Historische Sozialkunde 43 (2013), 4

Titel der Ausgabe 
Historische Sozialkunde 43 (2013), 4
Weiterer Titel 
Computer – Spiele – Geschichte

Erschienen
Erscheint 
vierteljährlich
Anzahl Seiten
44 S.
Preis
€ 5,00

 

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Institution
Historische Sozialkunde: Geschichte, Fachdidaktik, politische Bildung
Land
Austria
c/o
Die Zeitschrift wurde Ende des Jahres 2018 eingestellt. Der "Verein für Geschichte und Sozialkunde" ist seit Juni 2019 aufgelöst. Ein Kontakt zu den ehemaligen Herausgebern ist nicht mehr möglich.
Von
Fuchs, Eduard

Editorial (Josef Köstlbauer)

Computer- und Videospiele sind heute tief in unserer Medienwelt verankert. Sie sind Massenmedien des digitalen Zeitalters und Motoren intermedialer Verdichtung, in der sich Film, Fernsehen, Musik und Literatur immer enger verschränken. Und sie sind Diskursmaschinen, die Politik, Gesellschaft und Kultur reflektieren und ihren diskursiven Rahmen (mit-)bestimmen. Intention dieses Heftes ist es, für die Tiefe des Themas zu sensibilisieren und exemplarisch über geschichts- bzw. kulturwissenschaftliche Zugänge zum Themenkreis Computerspiel zu informieren. Eine Betrachtung des Spiels als Einzelmedium kann dem nicht gerecht werden. Vielmehr impliziert das Thema Geschichte und Computerspiel zwangsläufig die Frage nach dem Wesen und Bedeutung der Geschichte und nach dem Verständnis von Spiel in unserer Kultur.

Computerspiele sind abseits der Geschichtswissenschaft entstanden. Sie sind kein Medium, das sich die Wissenschaft angeeignet und mitgeprägt hat, wie das im Fall des Buches geschehen ist. Dabei ist die Frage, ob denn die dargestellten Sachverhalte historisch gesichertem Wissen entsprechen weitgehend sinnlos – ein Aspekt, den alle Autoren des vorliegenden Heftes hervorheben. Ansprüche auf historische Treue in Spielen (wie im Film) sind nicht nur problematisch, weil sie eine grundsätzliche Ignoranz gegenüber den besonderen medialen Bedingungen und Prägungen der Geschichtswissenschaft bedeuten, sondern auch, weil sie stattdessen die Möglichkeit einer „direkten“, wahrhaftigen Repräsentation von Vergangenheit unterstellen.

Und trotzdem, ob wir wollen oder nicht, die mediale Repräsentation von Geschichte ist maßgebend für das Verständnis von Geschichte und Geschichtlichkeit in unserer Gesellschaft. Das bedeutet für uns, zu überlegen welche Bedeutung geschichtlichen Inhalten im Medium Computerspiel zukommt. Ist denn Geschichte, ist Geschichtliches überhaupt spielbar? Was macht das Spiel mit der Geschichte, sind diese beiden apriorischen Instanzen menschlicher Kultur miteinander vereinbar? Spiel, so der niederländische Philologe Johan Huizinga, in seinem schönen Buch, ist „ein freies Handeln,“ es „ist nicht das ‚gewöhnliche‘ oder das ‚eigentliche‘ Leben“ (Huizinga 2011: 16).Wie lässt sich das vereinbaren mit der Geschichte, die abgeschlossen ist und unumkehrbar? Man könnte einwenden, dass jeder Akt der Geschichtsschreibung ein neuerliches Zerlegen und Zusammensetzen vorangegangener Geschichtsnarrative und insofern auch eine „Zurückgehen“ ist. Aber es bleibt doch der Umstand, dass die bekannten historischen Fakten und Sachverhalte unhintergehbar sind. Das Spiel führt jedoch das Element der Kontingenz ein. Das Spiel beginnt jedes Mal neu, es erlaubt im Sinne einer Probehandlung stets neue Handlungsstrategien zu verfolgen. Besonders augenfällig ist das im Fall der Strategiespiele. Mehrere Beiträge dieses Heftes thematisieren die mit diesen Spielen verbundene Frage nach der Kontrafaktizität und den Perspektiven auf Geschichte und Geschichtsschreibung, die sich daraus gewinnen lassen. Hier wird Geschichte wieder zu etwas Offenem, zu einer Abfolge, nicht von Fakten, sondern von Möglichkeits-, ja, von Spielräumen, die sich in stetem Wechsel schließen und öffnen.

Eugen Pfister fragt in dem einführenden Beitrag nach Gründen für eine geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Computerspielen. Sehr pointiert stellt er dabei den spezifischen massenmedialen Charakter des Computerspiels dar und zeichnet gleichzeitig die Resonanz dieses „neuen“ Mediums in der breiten Öffentlichkeit und in den Wissenschaften nach.

Der Beitrag von Josef Köstlbauer und Martin Gasteiner über Simulation und Imagination junktimiert zwei kontrapunktische Aspekte, nämlich das dialogische Verhältnis zwischen der Einbildungskraft und der aus Macht- und Kontrollwillen geborenen Simulation.

Simon Huber zeichnet den Weg filmischer Elemente ins Computerspiel nach und stellt die Frage nach dem damit verbundenen Funktionswandel. Immer im Blick ist dabei die historische Entwicklung der spezifischen medialen Bedingungen unter denen historischer Authentizität generiert wird. Er greift dabei insbesondere auf die Arbeiten der deutschen Medienwissenschaft zurück, die sich schon sehr viel länger als die Geschichtswissenschaft (und deutlich analytischer) mit dem digitalen Spiel auseinandersetzt.

Auf gänzlich andere Weise greift der Beitrag von Stefan Donecker und Gernot Hausar das Thema Simulation wieder auf. Sie überprüfen die Spiele der berühmten Civilization-Reihe auf ihre zugrunde liegenden Geschichtskonzeptionen hin und nutzen dies zu weitergehenden Überlegungen zu den Herausforderungen, die solche Spiele für eine digitale Geschichtswissenschaft darstellen.

In einem Beitrag zu dem Massive Multiplayer Online Rollenspiel EVE Online wendet sich Hausar dem Phänomen der virtuellen Welten zu und den neuen virtuellen Geschichten, die in und um sie entstehen. Hier wird besonders deutlich, dass das digitale Spiel nicht nur im und mit dem Computer stattfindet, sondern auf vielen begleitenden Ebenen, die in die Analyse mit einzubeziehen sind.

Wolfgang Buchberger und Christoph Kühberger setzen sich im letzten Beitrag dieses Heftes mit der Frage auseinander wie Computerspiele sinnvoll für den Geschichtsunterricht genutzt werden können. Auch hier ist die Perspektive breit angesetzt: Die Autoren gehen auf die Computerspielnutzung von Jugendlichen ebenso ein wie auf die Konstruktion von Geschichtsbildern und der Aspekt der Geschichtsdidaktik.

Interessant ist festzustellen, dass in allen sechs Beiträgen, so unterschiedlich die behandelten Spiele und die jeweilige Herangehensweise sind, doch immer wieder die gleichen Themen auftauchen: die Wirkmächtigkeit des Mediums Computerspiel, das Problem der Authentizität und die Simulation als Zugang zu kontrafaktischen Geschichtsbildern.

LITERATUR

J. HUIZINGA, Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Reinbek bei Hamburg 2011.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Josef Köstlbauer. Editorial, S 2–3.

Eugen Pfister
Von der Notwendigkeit der historischen Analyse von Computerspielen, S 4–8.

Josef Köstlbauer/Martin Gasteiner
Simulation und Imagination: Gedanken zum Problem der Realität im Spiel, S 9–16.

Simon Huber
Zwischen Immersion und Simulation: Geschichte und filmische Kulturen des Erzählens in Computerspielen, S 17–22.

Stefan Donecker/Gernot Hausar
Sid Meier als Geschichtsphilosoph? Die Strategiespiele der Civilization-Serie als Herausforderung für die Geschichtswissenschaften, S 23–28.

Gernot Hausar
Gespielte Geschichte – Die Bedeutung von ‚Lore‘ im Massive Multiplayer Spiel EVE Online, S 29–35.

Fachdidaktik

Wolfgang Buchberger/Christoph Kühberger
Computerspiele und Geschichtsunterricht. Dynamische digitale Spielwelten kritisch hinterfragen, S 36–44.

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