Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 60 (2009), 05/06

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 60 (2009), 05/06
Weiterer Titel 
Nationalsozialismus

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monatlich

 

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Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Sauer, Michael

Editorial von Michael Sauer

Dieses Heft versammelt Beiträge, die das Thema Nationalsozialismus vorwiegend unter dem Aspekt der Erinnerung, der nachträglichen Deutung und Diskussion in den Blick nehmen. In allen geht es um unterrichtsrelevante Inhalte und Betrachtungsweisen; drei von ihnen stellen explizit auf unterrichtliche Umsetzungen und Reflexionen ab.
Über den "Bund Deutscher Mädel" gibt es höchst unterschiedliche Urteile. Geht man nach der Programmatik, dann handelte es sich um eine nationalsozialistische Erziehungseinrichtung und Sozialisationsagentur, die die Mädchen ideologisch prägen und im Sinne des Systems disziplinieren sollte. In zahlreichen Erinnerungsschriften werden dagegen neue Erfahrungen, Freiräume und Verantwortlichkeiten in den Vordergrund gerückt, die die Mädchen erleben und erproben konnten. Dagmar Reese versucht solche Sichtweisen zu differenzieren, in dem sie detailliert die Alltagspraktiken des BDM, deren Ziele und deren mentalitätsprägende Wirkungen auf die Kinder und Jugendlichen schildert.

Gleichfalls um die Erlebnisse dieser Altersgruppe geht es im Beitrag von Margarethe Dörr. 2007 hat sie die zweibändige Dokumentation "'Der Krieg hat uns geprägt'. Wie Kinder den Zweiten Weltkrieg erlebten" vorgelegt. Diese basiert auf Gesprächen, die die Autorin mit Betroffenen geführt hat, auf der Auswertung autobiografischer Schriften und persönlicher Dokumente. Damit bilden diese Bände einen reichhaltigen Fundus, der sich auch im Geschichtsunterricht nutzen lässt. Wie dies geschehen kann, welche inhaltlichen Akzentsetzungen und methodischen Möglichkeiten sich dabei bieten, führt die Verfasserin in ihrem Aufsatz aus.

Um einen Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg geht es auch im Beitrag von Thomas Lange. In drei Anläufen setzt er sich mit der Erinnerung an diesem Gegenstand auseinander: aus dem Blickwinkel der eigenen Biografie; aus der Perspektive von Wissenschaft und Öffentlichkeit; im Hinblick auf den Geschichtsunterricht. Der Krieg als solcher, so konstatiert er, habe bis zur Wehrmachtsausstellung im Geschichtsunterricht der Bundesrepublik kaum eine Rolle gespielt; erst diese habe das Thema verstärkt ins Bewusstsein der Lehrkräfte gebracht. Um es auch den Schülern nahe zu bringen plädiert er abschließend für Methoden "identifizierenden Lernens": die Behandlung von Feldpostbriefen; das Verfassen fiktiver Tagebücher; den Austausch mit Jugendlichen betroffener Länder.

Um die Frage, wie Schüler sich mit NS-Geschichte vor Ort auseinander setzen können, geht es bei Angela Kühr. Sie berichtet über ein Projekt, in dem Kölner Schüler eine Stadtteilführung gestaltet haben. Dabei ging es um Erinnerungsorte, deren Spuren nicht offen zu Tage liegen, sondern erst zu erkunden und zu erläutern waren. Der Beitrag dokumentiert Planung und Ablauf des Projekts und lässt insbesondere den methodischen Kompetenzgewinn deutlich werden, der sich durch derartige Vorhaben erzielen lässt.

Von kontroversen Deutungen der Vergangenheit handelt schließlich der Aufsatz von Bert Pampel. Hans Globke und Manfred Stolpe waren Personen, die im NS-Regime bzw. in der DDR-Diktatur eine wichtige Rolle spielten und jeweils in der Zeit danach herausgehobene öffentliche Ämter einnahmen. Wie wurde in diesen beiden strukturell vergleichbaren Fällen die Frage der Belastung, der Schuld, der Tragbarkeit diskutiert und für unterschiedliche Zwecke instrumentalisiert? Auch solche Debatten lohnen eine Behandlung im Geschichtsunterricht zumindest der Oberstufe - als Lehrstück dafür, wie Urteile über die Vergangenheit aus unterschiedlichen Gegenwartsperspektiven gefällt und immer auf’s Neue verhandelt werden.
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Inhaltsverzeichnis

Inhalt der Ausgabe

ABSTRACTS (S. 266)

EDITORIAL (S. 267)

BEITRÄGE
Dagmar Reese
Warum Mädchen nicht nur gewandert sind
Der "Bund Deutscher Mädel" (S. 268)

Margarete Dörr
"'Der Krieg hat uns geprägt.'
Wie Kinder den Zweiten Weltkrieg erlebten"
Möglichkeiten für die Arbeit im Geschichtsunterricht (S. 282)

Thomas Lange
Ein verdrängter Krieg?
Der Zweite Weltkrieg im Geschichtsunterricht – ein persönlicher und pädagogischer Rückblick (S. 295)

Angela Kühr
Genius loci oder: Ich sehe, was ich weiß
Eine Unterrichtssequenz zu unsichtbaren Schauplätzen lokaler NS-Geschichte in einer zehnten Gymnasialklasse (S. 313)

Bert Pampel
Innerer Widerstand oder Kollaboration?
Die Diskussionen um Hans Globke und Manfred Stolpe im Vergleich (S. 330)

INFORMATIONEN NEUE MEDIEN
Gregor Horstkemper/Alessandra Sorbello Staub
Konträre Lebenswelten 1933-1945 (S. 346)

LITERATURBERICHT
Heinz Schilling
Konfessionalisierung, Teil III (S. 348)

NACHRICHTEN (S. 360)

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Abstracts

Dagmar Reese
Warum Mädchen nicht nur gewandert sind
Der "Bund Deutscher Mädel"
GWU 60, 2009, H. 5/6, S. 268-281

Der Essay zeigt, dass die widersprüchlichen Beurteilungen, die es vom Bund Deutscher Mädel gibt, darauf basieren, dass eine explizit gemachte Programmatik nationalsozialistischer Mädchensozialisation vage blieb und mit der Erfahrung vieler Betroffener oft kaum in Einklang zu bringen war. Wesentlich für die Erfassung im Bund Deutscher Mädel war die Herausbildung von Mentalitäten, die sich in den Praktiken der Organisation und über ihre Strukturen herausbildete.

Margarete Dörr
"'Der Krieg hat uns geprägt.'
Wie Kinder den Zweiten Weltkrieg erlebten"
Möglichkeiten für die Arbeit im Geschichtsunterricht
GWU 60, 2009, H. 5/6, S. 282-294

Nach einer Einführung zu Inhalt und Methoden der beiden Dokumentationen über Frauen- und Kindererfahrungen im Zweiten Weltkrieg und in den Jahren danach (erschienen 1998 und 2007), die mit der Methode der Oral History erarbeitet wurden, folgen Hinweise zur Arbeit mit der Kinderdokumentation im Geschichtsunterricht. Es werden Vorschläge zu inhaltlichen Schwerpunkten und zu Lehr- und Lernmethoden gemacht.

Thomas Lange
Ein verdrängter Krieg?
Der Zweite Weltkrieg im Geschichtsunterricht - ein persönlicher und pädagogischer Rückblick
GWU 60, 2009, H. 5/6, S. 295-312

Der Zweite Weltkrieg ist im Geschichtsunterricht der Bundesrepublik bis in die 90er Jahre als historisches Ereignis marginal behandelt worden. Das hat Gründe in der in dieser Hinsicht defizitären Ausbildung der Lehrer an der Universität, den davon geprägten Schulbüchern wie in der Geschichtskultur der BRD. Erst durch die Wehrmachtsausstellung hat sich das geändert. Es kommt nun darauf an, Vorstellungen zu entwickeln, wie ein Geschichtsunterricht gestaltet sein könnte, der die vorhandene Faktenunkenntnis beseitigt, sich aber auch nicht in einem unhistorischen "Übermoralisieren" verliert.

Angela Kühr
Genius loci oder: Ich sehe, was ich weiß
Eine Unterrichtssequenz zu unsichtbaren Schauplätzen lokaler NS-Geschichte in einer zehnten Gymnasialklasse
GWU 60, 2009, H. 5/6, S. 313-329

Der fachdidaktische Wert von Exkursionen an historische Orte, deren wahrnehmbare Überreste verschwunden sind, ist umstritten. Aber sie bieten die Chance, Schüler für ein zentrales Problem von Geschichtskultur zu sensibilisieren: die Vergegenwärtigung vergangenen Geschehens, dessen Spuren verblassen. Im Zentrum des Beitrags stehen Überlegungen zur Planung, Durchführung und Reflexion einer Unterrichtssequenz, in deren Rahmen Zehntklässler eine Stadtteilführung an Schauplätze der Kölner NS-Geschichte gestalteten.

Bert Pampel
Innerer Widerstand oder Kollaboration?
Die Diskussionen um Hans Globke und Manfred Stolpe im Vergleich
GWU 60, 2009, H. 5/6, S. 330-345

Der Beitrag beschreibt die Diskussionen um Hans Globke und Manfred Stolpe, die sich an ihrer "Belastung" durch tatsächliches oder vermeintliches Handlangertum für das NS-Regime bzw. die SED-Diktatur entzündeten. Er vergleicht die Debatten u. a. unter der Frage, welche Bedeutung sie für den gesellschaftlichen Umgang mit der jeweiligen Vergangenheit besaßen. Es werden Faktoren herausgearbeitet, in denen die Ähnlichkeiten und Unterschiede der beiden Debatten begründet liegen.

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