Darstellungen bieten Einsicht in die Natur von Ideen und Ideologien
TECHNOLOGIE von Tom Schimmeck Von Teraflops und Petabytes Der Datenozean ist immens; auch die Fischereimethoden dafür werden immer raffinierter