Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 67 (2019), 4

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 67 (2019), 4
Weiterer Titel 
deutsch-israelische Beziehungen; Holocaust

Erschienen
München 2019: De Gruyter Oldenbourg
Erscheint 
vierteljährlich
ISBN
ISSN 2196-7121
Preis
Jahresabo: 59,80€, Stud.abo: 34,80€ Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 49,80€, Online-Zugang: 49€, Print+Online-Abo 72€

 

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Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Hoppe, Florian

VfZ Abstracts 4/2019

Aufsätze

Hans Maier, Hitler und das Reich
Das Reich war seit dem Mittelalter eine zentrale Kategorie deutschen juristischen und politischen Denkens. Vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation über das Kaiserreich bis zum Dritten Reich hat es gleichzeitig die politische wie territoriale Struktur als auch die politischen Hoffnungen der deutschen Lande bestimmt. Trotz seiner Zentralität ist das Konzept des Reichs im Kontext des Nationalsozialismus noch nicht vollständig untersucht worden. Wichtige Fragen über das Verhältnis des Regimes zu diesem politischen Begriff und Modell blieben daher bisher unbeantwortet: Wie sah, zum Beispiel, Hitler das Reich? Welche Rolle spielte es in seinem Denken? Dieser Aufsatz untersucht die Rolle des Konzepts des Reichs im Denken zentraler NS-Akteure wie Hitler selbst sowie Goebbels, Rosenberg und Himmler. Er zeigt, dass, trotz der wohlbekannten Identifikation des Nazismus mit dem Begriff Drittes Reich, Hitler sich tatsächlich vom Reichskonzept distanzierte – besonders vom Heiligen Römischen Reich und seiner christlich-universalistischen Tradition. Sogar Bismarcks Kaiserreich war nicht in dem Maß ein Vorbild für den Nationalsozialismus wie dies manchmal unterbreitet wird. Der Begriff Drittes Reich selbst wurde von Hitler explizit abgelehnt. Mit dem Ende des Nazismus verschwand das Reich endgültig aus der deutschen juristischen Tradition. Es wurde schlicht durch den Begriff Deutschland ersetzt.

Anna Georgiev, Jüdische Selbstbehauptung in Berlin. Die Geschichte der 500 Thorarollen, die die NS-Zeit in Berlin-Weißensee überdauerten
Während der NS-Zeit wurden rund 500 Thorarollen auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin Weißensee vor der Zerstörung bewahrt. Bisher galt die Erforschung der konkreten Umstände als Desideratum. Anna Georgiev kann die Geschichte der in Weißensee versteckten Thorarollen von ihrer Einlagerung bis hin zu ihrer Verteilung nach dem Krieg durch Hannah Arendt im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Jewish Cultural Reconstruction nun weitergehend rekonstruieren, dabei greift sie auch auf bisher unveröffentlichtes Bildmaterial zurück. Das Verstecken der Thorarollen lässt sich als Form von Widerstand und jüdischer Selbstbehauptung begreifen. Trotz drohender Deportation setzten sich die Beteiligten für den Erhalt der Rollen und somit für die Bewahrung jüdischer Traditionen ein.

Felix Lieb, Ein überschätztes Buch? Karl Jaspers und „Die Schuldfrage“
Nur wenige Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs mahnte der Philosoph Karl Jaspers, dass das „Übernehmen der Schuld […] zu einem Grundzug unseres deutschen Selbstbewußtseins“ werden müsse. Jaspers’ 1946 veröffentlichte „Schuldfrage“ und die darin formulierte Unterscheidung zwischen krimineller, politischer, moralischer und metaphysischer Schuld gelten bis heute als ausgesprochen wichtigste Beiträge zur Frage nach der Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus. Auf der Grundlage der zeitgenössischen Reaktionen kann Felix Lieb zeigen, dass Jaspers’ Buch in der Nachkriegszeit kaum wahrgenommen wurde. Außerdem begriffen die Deutschen seine Thesen zunächst weniger als Aufruf zum eigenen Schuldeingeständnis, sondern eher als willkommenes Instrument zur Abwehr eines vermeintlichen Kollektivschuldvorwurfs.

Felix Wiedemann, „Anständige“ Täter – „asoziale“ Opfer. Der Wiesbadener Juristenprozess 1951/52 und die Aufarbeitung des Mords an Strafgefangenen im Nationalsozialismus
Die Ermordung tausender „asozialer“ Justizgefangener zwischen 1942 und 1944 gehört zu den weniger bekannten NS-Verbrechen. Dabei war das Geschehen bereits in der Nachkriegszeit Gegenstand umfangreicher Ermittlungen, die 1951 im Wiesbadener Juristenprozess gegen führende Ministerialbeamte des ehemaligen Reichsjustizministeriums mündeten. Als unmittelbares Nachfolgeverfahren des Nürnberger Juristenprozesses markiert der mit Freisprüchen endende Wiesbadener Prozess den Übergang von der Besatzungsjustiz zur Justiz der frühen Bundesrepublik. Darüber hinaus reflektiert das Verfahren die spezifischen justiz- und vergangenheitspolitischen Entscheidungen, gesellschaftlichen Narrative und Moralvorstellungen der frühen 1950er Jahre.

Hubert Leber, Der deutsch-israelische Raketenstreit von 1978. Zum Umgang der sozialliberalen Bundesregierung mit Rüstungsexporten aus Koproduktion
Die Nachricht, dass Frankreich moderne Panzerabwehrraketen an Syrien liefere, sorgte 1978 für Unruhe in Israel. Produziert wurden die Flugkörper im Rahmen einer deutsch-französischen Rüstungskooperation. Daher forderte Israel von der Bundesregierung, das Waffengeschäft zu unterbinden. Es kam zu einem monatelangen Konflikt zwischen Bonn und Jerusalem, den Hubert Leber erstmals anhand von Archivquellen aus beiden Ländern untersucht. Die Analyse bietet Einsichten zur normativen Entwicklung der deutschen Rüstungsexport- und Israel-Politik. Nach außen gab sich die Regierung Schmidt/Genscher machtlos. Tatsächlich aber verzichtete sie darauf, eine Veto-Option auszuschöpfen, die sie sich intern gegen Exporte aus Partnerländer der Rüstungskooperation vorbehalten hatte. Zu den Folgen gehörte, dass israelische Soldaten im Libanonkrieg 1982 durch deutsche Militärtechnik verletzt oder getötet wurden.

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Articles

Hans Maier, Hitler and the Reich
The Reich has been a central category of German legal and political thought since the Middle Ages. From the Holy Roman Empire (in German: Reich) to the Kaiserreich and the Third Reich it has at the same time defined the political and territorial structure as well as the political aspirations of the German lands. Despite its centrality, the concept of the Reich has not been fully explored in the context of National Socialism. Important questions about the regime’s relationship with the political term and the political model therefore remain unanswered: How, for example, did Hitler see the Reich? This article examines the concept of the Reich in the thinking of central Nazi figures, including Hitler himself as well as Goebbels, Rosenberg, and Himmler. It shows that despite the well-known identification of Nazism with the term Third Reich, Hitler, in fact, distanced himself from the Reich concept – particularly from the Holy Roman Empire and its Christian-universalist tradition. Even Bismarck’s Empire was not quite the paragon it is often suggested to have been. The term Third Reich itself was even expressly rejected by Hitler. With the end of Nazism, the Reich finally faded from the German legal tradition. It was replaced by the simple term Germany.

Anna Georgiev, Jewish Self-Assertion in Berlin. The History of the 500 Torah Rolls which Survived in Berlin-Weißensee during the Nazi Era
During the Nazi period approximately 500 Torah rolls were saved from destruction at the Jewish cemetery in Berlin-Weißensee. Research into the exact circumstances has been lacking so far. Anna Georgiev can now extensively reconstruct the history of the Torah rolls hidden in Weißensee – from their storage to their post-war distribution by Hannah Arendt in the context of her activities for Jewish Cultural Reconstruction. In doing so, Georgiev can also rely on hitherto unpublished photographs. Hiding the Torah rolls can be interpreted as an act of resistance and Jewish self-assertion. Despite the threat of deportation, those involved aided the preservation of the rolls and thereby of Jewish traditions.

Felix Lieb, An Overrated Book? Karl Jaspers and “The Question of German Guilt”
Only a few months after the end of the Second World War, the philosopher Karl Jaspers proclaimed that “acceptance of the guilt [is] to be a fundamental trait of our German self-consciousness”. Jaspers book “Die Schuldfrage” (The Question of German Guilt) published in 1946 and his differentiation between criminal, political, moral and metaphysical guilt formulated therein are to this day seen as contributions of the highest import towards the question of responsibility for the crimes of National Socialism. Based on the contemporary reactions, Felix Lieb can show that Jasper’s book received very little notice in the post-war period. Additionally, the Germans saw his theses less as a call for admitting one’s own guilt, but rather as a welcome instrument to deflect a supposed allegation of collective guilt.

Felix Wiedemann, “Decent” Perpetrators – “Anti-Social” Victims. The Wiesbaden Jurists’ Trial of 1951/52 and dealing with the National Socialist Murder of Prison Inmates
The murder of thousands of “anti-social” prison inmates between 1942 and 1944 is one of the lesser known National Socialist crimes, even though these events were the subject of extensive judicial investigations during the post-war period, which culminated in the 1951 Wiesbaden jurists trial against leading officials of the former Reich Ministry of Justice. As an immediate successor investigation to the Nuremberg Judges Trial, the Wiesbaden trial with its acquittals marked the transition between the judiciary under Allied occupation to the judiciary of the early Federal Republic of Germany. Additionally, the trial reflects the specific decisions regarding judicial politics and the politics of recent history, the social narratives as well as the moral conceptions of the early 1950s.

Hubert Leber, The German-Israeli Missile Dispute of 1978. How did the Social-Liberal Government Deal with Co-Produced Armaments Exports?
The news that France would deliver modern anti-tank missiles to Syria led to disquiet in Israel in 1978. The missiles were being produced within the context of German-French armaments cooperation. Therefore, Israel demanded that the West German government prevent the weapons deal. Months of conflict between Bonn and Jerusalem followed, which Hubert Leber investigates here using archival sources from both countries for the first time. The analysis offers insights into the normative development of German armaments exports and Israel policy. The Schmidt/Genscher government outwardly proclaimed its impotence. In fact, it decided not to use an internally preserved veto option regarding exports from armaments cooperation partner countries. One of the consequences was that Israeli soldiers were injured or killed by German military technology during the Lebanon War of 1982.

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Hans Maier
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Anna Georgiev
Jüdische Selbstbehauptung in Berlin
Die Geschichte der 500 Thorarollen, die die NS-Zeit in Berlin-Weißensee überdauerten

Felix Lieb
Ein überschätztes Buch?
Karl Jaspers und „Die Schuldfrage“

Felix Wiedemann
„Anständige“ Täter – „asoziale“ Opfer
Der Wiesbadener Juristenprozess 1951/52 und die Aufarbeitung des Mords an Strafgefangenen im Nationalsozialismus

Hubert Leber
Der deutsch-israelische Raketenstreit von 1978
Zum Umgang der sozialliberalen Bundesregierung mit Rüstungsexporten aus Ko-produktion

Neu: VfZ English Version und ergänzende Materialien zu Yuliya von Saals Auf-satz im Juliheft 2019

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