Historische Sozialkunde 43 (2013), 3

Titel der Ausgabe 
Historische Sozialkunde 43 (2013), 3
Weiterer Titel 
Akbar und die Großmoguln. Indien in der frühen Neuzeit

Erschienen
Erscheint 
vierteljährlich
Anzahl Seiten
48 S.
Preis
€ 5,00

 

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Institution
Historische Sozialkunde: Geschichte, Fachdidaktik, politische Bildung
Land
Austria
c/o
Die Zeitschrift wurde Ende des Jahres 2018 eingestellt. Der "Verein für Geschichte und Sozialkunde" ist seit Juni 2019 aufgelöst. Ein Kontakt zu den ehemaligen Herausgebern ist nicht mehr möglich.
Von
Fuchs, Eduard

Akbar und die Großmoguln. Indien in der frühen Neuzeit

Der indische Subkontinent scheint weit weg und wenig wichtig zu sein, wären da nicht einige Indizien, die dafür sprechen, dass sich eine Beschäftigung mit der indischen Geschichte nicht nur für Spezialisten lohnt. Zum einen gehört der Staat Indien zu den politischen und militärischen Supermächten des 21. Jahrhunderts. Bereits deutlich sichtbar ist die Emigration vom Subkontinent in die westliche Welt. Pakistani, Bangladeschi und Inder bilden in England und den USA seit Generationen eine der größten Einwanderungsgruppen. Viele von ihnen sind erfolgreich integriert und haben Spitzenpositionen in den Medien, der Wirtschaft und im Kulturbereich inne.

Den Schwerpunkt dieses Heftes zur frühmodernen indischen Geschichte bildet die Zeit des Großmoguls Akbar. Jalaluddin Muhammad Akbar regierte das Reich der Großmoguln von 1556 bis 1605 und legte den Grundstein für den Erfolg dieses nordindischen Reichs, das in seiner Blütezeit im 17. Jahrhundert beinahe den gesamten Subkontinent umfasste. Seine Persönlichkeit, seine Innen- und Außenpolitik, aber auch die Hof- und Speisekultur in seiner Regierungszeit dienen als Ausgangspunkt, um über Indien in der frühmodernen Welt nachzudenken. Die behandelten Themen weisen jedoch über Akbar und Indien hinaus und können daher auch für europäische LeserInnen spannend und lehrreich sein.

Ein Thema, das sowohl die europäischen Reisenden zu Akbars Lebzeiten als auch die moderne Forschung besonders stark interessiert, ist die Religionspolitik dieses Großmoguln. Nedzad Kuc widmet diesem wichtigen Aspekt seinen Beitrag über „Religion und Religionsgespräche am Hofe Akbars“. Wie im frühneuzeitlichen Europa lassen sich auch in Indien Staat, Religion und Politik nicht trennen. In seiner langen Regierungszeit strebte Akbar vor allem nach einem Ziel: Sein Reich nach außen zu erweitern und nach innen zu festigen. Diesem Ziel diente auch die Religionspolitik. Der von Akbar angeregte Religionsdialog wird von Nedzad Kuc im Rahmen der fiktiven Wiedergabe eines solchen Gesprächs im Ibadat Khana thematisiert und auf seine Zielsetzungen und Auswirkungen hin hinterfragt.

Manya Rathore schildert in ihrem Beitrag das Nebeneinander von politischer Fragmentierung und kulturell-religiöser Konvergenz und macht damit die Vielgestaltigkeit des indischen Subkontinents deutlich. Aus der Perspektive des europäischen Lesers scheint dabei besonders die Erkenntnis beachtenswert, dass der indische Subkontinent so wie Europa niemals eine politische Einheit bildete und doch von übergreifenden geistigen Strömungen geprägt wurde. Wie im Falle von Europa gehören Vielfalt und Einheit hier untrennbar zusammen.

Alicja Zelichowska berichtet in ihrem Beitrag über „Sex und Gender im Reich der Moguln“ vom Versuch der Großmoguln, die ethischen Normen der Adeligen des Reichs in ihrem Sinn zu formen. Das Ideal, das der Kaiser anstrebte, scheint dem Bild eines toleranten Herrschers zu widersprechen: Während sein Großvater und Vater noch einen „zentralasiatischen Lebensstil“ pflegten, der von einigen Freiheiten im ethischen und sexuellen Verhalten geprägt war, verurteilte Akbar der Große während seiner langen Regierungszeit immer stärker Freizügigkeiten des Geistes und des Körpers. Akbar verschrieb sich selbst einem zunehmend asketischen Lebensstil, der Enthaltsamkeit in vielen Bereichen des Lebens, insbesondere beim Essen und bei der Sexualität forderte. Auch hier drängt sich der Vergleich mit Europa auf. Norbert Elias Thesen über den „Prozess der Zivilisation“ und der damit verbundenen zunehmenden Disziplinierung der europäischen Gesellschaft (Elias 1976) und die Studien zum Thema „Sozialdisziplinierung“ und dem damit einhergehenden allgemeinen Wandel der Normen, Sitten und Praktiken während der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Jahrhunderte (Schilling 1999) scheinen ein diesbezügliches Indiz zu sein: Die Regulierung der Sexualität und der Familie bilden in beiden Forschungstheorien einen wichtigen Bestandteil. Es lohnt sich darüber nachzudenken, ob frühmoderne Staatlichkeit und eine verstärkte Normierung der Bevölkerung in allen Teilen der Welt zusammengehören.

Im 15. und 16. Jahrhundert formten sich in vielen Teilen Eurasiens zwischen dem Atlantik und dem Chinesischen Meer frühmoderne Großreiche, die durch eine Stärkung der monarchischen Zentralgewalt sowie der wachsenden Bedeutung der teuren Artillerie geprägt waren. In der Mitte Eurasiens entstanden zwischen 1450 und 1550 vier mächtige „Schießpulverreiche“: Das Reich der Osmanen in der Türkei und auf dem Balkan, das Reich der Safawiden in Persien, das Reich der Usbeken in Zentralasien sowie das Reich der Großmoguln in Nordindien. Radhika Dhuru beschreibt in ihrem Beitrag exemplarisch anhand des Beispiels Persiens, wie Außenpolitik im 16. Jahrhundert funktionierte und wie Akbar die Stellung seines Reichs in der Welt festigen und ausbauen wollte. Dabei zeigt sich deutlich, dass der indische Subkontinent nicht isoliert betrachtet werden kann. Die Lage Indiens im Zentrum des Indischen Ozeans sorgte dafür, dass die Küstenstädte Indiens seit der Antike einen intensiven wirtschaftlichen Austausch mit den Handelsreichen zwischen der ostafrikanischen Küste und Südostasien pflegten.

Trotz dieser politischen und wirtschaftlichen Blütezeit ging es im 18. Jahrhundert mit dem Reich der Großmoguln bergab. Die politische Einheit zerbrach und mehrere unabhängige Kleinreiche entstanden. Der gesamte indische Subkontinent geriet in den folgenden Jahrzehnten immer stärker in die politische und wirtschaftliche Abhängigkeit der europäischen Kolonialherren. Das hatte dramatische wirtschaftliche Auswirkungen und führte dazu, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Indien im 19. Jahrhundert einen gänzlich anderen Weg nahm als in Europa. Während die industrielle Revolution in Großbritannien und später in Westeuropa für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum sorgte, verkümmerte die einst so erfolgreiche handwerkliche und agrarische Produktion auf dem indischen Subkontinent. Die Debatte über die große wirtschaftliche Divergenz zwischen Europa und Indien fasst Denis Subbotnitskiy in seinem Beitrag über „Indien und die Great Divergence“ zusammen. Erst eine Kenntnis dieser Debatte und der damit zusammenhängenden Urteile und Emotionen macht es jedoch möglich, die Haltung des modernen Indien gegenüber dem Westen zu verstehen. Wie in China verweisen die indische Bevölkerung im Allgemeinen und die indischen Politiker und Eliten im Besonderen selbstbewusst auf ihren in den letzten Jahrzehnten rasanten wirtschaftlichen, politischen und militärischen Aufstieg. Nach einer Phase der „kolonialen Unterdrückung“ durch den Westen betrachten die beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Erde das 21. Jahrhundert als eine Epoche, in der die Dominanz des Westens zu Ende geht. Aus dieser Perspektive erklärt sich der besondere Stolz über die derzeitigen Wachstumsraten, das Anwachsen der Mittelschichten, den Besitz von Atomwaffen sowie die umfassende Modernisierung des Staates und seiner Infrastruktur. Damit einher geht allerdings auch ein wachsender Anspruch der neuen Supermächte auf Mitspracherechte in Fragen globaler Politik.

Ein weiteres Beispiel für die wechselseitige Befruchtung der Kulturen stellt auch die indische Küche dar. Ihre nordindische Variante stellt Nedzad Kuc in seinem zweiten Beitrag „Essen wie ein Mogul“ vor. Entgegen einer weit verbreiteten Annahme weist der Beitrag darauf hin, dass es keine einheitliche indische Küche gab oder gibt und dass auch die indischen Regionalküchen sich im Laufe der Jahrhunderte stark wandelten, da sie häufig fremdländischen Einflüssen ausgesetzt waren. Wer sich mit Vergangenheit und Gegenwart der indischen Küche beschäftigt, behandelt ein Thema, das weit über den Tellerrand hinausreicht.

Die Beiträge in diesem Heft sollen deutlich machen, dass Akbar in erster Linie ein strategisch denkender Machtpolitiker war, der sich über Konventionen hinwegsetzte, wenn dies seinen politischen Zielen dienlich war. Die Überwindung überlieferter Konfliktlinien zwischen Völkern und Religionen durch Akzeptanz und Dialog erfolgte nicht aus einer Haltung der Toleranz, sondern diente dem übergeordneten Ziel, das Reich und den Großmogul an seiner Spitze zu stärken. Diese realpolitische Interpretation entkleidet Akbar zweifellos ein wenig seiner Aura und seines Vorbildcharakters. Allerdings nicht zur Gänze, denn es bleibt Akbars Verdienst, die innere Diversität Indiens benutzt und nicht bekämpft zu haben. Im Laufe nicht nur der Geschichte Indiens haben sich viele Herrscher für die zweite Variante entschieden und damit Leid und Schrecken angerichtet.

(gekürzte Fassung des einleitenden Beitrags von Thomas Ertl)

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Thomas Ertl
Einleitung: Wozu indische Geschichte? S 2–7.

Manya Rathore
Indien vor den Großmoguln. Politische Zersplitterung und kulturelle Gemeinsamkeiten, S 8–13.

Alicja Zelichowska
Gender und Macht im Mogulreich, S 14–20.

Radhika Dhuru
Akbars Außenpolitik: Beziehungen zum persischen Reich, S 21–26.

Denis Subbotnitskiy
Indien und die „Great Divergence“, S 27–31.

Thomas Ertl
Vom Nutzen der Geschichte: Akbar heute, S 32–35.

Fachdidaktik

Nedzad Kuc
Religion und Religionsgespräche am Hofe Akbars, S 36–44.

Nedzad Kuc
Moguln bitten zu Tisch, S 45–48.

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