Religion und Gesellschaft in Ost und West 50 (2022), 11

Titel der Ausgabe 
Religion und Gesellschaft in Ost und West 50 (2022), 11
Weiterer Titel 
Religiöse Praxis in der Orthodoxie

Erschienen
Zürich 2022: Selbstverlag
Preis
Jahresabonnement CHF 95,00 / EUR 81,00; Abo für Studierende CHF 50,00 / EUR 42,00; Einzelheft CHF 15,00 / EUR 13,00

 

Kontakt

Institution
Religion und Gesellschaft in Ost und West (RGOW)
Land
Switzerland
c/o
Institut G2W Bederstr. 76 CH-8002 Zürich
Von
Regula Zwahlen, RGOW, Religion & Gesellschaft in Ost und West (RGOW)

Häufig wird in Darstellungen der östlichen Orthodoxie und ihrer Praktiken eine gewisse Entrücktheit betont: eine Orientierung auf das Reich „nicht von dieser Welt“, eine Wahrnehmung des Kirchenraums und der Liturgie als „Himmel auf Erden“, die Ikone als Fenster zur Ewigkeit. Gleichzeitig führt die Ikonenverehrung auch die umgekehrte Dimension vor Augen: den Blick Jesu, der Gottesmutter und aller Heiligen auf uns und die menschlich-irdische Realität. Im Hier und Jetzt ist die Orthodoxe Kirche mit Krieg, gesellschaftlichen und innerkirchlichen Herausforderungen sowie mit Spannungen im Umgang mit Tradition und Moderne konfrontiert. Das wirkt sich unmittelbar auf die kirchliche Praxis aus, was die aktuellen Beiträge über das Ethos der Ikone in Kriegszeiten, die Idolisierung geistlicher Väter, die Kalenderfrage und neue Ansätze einer orthodoxen Theologie der Frau wie auch der Sexualität zeigen.

Inhaltsverzeichnis

RELIGIÖSE PRAXIS

Efstathios Kessareas: Geistliche Väter und ihre Idolisierung im orthodoxen Christentum
Die Beratung durch geistliche Väter ist kein neues Phänomen in der Orthodoxie, doch hat es in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Viele geistliche Begleiter sind mittlerweile auch in den sozialen Medien aktiv. Mit dem Interesse an geistlicher Beratung sind jedoch auch Gefahren verbunden: eine romantisierende Vorstellung des Klosterlebens und ein fundamentalistischer Rigorismus, wie etwa die Stellungnahmen von Mönchen zur Corona-Krise zeigen.

Lidiya Lozova: Das Ethos der Ikone in Kriegszeiten
Die Verwundungen des Krieges in der Ukraine seit 2014 spiegeln sich auch in der Ikonografie wider. So kommen neuartige Materialien, etwa Deckel von Munitionskisten, neue Sujets und Ausstellungspraxen zum Einsatz. Verschiedene Initiativen sammeln mit dem Verkauf von Ikonen oder ikonenartiger Darstellungen Geld für humanitäre Zwecke oder auch für Kriegsmaterial. So erhalten Ikonen in der Ukraine heute eine neue sozial aktive Funktion.

Regula Zwahlen im Gespräch mit Oleksandr Klymenko: „Zumindest einen Tropfen Hoffnung und einen Tropfen Liebe geben“
Das ukrainische Künstlerehepaar Oleksandr Klymenko und Sonia Atlantova schreiben seit 2014, dem Beginn des Kriegs im Donbass, Ikonen auf Holzteile von Munitionskisten, die auf den Schlachtfeldern zurückgelassen wurden. In einer von Gewalt und Tod bedrohten Welt setzen sie so Zeichen der Hoffnung. Den Erlös aus dem Verkauf der Ikonen spenden sie für humanitäre Projekte.

Eleni Kasselouri-Hatzivassiliadi: Bloß eine schweigende Mehrheit? Frauen in der Orthodoxie
In der Forschung und im Religionsunterricht sind orthodoxe Frauen mittlerweile präsent, doch in der Kirche ist ihre Rolle weiterhin marginal. Ein patriarchales Frauenbild bei den Kirchenvätern und ein unkritischer Umgang mit der Tradition erschweren neue Ansätze für eine orthodoxe Theologie der Frau. Nichtsdestotrotz stellen zahlreiche theologische und historische Forschungen althergebrachte Argumente in Frage.

Ashley Purpura: Neue orthodoxe Perspektiven auf Sexualität
Fragen der Sexualethik und die Vielfalt sexueller Orientierungen und von Geschlechtsidentitäten stellen auch eine Herausforderung für die Orthodoxe Kirche dar. Orthodoxe Akademikerinnen und Theologen haben sich in den letzten Jahren vermehrt mit theologischen und pastoralen Fragen menschlicher Sexualität befasst und plädieren vor dem Hintergrund einer Anthropologie der Gottebenbildlichkeit für neue Denkwege.

Vukašin Milićević: Die Kalenderfrage in der Serbischen Orthodoxen Kirche
An der Kalenderfrage zeigt sich die Krise der Orthodoxie in Serbien und in den innerorthodoxen Beziehungen. Während es in der Geschichte der Serbischen Orthodoxen Kirche differenzierte Positionen und Debatten zur Frage einer Kalenderreform gab, sind heute reduktionistische und ideologische Ansichten vorherrschend. Historische Reformversuche sind bis heute nicht umgesetzt worden.

LITERATUR

Tijana Matijević: Postjugoslawische Literatur: Vier Dimensionen von Schreiben
Der Begriff „postjugoslawisch“ hat sich zur Bezeichnung von Literatur aus den jugoslawischen Nachfolgestaaten in den letzten 30 Jahren eingebürgert, doch ist er bis heute keineswegs unumstritten. Vier Dimensionen kennzeichnen aus Sicht der Autorin den Begriff: zunächst eine faktische für die Zeit nach Jugoslawien und eine politische für die andauernden Debatten um den Begriff. Dazu kommen eine thematisch-referentielle und feministische Dimension, die den experimentellen erforschenden Charakter des Schreibens widerspiegeln.

BUCHANZEIGEN

Dietmar Schon: Berufen zur Verwandlung der Welt. Die Orthodoxe Kirche in sozialer und ethischer Verantwortung. Regensburg 2021

Regina Augustin. Tomos Agapis. Wiederannäherung der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche im 20. Jahrhundert. Wien 2022

Nadieszda Kizenko: Good for the Souls. A History of Confession in the Russian Empire. Oxford 2021

Gabrielle Thomas, Elena Narinskaya (eds.): Women and Ordination in the Orthodox Church. Eugene 2020

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