Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 65 (2017), 2

Titel der Ausgabe 
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 65 (2017), 2
Weiterer Titel 

Erschienen
München 2017: Oldenbourg Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
ISBN
0042-5702
Preis
Jahresabo: 59,80€, Stud.abo: 34,80€ Mitgl.abo. hist. u pol. Fachverbände: 49,80€, Online-Zugang: 49€, Print+Online-Abo 72€

 

Kontakt

Institution
Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Institut für Zeitgeschichte, Leonrodstraße 46b, 80636 München, vfz@ifz-muenchen.de
Von
Jaroschka, Gabriele

Inhaltsverzeichnis

Aufsätze

Paul Hoser
Thierschstraße 41. Der Untermieter Hitler, sein jüdischer Hausherr und ein Restitutionsproblem

Ende März 1920 musste Adolf Hitler die Armee verlassen. Er zog aus der Kaserne in die Thierschstrasse 41 im Münchner Viertel Lehel, wo er als Untermieter wohnte. Im selben Haus wohnte Hugo Erlanger, ein jüdischer Handelsvertreter für Textilien, der es Ende Oktober 1921 kaufte. Hitler blieb dort bis Oktober 1929 und zog dann in eine luxuriöse Wohnung um. In der Thierschstrasse empfing er oft Besucher, die später wichtige Führungsstellen in der Organisation der NSDAP einnahmen. Hitler begegnete dem Hausbesitzer stets höflich. Während der Weltwirtschaftskrise geriet auch Erlangers Geschäft in eine sehr kritische Lage. Er konnte der Städtischen Sparkasse die schuldigen Hypothekenzinsen nicht mehr bezahlen. Im September 1934 wurde das Haus zwangsversteigert. Dies hätte sich vermeiden lassen, doch wollte die Stadt um jeden Preis das Haus in die Hand bekommen, in dem Hitler gewohnt hatte. Nach der „Reichskristallnacht“ musste Erlanger vier Wochen im Konzentrationslager Dachau verbringen. Während des Kriegs musste er auch Zwangsarbeit leisten. Doch wurde er nicht deportiert, da seine Frau keine Jüdin war. Nach dem Krieg weigerte sich die Stadt, ihm das Haus zurückzugeben. Erst 1949 gab sie nach, doch musste Erlanger alle Schulden übernehmen und geriet in eine schwierige Lage. Sie besserte sich erst, als er 1955 eine Pension als Entschädigung für den Verlust seines Geschäfts im Jahr 1938 erhielt.

Sandra Kraft
„Wenn’s der Wahrheitsfindung dient“. Antiautoritärer Protest vor Gericht um 1968

Eines der wohl herausragenden Merkmale der deutschen „68er“-Bewegung war ihr anti-autoritäres Selbstverständnis. Doch trotz vieler Annäherungs- und Interpretationsversuche bleibt dessen Kern nach wie vor schwer zu fassen. Dies liegt jedoch nicht nur an den fehlenden oder ungenauen theoretischen Ausführungen der damaligen Protagonisten, sondern auch an der Vielschichtigkeit und begrifflichen Doppeldeutigkeit von Autorität selbst. Der vorliegende Aufsatz greift das Problem der theoretischen und praktischen Bedeutung von Autorität für die Studentenbewegung auf. Am konkreten Beispiel der Strafprozesse gegen Fritz Teufel und Rainer Langhans wird dabei gezeigt, inwieweit das Autoritätsverständnis der Bewegung auch Form und Inhalt der Auseinandersetzung vor Gericht bestimmte. Mit Happening-artigen Aktionen und verbalen Provokationen von Richtern und Staatsanwälten verwandelten die beiden Aktivisten den Gerichtssaal in eine politische Bühne. Die Strukturen der bundesdeutschen Gerichte sollten dabei als undemokratisch entlarvt und die Autorität ihrer Amtsträger untergraben werden. Doch während es den Angeklagten vorgeblich darum ging „faule Autorität“ aufzuspüren, dienten die Prozesse, ganz im Sinne einer eigenwillig angewandten Kritischen Theorie, auch dazu, eigene autoritäre Persönlichkeitsstrukturen abzulegen. Autorität sollte von außen wie von innen gebrochen werden.

Diskussion

Ariane Leendertz
Zeitbögen, Neoliberalismus und das Ende des Westens, oder: Wie kann man die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts schreiben?

Wie kann man die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts schreiben? Orientiert an dieser Leitfrage diskutiert Ariane Leendertz Anselm Doering-Manteuffels 2014 in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte vorgestelltes Konzept der Zeitbögen sowie die am selben Ort erschienene Kritik von Peter Hoeres und skizziert auf dieser Basis neue Forschungsperspektiven der gegenwartsnahen Zeitgeschichte. Den Ausgangspunkt bildet Hoeres’ Vorwurf, das Konzept der Westernisierung führe bei Doering-Manteuffel zu einer analytisch-normativen Verengung, die teleologisch, anachronistisch und erkenntnishemmend sei. Darüber hinaus sieht Hoeres im Neoliberalismus, den Doering-Manteuffel ins Zentrum des dritten Zeitbogens stellt, keinen geeigneten Interpretationsrahmen für die Geschichte des späten 20. Jahrhunderts. Vor diesem Hintergrund und ausgehend vom drittem Zeitbogen, den Doering-Manteuffel in den frühen 1970er Jahren beginnen lässt, erörtert Ariane Leendertz dessen Begriffsbildung, fragt nach dem normativen Gehalt seiner Interpretation und plädiert für eine stärkere Berücksichtigung der internationalen politischen Ökonomie sowie der Ideen- und Politikgeschichte des Neoliberalismus in der Zeitgeschichte.

Podium Zeitgeschichte

Podium Zeitgeschichte, Cultural Turn und NS-Forschung

Mit dem „Podium Zeitgeschichte“ führen die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte ein neues, diskursives Format ein. Es soll der multiperspektivischen Diskussion grundsätzlicher Fragen der Zeitgeschichtsforschung dienen. Das erste Podium ist dem Thema „Cultural Turn und NS-Forschung“ gewidmet. Vier ausgewiesene Experten aus drei Ländern, nämlich Frank Bajohr (Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Holocaust-Studien des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin), Neil Gregor (Professor of Modern European History, University of Southampton), Johann Chapoutot (Professor für deutsche Geschiche an der Université Paris-Sorbonne – Paris IV) und Stefan Hördler (Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora) analysieren den Einfluss des wichtigsten und facettenreichsten methodischen Trends in den Geisteswissenschaften auf das Kerngebiet der Zeitgeschichte, die NS-Forschung. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der Eröffnung neuer Erkenntnishorizonte, aber auch nach den Grenzen des Kulturalismus in einem Forschungsfeld, in dem Terror, Krieg und Massenmord von zentraler Bedeutung sind. Die Debatte wird mit einer Diskussionsveranstaltung im Institut für Zeitgeschichte in München und im VfZ-Forum auf der Homepage der Zeitschrift fortgeführt.

Notiz

Demokratische Kultur und NS-Vergangenheit in Bayern
Ein neues Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte

VfZ-Online

Neuer „Rückblick“

Rezensionen online

Paul Hoser
Thierschstraße 41. Hitler as a Subtenant, his Jewish Landlord and a Matter of Restitution

At the end of March 1920, Adolf Hitler had to leave the army. He moved from the barracks to Thierschstraße 41, which is situated in the Lehel quarter of Munich. Here he lived as a subtenant. Hugo Erlanger, a Jewish textile salesman, lived in the same house, which he bought in late October 1921. Hitler remained there up until October 1929 when he changed to a more luxurious flat. Hitler often had received guests at Thierschstraße 41, many of whom would later become important leaders in the hierarchy of the Nazi Party. Hitler always treated Erlanger with courtesy. During the time of the Great Depression, Erlanger’s business suffered a severe crisis. He could no longer keep up with the mortgage payments to the municipal savings bank. In September 1934, an auction of the house was enforced. In other circumstances the auction could have been avoided. However, the city was determined to own the house which Hitler had once occupied. After “Reichskristallnacht”, Erlanger was sent to the Dachau concentration camp for four weeks. During the war he had to do forced labour. However, he was not deported due to his wife not being Jewish. After the war the city refused to return his house. Only in 1949 was Erlanger’s house finally returned to him – however Erlanger was obliged to take on the debts of the house, which left him in a difficult situation. This only improved in 1955 when he received compensation in the form of a pension for the loss of his business in 1938.

Sandra Kraft
“If it Serves the Establishment of the Truth”. Anti-Authoritarian Protest in Court circa 1968

One of the most prominent features of the German Student Movement (a.k.a the ‘68-Movement) was its anti-authoritarian self-image. Yet despite many attempted approaches and interpretations, this core characteristic is difficult to pin down. This is not only due to missing or imprecise theoretical deliberations of the protagonists, but also due to the complexity and terminological ambiguity of the term authority. The present article deals with the problem of the theoretical and practical meaning of authority for the Student Movement. Using the concrete example of the criminal proceedings against Fritz Teufel and Rainer Langhans, it shows to what extent the movement’s understanding of authority also shaped the form and content of the confrontation in court. The two activists turned the court room into a political stage with “happenings” and verbal provocations of the judges and prosecutors. The goal was to expose the structures of the West German courts as undemocratic and undermine the authority of its officials. But while the accused were ostensibly seeking out “putrid authority”, they also used the trials to drop their own authoritarian personality structures, therein following an idiosyncratic interpretation of applied critical theory. Authority was to be broken from the outside as well as from the inside.

Ariane Leendertz
Time Spans, Neoliberalism and the End of the West, Or: How Can We Write the German History of the 20th Century?

How can one write the German history of the 20th century? Guided by this key question, Ariane Leendertz discusses the Zeitbögen (time spans) concept introduced by Anselm Doering-Manteuffel in the Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte in 2014 as well as the critique by Peter Hoeres published in the same journal in 2015. On this basis, she outlines new research perspectives for the most recent periods of contemporary history. Her point of departure is Hoeres’ accusation that Doering-Manteuffel’s use of the concept of Westernisation leads to an analytical-normative narrowing which is teleological, anachronistic and hampers insight. Additionally, Hoeres does not see Neoliberalism, which Doering-Manteuffel places at the centre of his third time span, as a suitable interpretive frame for the history of the late 20th century. Against this background and starting off the third time span, the beginning of which Doering-Manteuffel sets in the early 1970s, Ariane Leendertz discusses his concept formation, looks at the normative substance of his interpretation and argues in favour of a stronger consideration of international political economics as well as the history of ideas and political history of Neoliberalism in contemporary history.

Contemporary History Podium: Research into the Nazi Era and the Cultural Turn

With the “Contemporary History Podium”, the Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte introduces a new format for discourse. It is designed to host discussions on fundamental questions of contemporary historiography from multiple points of view. The first Podium is dedicated to the topic “Research into the Nazi Era and the Cultural Turn”. Four recognised experts from three countries, namely Frank Bajohr (Head of the Center for Holocaust Studies at the Institute for Contemporary History Munich – Berlin), Neil Gregor (Professor of Modern European History, University of Southampton), Johann Chapoutot (Professor of German History at the Université Paris-Sorbonne – Paris IV) and Stefan Hördler (Director of the Mittelbau-Dora Concentration Camp Memorial Site) analyse the influence of one of the most important and diverse methodological trends in the humanities on a core area of contemporary history, research into the Nazi era. The debate focuses on the question which new horizons of understanding, but also which limitations culturalism offers in a research field, in which terror, war, and mass murder are of central importance. The debate will be continued with a discussion event at the Institute for Contemporary History in Munich and at the VfZ-Forum of the journal’s homepage.

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