Religion und Gesellschaft in Ost und West 50 (2022), 7

Titel der Ausgabe 
Religion und Gesellschaft in Ost und West 50 (2022), 7
Weiterer Titel 
Krieg gegen die Ukraine. Widerstand, Terror, Auswirkungen auf Nachbarn

Erschienen
Zürich 2022: Selbstverlag
Preis
Jahresabonnement CHF 95,00 / EUR 81,00; Abo für Studierende CHF 50,00 / EUR 42,00; Einzelheft CHF 15,00 / EUR 13,00

 

Kontakt

Institution
Religion und Gesellschaft in Ost und West (RGOW)
Land
Switzerland
c/o
Institut G2W Bederstr. 76 CH-8002 Zürich
Von
Regula Zwahlen, RGOW, Religion & Gesellschaft in Ost und West (RGOW)

Der russische Krieg gegen die Ukraine macht keine Sommerpause. Russland verübt wieder vermehrt Luftangriffe auf ostukrainische Städte wie Charkiv, die Ukraine ruft ihre Bevölkerung im Süden zur Flucht auf, weil ukrainische Militäroffensiven zur Rückeroberung der besetzten Gebiete geplant sind.
In den russisch besetzten Gebieten ist die Bevölkerung mit einer prekären Versorgungslage sowie Gewalt und Terror seitens der Besatzungsmacht konfrontiert. Deren vielfältigen Versuche, die lokale Kontrolle aufrecht zu erhalten, scheitern häufig am vielfältigen Widerstand der Bevölkerung. Gleichzeitig gibt es trotz des andauernden Krieges bereits nationale und internationale Bemühungen zur Strafverfolgung der von Russland begangenen Kriegsverbrechen.
Der seit acht Jahren andauernde Krieg verändert den öffentlichen Raum ("Dekommunisierung"), die Sprach- wie auch die religiöse Landschaft der Ukraine. Der Krieg wirkt sich auch auf andere postsowjetische Länder wie Estland, Armenien und Kasachstan aus.

Inhaltsverzeichnis

Viktor Stepanenko: Im Abwehrkampf. Soziale und politische Folgen des Krieges
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die soziale Kohäsion im Land gestärkt. Es lassen sich vielfältige Formen des gemeinsamen Widerstands und gegenseitiger Solidarität beobachten. Die Mehrheit der Bevölkerung spricht sich gegen einen Frieden um den Preis von Gebietsabtretungen an Russland aus. Innenpolitisch herrscht eine brüchige Einheit unter den politischen Kräften, wobei die Gefahr besteht, dass sich autoritäre Tendenzen mithilfe des Kriegsrechts verstärken.

Tatiana Zhurzhenko: Terror, Kollaboration und Widerstand unter russischer Okkupation
Russland hat seit dem 24. Februar ungefähr ein Fünftel des ukrainischen Territoriums unter seine Kontrolle gebracht. Bei der Verwaltung der besetzten Gebiete greift Russland einerseits auf Instrumente der Krim-Annexion und der Errichtung der beiden sog. Volksrepubliken 2014 zurück, andererseits setzte es viel unverhüllter auf Gewalt und Terror. Die lokale Bevölkerung leistet auf vielfältige Weise Widerstand. Bei der Kollaboration gibt es verschiedene Motive und Schattierungen.

Volodymyr Kulyk: Identität und Sprachpraxis: Russischsprachige in der Ukraine
Seit der Unabhängigkeit der Ukraine ist entgegen vielen Prognosen die Verbundenheit und das Bekenntnis zum ukrainischen Staat bei vielen Russischsprachigen deutlich gewachsen. Verstärkt wurde dies durch den Majdan, die Annexion der Krim und den Beginn des Konflikts in der Ostukraine 2014. Dennoch hielt die russischsprachige Bevölkerung an ihrer Sprache fest. Der jetzige Krieg könnte jedoch zu einer Zunahme des Ukrainischen führen.

Oksana Senatorova: Mit Recht gegen Gewalt. Strafverfolgung von Kriegsverbrechen
Seit dem Beginn des Kriegs gegen die Ukraine 2014 hat Russland zahlreiche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Mit dem Überfall auf die Ukraine hat es zudem gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot verstoßen. Auf nationaler wie internationaler Ebene laufen bereits Ermittlungen, um die russischen Kriegsverbrechen zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Georgiy Kasianov: Neuvermessung des öffentlichen Raums: Ukrainische Geschichtspolitik
Die offizielle Erinnerungspolitik der Ukraine konzentriert sich seit 2014 vor allem auf eine „Dekommunisierung“ des öffentlichen Raums. Befördert wird diese von der russischen Aggression und nationalistischen Akteuren. Aufgrund ihres zum Teil repressiven Charakters ist die Dekommunisierung innerukrainisch jedoch umstritten geblieben.

Andriy Fert: Neue Handlungsspielräume in der Ukrainischen Orthodoxen Kirche
Viele Priester der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) haben sich mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und dessen Legitimation durch Patriarch Kirill vom Moskauer Patriarchat abgewandt. In Petitionen an ihre Bischöfe und Metropolit Onufrij forderten sie die kirchliche Unabhängigkeit der UOK, was das Landeskonzil vom 27. Mai schließlich aufnahm. Weiterhin skeptisch sind viele Priester und Gläubige hinsichtlich eines Übertritts zur Orthodoxen Kirche der Ukraine.

Anatolii Babynskyi: Ambivalenter Ansatz. Ukrainische Wahrnehmungen der Vatikan-Politik
Die Reaktionen des Papstes und des Vatikans auf den russischen Überfall werden in der Ukraine mit gemischten Gefühlen verfolgt. Einerseits wird die humanitäre Hilfe des Vatikans begrüßt, andererseits wünschen sich viele Ukrainer eine deutliche Benennung des Aggressors durch Papst Franziskus. Angesichts der ambivalenten Reaktionen des Vatikans fühlen sich viele ukrainische Katholiken an die vatikanische Ostpolitik während des Kalten Kriegs erinnert.

Heiko Pääbo: Weder russophob noch verrückt. Estlands Haltung zum Ukraine-Krieg
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt zählt Estland zu den größten Unterstützern der Ukraine. Das kleine Land an der Ostsee ist zudem einer der schärfsten Kritiker der aggressiven Politik des Kremls. Ausschlaggebend dafür sind normative und moralische Beweggründe, die eigene historische Erfahrung mit Russland und Sicherheitsinteressen.

Richard Giragosian: Im Dilemma: Armenien nach der russischen Invasion in die Ukraine
Armenien steckt schon seit Jahren in einem außenpolitischen Dilemma zwischen seiner sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von Russland und seiner Orientierung nach Westen. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat diese Situation noch verschärft, da nun beide Seiten mehr Loyalität und klare Bekenntnisse von Armenien fordern. Erschwerend kommt hinzu, dass der Karabach-Krieg 2020 im Westen kein vergleichbares Echo ausgelöst hat, was zur armenischen Verunsicherung beiträgt.

Andrej Grischin: Zwischen Skylla und Charybdis: Kasachstan und der Ukraine-Krieg
Kasachstan verbinden zahlreiche politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen mit Russland, zudem dominieren russische Medien die Informationslandschaft. Dies spiegelt sich in der Meinung der Bevölkerung zum Krieg in der Ukraine wider, allerdings gibt es auch Initiativen zur Unterstützung der Ukraine. Die Regierung versucht unterdessen, Russland nicht vor den Kopf zu stoßen, aber auch die eigene Unabhängigkeit zu bewahren.

PROJEKTBERICHT

Regula Spalinger im Gespräch mit Igor Smazhennyi „Kinder der Hoffnung“: Hilfe für vom Krieg vertriebene Familien
Die ukrainische NGO „Kinder der Hoffnung“ ist nach dem Beginn des Krieges im Donbass gegründet worden und hat sich anfangs vor allem auf geflohene Familien aus dem Osten des Landes konzentriert. Viele Familien mussten nach dem 24. Februar erneut fliehen, wovon Igor Smazhennyi, der Leiter der NGO, berichtet. „Kinder der Hoffnung“ unterstützt Familien in der Ukraine als auch im Ausland materiell und mit psychologischer Betreuung.

BUCHANZEIGEN

Mykhailo Minakov, Georgiy Kasianov, Matthew Rojansky (eds.): From „The Ukraine“ to Ukraine. A Contemporary History, 1991–2021, Stuttgart 2021

Dmitri Tolkatsch, Stephan Rindlisbacher (Hg.): Die heutige Ukraine und ihre sowjetischen Wurzeln. Marburg 2021

Andriy Mykhaleyko: Metropolit Graf Sheptytkskj und das NS-Regime. Paderborn 2020

Artur Klinau: Acht Tage Revolution. Ein dokumentarisches Journal aus Minsk. Berlin 2021

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