Religion und Gesellschaft in Ost und West 51 (2023) 11-12

Titel der Ausgabe 
Religion und Gesellschaft in Ost und West 51 (2023) 11-12
Weiterer Titel 
Risiken und Nebenwirkungen. Toxische Landschaften und Gesundheitsbedrohungen

Erschienen
Zürich 2023: Selbstverlag
Preis
Jahresabonnement CHF 95,00 / € 81,00; Abo für Studierende CHF 50,00 / € 42,00; Einzelheft CHF 15,00 / € 13,00

 

Kontakt

Institution
Religion und Gesellschaft in Ost und West (RGOW)
Abteilung
Institut G2W
Land
Switzerland
PLZ
8002
Ort
Zürich
Straße
Bederstr. 76
Von
Regula Zwahlen, RGOW, Religion & Gesellschaft in Ost und West (RGOW)

Nichts Geringeres als die Bezwingung der Naturgewalten war das Ziel der sowjetischen Machthaber. Sie wollten sich die natürlichen Ressourcen des riesigen Landes untertan machen und errichteten zu diesem Zweck gigantische Industrie- und Agrarkomplexe sowie neue künstliche Bewässerungssysteme. Die Folgen für Mensch und Natur waren verheerend: Ganze Regionen wurden im 20. Jahrhundert zu toxischen Landschaften.
Unter dem Stichwort „Envirohealth“, das umwelt- und medizinhistorische Fragen zusammen denkt, gehen wir in dieser Ausgabe den vergifteten Hinterlassenschaften der Sowjetzeit und der Öko-Glasnost nach und spannen den Bogen bis in die Gegenwart, da Russlands Krieg gegen die Ukraine ebenfalls von massiven Zerstörungen der Umwelt und medizinischer Einrichtungen begleitet ist. Die Autorinnen und Autoren sind mit dem Institut für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Universität Tübingen und dem dort laufenden Projekt „EnviroHealth“ verbunden, das drei Forschungsschwerpunkte hat: die Chemisierung der Landwirtschaft, die Geschichte der Krebsforschung und die Luftverschmutzung im (post)sowjetischen Raum.

Inhaltsverzeichnis

Klaus Gestwa: Envirohealth: Toxische Landschaften und ökologischer Körper

Unter dem Begriff „Envirohealth“ werden umwelt- und medizinhistorische Fragen zusammengeführt. Mit Blick auf die Sowjetunion war die forcierte Industrialisierung des Landes von massiven Bedrohungen für Mensch und Natur begleitet. Auf eine erste gesundheitspolitische Modernisierung folgte ab den 1970er Jahren der Zerfall des sowjetischen Gesundheitswesens. Umweltverbrechen gehören weiterhin zum Alltag des Putin-Regimes, wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt.

Igor J. Polianski, Oxana Kosenko, Jana Schulz: Befreit vom „Schmutz der alten Welt“: Reinlichkeitserziehung und theatrale Hygienepropaganda in der frühen UdSSR

In der frühen Sowjetunion wurde eine Umformung der Bevölkerung zu neuen Sowjetmenschen angestrebt. Dafür waren Reinlichkeit, Hygiene, Ordnung und Disziplin zentral und wurden vom Staat mit Massenkampagnen gefördert. In der Erziehung zur Reinlichkeit spielte das Theater als zentrale Kulturform eine wichtige Rolle. Die Bevölkerung reagierte jedoch mit Misstrauen auf die Hygienepropaganda.

Marin Coudreau: Vergiftete Frucht. Moldau als Obstgarten der Sowjetunion

Die Moldauische SSR galt als „Obstgarten der Sowjetunion“. Der massive Einsatz von Pestiziden und unzureichende Schutzmaßnahmen führten jedoch zu schweren Gesundheits- und Umweltbelastungen, Die Chemisierung der Landwirtschaft hatte schwere gesundheitliche Schädigungen zur Folge, die seit Ende der 1970er Jahre Proteste von Ärzten, Wissenschaftlern und Intellektuellen hervorriefen.

Marc Elie: Belastetes Erbe. Schwermetalle, Glasnost und Protest in Kasachstan

Im September 1990 demonstrierten Tausende im ostkasachischen Ust-Kamenogorsk gegen den sowjetischen Ökozid an ihrer Stadt. Ein Industrieunfall hatte ihnen die massive Verseuchung durch Schwermetalle und andere Giftstoffe vor Augen geführt. Die Zeit der Glasnost erlaubte öffentliche Debatten und Umweltaktivismus, an dem sich auch Politiker beteiligten. Eine offizielle Expertenkommission erstellte eine schonungslose und erschreckende Bilanz, doch blieb die Stadt mit ihren Umweltproblemen letztlich allein.

Georg Wurzer: Mit Überraschungseiern gegen Kriegstraumata. Zur Aktualität und Geschichte von PTSD

Das Konzept der posttraumatischen Belastungsstörung etablierte sich infolge des Afghanistankriegs in der ehemaligen Sowjetunion, als zahlreiche Veteranen sichtbar unter ihren Kriegserlebnissen litten. Neue Relevanz hat die Erkrankung aufgrund des Kriegs im Donbass seit 2014 und seit 2022 gegen die ganze Ukraine erhalten, wobei nicht nur Soldat:innen, sondern auch die Zivilbevölkerung betroffen sind. Dabei sind die Bemühungen, den Betroffenen zu helfen, in der Ukraine viel breiter als in Russland angelegt und beziehen die Angehörigen mit ein.

Irina Andryushchenko: Darija Starikovas Krebserfahrung: Überlegungen zu Medien, Macht und Gesundheitswesen

Der Fall einer krebskranken jungen Mutter, die den russischen Präsidenten um Hilfe bei der Verbesserung der medizinischen Diagnostik und Versorgung bat, machte 2017 sowohl in der regimetreuen wie auch in der regimekritischen Presse Russlands Schlagzeilen. Während sich Putin als väterlicher Macher inszenierte, wurde in den Oppositionsmedien massive Kritik am russischen Gesundheitswesen laut.

Klaus Gestwa: Der Kachowka-Staudamm: Sowjetischer Großbau und russischer Ökozid in der Ukraine

Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms, des einstigen sowjetischen Symbols für die Industrialisierung am Unterlauf des Dnipro, hat zu einem Ökozid in der Ukraine geführt, für den Russland die Verantwortung trägt. Während sich Industrie und Landwirtschaft in der Ukraine für einen Wiederaufbau des Staudamms einsetzen, fordern ukrainische Umweltschützer eine Abkehr von überkommenen sowjetischen Infrastrukturplänen.

Tatiana Perga: Vorsätzlicher Ökozid. Umwelt- und Gesundheitsfolgen des russischen Angriffskriegs

Russlands Krieg gegen die Ukraine verursacht auch massive Umweltzerstörungen. Insbesondere die Beschädigung von Industrieanlagen, medizinischen Einrichtungen und Infrastrukturen wie Kläranlagen setzt viele Schadstoffe frei, die Böden, Luft und Gewässer verschmutzen. Dies wirkt sich unmittelbar auf die Tier- und Pflanzenwelt sowie auf die Gesundheit der Menschen aus. Zudem leidet das ukrainische Gesundheitswesen unter Kriegsschäden, Flucht und der hohen Nachfrage nach medizinischer Versorgung.

BUCHANZEIGEN

Nicholas Denysenko: The Church’s Unholy War. Russia’s Invasion of Ukraine and Orthodoxy, Eugene 2023

Evert van der Zweerde: Russian Political Philosophy. Cambridge 2022

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