Wie Asien zusammen wächst. Eine ganze Seite widmete die kambodschanische Tageszeitung Cambodge Soir kürzlich einem armen chinesischen Bauern: Xu Pucheng. Jedes Jahr, wenn der Winter kommt und die Feldarbeit auf seinem winzigen Acker getan ist, packt der 59-Jährige aus der Provinz Hubei seinen Rucksack mit 30 000 Luftballons und wandert 1500 Kilometer gen Süden, nach Kambodscha. In Phnom Penh schläft er auf einem gemieteten Feldbett im Park, lebt billig und verkauft seine Ballons. Im letzten Monat hat er so 175 Dollar verdient, wie er dem Reporter stolz erzählte. Wenn sein Rucksack leer ist, läuft Xu Pucheng wieder die ganzen 1500 Kilometer zurück nach Hubei in sein Dorf. Mit seiner Hartnäckigkeit, seiner Bescheidenheit und seinem unternehmerischen Mut gibt Xu Pucheng ein gutes Symbol für die ungeheure Dynamik des asiatischen Aufstiegs ab. Es sind 3,5 Milliarden Menschen – viele davon arm wie er – oder 55 Prozent der Weltbevölkerung, die sich in Asien auf den Weg gemacht haben zu einem besseren Leben. Asien wächst, und es wächst zusammen. Was angesichts der riesigen Distanzen, der enormen Entwicklungsunterschiede, der kulturellen Differenzen und der noch immer belastenden, konfliktreichen Vergangenheit des Kontinents ganz unwahrscheinlich anmutet, hat dennoch begonnen: eine funktionale Integration der langsamen, kleinen Schritte, deren Kristallisationskern die südostasiatische Zehn-Länder-Gemeinschaft ASEAN ist; sie feiert in diesem Monat ihr 40-jähriges Bestehen. Anlässlich des Jubiläumsgipfels in Singapur vom 18. bis 22. November hat die IP prominente Politiker, Publizisten und Wissenschaftler aus Asien gebeten, diesen Integrationsprozess für uns zu beschreiben und zu bewerten. Es ist bemerkenswert, wie sehr sich alle Autoren in ihren Betrachtungen auf das europäische Integrationsmodell beziehen. Sie betonen die Unterschiede, sie beklagen die schädlichen Nachwirkungen des europäischen Kolonialismus auf ihrem Kontinent. Sie schildern auch, wie das gerade entstehende „Konzept Asien“ sich von der traditionellen Abgrenzung gegenüber dem Westen entfernt: Die globalen, universellen Werte sind nicht nur „westlich“, wie Kazuo Ogura schreibt: „Sie gehen auch auf asiatische Traditionen zurück.“ SABINE ROSENBLADT | CHEFREDAKTEURIN
Wie Asien zusammen wächst 8 Michèle und Henrik Schmiegelow Der Weg zur Asiatischen Gemeinschaft Europa unterschätzt Asiens Fähigkeit zur Gemeinschaftsbildung – ein Fehler Viele Europäer halten es für undenkbar, dass der riesige Kontinent Asien zusammenwächst: Großmachtrivalitäten, Nationalismen, kulturelle Unterschiede, ideologische Gräben, Konkurrenz und Konflikte machten die Integration unmöglich, heißt es. Doch in Asien selbst wird die Gemeinschaftsbildung als Zukunftsstrategie begriffen.
17 Frank-Walter Steinmeier Gemeinsam globale Probleme lösen Aktive Partnerschaft ist das Gebot der Stunde Nicht ohne Grund war die diesjährige Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt dem Thema Asien gewidmet: Die Gestaltung der Beziehungen zu den Staaten und Ökonomien Asiens ist längst zu einer Schlüsselfrage deutscher und europäischer Außen- und Außenwirtschaftspolitik geworden. Notwendig ist eine vorausschauende Politik, die mit den Chancen wie den Risiken des asiatischen Aufstiegs umgehen kann.
22 Eckart von Klaeden Fit für Asien Wie Europa von Asiens Dynamik profitieren kann Keine Angst vor dem Aufstieg Asiens! Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion plädiert energisch für eine neue Asien-Strategie, mit der sich Deutschland und Europa den neuen Herausforderungen stellen und von der asiatischen Dynamik sogar profitieren können.
26 Ong Keng Yong Der Langsamste bestimmt das Tempo Bauanleitung für eine Asiatische Union In diesem Jahr feiert die ASEAN ihren 40. Geburtstag. Dennoch ist die Idee der Gemeinschaftsbildung für Ostasien noch neu, wie ASEAN-Generalsekretär Ong Keng Yong in diesem Beitrag schildert. Aber ihre Bedeutung nimmt zu. In kleinen Schritten bewegen sich die Staaten der Region aufeinander zu. Die ASEAN sieht sich in der Rolle des Mittlers. 30 Barry Desker Myanmar raus aus der ASEAN! Die Mitgliedschaft des Landes schadet der Glaubwürdigkeit des Bündnisses 36 Haruhiko Kuroda Neue Muster der Integration Asien hat für eine Einigung ganz andere Voraussetzungen als Europa Weniger Handelsbarrieren, weniger politischer Wille, größere Entfernung zwischen den Staaten: Asien hat für eine Einigung ganz andere Voraussetzungen als Europa. Es braucht einen Integrationsprozess, der sich am Markt orientiert, der mehrspurig abläuft und der die verschiedenen Entwicklungsstufen der Staaten berücksichtigt.
42 Qian Qichen »Viele kleine Bächlein werden zu einem großen Fluss« Warum China die regionale Kooperation in Ostasien weiter vertiefen will Die Integration der ostasiatischen Staaten ist ein historischer Prozess, der seit zehn Jahren in kleinen Schritten voranschreitet. Große Hürden sind noch zu überwinden; aber wenn die Partner einander auf gleicher Augenhöhe begegnen und auch Systemunterschiede tolerieren, dann werden alle beteiligten Länder von dieser Entwicklung enorm profitieren.
46 Yoshibumi Wakamiya Vom Novizen zum Veteranen Wie Japans neuer Premier die asiatischen Beziehungen wieder ins Gleis setzen will Einen großen Erfolg hatte Premier Shinzo Abe in seiner kurzen Amtszeit: Er beendete die Eiszeit zwischen China und Japan. Sein Nachfolger Fukuda wird diesen Weg mit Sicherheit weitergehen – und so die Grundlage für die weitere Verbesserung der südostasiatischen Beziehungen legen. Dort spielte Japan lange Zeit die Rolle des Buhmanns.
50 Kuldeep Mathur Aufschwung vor Religion Was hemmt Indiens Integration in Ostasien? Indien ist Chinas stärkster Konkurrent als aufstrebende Wirtschaftsmacht in Asien. Der wesentliche Unterschied: Es ist eine Demokratie. Das heißt, dass ökonomische Reformen sozial abgefedert sein müssen. Gelingt das, steht der erfolgreichen Kooperation mit anderen ostasiatischen Staaten nichts mehr im Weg. Auch nicht die Hindu-Ideologie.
54 Jusuf Wanandi Vernetzung verpflichtet Ostasien muss seine Chance nutzen, die internationale Ordnung mitzugestalten Handel, Institutionen, Sicherheit: In dem Maße, in dem die ostasiatischen Staaten regional zusammenarbeiten, müssen sie sich auch weltweit engagieren. Dafür sollten sich die Newcomer ans westliche Wertesystem anpassen und die etablierten Mächte Verantwortung abgeben. Acht Punkte, die auf die Agenda der asiatischen Integration gehören.
58 Katja Freistein Gemeinsam gegen die Piraten Wege zur sicherheitspolitischen Zusammenarbeit in der ASEAN Den neuen Gefahren und Herausforderungen in Südostasien will die ASEAN-Sicherheitsgemeinschaft mit mehr Kooperation begegnen. Dabei soll dem Thema der menschlichen Sicherheit hohe Priorität zukommen. Doch noch sind die Länder nicht bereit, regional beschlossene Maßnahmen konsequent in nationale Politik umzusetzen.
64 Kazuo Ogura Gemeinschaft braucht Visionen Das Konzept „Asien“ sollte für mehr stehen als Wirtschaftsboom
Güter, Touristen, Filme und Musik lassen Ostasien wirtschaftlich und kulturell zusammenwachsen. Doch Misstrauen zwischen den Staaten schwächt die Verbindungen – schließlich hatten die Nachbarn jahrhundertelang kaum Kontakt miteinander. Im 21. Jahrhundert muss Asien sich versöhnen und sich als Verfechter universeller Rechte neu definieren. 68 Hans Küng Goldene Regel der Gegenseitigkeit Was Asien zum weltweiten interkulturellen System beitragen kann Wird Asien Europa auch in Bezug auf die kulturelle Integration einholen können? Viele Europäer bezweifeln das. Doch Asien verfügt nicht nur über ein stabiles gemeinsames ethisches Fundament. Es hat auch, zum Teil lange vor Europa, eine Reihe von moralischen Prinzipien entwickelt, die heute als Elemente eines gemeinsamen Weltethos dienen können. Internationale Politik 74 Nordkorea | Thomas Gutschker Sozialismus, tiefgefroren Warum Kim Jong Il weniger mächtig ist, als der Westen glaubt Diszipliniert und durchorganisiert wirkt die Volksrepublik Korea auf den flüchtigen Betrachter, stromlinienförmiger, als die DDR je gewesen ist. Doch der zweite Blick offenbart Risse in der Fassade: Inseln der Marktwirtschaft, interne Konkurrenzkämpfe, und selbst der „Geliebte Führer“ schwächelt. Kim Jong II hat seine Nachfolge noch immer nicht geklärt. Denn jeder Kandidat dürfte Widerstand provozieren. Ansichten aus einem verschlossenen Land. 82 Pakistan | Heinrich Kreft Zwischen Talibanisierung und Demokratie Präsident Musharraf soll Stabilität garantieren und Terror bekämpfen Die Geister, die er rief, wird er nun nicht mehr los … frei nach Goethes Zauberlehrling könnte man das Problem der Taliban beschreiben, die nicht nur von Pakistan aus in Afghanistan operieren, sondern auch die Entwicklung im Land beeinflussen. Die Erwartungen an Präsident Musharraf sind groß, aber kann er sie auch erfüllen?
90 USA I | Robert Gerald Livingston Auswärts einig Warum sich die US-Außenpolitik nach Bush nicht grundsätzlich ändern wird Die gute Nachricht: Der kommende US-Präsident wird nicht George W. Bush heißen. Die weniger gute Nachricht: Grundlegend ändern wird sich die Außenpolitik unter Bushs Nachfolger(in) nicht. Immerhin stehen nun die Chancen für gedeihliche transatlantische Beziehungen besser als zuvor. Europa muss diese Möglichkeiten nutzen.
96 USA II | Josef Braml Therapie gegen Amerikas Ölsucht Die Chancen für eine transatlantische Energiepartnerschaft stehen gut Die Sicherheits-, Wirtschafts- und Umweltkosten ihrer gegenwärtigen Energieaußenpolitik werden die USA schon bald zum Kurswechsel veranlassen – vor allem im Verkehrssektor. Hier sollten deutsche und europäische Politik ansetzen: Eine transatlantische Energiepartnerschaft könnte Forschung und Investitionen für neue Technologien und den freien Handel alternativer Kraftstoffe im multilateralen Rahmen fördern.
103 Weißrussland | Anatolij Lebedko »Von Feinden umzingelt« Der Herbst des Oligarchen: Ein Vertreter der Opposition im Gespräch Der Herbst des Oligarchen: Von Russland abgestraft, vom Westen verbannt, von der Demokratiebewegung bekämpft, steht Weißrusslands Präsident Lukaschenko mit dem Rücken zur Wand. Ein Gespräch mit dem Oppositionellen Anatolij Lebedko über den Kampf des Regimes ums Überleben, die Gefahr einer sozialen Explosion und die Hoffnung auf freie Wahlen.
110 Frankreich | Daniela Schwarzer Kleiner Mann, Grande Nation Sarkozys Kurs irritiert die EU-Partner Vertreter einer „neuen“ Politik, Mann des (Auf-)Bruchs, Lautmaler, nicht Leisetreter: Seit seinem Antritt löst Frankreichs Präsident Schritt für Schritt ein, was er vor seiner Wahl versprach. Doch sein nassforscher Kurs, geprägt von außenpolitischen Alleingängen, irritiert die EU – und lässt erahnen, dass Paris kein einfacherer Partner geworden ist.
116 NATO | Ulrich Weisser Was auf uns zukommt Warum die NATO dringend eine neue Strategie braucht Wenn die Nordatlantische Allianz in den kommenden Jahrzehnten noch relevant sein will, muss sie jetzt ihre Strukturen, Prämissen und Prioritäten allesamt auf den Prüfstand stellen: Ohne eine realitätsgerechte Sicherheitsarchitektur wird das Bündnis in der Ära der globalen asymmetrischen Bedrohungen und neuen Gefahren nicht überleben.
126 Türkeibilder | Ceyhun Kara Welchen Weg schlägt die AKP ein? Die Türkei zwischen traditionellem Kemalismus und liberalen Reformern 130 Buchkritik | Arnulf Baring, Dirk Nabers, Fredrik Erixon, Hanns W. Maull Ohnmachtspiele Diplomaten schauen zurück, Asien nach vorn, und die Staatsräson feiert Urstände
Kolumnen 72 Werkstatt Deutschland | Karl-Rudolf Korte Sicherheit als linke Sehnsucht Die Deutschen stehen mehrheitlich „links“, regiert wird das Land aber von „rechts“ 88 Ökonomie | Birger P. Priddat Wenn Vater Staat spart … Warum Bürokratiereform ohne Politikreform scheitert oder gar zum Gegenteil führt 108 Kultur | Jens Jessen Neue Heiden statt Nächstenliebe Deregulierungsjünger vergöttern den Markt – und treffen auf gehemmte Bürger 124 Technologie | Tom Schimmeck Mensch Maus Vorhut an der Forschungsfront: Eine Ode an die Labormaus
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