Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 65 (2014), 5–6

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 65 (2014), 5–6
Weiterer Titel 
Erster Weltkrieg

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monatlich

 

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Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Sauer, Michael

Editorial von Christoph Cornelißen

Zur Zeit erfährt die Geschichte des Ersten Weltkriegs ein breites öffentliches Echo, das sich einem vordergründigen Anlass zu verdanken scheint: der Erinnerung an die Julikrise des Jahres 1914 und damit die Auslösung eines Krieges, der die Geschichte Europas fundamental transformierte und langfristig überformen sollte. Dahinter treten jedoch weitere bedeutsame Trends zum Vorschein, denn der Erste Weltkrieg ist schon seit mehreren Jahren in den Mittelpunkt einer transdisziplinären und zugleich internationalen Erforschung der Gewalt gerückt. In diesem Zusammenhang sind zahlreiche Studien entstanden, die sich unter anderem mit den Kriegserfahrungen von Offizieren und Millionen Soldaten beschäftigen, aber auch mit der Radikalisierung eines Kriegsgeschehens, das sowohl an den West- als auch den Ostfronten Übergänge zu einem „totalen Krieg“ erkennen lässt. Darüber hinaus ist zuletzt mit der Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg ein weiterer Trend zum Durchbruch gelangt, denn inzwischen haben sich auch die elektronischen Medien des Themas bemächtigt. Alle großen Fernsehanstalten weisen neue Portale aus, die keineswegs nur Informationsplattformen abgeben, sondern eine eigenständige Deutungsmacht vor allem dort beanspruchen, wo es um die Aufarbeitung der kulturellen und politischen Beschäftigung mit dem Krieg seit 1918/19 geht. Hier bahnen sich neue Wege der Public History an, die zweifelsohne die kommenden Debatten der Historiker und Historikerinnen beeinflussen werden. Überdies bieten die elektronischen Angebote (auch die im Internet) hervorragende Möglichkeiten für die Lehre sowohl an den Schulen als auch an den Universitäten.

Das aktuelle Interesse der Medien deutet insgesamt darauf hin, dass selbst hundert Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Beschäftigung mit ihm keineswegs zu versiegen droht. Im Gegenteil, wohl zu keinem Zeitpunkt sind so viele Neuerscheinungen vorgelegt und zugleich neue Darstellungsformen entwickelt worden, wie dies im Moment der Fall ist. Um in diesem auch für Spezialisten kaum mehr zu übersehenden Terrain eine erste Orientierung zu geben, bietet das vorliegende Themenheft eine kritische Bestandsaufnahme der neuesten Literatur. Christoph Cornelißen stellt zu diesem Zweck ausgewählte Neuerscheinungen sowie neue elektronische Plattformen vor, während Holger Afflerbach und Annika Mombauer den Blick auf aktuelle geschichtswissenschaftliche Kontroversen zur Julikrise lenken, die jetzt erneut auch in den Fokus der breiten Öffentlichkeit gerückt ist.

Das Themenheft beschränkt sich jedoch keineswegs auf diese nunmehr schon einhundert Jahre währende Debatte um die „Kriegsschuld“, sondern das Panorama erfasst ebenfalls neue kulturgeschichtliche Einblicke in das Kriegs- und Nachkriegsgeschehen. Hierzu zählt einerseits ein Beitrag von Sebastian Bondzio und Christoph Rass, die in einer regionalen Fallstudie zu Osnabrück der Erfahrung und Verarbeitung des Massentodes nachgehen, sowie andererseits eine Untersuchung von Niels Löffelbein zum Problem massenhafter Kriegsinvalidität, das in der Weimarer Republik zahllose ungelöste Fragen heraufbeschwor, welche die Nationalsozialisten später für ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren wussten.

Oliver Janz berichtet abschließend über eine neue, zurzeit noch im Aufbau befindliche elektronische Plattform, die Mitte 2014 unter dem Titel „1914–1918-online. International Encyclopedia of the First World War“ Nutzern zugänglich gemacht werden soll. Die von zahlreichen Fachleuten aus mehreren Ländern vorbereitete Plattform wird unsere Kenntnis nicht zuletzt der globalen Dimensionen des Kriegsgeschehens zwischen 1914 und 1918 erheblich erweitern und damit ein weiteres Mal belegen, wie sehr sich das Bild des Weltkriegs in den letzten einhundert Jahren jeweils im Gefolge veränderte Gegenwartserfahrungen gewandelt hat.

Inhaltsverzeichnis

INHALT DER GWU 5–6/2014

ABSTRACTS (S. 266)

EDITORIAL (S. 268)

BEITRÄGE

Christoph Cornelißen
„Oh! What a Lovely War!“. Zum Forschungsertrag und zu den Tendenzen ausgewählter Neuerscheinungen über den Ersten Weltkrieg (S. 269)

Holger Afflerbach
Der Topos vom unwahrscheinlichen Krieg in Europa vor 1914 (S. 284)

Annika Mombauer
Der hundertjährige Krieg um die Kriegsschuld (S. 303)
Quellenanhang (S. 324)

Sebastian Bondzio/Christoph Rass
„Gefallene“ in der Gesellschaftsgeschichte. Forschungsperspektiven zum „Massensterben“ von Soldaten im Ersten Weltkrieg (S. 338)

Nils Löffelbein
Das Erbe der Front. Kriegsopferpolitik in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg (S. 352)

Oliver Janz
1914–1918-online. Ein globales Projekt zu einem globalen Krieg (S. 369)

INFORMATIONEN NEUE MEDIEN

Alessandra Sorbello Staub
Der Große Krieg. Netzangebote zum Gedenkjahr 2014 (S. 380)

LITERATURBERICHT

Raimund Schulz/Uwe Walter
Altertum, Teil VI (S. 382)

NACHRICHTEN (S. 397)

AUTORINNEN UND AUTOREN (S. 400)

ABSTRACTS DER GWU 5–6/2014

Christoph Cornelißen
„Oh! What a Lovely War!“. Zum Forschungsertrag und zu den Tendenzen ausgewählter Neuerscheinungen über den Ersten Weltkrieg
GWU 65, 2014, H. 5/6, S. 269 – 283

Aus Anlass des einhundertjährigen Jubiläums der Julikrise 1914 stellt der Beitrag ausgewählte Neuerscheinungen zum Thema sowie zur Geschichte des Ersten Weltkriegs vor und bettet diese in den Rahmen des erinnerungskulturellen Wandels der Gegenwart ein. Hierbei kommen ebenfalls neuere elektronische Angebote der Fernsehanstalten sowie im Internet zur Sprache. Im Fokus stehen jedoch die neu entflammten Debatten um den Anteil der Mittelmächte an der Auslösung des Ersten Weltkriegs.

Holger Afferbach
Der Topos vom unwahrscheinlichen Krieg in Europa vor 1914
GWU 65, 2014, H. 5/6, S. 284 – 302

Der Beitrag stellt die Behauptung in Frage, in Europa habe es vor 1914 eine universale Kriegsstimmung gegeben, die die Regierungen zum Krieg drängte. Doch dann hätten nach dem Attentat von Sarajevo alle mit dem Ausbruch des Krieges rechnen müssen. Dies war aber nicht der Fall. Die europäische Öffentlichkeit war im Juli 1914 in Ferienstimmung und erst nach dem österreichischen Ultimatum an Serbien begann sich die Furcht vor einem großen Krieg breitzumachen, an den selbst Anfang August 1914 viele noch nicht wirklich glauben wollten. Der Beitrag zeigt, dass es in den letzten Jahren vor 1914 in Europa ein geradezu gefährliches Vertrauen in den Frieden gab. Ein großer europäischer Krieg wurde als selbstmörderisch und daher auch als „unwahrscheinlich“ angesehen – und gerade dadurch mit herbeigeführt.

Annika Mombauer
Der hundertjährige Krieg um die Kriegsschuld
GWU 65, 2014, H. 5/6, S. 303 – 337

Nach 100 Jahren Debatte über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges versprechen neueste Veröffentlichungen ein Ende des deutschen Kriegsschuldparadigmas. Gleichzeitig wird hinterfragt, ob die Suche nach Verantwortlichen überhaupt sinnvoll ist. Vor dem Hintergrund der jüngsten Kontroverse um die Kriegsschuldfrage argumentiert dieser Aufsatz, dass die traditionelle Sichtweise der erheblichen Verantwortung der deutschen und österreich-ungarischen Regierung für den Kriegsausbruch durch zahlreiche Quellen durchaus zu belegen ist. Er plädiert dafür, dass Historiker sich nicht scheuen sollten, Verantwortung zu verorten, nicht zuletzt, weil die gegenwärtige Debatte nicht nur die Ursprünge des Ersten Weltkrieges kontrovers diskutiert, sondern sogar Deutschlands Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg hinterfragt.

Sebastian Bondzio/Christoph Rass
„Gefallene“ in der Gesellschaftsgeschichte. Forschungsperspektiven zum „Massensterben“ von Soldaten im Ersten Weltkrieg
GWU 65, 2014, H. 5/6, S. 338 – 351

Wie war das Sterben von Soldaten im Ersten Weltkrieg in der Gesellschaft des Deutschen Kaiserreichs präsent? Neben die in Egodokumenten und anderen Quellen fassbare Erfahrung setzt der Beitrag eine Verortung von Verlust in den sozialen Herkunftskontexten von „Gefallenen“, die Strukturen des Sterbens und seiner Verarbeitung in einer Stadtgesellschaft abbildet. Erste Ergebnisse werden exemplarisch in die Interpretation von Kriegswahrnehmungen im Osnabrücker Bürgertum 1914/15 einbezogen. Die Befunde verdeutlichen das Spannungsfeld zwischen den über unterschiedliche Kanäle vermittelten Bildern des Krieges und unterstreichen die Relevanz einer Verbindung kulturwissenschaftlicher und sozialhistorischer Ansätze.

Nils Löffelbein
Das Erbe der Front. Kriegsopferpolitik in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg
GWU 65, 2014, H. 5/6, S. 352 – 368

Das Phänomen massenhafter Kriegsinvalidität gehört zu den bittersten Langzeitfolgen der industrialisierten Kriegsführung im Ersten Weltkrieg. Gerade in der Verlierernation Deutschland erwies sich der Umgang mit mehreren Millionen Kriegsopfern als ein schweres Erbe, das eine innere Stabilisierung der Weimarer Republik in den 1920er nachhaltig erschwerte. Es war schließlich der Nationalsozialismus, der die ungelöste Kriegsopferfrage in seiner Herrschaftspraxis massiv für seine Ziele instrumentalisierte.

Oliver Janz
1914–1918 online. Ein globales Projekt zu einem globalen Krieg
GWU 65, 2014, H. 5/6, S. 369 – 379

1914–1918-online ist die erste umfassende, im Internet frei zugängliche Enzyklopädie des Ersten Weltkriegs. Das Vorhaben wird von der DFG finanziert und an der Freien Universität Berlin koordiniert. An ihm sind über zwanzig Institutionen und mehr als 1.000 Experten aus 54 Ländern beteiligt. Der Aufsatz stellt das Projekt vor. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Frage, wie die Enzyklopädie die transnationale und globalgeschichtliche Erweiterung der First World War Studies widerspiegelt und weiter vorantreibt.

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