Internationale Politik 62 (2007), 7/8

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Internationale Politik 62 (2007), 7/8
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Weiterer Titel 
Zerfällt die Weltordnung?

Erschienen
Frankfurt am Main 2007: Societäts Verlag
Erscheint 
Erscheinungsweise: deutsch (monatlich), russisch (monatlich), englisch (vierteljährlich)
ISBN
419672150995608
Anzahl Seiten
224
Preis
9,95 EUR

 

Kontakt

Institution
Internationale Politik
Land
Deutschland
c/o
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Rauchstraße 17-18 10787 Berlin Tel.: +49-(0)30-25 42 31-46 Fax: +49-(0)30-25 42 31-67
Von
INTERNATIONALE POLITIK

Zerfällt die Weltordnung?

Was Sie, liebe Leserinnen und Leser, hier in Händen halten, ist ein echtes Schwergewicht: Mit 224 Seiten Umfang soll diese Doppelausgabe der IP ausreichend Hirnfutter für zwei Sommermonate zur Verfügung stellen. Das Schwerpunktthema hat ebenfalls Gewicht – geht es doch um den Zustand der internationalen Ordnungsstrukturen. Nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen und bis heute dominiert vom Westen, wirken die wichtigsten Institutionen – die Vereinten Nationen mit dem Sicherheitsrat und die Bretton-Woods-Schwestern IWF und Weltbank – heute, 60 Jahre später, seltsam unzeitgemäß: schwerfällig, reformunwillig, den Realitäten des 21. Jahrhunderts kaum noch angemessen.
Die alte Ordnung, da sind sich die Autoren dieser Ausgabe einig, erodiert. Sie tue dies, weil der Westen als wichtigster Garant dieser Strukturen zerstritten sei und weil vor allem die kollektive Sicherheitspolitik katastrophal versagt habe, argumentiert der Kieler Politologe Joachim Krause: „Infolge des Nichthandelns oder der mangelnden Ernsthaftigkeit und Konsequenz des Handelns des UN-Sicherheitsrats dürften in den neunziger Jahren ungefähr sechs Millionen Menschen ihr Leben verloren haben.“ Sie verliere rapide an Legitimität, hält der asiatische Forscher Kishore Mahbubani dagegen, weil der Westen in undemokratischer Weise auf seiner Dominanz beharre und so die dringende Neustrukturierung der Weltordnung verhindere: „Warum haben 15 Prozent der Weltbevölkerung 60 Prozent der Sitze im UN-Sicherheitsrat?“
Die Welt von 2007 ist nicht mehr die Welt von 1945. Räume begrenzter Staatlichkeit sind entstanden, neue Akteure spielen eine Rolle, der Souveränitätsbegriff wird unscharf, es entwickelt sich eine Art „institutionalisierte Ungleichheit“ (Michael Zürn), möglicherweise ein „asymmetrisches Völkerrecht“
(Ulrich Preuß); was unter diesen Umständen noch „legitim“ ist, muss neu definiert werden (Robert Keohane). Doch, so Peter Bender: „Ein Weltherrscher, der Weltfrieden schafft und eine Weltordnung stiftet, ist nicht zu sehen.“
Europa immerhin scheint sein Tief überwunden zu haben; es geht, auch dank der „Merkel-Methode“, wieder voran. Einige Europäer aus Ost, West, Nord und Süd bewerten in dieser Ausgabe die Fitness der Union nach sechs Monaten deutscher EU-Ratspräsidentschaft. Lesen Sie dazu die Seiten 134 bis 165.

SABINE ROSENBLADT | CHEFREDAKTEURIN

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Zerfällt die Weltordnung?
8 Joachim Krause
Die internationale Ordnung
in der Krise

Warum die Uneinigkeit des Westens
das gesamte System bedroht

Eine der am meisten beunruhigenden politischen Entwicklungen
der Gegenwart ist die Erosion der internationalen Ordnung. Es ist
ein schleichender, eher im Hintergrund ablaufender Prozess, der aber tiefgreifende
Veränderungen der internationalen Politik mit sich bringen wird.

21 Michael Zürn
Institutionalisierte Ungleichheit
Wohin steuert die internationale
Staatenwelt im 21. Jahrhundert?

Zwei disparate Entwicklungen prägen die heutige Weltordnung:
Die unipolare Dominanz der USA einerseits, die wachsende Bedeutung
globaler Normen andererseits. Zusammen betrachtet, ergibt sich das
Bild eines rechtlich stratifizierten Mehrebenensystems, in dem das Grundprinzip
des Rule of Law – souveräne Gleichheit – unterminiert wird.

32 Ulrich K. Preuß
Asymmetrisches Völkerrecht?

Der Kosovo-Plan könnte das Ende des
Systems souveräner Gleichheit einläuten

Der Kosovo-Plan der UN würde, wenn er sich umsetzen ließe,
einen Staat minderer Souveränität schaffen und damit das Ende des UNSystems
souveräner Gleichheit aller Staaten einläuten. Das könnte paradoxerweise
auf eine Konstitutionalisierung des Völkerrechts hinauslaufen –
und der internationalen Gemeinschaft mehr Verantwortung aufbürden.

40 Thomas Risse
Paradoxien der Souveränität

Was es heißt, wenn Staaten nicht mehr
uneingeschränkt souverän sind

Fragile, zerfallen(d)e Staaten nehmen in der internationalen
Politik zu: Mehr als zwei Drittel der heutigen Staatenwelt gehören zu
Räumen begrenzter Staatlichkeit, ihre innere Souveränität ist eingeschränkt.
Welche Konsequenzen hat das Auseinanderklaffen der verschiedenen
Komponenten von Souveränität für die gegenwärtige Weltordnung?

48 Peter Bender
Frieden muss erzwungen
werden

… und was wir sonst noch aus der
Geschichte lernen können

Das 20. Jahrhundert hat die Welt stärker verändert als alle
Zeiten davor, doch der Mensch blieb, wie er immer war, und die Erfahrungen
der Geschichte bleiben gültig. Für die Zukunft heißt das: Die Welt
wird mehrere Machtzentren haben. So war es zu allen Zeiten, warum soll
es in Zukunft anders sein?

54 Kishore Mahbubani
Der Westen als Nadelöhr
Amerika und Europa gefährden die
Legitimität internationaler Institutionen

Es ist nicht nur der amerikanische Unilateralismus, es
ist auch die Uneinsichtigkeit der Europäer, die die Glaubwürdigkeit und
Effizienz der Weltordnung unterminiert. Aus asiatischer Perspektive blockiert
die undemokratische westliche Dominanz die internationalen Strukturen.
Denn sie entspricht nicht mehr den Realitäten der Welt von heute.

66 Henrik Schmiegelow
Asiens künftige Rolle
als Ordnungsmacht

Wie die dynamischste Region
die Weltordnung prägen wird

Während Europäer und Amerikaner sich Sorgen über
den Niedergang der – westlich dominierten – internationalen Ordnung machen,
schickt Asien sich an, mit strategischem Pragmatismus zum neuen
globalen Gestalter zu werden. Unbeachtet vom Westen schreiten die Prozesse
funktionaler Integration und regionaler Gemeinschaftsbildung voran.

74 C. Raja Mohan und Klaus Julian Voll
Schulterschluss der Rivalen

Erfüllt sich Nehrus Vision eines neuen
Asiens mit Indien und China als Kern?

Der Aufstieg Chinas und Indiens verschiebt
das globale Gleichgewicht von West nach Ost, ihre strategische Partnerschaft
gibt der Entwicklung zusätzliches Gewicht. Will die EU nicht abseits stehen,
muss sie beiden asiatischen Mächten als politische Einheit gegenübertreten
– und sich zugleich von ihrer Fixiertheit auf Peking befreien.

80 Anatol Lieven
Die verblendete Nation

Amerikas Parteien haben aus dem
Irak-Debakel bisher nichts gelernt

Der tief verwurzelte amerikanische Exzeptionalismus und
Messianismus machen es dem politischen Establishment Washingtons
schwer, adäquate Lehren aus der gescheiterten Bush-Politik zu ziehen. Deshalb
fangen Despoten aller Schattierungen an, dem Hegemon auf der Nase
herumzutanzen – jeder weiß, dass Amerika seine Macht überdehnt hat.

90 Johannes Varwick
Zwischen Mythos und
„added value“

Das Prinzip der kollektiven Sicherheit,
politisch bewertet

Kollektive Sicherheit muss keine Utopie bleiben, wenn sie
als Zielwert internationaler Beziehungen aufgefasst wird. Ein entsprechendes
Rahmenwerk könnte neue Ansätze der Konfliktbearbeitung bieten,
indem Institutionen einbezogen werden, deren Entscheidungen auf Konsultationen
und Kompromissen – und nicht auf Willkür – beruhen.

96 Robert O. Keohane

Unter Umständen legitim

Über die Rechtmäßigkeit von Herrschaft
in Räumen begrenzter Staatlichkeit

Kann Governance, die Ausübung von Herrschaft durch
Regierungen oder Institutionen, legitim sein, auch wenn sie nur in begrenztem
Maße auf staatlichen Strukturen beruht? Die Antwort: Das kann sie
– sofern eine Reihe von allgemeinen Standards für Legitimität erfüllt sind.

Internationale Politik
110 Weltbank | Thorsten Benner
Hilfe für den Helfer gesucht

Nach Wolfowitz, vor Zoellick:
Eine neue Ära?

Geldgeber der Armen, Manager internationaler Krisen, Finanzier
globaler öffentlicher Güter: Nie war die Zeit für die Weltbank günstiger,
nie die gesellschaftliche Akzeptanz von Entwicklungspolitik größer. Doch
deren weltweit wichtigste Institution befindet sich in einer Krise, die tiefer
reicht als die Kontroverse um ihren gescheiterten Chef Paul Wolfowitz.

120 Transatlantisches Verhältnis | Karl Kaiser
Im Westen doch Neues

Die veränderten Konstellationen
ermöglichen eine bessere Kooperation

Heiligendamm hat es gezeigt: Die transatlantischen Beziehungen
haben sich aufgrund von Veränderungen sowohl in der Bush-Administration
als auch in Europa verbessert. Eine bedeutende Rolle spielen dabei die Rückkehr
der USA zum Multilateralismus sowie die Einheit der Europäer.

122 Porträt | Henning Hoff
Vom Pudel zur Bulldogge

Abschied von einer Dekade Blairismus: Machtwechsel in Großbritannien

Das britische Interregnum ist vorbei. Nach einer internationalen Abschiedstournee
hat Tony Blair die Weltbühne verlassen. Im Amt folgt ihm
nun sein politischer Zwilling und ewiger Rivale, Schatzkanzler Gordon
Brown. Bei mancher Unklarheit über Browns Ziele: ein radikaler außenpolitischer
Wechsel ist von dem bärbeißigen Schotten nicht zu erwarten.

128 Nahost| Margret Johannsen
Dschihadistan in Palästina?

Wer den Gaza-Streifen sich selbst überlässt, spielt nur den Islamisten in die Hände

Palästinenser im Bruderkrieg, die politische Häutung
der Hamas von einer Rebellenbewegung zur Partei gescheitert, Terror und
Gewalt im „größten Freiluftgefängnis der Welt“: Doch wer den Gaza-
Streifen sich selbst überlässt, wird auch Israel keinen Frieden bringen –
und macht die palästinensische Sache zum Spielball der Dschihadisten.

168 USA | Stephan Bierling
Aufstieg und Fall von King George

Ende einer neoimperialen Präsidentschaft

Die Machtfülle des amerikanischen Präsidenten George W.
Bush war – nach dem Schock vom 11. September – so gewaltig, dass Kritiker
schon die Rückkehr der „imperialen Präsidentschaft“ der Johnson- und
Nixon-Jahre befürchteten. Doch wie gewonnen, so zerronnen: Seine letzten
anderthalb Amtsjahre verbringt Bush jun. als ziemlich lahme Ente.

174 Lateinamerika | Carsten Wieland
Kolumbiens Katharsis

Ein Land diskutiert über die Verbindungen zwischen Politik und Paramilitarismus

Kolumbiens Präsident Alvaro Uribe ist es gelungen, tausende
Paramilitärs zu entwaffnen. Damit hat er die Rolle des Staates gestärkt
und ist einem Ende des Konflikts zwischen Militär, paramilitärischen
Todesschwadronen und der linken Guerilla näher gekommen. Doch Aussagen
der ehemaligen Kämpfer vor Gericht belasten Verbündete Uribes.

182 Amerikabilder | Patrick Keller
Hegemonialmacht im Stillstand

In den USA fehlen die politischen Köpfe für neue Ideen

Wie waren wir, Europa?
134 Jan Techau
Neuanfang statt Nabelschau
Auftrag erfüllt: Deutschland hat der EU den Weg aus der Krise gewiesen

138 Juri Andruchowytsch
Hier bin ich, kritisiere mich!
Warum Deutschland den ewigen EU-Ehrenvorsitz verdient hat

140 Hermann Tertsch
Uninteressiert, unvorbereitet, unwissend
Wie die Spanier die Europa-Kompetenz
der eigenen Regierung einschätzen

141 Rolf Gustavsson
Die Merkel-Methode
... hat das Projekt Europa gerettet. Zumindest fürs Erste

144 Sergio Romano
Kein Herz für Bären
Eine allzu schroffe Haltung gegenüber Russland trübt die deutsche EU-Bilanz

146 Anne-Marie Le Gloannec
Annäherung ohne Wandel
Vereint in Ohnmacht: Die EU und ihr Verhältnis zu Russland

148 György Dalos
Quadratwurzel oder Quadratur des Kreises
Müssen wir in allem so einheitlich wirken, wie wir es nie werden sein können?

150 Zdzislaw Krasnodebski
Vergeigtes Vertrauen
In Osteuropa schwindet die Akzeptanz für Deutschlands Führungsrolle

152 Ruth Lea
Hello goodbye
Bitte austreten: Wie man die EU verlässt und doch ihr Partner bleibt

155 Antonio Puri Purini
Wider den Euroskeptizismus
Warum Europa seine Erfolge besser verkaufen muss

158 Christian E. Rieck
Europas Utopia?
Von der Indienststellung des Nationalen fürs bonum comune europaeum

Kolumnen
108 Ökonomie | Helmut Reisen
Schwächelnde Schwestern
Verlieren Währungsfonds und Weltbank dauerhaft an Bedeutung?

132 Werkstatt Deutschland | Paul Nolte
Gesinnungsethik, zum zweiten
Moskitonetze gegen Mangel: Neues aus der Weltverbesserungsbranche

166 Kultur | Jens Jessen
Bockwürste in einer Schlange
Wie wir die Kunst unter dem Vorwand der Verehrung zum Event machen

180 Technologie | Tom Schimmeck
Tod per Mausklick
Aufrüstung: Die Waffen werden moderner, doch auch der digitale Krieg bleibt blutig
Bücherschau
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Die wichtigsten außenpolitischen Neuerscheinungen
besprochen von Stephan Bierling, Claus Kreß, Andreas Eckert, Jörg Baberowski, Erich Weede, Joachim Fritz-Vannahme,
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