Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 69 (2018), 1–2

Titel der Ausgabe 
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 69 (2018), 1–2
Weiterer Titel 
Skandalgeschichte

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Institution
Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
Land
Deutschland
c/o
Prof. Dr. Michael Sauer Universität Göttingen Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte Didaktik der Geschichte Waldweg 26 37073 Göttingen Tel. 0551/39-13388 Fax 0551/39-13385
Von
Sauer, Michael

Skandale bilden eine Konstante der Geschichte. Zwar hängen viele Beobachter heute der Ansicht an, dass erst die modernen Medien den Weg zur Skandalisierung von immer mehr Lebensbereichen mit sich gebracht hätten, aber tatsächlich handelt es sich hierbei um ein epochenübergreifend zu beobachtendes Phänomen. In diesem Sinn vermochte die neuere historische Forschung zu verdeutlichen, dass Skandale letztlich „öffentliche Geheimnisse“ bezeichnen, die nicht nur als ein Ausdruck und Motor sozialer und normativer Veränderungen, sondern zugleich als Indikatoren für den Formwandel von Politik begriffen werden können.

Das vorliegende Themenheft macht sich diese Erkenntnisse zu eigen und richtet den Fokus auf ausgewählte Fallbeispiele vom späten Mittelalter bis zur Zeitgeschichte. Den Auftakt bildet der Beitrag von Malte König über die im Jahr 1985 vom französischen Geheimdienst herbeigeführte Versenkung des Greenpeace-Schiffes „Rainbow Warrior“. Als die Vorgänge in der internationalen Öffentlichkeit ruchbar wurden, entwickelte sich das Ereignis zusehends zu einem Skandal, der die Machtbeziehungen und Entscheidungen bis hin zum Selbstverständnis der beteiligten Regierungen und Nichtregierungsorganisationen neu definierte.

Die Dynamik des Skandals erklärt sich jedoch keineswegs allein über die Aufdeckung der Umwelt- und Gesundheitsschäden durch die französischen Atomwaffentests, sondern Greenpeace nutzte die David-Goliath-Konstellation gleichzeitig geschickt, um sein Image in der Weltöffentlichkeit zu stärken.

Dass ähnliche Entwicklungen schon in der sogenannten Vormoderne zu beobachten waren, zeigen eindrucksvoll die beiden nachfolgenden Beiträge von Heike Mierau und Guido Braun. So zeigen sie zum einen deutlich, wie sehr bereits die Skandaldebatten im 14. Jahrhundert einen entscheidenden Wendepunkt in der Papstgeschichte markierten und die Handelnden deswegen zu Entscheidungen gelangten, die zuvor so undenkbar schienen. Dazu gehörte nicht nur die Verlagerung des Papstsitzes von Rom nach Avignon, sondern der Prozess gegen Papst Bonifatius warf darüber hinaus die grundsätzliche Frage nach der Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen auf. Der Beitrag zum diplomatisch-militärischen Konflikt zwischen den USA und Frankreich von Guido Braun verdeutlicht zum anderen, wie sehr dabei differierende Wertvorstellungen die Verantwortlichen anleiteten. Sie bewirkten, dass die „XYZ-Affäre“ zum Kristallisationspunkt eines grundlegenden Wertekonflikts in den amerikanisch-französischen Beziehungen im ausgehenden 18. Jahrhundert wurde.

Die folgenden Beiträge von Christoph Marx und Michael Gehler greifen erneut Fallbeispiele der neuesten Geschichte auf, beziehen sich aber auch auf verschiedene Welträume. Dazu gehört einerseits Südafrika, das in den 1980er-Jahren in den Strudel des „Muldergate“-Skandals geriet, als bekannt wurde, dass die Regierung in Pretoria versucht hatte, die internationale Berichterstattung über die Apartheid systematisch zu beeinflussen. Obwohl der Skandal in der südafrikanischen Innenpolitik vieles änderte und sich die internationale Lage des Landes danach eher schwierig darstellte, bestanden die Strukturen der Einflussnahme im Ausland durchaus fort. Andererseits zeigt Michael Gehler anschaulich auf, in welchem Ausmaß die sogenannte Waldheim-Affäre um den früheren Bundespräsidenten der Republik Österreich eine politisch einseitige Kampagne abgab, die sich zunehmend verselbstständigte und international immer weitere Kreise zog. Daran habe auch die Meinungs- und Nachrichtenindustrie einen gewichtigen Anteil genommen, wobei auch diese selbst in den Strudel einer medialen Eigendynamik geraten sei.

Ein weiteres Mal wird somit deutlich, dass Skandale „Kulminationspunkte“ politisch und gesellschaftlich schwelender „Wertekonflikte“ abgeben, die zugleich einen markanten Normenwandel anzeigen.

Von Christoph Cornelißen

Inhaltsverzeichnis

Abstracts (S. 2)

Editorial (S. 4)

Beiträge

Malte König
Greenpeace im Visier Frankreichs Die Versenkung der „Rainbow Warrior“ als medialer und diplomatischer Skandal 1985/86 (S. 5)

Heike Johanna Mierau
Das Attentat von Anagni 1303 – ein Skandal? (S. 18)

Guido Braun
Schwesterrepubliken oder „clash of values“?
Die französisch-amerikanische „XYZ-Affäre“ und ihre Folgen (1797–1801) (S. 35)

Christoph Marx
„Muldergate“
Außenpolitische Propaganda und interne Machtkämpfe in Südafrika Ende der 1970er Jahre (S. 51)

Michael Gehler
Die Affäre Waldheim
Eine Fallstudie zur Instrumentalisierung der NS-Vergangenheit zur politischen Vorteilsverschaffung 1986 –1988 (S. 67)

Christof Dipper
Das Jahr 1917 und die Periodisierung des 20. Jahrhunderts (S. 86)

Informationen Neue Medien

Gregor Horstkemper
Skandal um den Mann auf der Teufelsinsel
Materialien zur Dreyfus-Affäre (S. 100)

Literaturbericht

Raimund Schulz/Uwe Walter
Altertum (S.103)

Autorinnen und Autoren (S. 120)

ABSTRACTS

Malte König
Greenpeace im Visier Frankreichs
Die Versenkung der „Rainbow Warrior“ als medialer und diplomatischer Skandal 1985/86
GWU 69, 2018, H. 1/2, S. 5 – 17
Am 10. Juli 1985 versenkte der französische Geheimdienst die „Rainbow Warrior“ im Hafen von Auckland; der Konflikt um die Atomwaffentests im Südpazifik eskalierte. Rasch entwickelte sich das Ereignis zu einem Skandal, der Macht, Selbstverständnis und Politik der Hauptakteure – Frankreich, Greenpeace und Neuseeland – ins Zentrum des öffentlichen Interesses stellte. Der Beitrag untersucht Hintergrund, Entwicklung und Bedeutung der Affäre, indem er zum einen die Wendepunkte des Skandals identifiziert und zum anderen überprüft, welche Ziele die Akteure verfolgten und wie sie Verlauf und Auswirkung der Berichterstattung zu beeinflussen suchten.

Heike Johanna Mierau
Das Attentat von Anagni 1303 – ein Skandal?
GWU 69, 2018, H. 1/2, S. 18 – 34
Am Beispiel des Attentats auf Papst Bonifatius VIII. († 1303) wird verdeutlicht, dass die Bewertungen von Ereignissen als Skandal dem sozialen Konsens unterworfen sind. So galt die Festsetzung des Papstes in seinem eigenen Palast durch französische Truppen den Zeitgenossen keineswegs uneingeschränkt als Skandal. Vor allem die Franzosen sahen diese Maßnahme als berechtigt gegenüber einem in der Kirche und Gesellschaft Skandal erregenden Papst. Das Anliegen des Papstes und seiner Anhänger lag hingegen darin, die Vorwürfe durch die Skandalisierung der Festnahme, an der auch italienische Papstgegner beteiligt waren, zu relativieren.

Guido Braun
Schwesterrepubliken oder „Clash of values“?
Die französisch-amerikanische „XYZ-Affäre“ und ihre Folgen (1797 – 1801)
GWU 69, 2018, H. 1/2, S. 35 – 50
Zwischen den USA und Frankreich entbrannte 1797 ein diplomatisch-militärischer Konflikt, die „XYZ-Affäre“. Sie stürzte die „Schwesterrepubliken“ des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges in einen „Quasi-War“. In beiden Ländern manifestierten sich Wechselwirkungen zwischen Außen-und Innenpolitik, die Presse wurde einerseits instrumentalisiert, entwickelte durch ihre öffentliche Wirkung aber andererseits Druck auf politische Amtsträger. Letztlich war die 1800 beigelegte Krise keine „Episode“, sondern Ausdruck differierender Wertvorstellungen und einer amerikanisch-französischen Entfremdung.

Christoph Marx
„Muldergate“
Außenpolitische Propaganda und interne Machtkämpfe in Südafrika Ende der 1970er-Jahre
GWU 69, 2018, H. 1/2, S. 51 – 66
Der „Muldergate“ genannte Skandal um den südafrikanischen Informationsminister Connie Mulder und seinen Staatssekretär Eschel Rhoodie war der erste größere Korruptionsskandal im Südafrika der Apartheid. Der Artikel macht deutlich, mit welchen Machenschaften die südafrikanische Regierung die internationale öffentliche Meinung beeinflussen wollte. Die eigentliche Brisanz des Skandals lag aber in der Innenpolitik, da die illegalen Aktivitäten von Mulder und Rhoodie in einem Machtkampf um die Nachfolge des amtsmüden Premierministers John Vorster instrumentalisiert wurden, um den „Kronprinzen“ Mulder auszuschalten und an seiner Stelle seinen Rivalen Pieter Willem Botha zum Nachfolger zu küren.

Michael Gehler
Die Affäre Waldheim
Eine Fallstudie zur Instrumentalisierung der NS-Vergangenheit zur politischen Vorteilsverschaffung 1986 –1988
GWU 69, 2018, H. 1/2, S. 67 – 85
In den Jahren 1986 –1988 wurde heftig über Österreichs Bundespräsident Waldheim debattiert. Auslöser war der Umgang mit seiner Kriegsvergangenheit. Im Beitrag geht es um die Aufdecker, Hintergründe und Reaktionen. Als Skandalisierer fungierten das Nachrichtenmagazinprofil und der World Jewish Congress (WJC) sowie Teile der SPÖ und internationale Medien. Die politische Affäre wirkte über die Grenzen des Landes hinaus und das internationale Echo stark zurück. Österreich musste sich mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzen. Waldheim wurde von den USA auf die Watchlist gesetzt. Sonderbotschafter waren im Einsatz und eine internationale Historikerkommission urteilte kritisch über Waldheim, der politisch isoliert blieb. Haiders FPÖ profitierte von dem geänderten innenpolitischen Klima.

Christof Dipper
Das Jahr 2017 und die Periodisierung des 20. Jahrhunderts
GWU 69, 2018, H. 1/2, S. 86 – 99
In drei Schritten wird erst nach der zeitgenössischen Wahrnehmung des Kriegsausbruchs als Epochenbruch, darauf nach dem Umgang der Geschichtswissenschaft mit der Periodisierung allgemein und dann nach den Periodisierungsangeboten für das 20. Jahrhundert gefragt. Abschließend kommt der Beitrag auf die Rolle von 1917 zu sprechen. Dass der Erste Weltkrieg teils dem 19., teils dem 20. Jahrhundert zugerechnet wird, ohne dass die Disziplin sich daran stört, belegt die von Osterhammel beklagte „Periodisierungsabstinenz der meisten Historiker“. 1917 war militärisch und ideologiegeschichtlich fraglos ein Epochenjahr, nationalgeschichtlich nur für Russland, zur weltumspannenden Zäsur wurde es erst nach 1945/50 im Zeichen der Totalitarismustheorie und befindet sich deshalb seit 1989/90 auf dem Rückzug.

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