Religion und Gesellschaft in Ost und West (RGOW) 51 (2023), 9

Titel der Ausgabe 
Religion und Gesellschaft in Ost und West (RGOW) 51 (2023), 9
Weiterer Titel 
Schlaglichter. Ukraine in Geschichte und Gegenwart

Erschienen
Zürich 2023: Selbstverlag
Preis
Jahresabonnement CHF 95,00 / € 81,00; Abo für Studierende CHF 50,00 / € 42,00; Einzelheft CHF 15,00 / € 13,00

 

Kontakt

Institution
Religion und Gesellschaft in Ost und West (RGOW)
Abteilung
Institut G2W
Land
Switzerland
PLZ
8002
Ort
Zürich
Straße
Bederstr. 76
Von
Regula Zwahlen, RGOW, Religion & Gesellschaft in Ost und West (RGOW)

In der Ukraine findet angesichts des russischen Angriffskriegs eine Neubewertung und teils auch Neuschreibung der eigenen Geschichte statt. Aktuell sichtbar ist das an der Umgestaltung der Mutter-Heimat-Statue in Kyjiw: Die über 100 Meter hohe Figur gilt als Wahrzeichen der Stadt; auf ihrem Schild, auf dem bisher die sowjetischen Symbole Hammer und Sichel prangten, wurde am 6. August der Dreizack des ukrainischen Wappens montiert.

Unter dem Eindruck dieser Entwicklungen werfen wir in dieser Ausgabe, die in Kooperation mit der Initiative Ukrainian Research in Switzerland (https://www.uris.ch) an der Universität Basel entstanden ist, Schlaglichter auf prägende historische und aktuelle Entwicklungen. Beleuchtet werden unter anderem russische und ukrainische Nationsdiskurse seit dem 17. Jahrhundert, das sowjetische Erbe, die vielfältige Kirchenlandschaft, die Situation der Krimtataren und anderer muslimischer Gemeinschaften, die Zerstörung von ukrainischen Kulturgütern durch den russischen Angriffskrieg sowie die Anstrengungen, die unternommen werden, um sie zu bewahren.

Inhaltsverzeichnis

Ricarda Vulpius: Die Ukraine von Lenin erschaffen? Konkurrierende Nationsbildung von Russen und Ukrainern
Die vom russischen Präsidenten Vladimir Putin propagierte Ansicht, Ukrainer und Russen seien ein Volk, dient zur Rechtfertigung für den Großangriff auf die Ukraine. Das Narrativ ist jedoch nicht neu, sondern lässt sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Russische Intellektuelle und Politiker im 19. Jahrhundert sprachen der Ukraine die Existenz als separate Nation ab und sahen sie als Teil der „allrussischen Nation“. Demgegenüber formierte sich eine eigenständige ukrainische Nationalbewegung.

Tanja Penter: Doppelte Diktaturerfahrung: Olgas Kriegstagebuch (1941–1944)
Tagebücher aus Zeiten des Kriegs und historischer gesellschaftlicher Umbrüche bieten überraschende Perspektiven aus der Sicht der Schreibenden, die den Ausgang der Ereignisse noch nicht kannten. Das Tagebuch einer jungen Ukrainerin im Zweiten Weltkrieg gibt Einblick in ihren individuellen Umgang mit zwei Diktaturen – der deutschen Besatzung und der Sowjetherrschaft – und schärft das Verständnis für die moralische Komplexität von Überlebensstrategien in besetzten Gebieten.

Fabian Baumann: Ukraine in Rot. Imperiales Gewaltregime und Institutionalisierung der ukrainischen Nation
Die Sowjetzeit gilt vielen Ukrainern heute als Ära der Besetzung, geprägt von Gewalterfahrungen wie dem Holodomor. Andererseits ermöglichte die sowjetische Nationalitätenpolitik eine Ukrainisierung des öffentlichen Lebens. In vielem blieb diese jedoch oberflächlich und das Zentrum Moskau behielt eine weitreichende Kontrolle über die Sowjetrepubliken. Dennoch war das sowjetische Modell für Teile der Bevölkerung attraktiv und sein Erbe spielt bis heute eine wichtige Rolle für die Ukraine.

Serhiy Kudelia: Von Moskau orchestriert. Russlands Rolle beim Kriegsausbruch im Donbass 2014
Mit Blick auf den Ausbruch des Krieges im Donbass 2014 wird über den Einfluss lokaler Akteure und dem Moskaus diskutiert. Zwei aktuelle Publikationen gewichten vor allem das Handeln lokaler Akteure im Donbass und Südosten der Ukraine stärker als externe Faktoren. Ihre Argumentationen sind zwar nachvollziehbar, doch unterschätzen sie den russischen Einfluss, der sich nicht nur im direkten Eingreifen zeigt, sondern auch in der Verbundenheit lokaler Akteure mit Russland.

Nadieszda Kizenko: Facetten- und spannungsreich. Orthodoxe Kirchen in der Ukraine
Die Kirchenlandschaft der Ukraine zeichnet sich durch eine historisch gewachsene Vielfalt aus, die insbesondere durch die unterschiedlichen Kirchen östlicher Tradition zum Ausdruck kommt. Seit dem 19. Jahrhundert gab es Bestrebungen zu einer Ukrainisierung des kirchlichen Lebens. In der Zwischenkriegszeit und während des Zweiten Weltkriegs gab es erste Versuche zur Gründung einer eigenständigen ukrainischen orthodoxen Kirche. Nach der Unabhängigkeit des Landes 1991 spaltete sich die ukrainische Orthodoxie erst in drei, später in zwei Kirchen auf.

Thomas Mark Németh: Orthodoxie in der österreichischen Bukowina – ein spannendes Kapitel europäischer Kirchengeschichte
In Czernowitz, der Hauptstadt des österreichischen Kronlands Bukowina, wurde im 19. Jahrhundert eine orthodoxe theologische Fakultät gegründet, die aufgrund des multireligiösen Umfelds eine einzigartige orthodoxe Bildungseinrichtung war. Zwar wurde auch die Czernowitzer Metropolie im 19. Jahrhundert von nationalitätenpolitischen Auseinandersetzungen erfasst, doch zeigen sich gerade darin wichtige Fragen orthodoxer Identität.

Ihor Karivets: Hryhorij Skovoroda: Das Leben ist ein Weg zu Gott
Der Dichter und christliche Mystiker Hryhorij Skovoroda gilt in der Ukraine als „National­philosoph“. Die Originalität seiner „Philosophie des Herzens“ besteht in einer universalen Gelehrsamkeit, die sich auf biblische Grundlagen stützt, aber oft mit der offiziellen orthodoxen Kirche in Konflikt stand.

Elmira Muratova: Verfolgung und Abkapselung. Die Krimtataren und Russlands Krieg gegen die Ukraine
Seit der Annexion der Krim 2014 sind die Krimtataren politischer und religiöser Verfolgung durch die russischen Behörden ausgesetzt. Dies weckt Erinnerungen an die Deportation der Krimtataren im Zweiten Weltkrieg und löst Ängste aus. Als Reaktion kapselt sich die Gemeinschaft zunehmend ab und zahlreiche Krimtataren emigrieren, was den krimtatarischen Bevölkerungsanteil auf der Halbinsel weiter schrumpfen lässt.

Oleg Yarosh: Vielfältiger Bildteppich. Muslime in der Ukraine während des Kriegs
Der Islam in der Ukraine umfasst eine Vielzahl muslimischer Organisationen, die zum Teil auch transnational vernetzt sind. Auf die russische Großinvasion in die Ukraine reagierten die muslimischen Organisationen mit humanitärer Hilfe, einem Ausbau der Militärseelsorge und Mobilisierung von Hilfe aus dem Ausland. Zudem verurteilten ihre Anführer einhellig den Angriff sowie muslimische Vertreter in Russland, die den Krieg billigen.

Halyna Roshchyna: Kultur und Krieg: Zerstörung und Rettung ukrainischer Archive und Museen
Der russische Angriff auf die Ukraine zielt auch auf das kulturelle Erbe des Landes: Museen und Archive werden vorsätzlich zerstört oder ausgeraubt. Zahlreiche Projekte widmen sich mit internationaler Unterstützung dem Schutz und Erhalt von Kulturgütern. Das Projekt „Sicherung von Archiven und Museen in der Ukraine“ setzt vor allem auf eine Digitalisierung und interregionale Vernetzung der ukrainischen Partner.

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