Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 73 (2022), 9

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 73 (2022), 9
Weiterer Titel 
Digital History

Erschienen

 

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Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Michael Sauer, Didaktik der Geschichte, Georg-August-Universität Göttingen

Wer heute von digitalem Wandel in den Geisteswissenschaften spricht, spricht immer auch von den Geschichtswissenschaften. Ja, der sogenannte „Digital Turn“ ist längst in der Mitte der historischen Forschung angekommen, wie sich nicht zuletzt an einschlä- gigen Lehrstuhldenominationen ablesen lässt. Wie auch immer wir uns die Arbeit von Historikerinnen und Historikern in der Zukunft vorstellen, ohne die methodisch-theo- retischen Herausforderungen – und Möglichkeiten – des digitalen Wandels ist sie kaum denkbar. Grund genug für ein Heft, das diesen Wandel problem- und praxisorientiert in den Blick nimmt und zugleich versucht, dessen Chancen und Risiken zu bestimmen.
Am Anfang fragt Mareike König nach den Herausforderungen jenes „Ozeans“ an digi- talisierten Texten, Bildern und Dingen, der seit geraumer Zeit durch umfangreiche (und komplexer gewordene) Digitalisierungsprojekte entstanden ist – und immer neue Be- reitstellungs- und Nutzungskompetenzen einfordert. Am Beispiel zweier Datenbanken des Deutschen Historischen Instituts in Paris zeigt König, wie Forschungsdaten aus Pro- jekten, die technisch und rechtlich in die Jahre gekommen sind, so umgearbeitet und an- gereichert werden können, dass ihre dauerhafte und freie Nutzung nach den FAIR-Prin- zipien gewährleistet ist. Georg Vogeler geht im Anschluss auf das Verhältnis von digita- ler Reproduktion und digitaler Edition in den Geschichtswissenschaften ein und plädiert dabei für eine dritte Form, die in den Editionswissenschaften als Typus bislang noch keine nachhaltige Akzeptanz gefunden hat: die „Protoedition“. Was er damit meint, ist eine Edition ohne Transkription, die aber so erschlossen ist, dass sie historische Analy- sen ermöglichen kann: im Grunde ein tiefenerschlossenes digitales Faksimile oder aus anderer Perspektive eine illustrierte Regestenedition. Jessica Kreutz schließt daran an und führt das didaktische Potential digitalisierter (aber digital unveränderter) histori- scher Quellen vor Augen, die sie als „digitalisierte Objektivationen“ oder auch als „digi- talisierte Materialisierungen“ bezeichnet. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie die Nutzung digitalisierter Objektivationen die Quellenarbeit im Geschichtsunterricht ver- ändert. Kreutz hebt vor diesem Hintergrund die besondere Bedeutung digital gestütz- ter Historischer Grundwissenschaften hervor, die nicht zuletzt geeignet seien, digitale Geschichtswissenschaft und digitale Geschichtsdidaktik neu aufeinander zu beziehen.
Simon Donig und Malte Rehbein verlassen in ihrem Beitrag das Feld digital gestütz- ten historischen Lernens und reflektieren den „Digital Turn“ in den Geschichtswissen- schaften normativ und funktional mit Blick auf die „allgemeine“ digitale Transformati- on unserer Zeit. Ausgehend von den fünf Grundkennzeichen eines „Digitalen Zeitalters“, die der „Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen“ erarbeitet hat: Virtualität, Vernetzung, Kognition, Wissensexplosion und Autonomie, be- stimmen Donig und Rehbein die „Digital History“ als eine Form der historischen Praxis, in der Historik und Informatik untrennbar miteinander verbunden sind. Das aber heißt auch: Sie plädieren für die Etablierung einer kritischen Daten-, Informations- und Medi- enkompetenz, die geeignet ist, die „Digital History“ überhaupt erst zu einem Ort werden zu lassen, an dem über die digitale Transformation nachgedacht werden kann: metho- disch, methodologisch, epistemologisch.
Abschließend stellen Timo Steyer und Martin Wiegand in der Rubrik „Berichte und Kommentare“ die „Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften“ vor, die 2015 im Rah- men des Forschungsverbundes „Marbach – Weimar – Wolfenbüttel“ in Kooperation mit dem Verband „Digital Humanities im deutschsprachigen Raum“ gegründet wurde – und demonstrieren auf diese Weise, was digitales Publizieren heute ausmacht oder doch aus- machen sollte. Bis hin zu digitalen Lehr- und Lernplattformen für den Lateinunterricht.

Inhaltsverzeichnis

Abstracts
(S. 482)

Editorial
(S. 484)

Beiträge

Mareike König
Nicht nur was und wo Vom Umgang mit Digitalisierungsprojekten
(S. 485)

Georg Vogeler
Edition – Protoedition – Reproduktion
Der digitale Wandel
(S. 498)

Jessica Kreutz
Geschichte unterrichten mit digitalisierten Objektivationen
Fachliche Hinweise, didaktische Potentiale, methodische Möglichkeiten eines neuen Mediums
(S. 512)

Simon Donig/Malte Rehbein
Für eine „gemeinsame digitale Zukunft“
Eine kritische Verortung der Digital History
(S. 527)

Diskussion

Christian Heuer
Apokalyptiker:innen und Integrierte?
Geschichte Lernen und Unterrichten in den postdigitalen Zeiten von Corona
(S. 546)

Berichte und Kommentare

Timo Steyer/Martin Wiegand
Die Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften im Fokus
Standards und Trends des digitalen Publizierens
(S. 554)

Nils Bennemann/Marlen Fies/Ulrike Pospiech/Ute Schneider
Schreibend schreiben lernen im Fach Geschichte
Das Textkompetenzmodul der Universität Duisburg-Essen
(S. 564)

Informationen Neue Medien

Gregor Horstkemper
Musen in der Datenwerkstatt
Digitale Zeitschriften als Explorationsinstrumente historischen Arbeitens
(S. 569)

Literaturbericht

Raimund Schulz/Uwe Walter
Altertum
Teil I
(S. 572)

Nachrichten
(S. 587)

Abstracts

Mareike König
Nicht nur was und wo
Vom Umgang mit Digitalisierungs­projekten
GWU 73, 2022, H. 9/10, S. 485 – 497

Dieser Artikel betrachtet Potentiale und Herausforderungen der Massendigitalisierung von Quellen als ein Ineinandergreifen von Angebot und Nutzung. Er möchte ein Bewusstsein wecken für die Bedeutung digitaler Kompetenzen für Historikerinnen und Historiker im Umgang mit und der Bewertung von digitalisierten Quellen einerseits und für die Wichtigkeit ihrer transparenten, angereicherten und frei nachnutzbaren Bereitstellung für die Forschung und Öffentlichkeit andererseits. Anhand zweier Datenbanken, die am Deutschen Historischen Institut Paris erarbeitet wurden, wird ein Beispiel für die Umarbeitung und freie Bereitstellung von Daten aus alternden Digitalisierungsprojekten gegeben, die somit ihr volles Potential entfalten können.

Georg Vogeler
Edition – Protoedition – Reproduktion
Der digitale Wandel
GWU 73, 2022, H. 9/10, S. 498 – 511
Der Beitrag diskutiert das Verhältnis zwischen digitaler Reproduktion und digitaler Edition in den Geschichtswissenschaften. Unter den Bedingungen des Buchdrucks mussten Reproduktionen Ausnahmefälle bleiben. Deshalb war die Edition die einzige Möglichkeit, Texte aus Archiven zu veröffentlichen. Unter digitalen Bedingungen ändert sich jedoch das Verhältnis zwischen Edition und Reproduktion. Man kann die digitale visuelle Reproduktion und die digitale Edition als zwei Pole eines Kontinu ums verstehen. Der Beitrag schlägt vor, in diesem Kontinuum eine Zwischenform als Protoedition zu identifizieren. In der Protoedition werden Bilder des Textes, wie z.B. sie vom Archiv bereitgestellt werden, nach Forschungskriterien angeordnet und z.B. mit Regesten tief erschlossen. Anders als bei rein automatischen Verfahren (HTR, NER) gibt die Protoedition also den Quelleninhalt in einem von Menschen kontrollierten Verfahren wieder.

Jessica Kreutz
Geschichte unterrichten mit digitalisierten Objektivationen
Fachliche Hinweise, didaktische Potentiale, methodische Möglichkeiten eines
neuen Mediums
GWU 73, 2022, H. 9/10, S. 512 – 526

Die Digitalisierung von Quellen durch Archive und Bibliotheken zieht eine Erweiterung des Benutzerkreises nach sich und macht den Austausch zwischen Wissenschaft und Unterricht lohnend. Dazu werden zunächst die Diskurse über eine digitale Geschichtswissenschaft einerseits und digitale Geschichtsdidaktik andererseits zusammengeführt. Leitend ist die Frage, inwiefern sich die für den Geschichtsunterricht grundlegende Quellenarbeit durch die Nutzung von digitalisierten Objektivationen verändert. Ziel ist es, weniger die Herausforderungen als vielmehr das Potential digitalisierter Objektivationen für historisches Lernen im digital gestützten Geschichtsunterricht aufzuzeigen.

Simon Donig/Malte Rehbein
Für eine „gemeinsame digitale Zukunft“ Eine kritische Verortung der Digital History
GWU 73, 2022, H. 9/10, S. 527 – 545
Anfänglich beschränkt auf den Einsatz digitaler Verfahren und spezifische Aspekte von Fachinformation, hat sich die Digitalisierung in den vergangenen Jahren zunehmend zu einem Gegenstand von umfassender Bedeutung für die Geschichtswissenschaft entwickelt. Wir reflektieren diese Veränderungen als Teil der digitalen Transformation unserer Gesellschaft. Damit möchten wir einen Beitrag zu einer wissenschaftstheoretischen Verortung der Digital History leisten, die sich auf den verschiedenen Ebenen von Digitalisierung und Verdatung sowie digitaler Werkzeuge und Verfahren nebst ihrer Einbettung in die historische Methodik und Kognition bewegt. Wir fragen funktional und normativ, welche Beiträge für die und von der Geschichtswissenschaft im Kontext von fünf prägenden Merkmalen der digitalen Transformation zu leisten sind.

Christian Heuer
Apokalyptiker:innen und Integrierte?
Geschichte Lernen und Unterrichten in den postdigitalen Zeiten von Corona
GWU 73, 2022, H. 9/10, S. 546 – 553

Die langfristigen Auswirkungen der Pandemie auf den alltäglich stattfindenden Geschichtsunterricht sind längst noch nicht absehbar. Dass sie aber die Routinen und tradierten Muster des Geschichte-Unterrichtens irritieren und verunsichern, die Suche nach anderen, eben auch digitalen, Möglichkeiten des historischen Lehrens und Lernens initiieren und somit auch das professionelle Handeln der Geschichtslehrer:innen herausfordern, steht wohl außer Frage. Im vorliegenden Beitrag sollen deshalb die postdigitalen Herausforderungen des Coronazäns am Beispiel der Diskussionen um den guten Geschichtsunterricht aufgegriffen werden, um plausible Kriterien für einen postdigitalen Geschichtsunterricht zur Diskussion zu stellen.

Timo Steyer/Martin Wiegand
Die Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften im Fokus
Standards und Trends des digitalen Publizierens
GWU 73, 2022, H. 9/10, S. 554 – 563

Die Zeitschrift für digitale Geisteswissenschaften (ZfdG) bietet seit 2015 Open Access-Publikationen im Online-Format. Dabei ist die ZfdG selbst Teil digitaler Forschung und kontinuierlich um technische und methodische Weiterentwicklung bemüht. Verschiedene Peer-Review-Verfahren gewährleisten die stets hohe Qualität der Artikel. Abläufe, Vorteile und Perspektiven des digitalen Publizierens bei der ZfdG sollen in diesem Beitrag kurz vorgestellt werden.

Nils Bennemann/Marlen Fies/Ulrike Pospiech/ Ute Schneider
Schreibend schreiben lernen im Fach Geschichte
Das Textkompetenzmodul der Universität Duisburg­Essen
GWU 73, 2022, H. 9/10, S. 564 – 568

Die Klagen über mangelnde Leseund Schreibkompetenzen der Studierenden sind unter Lehrenden an Universitäten weit verbreitet. Sie beschränken sich keineswegs auf die Geistesund Sozialwissenschaften, werden dort aber zu einer besonderen Herausforderung für Lehrende und Lernende. Denn in der Geschichtswissenschaft, die im Zentrum des Beitrags steht, gilt es eine Fachsprache zu erwerben, die nur vermeintlich nah an der Alltagssprache ist. Da ein entsprechend sensibler Umgang mit Sprache nicht vorausgesetzt werden kann, hat das Historische Institut der Universität Duisburg-Essen gemeinsam mit der Schreibwerkstatt ein Textkompetenzmodul entwickelt, das die Kompetenzen in der Fachsprache entwickeln und vertiefen soll.

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Bestandsnachweise 0016-9056