Religion und Gesellschaft in Ost und West 50 (2022), 10

Titel der Ausgabe 
Religion und Gesellschaft in Ost und West 50 (2022), 10
Weiterer Titel 
Angefeindet. Istanbul-Konvention und Anti-Gender-Bewegung

Erschienen
Zürich 2022: Selbstverlag
Preis
Jahresabonnement CHF 95,00 / EUR 81,00; Abo für Studierende CHF 50,00 / EUR 42,00; Einzelheft CHF 15,00 / EUR 13,00

 

Kontakt

Institution
Religion und Gesellschaft in Ost und West (RGOW)
Land
Switzerland
c/o
Institut G2W Bederstr. 76 CH-8002 Zürich
Von
Regula Zwahlen, RGOW, Religion & Gesellschaft in Ost und West (RGOW)

Das 2011 verabschiedete Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, nach dem Unterzeichnungsort Istanbul-Konvention genannt, ist das umfassendste Dokument seiner Art. Gegen seine Ratifizierung regt sich jedoch in verschiedenen, vor allem osteuropäischen Ländern, Widerstand. Dieser kommt oft aus konservativen Teilen der Bevölkerung und insbesondere von Kirchen und Religionsgemeinschaften. Dabei werden hauptsächlich der im Dokument verwendete Gender-Begriff sowie Maßnahmen zur Förderung von Gleichberechtigung kritisiert, die präventiv gegen Gewalt an Frauen wirken sollen. Im aktuellen Heft zeichnen wir die Debatten um die Istanbul-Konvention, aber auch damit verbundene, breitere Diskussionen über Gewalt, Gender- und LGBTQI+-Themen in mehreren osteuropäischen Ländern nach.

Inhaltsverzeichnis

INHALT

Dilken Çelebi: Die Istanbul-Konvention als Instrument gegen Gewalt gegen Frauen
Die 2011 ausgearbeitete Istanbul-Konvention hat die Verhinderung von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen zum Ziel. Die Konvention bezieht sich auf einen weiten Gewaltbegriff, der auch ökonomische Gewalt miteinbezieht. Ausbaufähig ist dagegen die Berücksichtigung der Diversität von Frauen und der Schutz von besonders vulnerablen Frauengruppen. Aufgrund ihres Genderverständnisses steht die Konvention in einigen europäischen Ländern in der Kritik.

Heleen Zorgdrager:Krieg als Katalysator. Die ukrainischen Kirchen und die Gender-Debatte
Vor dem Hintergrund der Kriegserfahrungen hat die Ukraine im Juni die Istanbul-Konvention ratifiziert. Zu den Gegnern der Ratifizierung zählten die Kirchen und Religionsgemeinschaften. Der russische Angriffskrieg und dessen religiöse Legitimation durch Patriarch Kirill haben jedoch zu einem veränderten Wertediskurs und zur Annäherung zwischen konservativ-religiösen und säkular-liberalen Gruppen in der Ukraine beigetragen.

Regina Elsner: Woher dieser Hass? Russlands Krieg um die „natürliche Ordnung“
Die Rechtfertigung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine durch Patriarch Kirill als „Verteidigung gegen Gay-Pride-Paraden“ weist eine lange ideologische Vorgeschichte auf. In den 1990er Jahren entstanden zwar kurzzeitig Freiräume für LGBTIQ*-Themen, doch war die Kirchenleitung bei der innenpolitischen konservativen Wende in Russland zusammen mit der Staatsführung eine maßgebliche Akteurin. Auch die Istanbul-Konvention bekämpft die Russische Orthodoxe Kirche.

Regula Zwahlen: Tradition oder Gewaltprävention? Polen und die Istanbul-Konvention
In Polen stellt ein Gesetzesprojekt die 2015 ratifizierte Istanbul-Konvention in Frage. Deren Kündigung gehört zu den Zielen der rechtskonservativen PiS-Regierung. Ignoriert wird, dass Frauen überproportional von häuslicher Gewalt betroffen sind. Das Institut „Ordo Iuris“ lobbyiert für eine alternative „Internationale Konvention über Familienrechte“. Das Projekt wird von der Polnischen Bischofskonferenz unterstützt.

Halina Radacz: Ein langer Weg. Evangelische Frauen in Polen gegen Gewalt
Die Aufwertung der Stellung der Frauen bis zur vollwertigen Ordination in der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen, die erstmals im Mai 2022 erfolgte, verlief parallel zu und inspiriert von den Dekaden des Lutherischen Weltbundes und des Ökumenischen Rats der Kirchen für Solidarität mit den Frauen und gegen Gewalt. Die Beratungsstelle „Gegen Gewalt“ der Diakonie Polen unterstützt von Gewalt betroffene Frauen und sensibilisierte Geistliche und Laien in der Kirche.

Enikő Pap: Wenn Opferschutz zum Opfer wird: Ungarn und die Istanbul-Konvention
Ungarn hat die Istanbul-Konvention zwar unterzeichnet, aber bis heute nicht ratifiziert. Die Regierung verzögerte erst die Ratifizierung, schließlich lehnte sie diese mit Verweis auf die Einführung einer angeblichen „Gender-Ideologie“ und erleichterter illegaler Migration ganz ab. Dabei sind die strukturellen Defizite bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt im Land offensichtlich.

Leda Sutlović: Gescheiterte Kampagne. Der Konflikt um die Istanbul-Konvention in Kroatien
Der Ratifizierung der Istanbul-Konvention durch Kroatien im April 2018 ging eine aufgeheizte öffentliche Debatte im Land voraus. Trotz Widerstand seitens Anti-Gender-Akteure und der katholischen Kirche sprach sich die konservative Regierungspartei HDZ für die Ratifizierung aus. Der alarmistische Begriff der „Gender-Ideologie“ wurde jedoch während der Auseinandersetzungen hoffähig, wie auch die begleitende interpretative Erklärung zur Ratifizierung zeigt.

Sophie Zviadadze: Das „Kreuz des 5. Juli“. Kampf gegen LGBT-Rechte in Georgien
Wegen schwerer Ausschreitungen musste die Pride-Parade am 5. Juli 2021 in Tbilisi abgesagt werden. Die Georgische Orthodoxe Kirche hatte im Vorfeld massiv Stimmung gegen die Veranstaltung gemacht. Zusammen mit rechtsextremen Gruppen hat sie sich dem Kampf gegen die „Homosexuellen-Propaganda“ verschrieben. Darin spiegelt sich auch der moralpolitische Einfluss der Russischen Orthodoxen Kirche wider.

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