Internationale Politik 6 (2006), 3

Titel der Ausgabe 
Internationale Politik 6 (2006), 3
Zeitschriftentitel 
Weiterer Titel 
Migration und Sicherheit

Erschienen
Frankfurt am Main 2006: Societäts Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: deutsch (monatlich), russisch (monatlich), englisch (vierteljährlich)
ISBN
1430-175X
Anzahl Seiten
144
Preis
9,95

 

Kontakt

Institution
Internationale Politik
Land
Deutschland
c/o
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Rauchstraße 17-18 10787 Berlin Tel.: +49-(0)30-25 42 31-46 Fax: +49-(0)30-25 42 31-67
Von
Patrick Wagner

„Immigration and Security: European Challenges and International Perspectives“ heißt eine Konferenz, die die DGAP, die Heinrich-BöllStiftung und das New Yorker World Policy Institute gemeinsam vom 23. bis 25. März in Berlin veranstalten. Die IP druckt einige wesentliche Beiträge von Teilnehmern in dieser Ausgabe vorab.

Bedrohen Europas zwölf Millionen muslimische Einwanderer unsere Sicherheit? Nach wochenlangen gewalttätigen Ausschreitungen in der gesamten islamischen Welt, ausgelöst durch einige Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung, könnte das Thema kaum aktueller – und brisanter – sein. Denn wie immer in derart aufgeregten Zeiten wird auf beiden Seiten gezündelt, übertrieben, verallgemeinert und dem grobem Klotz ein noch gröberer Keil aufgesetzt: Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen“ scheint in vollem Gange zu sein.

Stopp! So geht es nicht. Denn wer jetzt nicht genau hinschaut, wer nicht bereit ist, zu differenzieren und seine Vorurteile zu überprüfen, der läuft Gefahr, irreparablen Schaden anzurichten. Erstens: Es ist nicht „der Islam“, der hier auf die Barrikaden geht, sondern es sind radikale Islamisten und autoritäre Regierungen, die aus eigennützigen Motiven den muslimischen Volkszorn schüren. Islamistischer Fundamentalismus ist eine totalitäre, menschenfeindliche Ideologie, vergleichbar dem Faschismus und dem Stalinismus; ihn gilt es mit aller Härte zu bekämpfen, aber nicht „die Muslime“, die ihn in ihrer Mehrheit ebenfalls ablehnen. Zweitens: Die „drei Millionen Muslime“, die in Deutschland leben sollen, gibt es als Gruppe überhaupt nicht. Wer säkulare, fromme und extremistische Menschen aus muslimischen Ländern der Einfachheit halber in einen Sack steckt, darf sich nicht wundern, dass dies von den Betroffenen als „Abgrenzungsdiskurs“ empfunden wird. Hier muss sich die Mehrheitsgesellschaft fragen, was an ihrer „Leitkultur“ faul ist. Drittens: Ganz fatal würde es, wenn sich iranische und dänische Zeitungen (wie zwischendurch gemeldet) einigten, gemeinsam Holocaust-Karikaturen zu drucken – und so den Antisemitismus zum gemeinsamen Nenner machten. Ein solcher Kotau vor dem Islamismus zeigte, dass sich Europa seiner eigenen Werte nicht mehr sicher ist. Dann müssten wir dringend über uns reden.

Inhaltsverzeichnis

Migration und Sicherheit

Steffen Angenendt und Belinda Cooper
Zuwanderung in Zeiten des Terrors
Einwanderer bringen ihre Arbeitskraft, ihre Kreativität und ihr Knowhow
in die Aufnahmeländer mit – aber bringen sie auch den Terror?
Lassen sich angesichts der neuen Gefahren die Prinzipien offener
Gesellschaften aufrechterhalten? Wie kann die Balance zwischen
Bürgerrechten und Sicherheit gewahrt werden? Europa und die USA
reagieren sehr unterschiedlich auf diese Fragen. Eine internationale
Debatte über Migration, Integration und Sicherheit ist überfällig.

Rita Süssmuth
Zusammenhänge sehen, Chancen nutzen
Vorschläge der Weltkommission für internationale Migration für eine moderne Migrationspolitik
Nach Schätzungen gibt es 185 bis 200 Millionen Migranten in der Welt.
Was diese Wanderungsbewegungen für die Herkunfts- und Aufnahmeländer
ökonomisch und politisch bedeuten, wird oft diskutiert. Weniger
werden Zusammenhänge von Migration und Sicherheit, Entwicklung,
Integration und Menschenrechten beachtet. Die UN-Kommission hat neue
Handlungsprinzipien auch für diese Aspekte der Zuwanderung vorgelegt.

Robert S. Leiken
Mythos Integration
Welche Probleme mit ihren Immigranten haben sich die europäischen Gesellschaften selbst zuzuschreiben – und welche haben sie mit ihrer eigenen Identität?
Warum revoltieren französische Jugendliche? Warum töten scheinbar gut
integrierte Marokkaner oder Pakistanis der zweiten Generation niederländische
Filmemacher oder legen Bomben in der Londoner U-Bahn? Und
was hat das alles mit dem Islam zu tun? Die europäischen Gesellschaften
täten gut daran, sich mit den Problemen ihrer Immigranten näher zu
befassen – und sich zu fragen, welche sie selbst zu verantworten haben.

Riem Spielhaus
Religion und Identität
Die Muslime in Deutschland sind kein homogenes Kollektiv, schon gar kein religiös definiertes
Nachdem jahrzehntelang die Religion von Zuwanderern überhaupt keine
Rolle spielte, wird im derzeitigen Diskurs über Muslime in Deutschland
häufig deren religiöse Identität betont. Dies geht einher mit der Konstruktion
einer muslimischen Gemeinschaft, die hier als solche bisher gar nicht
existiert. Das verkennt die ethnische, religiöse und kulturelle Verschiedenheit
von Muslimen – und es grenzt sie von der Mehrheitsgesellschaft ab.

Dilek Zaptcioglu
Kein Zutritt für „Ausländer“
Migrantenkinder, hier geboren, werden von der deutschen Leitkultur immer noch ausgeschlossen
Die dritte und vierte Generation der „Gastarbeiter“-Kinder – hier
geboren, sozialisiert und ausgebildet – stößt an unsichtbare Grenzen,
wenn sie hierzulande Karriere machen will: Deutsche mit türkischem
Namen werden immer noch benachteiligt. Deutschland muss sich endlich
dazu durchringen, seine Einwanderer willkommen zu heißen und ihnen
Chancengleichheit mit seinen anderen Bürgern zu gewähren.

Jean-Louis Bruguière
High Noon für Virenjäger
Die neue islamistische Bedrohung macht eine offensive, kooperative Terrorabwehr notwendig
Der offene europäische Raum und das Fehlen einer gemeinsamen
Immigrationspolitik haben die Entstehung dezentraler islamistischer
Terrorzellen in Europa begünstigt. Um dieser zersplitterten Bedrohung
Herr zu werden, sind schärfere Grenzkontrollen, aber vor allem ein
„dynamischerer“ Ansatz der Risikovorbeugung nötig: Am dringlichsten
ist eine enge, präzise abgestimmte Kooperation der Nachrichtendienste.

Ulf Gartzke
»Wir brauchen einen Zaun!«
In den USA wird der Ruf nach strikteren Maßnahmen gegen illegale Einwanderung immer lauter

Susanne Fischer
»Manchmal stehe ich wie in der Luft«
Wie ein deutscher Exil-Iraker das irakisch-kurdische Erbil zu einer boomenden Stadt machte
23 seiner 48 Lebensjahre hat Nihad Salim als Asylant in Deutschland
verbracht. Heute ist er Oberbürgermeister von Erbil, der Hauptstadt
Irakisch-Kurdistans, und er hat diese Stadt zu einer der blühendsten des
Iraks gemacht. Denn Salim ist furchtlos genug, um vieles über den Haufen
zu werfen, was aus seiner „deutschen“ Perspektive keinen Sinn macht.
Seine kurdischen Landsleute lernen über ihn neue Ideen und Werte kennen.

Internationale Politik
IRAN I
Wieso will der Iran ein Atomprogramm? von Thomas Weihe
Beim 132. Bergedorfer Gesprächskreis der Körber-Stiftung in Dubai stießen grundsätzlich
verschiedene Auffassungen zum iranischen Atomprogramm aufeinander
Nach dem Beschluss der Internationalen Atomenergiebehörde(IAEA),
das iranische Projekt zur Urananreicherung vor den UN-Sicherheitsrat zu
bringen, will der Iran sein in Teilen suspendiertes Atomprogramm in
vollem Umfang wieder aufnehmen. Die Drohungen des iranischen
Präsidenten Achmadinedschad gegen Israel verschärften die Krise.
In den Diskussionen des 132. Bergedorfer Gesprächskreises zeigten sich
die Bruchstellen zwischen iranischen und nahöstlichen Experten auf der
einen und westlichen Politikern und Sachverständigen auf der anderen
Seite. Doch auch innerhalb dieser beiden „Lager“ herrschte keineswegs
Einigkeit. Thomas Weihe bilanziert die Schwerpunkte der Diskussion. Im
Anschluss erläutert der Politologe Wahied Wahdat-Hagh, warum das
Atomprogramm aufgrund der totalitären Struktur des Irans unbedingt
verhindert werden sollte. In seiner Analyse zeigt der pakistanische
Kolumnist Irfan Husain, dass man auch in Pakistan die Entwicklung
einer iranischen Atombombe mit großer Besorgnis verfolgt.

IRAN II
Europäische Diplomatie in der Sackgasse von Wahied Wahdat-Hagh
Eine innere Demokratisierung des Irans erscheint derzeit ausgeschlossen. Unter diesen Umständen wäre die iranische Atombombe eine Katastrophe
Der totalitäre Charakter der Islamischen Republik Iran lässt demokratische
Reformen innerhalb des bestehenden politischen Systems nicht zu.
Die europäische Außenpolitik gegenüber dem Iran nährte jedoch genau
diese Illusion, da der Iran ein begehrter Handelspartner ist, der nicht
verschreckt werden sollte. Doch nun entwickelt sich der islamistische
Staat auch zu einer Gefahr für Europa und den Westen.

IRAN III
Unheimliche Nachbarn von Irfan Husain
Angesichts des iranischen Atomprogramms hofft man in Pakistan insgeheim, dass die Amerikaner ausreichend Druck auf den schiitischen Nachbarn ausüben
Pakistan entwickelt sich unaufhaltsam zum islamischen Staat – aber zu
einem sunnitischen. Deshalb verschärfen sich auch die Konflikte mit
dem schiitischen Iran. Sollte das iranische Nuklearprogramm gewaltsam
beendet werden, würde man das in Islamabad insgeheim begrüßen.

VEREINTE NATIONEN
Ein neues System internationaler Sicherheit? von Peter Wittig
Auf dem UN-Reformgipfel von 2005 gelang keine Einigung auf einen gemeinsamen Sicherheitsbegriff, da zahlreiche Staaten ihre Souveränität nicht einschränken wollen
Beim UN-Reformgipfel von 2005 waren sich alle Beteiligten im Prinzip
einig, dass neue Regeln zur Sicherung von Frieden und kollektiver Sicherheit
unabdingbar sind. Doch die Einigung auf einen erweiterten Sicherheitsbegriff,
der die Rechte von Individuen umfasst und notfalls die Pflicht
zur Intervention impliziert, scheiterte am Widerstand von Staaten, die um
ihre Souveränität fürchten. Reformbedarf für die UN besteht weiterhin.

NAHOST
Cry for me, Palästina von Pierre Heumann
Die Hamas betreibt nach ihrem Wahlsieg eine radikale Islamisierung im Taliban-Stil
Bei den Parlamentswahlen von Ende Januar verhalfen die Palästinenser
den Islamisten der Hamas zu einem Erdrutschsieg. Nun stellen sie mit
Schrecken fest, dass die neue Regierung ein Taliban-Regime in der Westbank
und Gaza installieren könnte. Deshalb behilft man sich mit schwarzem
Humor. Und hofft auf Neuwahlen in nicht allzu ferner Zukunft.

PALÄSTINA
Mit Hamas reden! von Jamil Hamad
Ein palästinensischer Publizist über den Umgang mit den gewählten Fundamentalisten

EUROPÄISCHE UNION
Der erste Schritt vor dem zweiten von Claudia Major und Henning Riecke
Das „Solana-Papier“ zur Europäischen Sicherheitsstrategie allein sorgt noch nicht für eine geschlossene und handlungsfähige europäische Außen- und Sicherheitspolitik
Vor zwei Jahren hat die Europäische Union mit der Europäischen
Sicherheitsstrategie (ESS) zum ersten Mal ein Strategiepapier verabschiedet
und ihren Anspruch auf eine Rolle als globale Akteurin unterstrichen.
Was hat das so genannte „Solana-Papier“ seither bewirkt? Hat es
Europas außenpolitische Handlungsfähigkeit entscheidend verbessert?
Eine Analyse der Strategie und Empfehlungen zur weiteren Umsetzung.

TERRORABWEHR
Übertreibungen einer Superbehörde von Josef Braml
Restriktive Einreisebestimmungen wirken sich negativ auf die internationalen Beziehungen aus
Eine proaktive Heimatschutzstrategie forcierte Präsident George W. Bush
mit der Schaffung des Heimatschutzministeriums. Doch restriktive
Visavergaben wirken sich vor allem negativ auf amerikanische
Universitäten, die Wirtschaft und die transatlantischen Beziehungen aus.

RUSSLAND
»Fest im Griff des Regimes« von Garri Kasparow
Interview mit dem ehemaligen Schachweltmeister über Putins Demokratieverständnis
und den „weichen Faschismus“ in Russland

DEUTSCHLAND
Jenseits des Tellerrands von Cornelius Adebahr
Auslandserfahrung scheint keine Karrierevoraussetzung für deutsche Politiker zu sein
Deutsche Politiker haben kaum Auslandserfahrung. Für die junge, international
ausgerichtete Generation ist eine Karriere in der hiesigen Politik
daher kaum attraktiv, argumentiert Cornelius Adebahr. Die Barrieren
zwischen Verwaltungs-, Wissenschafts- und Unternehmenskarriere,
zwischen Berufswegen im In- und Ausland sollten aufgehoben werden.

NAHOSTBILDER von Wael El-Gayar und Felix Struening
Überraschungen und Selbstkritik
Der Wahlsieg der Hamas und der Eklat um die dänischen Mohammed-Karikaturen
im Spiegel arabischer Medien

BUCHKRITIK von Stefan Alscher
Grenzüberschreitungen
Ein Überblick über aktuelle Berichte und Studien aus der Migrationsforschung
Die Migrationsforschung hat sich mittlerweile zu einem derart weit
aufgefächerten Gebiet entwickelt, dass ein Überblick über die aktuelle
Literatur, in der sich die derzeit geführten Debatten widerspiegeln,
zwangsläufig unvollständig bleiben muss. Neben den periodisch
erscheinenden Berichten internationaler Organisationen sowie nationaler
Verbände und Institutionen sollen hier Schlaglichter der aktuellen
wissenschaftlichen Debatte sowohl in Deutschland als auch in den USA
vorgestellt werden. Obgleich die Auswahl begrenzt und lückenhaft ist,
gibt sie doch die grundlegenden Themen und den aktuellen Stand der
Diskussion der Migrationsforschung wieder.

Kolumnen
ÖKONOMIE von Norbert Walter
Die Ära der größten Völkerwanderung?
Der Zusammenhang zwischen Migration und Freiheit verschwindet aus dem Bewusstsein

WERKSTATT DEUTSCHLAND von Manfred Güllner
Die Erosion des deutschen Parteiensystems
Die heutige Ausgefranstheit der Parteienlandschaft hat ihre Wurzeln in der Ära Kohl

KULTUR von Lorenz Jäger
Für eine Bibliothek der politischen Bilder
Ikonographische Darstellungen bieten Einsicht in die Natur von Ideen und Ideologien

TECHNOLOGIE von Tom Schimmeck
Von Teraflops und Petabytes
Der Datenozean ist immens; auch die Fischereimethoden dafür werden immer raffinierter

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