Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 59 (2008), 9

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 59 (2008), 9
Weiterer Titel 
Politik - Öffentlichkeit - Medien

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monatlich

 

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Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Sauer, Michael

EDITORIAL von Michael Sauer

Mit den Stichworten "Politik - Öffentlichkeit - Medien" ist ein weites Feld abgesteckt, in dem die Beiträge dieses Heftes jeweils andere Akzente setzen. Im Mittelpunkt des Aufsatzes von Maren Richter steht die Frage nach der Konstituierung von Öffentlichkeit im Absolutismus. In Abgrenzung von Jürgen Habermas’ wirkungsmächtigem Modell setzt sie die Entstehung diskursiver Öffentlichkeitsstrukturen bereits im 17. Jahrhundert an und argumentiert damit gegen seine klare Trennung einer zunächst ausschließlich "repräsentativen" und dann "bürgerlichen" Öffentlichkeit. Wenngleich zu dieser Zeit die repräsentative Öffentlichkeit - die man sich freilich auch nicht als kommunikative Einbahnstraße, sondern als komplexen Interaktionsprozess vorzustellen habe - vorherrschte, sei es doch bereits zur Ausbildung einer "prädiskursiven" Öffentlichkeit gekommen. Prädiskursiv deshalb, weil zwar einzelne politische Ereignisse, Handlungen und Deutungen tendenziell öffentlich verhandelbar geworden seien, aber die überkommenen Strukturen und Formen noch nicht grundsätzlich in Frage gestellt worden seien. Als Medien dieser "Teilöffentlichkeit" nimmt die Autorin Zeitungen und publizierte Beschwerdebriefe in den Blick, wobei sie die Entwicklung des Pressewesens und dessen mentalitätsgeschichtliche Wirksamkeit schon auf das frühe 17. Jahrhundert ansetzt.

Zeitungen spielen auch eine wichtige Rolle in jener "Kirchhainer Affäre", mit der sich Rüdiger Bergien beschäftigt. 1928 wurden in der hessischen Provinz die Aktivitäten einer geheimen Landesschutzorganisation publik, deren Vertreter sich vor Ort aus NSDAP-Mitgliedern rekrutierten. Was in der liberalen Presse als Skandal erschien, entpuppt sich bei näherer Betrachtung - von der massiven NSDAP-Beteiligung abgesehen - als nicht außergewöhnlich. Trotz vordergründiger Differenzen zwischen Zivil- und Militärbehörden, die hier zum Vorschein treten, macht der Fall zugleich deutlich, dass es offenbar einen "lagerübergreifenden Rüstungskonsens" gab, der sich in "regionalen Rüstungskooperationen" mit "Netzwerkcharakter" ausprägte. Deshalb lag es auch im Interesse aller Beteiligten, eine allzu intensive Presseberichterstattung möglichst zu verhindern.

Ein bislang wenig untersuchtes Medium steht im Mittelpunkt des Beitrags von Hiram Kümper. Zigarettensammelbilder, so sein Ausgangspunkt, hätten aufgrund ihrer Beliebtheit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Geschichtswissen und das Geschichtsbewusstsein weiter Bevölkerungskreise geprägt. Der Beitrag liefert zum einen eine quellenkundliche Beschreibung dieser Bildgattung. Zum anderen exemplifiziert er deren didaktische Potenziale anhand eines Unterrichtsvorschlags, in dem die Bilder nicht als Quellen für die dargestellte Zeit – in diesem Fall die Reichsgründung von 1871 und ihre Vorgeschichte –, sondern für die Geschichtsdeutungen ihrer Entstehungszeit dienen. Sammelbilder als eine Form von Historienbilder ermöglichen also die – mit einem beliebten Begriff gesprochen – Dekonstruktion von "zeitgenössischen Sinnvorgaben, -angeboten und -schöpfungen".

Abgerundet wird das Heft durch einen Vorabbericht über die Magdeburger Ausstellung "Rituale im Alten Europa", in der das Forschungsfeld "Symbolische Kommunikation" am Beispiel einzelner Rituale aus unterschiedlichen Lebenswelten (Bischofsweihe, Kaiserkrönung, Ratseinsetzung, Rektorwahl) und einzelner "Ritualbausteine" (Knien, Thronen, Küssen, Schwören) veranschaulicht wird. Dies lässt zugleich deutlich werden, dass solche Einsetzungsrituale stets eine ähnliche Struktur hatten und sich desselben "Formenrepertoires" bedienten. Durch attraktive museumspädagogische Begleitmaterialien will die Ausstellung auch die jugendliche Klientel erreichen.

Inhaltsverzeichnis

INHALT

ABSTRACTS (S. 458)

EDITORIAL (S. 459)

BEITRÄGE
Maren Richter
"Prädiskursive Öffentlichkeit" im Absolutismus?
Zur Forschungskontroverse über Öffentlichkeit in der Frühen Neuzeit (S. 460) | Abstract

Rüdiger Bergien
"Bürokratischer Militarismus" in der preußischen Provinz
Die Kirchhainer Affäre von 1928 und die Zivilbehörde (S. 476) | Abstract

Hiram Kümper
Nichts als blauer Dunst?
Zigarettensammelbilder als Medien historischer Sinnbildung - quellenkundliche Skizzen zu einem bislang ungehobenen Schatz (S. 492) | Abstract

BERICHTE UND KOMMENTARE
Dorothee Linnemann
Rituale präsentieren, inszenieren, ausstellen
Die Ausstellung Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800-1800 (Kulturhistorisches Museum Magdeburg, 21.9.2008-4.1.2009) (S. 510) | Abstract

INFORMATIONEN NEUE MEDIEN
Gregor Horstkemper / Alessandra Sorbello Staub
Von Feuers-Brunst und Frolockungs-Flamme
Quellen zur neuzeitlichen Öffentlichkeit (S. 518)

LITERATURBERICHT
Christoph Willms
Ur- und frühgeschichtliche Archäologie, Teil II (S. 520)

NACHRICHTEN (S. 531)

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ABSTRACTS

Maren Richter
"Prädiskursive Öffentlichkeit" im Absolutismus?
Zur Forschungskontroverse über Öffentlichkeit in der Frühen Neuzeit
GWU 59, 2008, H. 9, S. 460-475
In der Forschung zu Öffentlichkeit im Absolutismus herrschte lange die Auffassung, dass sich Öffentlichkeit im Absolutismus nur durch repräsentative Formen ausdrückte. Erst langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Herrschaft im Absolutismus ein vielschichtiger und komplexer Aushandlungsprozess zwischen Herrscher und Untertanen war, der sich nicht nur auf symbolische und repräsentative Akte beschränkte, sondern bereits voraufklärerische Formen aufwies. Der Beitrag will anhand von Schriftlichkeit und Publizität diskursive Öffentlichkeitsstrukturen bereits im 17. Jahrhundert nachzeichnen und somit das Habermas’sche Modell der klaren Abfolge von "repräsentativer" hin zu "bürgerlicher Öffentlichkeit" im 18. Jahrhundert modifizieren.

Rüdiger Bergien
"Bürokratischer Militarismus" in der preußischen Provinz
Die Kirchhainer Affäre von 1928 und die Zivilbehörde
GWU 59, 2008, H. 9, S. 476-491
Die Kirchhainer Affäre von 1928 wirft ein Schlaglicht auf den Komplex aus geheimer Aufrüstung und Militarisierung der Gesellschaft in der Weimarer Republik; ihre Rekonstruktion stützt die These von einem lagerübergreifenden Rüstungskonsens und bestärkt Zweifel an der antagonistischen Interpretation der zivil-militärischen Beziehungen. Die Praxis der Kooperation zwischen Reichswehr und preußischer Verwaltung zeigt, dass sich eine weitgehend konfliktfreie Zusammenarbeit und netzwerkähnliche Struktur zwischen Zivil- und Militärbehörden entwickelten. Trotz der Spannungen zwischen preußischer Staatsregierung und Reichswehrführung kam es nie zu einem Bruch der Kooperation auf regionaler Ebene.

Hiram Kümper
Nichts als blauer Dunst?
Zigarettensammelbilder als Medien historischer Sinnbildung – quellenkundliche Skizzen zu einem bislang ungehobenen Schatz
GWU 59, 2008, H. 9, S. 492-507
Zigarettenbilder waren ein ausgesprochen beliebtes Sammelobjekt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die oft historischen Abbildungen haben eine weite Verbreitung gefunden und damit das kollektive Bildwissen mehrerer Generationen entscheidend beeinflusst. Der Beitrag macht diese Sammelbilder erstmals durch eine grundlegende, quellenkritische Charakteristik als Quelle für Geschichtswissenschaft wie Fachdidaktik nutzbar. Abschließend werden an einem Beispiel Vorschläge für die konkrete Einbindung in die Unterrichtsarbeit angeführt.

Dorothee Linnemann
Rituale präsentieren, inszenieren, ausstellen
Die Ausstellung Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800-1800 (Kulturhistorisches Museum Magdeburg, 21.9.2008-4.1.2009)
GWU 59, 2008, H. 9, S. 510-517
Der Sonderforschungsbereich 496 der Universität Münster und das Kulturhistorische Museum Magdeburg realisieren in einer Ausstellung "Spektakel der Macht" ein Pilotprojekt: Erstmals werden übergreifende Fragestellungen aus dem geisteswissenschaftlichen Forschungsfeld "Symbolische Kommunikation" einem breiten Publikum vorgestellt. Durch den Zugang des außerschulischen Lernorts – Geschichte-"Lernen" anhand der Objekte – ergeben sich große Chancen für die Vermittlung.

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