Kritische Ausgabe 8 (2004), 2

Titel der Ausgabe 
Kritische Ausgabe 8 (2004), 2
Weiterer Titel 
Literatur und Drittes Reich

Erschienen
Bonn 2004: Winddruck Verlag
Erscheint 
halbjährlich (ca. Juni/Dezember)
ISBN
1617-1357
Anzahl Seiten
108 S.
Preis
€ 3,50

 

Kontakt

Institution
Kritische Ausgabe. Zeitschrift für Germanistik & Literatur
Land
Deutschland
c/o
Kritische Ausgabe Germanistisches Seminar der Universität Bonn Am Hof 1d D-53113 Bonn Tel./Fax: (0228) 61 96 757
Von
Diel, Marcel

"Eine Zeugung des Dichterischen aus dem Geist des Nationalsozialismus gab es nicht." - Alfred Anderschs Diktum über die Dichtung im "Dritten Reich" ist eines von vielen ähnlich lautenden, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Rezeption der im nationalsozialistischen Deutschland entstandenen Literatur nachhaltig geprägt haben. Auch Thomas Mann hatte bereits wenige Monate nach Kriegsende in seinem berühmten Offenen Brief an Walter von Molo die Ansicht vertreten, dass "Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut in die Hand zu nehmen" seien, da ihnen "ein Geruch von Blut und Schande" anhafte: "Sie sollten alle eingestampft werden." Dies war einer der Auslöser einer breit geführten Kontroverse um die politische Verstrickung nicht-emigrierter Intellektueller in das NS-System und um die Ausnahmen der damit postulierten Regel, die Autoren der "Inneren Emigration", die Andersch allerdings explizit ausgeklammert hatte: "Das muß einmal ausgesprochen und festgehalten werden, daß jede Dichtung, die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus ans Licht kam, Gegnerschaft gegen ihn bedeutete, sofern sie nur Dichtung war."

Das dadurch geprägte Klischee erwies sich, ähnlich den in Bezug auf das "Dritte Reich" häufig apostrophierten "finsteren Zeiten", als äußerst wirkungsmächtig. Selbst Fachwissenschaftler begnügten sich lange Zeit mit Pauschalurteilen, wenn es um die Literatur im Nationalsozialismus ging, die inhaltlich wie auch stilistisch als "banal", bestenfalls "epigonal" zu bezeichnen sei, wenn nicht gar, infolge ihrer ideologischen Prägung, als "Gift". "Literatur" und "Drittes Reich" bildeten somit ein geradezu gegensätzliches Begriffspaar, dem man häufig scheinbar nur mit den Mitteln der Polemik oder platter Ideologiekritik beizukommen gewillt war. Erst seit den 70er, besonders jedoch in den 90er Jahren hat sich die Diskussion stärker auf eine genuin wissenschaftliche Ebene verschoben und etwa durch Biographieforschung und Verfahren der Kontextualisierung wichtige Impulse erhalten. Dadurch wird es zunehmend möglich, die Vorstellung einer "Literatur des Dritten Reiches" als gleichsam in sich geschlossenes Phänomen zu überwinden und sie in literarhistorische Entwicklungslinien zu integrieren.

Diesen Aspekten widmet sich auch das vorliegende Heft, indem es einerseits die im "Dritten Reich" entstandene Literatur, aber auch die Literatur- und Sprachwissenschaft in jener Zeit, beispielhaft in den Blick nimmt und andererseits deren heutige Rezeption kritisch hinterfragt.

Neben den Beiträgen des Thementeils, die wie immer sowohl von Lehrenden als auch Studierenden unserer Disziplin stammen, bietet auch dieses Heft unter anderem wieder Rezensionen zu Neuerscheinungen, Autorenportraits, ein Interview mit Klaus Wagenbach, dessen Verlag 2004 das 40jährige Bestehen feierte, und neue Folgen unserer Artikelserien "Vergessene Autoren des 20. Jahrhunderts" (dieses Mal über Josef Weinheber und dessen Karriere im "Dritten Reich" sowie über den DDR-Lyriker Walter Werner) und "Portraits zur Literaturtheorie" (über Jacques Derrida). Außerdem präsentieren wir neue literarische Texte: Kurzprosa von Wendel Schäfer und Gedichte von Rainer Stolz.

Das Inhaltsverzeichnis und bald auch eine kleine Auswahl an Beiträgen finden Sie auf unserer Internetpräsenz: http://www.kritische-ausgabe.de.
Dort besteht natürlich auch die Möglichkeit, das 108 Seiten starke Heft zum Preis von 3,50 Euro (zzgl. Porto) zu bestellen.

Inhaltsverzeichnis

THEMA:

Gunther Nickel: »Bevor er Rabbi wurde, war er Antisemit«. Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

Günter Scholdt: Literaturgeschichte und Drittes Reich

Stefan Andres: Die Tode eines Ungeliebten. Gabriele d’Annunzio – Eine Annäherung an den »Johannes der Täufer des Faschismus«

Elias H. Füllenbach OP: Ein Außenseiter als Sündenbock? Der Fall Josef Nadler

Uwe-K. Ketelsen: Völkische Nationenbildung - Das Thingspiel

Florian Radvan: »Mein Privatleben wäre Fahnenflucht!! Ich bin Soldat!« Hanns Johsts Schauspiel 'Schlageter'

Ralf Schnell: Selbst- und Fremdwahrnehmung der Inneren Emigration im Dritten Reich

Clemens Knobloch: Die deutsche Sprachwissenschaft im Nationalsozialismus

Stefan Stirnemann: Ein Betrüger als Klassiker. Eduard Engels 'Deutsche Stilkunst' und Ludwig Reiners

Hendrik Stammermann: Gedanken zur Verwendung nationalsozialistischer Texte im Deutschunterricht

Julia Anspach: 'Der Untergang' – ein Trauerspiel

REZENSIONEN ZU:

Volker Böhnigk: Kulturanthropologie als Rassenlehre (Klaus Popa)

Marcel Atze: "Unser Hitler". Der Hitler-Mythos im Spiegel der deutschsprachigen Literatur nach 1945 (Anna-Lena Scholz)

Horst Denkler: Was war und was bleibt? Zur deutschen Literatur im Dritten Reich (Fabian Beer)

Rainer Stolz (Hg.): Feuer, bitte! Berliner Gedichte über die Liebe (Frank Auffenberg)

Thomas Meinecke: Musik (Crauss.)

Juli Zeh: Spieltrieb (Benedikt Viertelhaus)

Thomas Bauer (Hg.): Zwischen Estland und Malta. 12 Autoren erkunden das ‚neue’ Europa (Julia Wehner)

Don Alphonso, Kai Pahl (Hgg.): Blogs! Text und Form im Internet (Rochus Wolff)

FORSCHUNG:

- Portraits zur Literaturtheorie:
Katerina Karakassi: Jacques Derrida (1930-2004)

- Vergessene Autoren:
Albert Berger: Josef Weinheber (1892-1945)
Holger Uske: Walter Werner (1922-1995)

PORTRAIT:

»Ein Verleger muß ja umfassend halbgebildet sein«. Interview mit Klaus Wagenbach

Melanie Hüttenberger: Nicht 'nur' eine Messe! Die Frankfurter Buchmesse – ein Leitfaden für Studierende

Sonja Weiller: Literatur on tour. bookcrossing & Co.

Andreas Jüngling: Über Michail Sostschenkos Erzählband

"Wie mit Gabeln aufs Wasser geschrieben" und den persona verlag

Sonja Lenz: Die »Parsifalfrage«, oder: Wer ist Kyra Stromberg?

Klaus Wiegerling: Wendel Schäfers Kampf mit der Ordnung. Zur Kurzprosa eines wenig bekannten Meisters

LITERATUR:

Wendel Schäfer: Kurzprosa

Rainer Stolz: Gedichte

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