Russlands Renaissance 3000 Pressevertreter sind akkreditiert. Der barocke Konstantin-Palast Zar Peters des Großen im St. Petersburger Vorort Strelna ist für 3,5 Millionen Euro renoviert worden, in der Nachbarschaft warten 20 brandneue Luxusvillen mit je 2000 Quadratmetern Wohnfläche samt Sauna, Swimmingpool und Fitnessraum auf die Großen dieser Welt. Am 15. Juli wird Wladimir Putin den ersten G-8-Gipfel unter russischem Vorsitz eröffnen. Russland, erst seit 2002 Vollmitglied im informellen Club der führenden Industriemächte, heißt dann die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und den USA willkommen. Auch George W. Bush hat die Einladung angenommen. Das große Gipfelthema wird – auf Vorschlag Putins – Energiesicherheit sein. Die prunkvolle Kulisse für Russlands angestrebte „Rückkehr auf die Weltbühne“ steht also. Aber die Gäste sind wenig geneigt, der selbst ernannten neuen Energie-Supermacht zu huldigen. Die „romantische Epoche“ der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen in den neunziger Jahren, nach dem Ende des Kalten Krieges, ist vorüber. Man misstraut sich wieder. Man pflegt – wie der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney jüngst in Vilnius oder der russische Präsident Putin in mehreren Reden – einen bisweilen rüden Umgangston. Man sieht sich zwar nicht als Gegner an, aber als Partner, gar als „strategischen Partner“ auf gleicher Augenhöhe, doch auch nicht wirklich. Russland, schreibt Alexander Rahr in dieser IP, „hat seinen Platz in der europäischen Architektur noch nicht gefunden. Seine Identitätssuche nach 74 Jahren Kommunismus ist nicht abgeschlossen. Heute erinnert es an einen Heranwachsenden in einer pubertären Phase, der seinen Zieheltern – den westlichen Demokratien – Respekt abverlangen möchte.“ Wie damit umgehen? Die Autorinnen und Autoren dieser Ausgabe machen dazu Vorschläge. Und sie schildern ein Land der „beispiellose(n) Wertlosigkeit von Menschenleben“ (Sonja Margolina), in dem dennoch gerade eine kämpferische, mutige, vielköpfige Zivilgesellschaft entsteht. Dieses Russland teilt unsere Werte. Russlands Renaissance. Sabine Rosenbladt, Chefredakteurin
Russlands Renaissance
Seite 1 Editorial Sabine Rosenbladt
Seite 6 Hannes Adomeit Rückkehr auf die Weltbühne Moskau tritt international selbstbewusst auf. Doch Ruppigkeit ist nicht dasselbe wie Stärke
Auf internationalem Parkett tritt Russlands Präsident, beflügelt durch hohe Energiepreise, wieder mit großem Selbstbewusstsein auf. Aber die russischen Supermacht-Allüren stehen auf tönernen Füßen: Seine bisweilen ruppige Interessenpolitik schmälert den Einfluss des Landes als globaler Akteur – Russland, so die Diagnose, mangelt es an Soft Power.
Seite 14 Alexander Rahr Geopolitischer Infantilismus Es ist nicht in Europas Interesse, dass ein brüskiertes Russland sich nach Asien orientiert
Die Zeit russischer Charmeoffensiven Richtung Europa ist vorbei. Man zeigt sich die kalte Schulter; selbstbewusst distanziert sich die „Energie-Supermacht“ von der früher angestrebten Wertegemeinschaft mit dem Westen und hält nach neuen Partnerschaften Ausschau. Die EU sollte jedoch vermeiden, Russland allzu aktiv in die Arme Chinas zu treiben.
Seite 22 Nikolas K. Gvosdev Weder Partner noch Gegner
Die USA verlieren ihre Bedeutung für Russland. Dieses wird ein „postamerikanisches Land“
Seite 24 Roland Götz Russlands Wirtschaftsentwicklung Das Wachstum ist ölpreisabhängig. Und Europas Nachfrage ist dabei ein wichtiger Faktor
Die russische Wirtschaft befindet sich seit 1999 in einem ununterbroche-nen Aufschwung. Dieser ist allerdings stark vom Ölpreis gesteuert und damit instabil. Die längerfristigen Wachstumsaussichten werden von der demographischen Entwicklung, der Verbesserung der Infrastruktur sowie davon beeinflusst werden, ob die in einigen Branchen zu beobachtende Renationalisierung wirtschaftlichen Erfolg haben wird. Russland kann seine Position als Energie-Großmacht nur begrenzt gegen Europa ausspielen, da es auch in Zukunft vor allem auf den europäischen Absatzmarkt angewiesen sein wird.
Seite 32 Alexej Miller Energie für die Welt Wie der Staatskonzern Gazprom globale Energiesicherheit gewährleisten will
Die russische Firma Gazprom ist einer der größten Energiekonzerne der Welt. Von ihren verlässlichen Gaslieferungen hängt Europas Energie-sicherheit ebenso ab wie das stabile Wachstum der Weltwirtschaft. Denn neue Abnehmer in Asien und Nordamerika konkurrieren inzwischen um das russische Gas. Kann Gazprom regionale und globale Energiesicherheit gewährleisten? Nutzt der Staatskonzern die russischen Ressourcen effizient? Antworten vom Vorstandsvorsitzenden Alexej Miller.
Seite 36 Anatolij K. Orel Ukrainische Wünsche an die G-8
Und wo bleiben die Rechte der Transitländer? Plädoyer für eine globale Energie-Charta
Seite 38 Lilia Schewzowa Putins Vermächtnis Der „bürokratische Kapitalismus“ des heutigen Russland hemmt die Modernisierung des Landes
Das politische System des heutigen Russlands am Ende der Ära Wladimir Putin lässt sich als „bürokratischer Kapitalismus“ bezeichnen, der mit Demokratie und Liberalität wenig zu tun hat; er dient einzig den Interessen einer Klasse von Technokraten. Der Westen steht den russischen Entwicklungen mehr oder weniger hilflos gegenüber.
Seite 47 Barbara von Ow-Freytag Zwischen neuer Macht und alten Mythen Die russische Bürgerrechtsbewegung hat es nach wie vor nicht leicht. Auch, weil die Unterstützung aus dem Westen zu wünschen übrig lässt
Für die meisten Russen war die „Demokratie“-Erfahrung der neunziger Jahre ein Schockerlebnis. Umso schwieriger ist es heute für die entstehende Bürger- und Menschenrechtsbewegung, sich gegen die autoritären Tendenzen und verquasten Ideologien der herrschenden Elite durchzusetzen. Doch sie verdient die Unterstützung des Westens.
Seite 56 Michael Mertes Im Visier des Kremls
Wie das neue russische NGO-Gesetz „bunte“ Revolutionen verhindern soll
Seite 58 Stefan Scholl Demokratie mit Feindbild
Das Konzept der „souveränen Demokratie“ geht mit antiwestlichen Affekten einher Internationale Politik
Seite 74 ZUKUNFTSSZENARIO Die Neuorientierung deutscher Europa-Politik im Jahr 2014 von Alexander Graf Lambsdorff
Ein europäischer Blick in die Glaskugel – natürlich rein fiktiv Der Autor, liberaler Europa-Politiker, präsentiert in diesem Essay eine fiktive Vorlage des Bundesministers für Angelegenheiten der Europäischen Union an den Bundeskanzler des Jahres 2014. Alle genannten Staaten sind frei erfunden, vermutete Ähnlichkeiten unbeabsichtigt. Eventuelle Übereinstimmungen mit zukünftigen Entwicklungen wären rein zufällig.
Seite 82 SICHERHEITSPOLITIK Israel in die NATO? Was dagegen spricht von Helga Haftendorn
Eine Replik auf Ralf Fücks’ Vorschlag in der IP 6/2006
Seite 86 SÜDKAUKASUS Gereifte Erkenntnis von Dieter Boden
Eine Lösung der südkaukasischen Konflikte liegt auch im Interesse der EU
Mit der Einbeziehung des Südkaukasus in ihre Europäische Nachbar-schaftspolitik hat sich die EU zu einer Strategie der Anbindung dieser Region an Europa bekannt. Nach anfänglichem Zögern ist sie dabei, dort zusätzliche politische Veranwortung zu übernehmen. Zentrale Bedeutung hat die Frage, inwieweit die EU bereit ist, sich bei laufenden Bemühungen um eine Lösung der drei südkaukasischen Konflikte zu engagieren.
Seite 92 EU-OSTERWEITERUNG Rumänien auf dem Weg nach Europa von Klaus W. Grewlich
Welche wirtschafts- und finanzpolitischen Perspektiven hat der EU-Beitritt?
Mit der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in die EU entsteht ein Raum mit 470 Millionen europäischen Markt-Bürgern. Doch Umfragen zufolge begrüßen heute nur noch 55 Prozent der Europäer eine EU-Erweiterung. Die Skepsis richtet sich nicht spezifisch gegen Rumänien und Bulgarien. Zu den Ursachen der Erweiterungsmüdigkeit gehört auch die mangelhafte Vermittlung von Wissen über die kulturellen und wirtschaftlichen Leistungen der Beitrittskandidaten. Daher konzentriert sich dieser Beitrag auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Perspektiven des EU-Beitrittslands Rumänien.
Seite 100 SRI LANKA No peace, but war von Kristina Eichhorst
Mit der Terrororganisation der „Tamilischen Tiger“ ist kein Friedensschluss möglich
Am 30. Mai 2006 entschied die EU, die „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE) auf die Liste der verbotenen Terrororganisationen zu setzen. Sie reagierte damit auf eskalierende Gewalt zwischen den srilankischen Konfliktparteien, die im Februar 2002 offiziell Waffen-stillstand geschlossen haben. Diese Maßnahme markiert einen Tiefpunkt im Friedensprozess. Doch was genau ging schief? Eine Analyse.
Seite 108 INTERVENTIONISMUS Unruhe in Australiens „Hinterhof“ von Andreas Holtz
Die Intervention auf den Salomonen ist aktive Machtpolitik, vergleichbar dem Antiterrorkampf der USA
Die australische Intervention auf den Salomonen wird von Canberragern als mustergültiges Nation-Building-Projekt dargestellt. Dabei betreibt das Land bereits seit Beginn der neunziger Jahre eine durchaus macht-politisch motivierte Politik im Südpazifik. Ökonomische und Sicherheits-interessen der regionalen Hegemonialmacht spielen dabei eine Rolle.
Seite 115 OSTTIMOR Implosion eines Traumes von Till Skrobek
Immer wieder kommt es zu Ausbrüchen der Gewalt. Wird Osttimor zu einem humanitären Dauerpflegefall?
Im Mai 2006 landete erneut eine internationale Eingreiftruppe in Ost-timor, um eine Welle der Gewalt zu beenden. Im Unterschied zu 1999 sind die Ursachen des Konflikts heute hausgemacht. Australien fürchtet in Osttimor einen humanitären Dauerpflegefall. Zudem kühlt das Verhält-nis Canberras zu Indonesien durch die Ereignisse in Westpapua weiter ab.
Seite 124 RUSSLANDBILDER Keine Kunst ohne KGB von Stefan Scholl
In der aktuellen russischen Kulturdiskussion taucht die Gegenüberstellung von Kultur und Zivilisation wieder auf
Seite 128 BUCHKRITIK Transformation und Neuordnung von Henning Schröder, Martin Kahl und Erich Weede
Russische Innen- und Außenpolitik, die Nachbarschaftspolitik der EU und die USA als einzige Ordnungsmacht Kolumnen
Seite 72 WERKSTATT DEUTSCHLAND von Manfred Güllner Entfremdungsprozesse
Über die wachsende Politikverdrossenheit können auch teure PR-Kampagnen nicht hinwegtäuschen
Seite 84 ÖKONOMIE von Helmut Reisen Der Fluch der schwarzen Schmiere
Der Ölreichtum korrumpiert auch die russischen Eliten
Seite 98 KULTUR von Gustav Seibt Professoren, Publizisten, Patrioten
In der jüngsten Nationaldebatte scheint so etwas wie ein globalisierter Patriotismus auf
Seite 122 TECHNOLOGIE von Tom Schimmeck Menschliches Update
Auch die Evolution des Homo Sapiens schreitet voran; nur wohin, ist nicht recht klar Service
Seite 136 Veranstaltungskalender Seite 138 Nachwuchsforum Seite 140 Dokumentation Seite 4 Rückschau / IP-Frage Seite 142 Impressum Seite 144 Vorschau