Feministische Studien 26 (2008), 1

Titel der Ausgabe 
Feministische Studien 26 (2008), 1
Weiterer Titel 
"Gefühle"

Erschienen
Stuttgart 2008: Lucius & Lucius
Erscheint 
halbjährlich
ISBN
ISSN 0723-5186
Anzahl Seiten
168 S.
Preis
19,00 €
ISSN

 

Kontakt

Institution
Feministische Studien - Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung
Land
Deutschland
c/o
Redaktion Feministische Studien c/o Regine Othmer, Voßstrasse 48, 30161 Hannover manuskripte@feministische-studien.de
Von
Kirsten Heinsohn

Aus der Einleitung:
"Gefühle haben derzeit in den Kulturwissenschaften Konjunktur. Auf dem kulturwissenschaftlichen Prüfstand stehen insbesondere universalistische Theorieansätze der Psychoanalyse und der Psychologie, die „innere“ Zwänge und Triebe bzw. reaktive emotionale Verhaltensweisen als eine Art anthropologische Konstante menschlichen Verhaltens verstehen und behandeln. Das sich neu artikulierende Interesse der Kulturwissenschaften geht dagegen eher von der Annahme aus, dass Gefühle und Emotionen sozial konstruiert und daher kulturspezifisch und historisch wandelbar sind. Dies nachzuweisen ist keine einfache Aufgabe, zumal nicht zu übersehen ist, dass Gefühle sich in der Regel durch Repräsentationen bzw. Symbolisierungen „realisieren“ bzw. fassbar werden, die ihrerseits zweifellos kulturspezifisch kodiert sind. Viel spricht für die Annahme, dass eine inter- und innerkulturell gleiche Anlage (d.h. eine Potentialität) für die Kultivierung sämtlicher Gefühle zur Ausbildung kulturspezifisch unterschiedlicher Gefühls-„Grammatiken“ führt, d.h. zu bestimmten, nicht leicht verfügbaren Kombinationsregeln für unterschiedlich bewertete und gewichtete Emotionen – und dies nicht zuletzt auch bezüglich ihrer geschlechtlichen Codierung (vgl. dazu den Beitrag von Barbara Rosenbaum).

Der nachweisliche Zusammenhang zwischen der jeweiligen Gefühlsrepräsentation und dem spezifischen Darstellungsmedium lässt allerdings nicht nur viele Erkenntnisse einer naturwissenschaftlich orientierten Emotionenforschung, sondern auch die meisten bisher getroffenen Aussagen über eine mehr oder weniger lineare Geschichte der Gefühle (bzw. der Gefühlskontrolle) – üblicherweise unter dem Begriff der „Zivilisierung“ subsumiert – problematisch erscheinen und verlangt nach weiterer differenzierter Erhellung der verschiedenen „Kulturen der Gefühle“ und ihrer jeweiligen Wandlungen.
So hat die kulturwissenschaftliche Emotionen-Forschung in den letzten Jahren sehr deutlich herausgearbeitet, wie sehr Gefühle „epochenspezifisch“ zu verstehen sind; dies gilt etwa für die „Melancholie“, die heute gegenüber der Depression als vergleichsweise harmloser „Weltschmerz“, ja als symptomatische Haltung in der Postmoderne schlechthin erscheint, in älteren Epochen aber als schweres, geradezu teuflisches „seelisches Leiden“ betrachtet und nicht zuletzt mit religiösen Mitteln (Fasten, Beten, Beichte etc.) zu behandeln versucht wurde.

Des weiteren wurde – etwa in der Diskussion des Erfahrungsbegriffes (vgl. dazu auch Feministische Studien 2/2001) – deutlich, dass das öffentliche Reden über Gefühle und die emotionale Befindlichkeit von Menschen zwar erheblich differieren konnte, die subjektive Gefühlslage aber auf kulturell vorhandene Muster angewiesen war und ist, um überhaupt geäußert werden zu können. Dabei kommt den Normen für den Ausdruck derjenigen Emotionen, die für ein Geschlecht als „angemessen“ angesehen werden, ihrer Inszenierung oder Verdeckung, eine besondere Rolle zu.

Virulent ist in diesem Zusammenhang des weiteren die Frage nach der körperlichen Dimension von Gefühlen – dies vor allem auch im Blick auf eine geschlechtertheoretische Perspektivierung kulturwissenschaftlicher Emotionen-Forschung. Denn die Frage nach der geschlechtlichen Codierung einzelner Affekte wie auch bestimmter Gefühlszustände, ja der Affektivität ganz allgemein bleibt in der bisherigen Forschung relativ unklar und ist noch näher zu untersuchen. Neben Menschen „niederer Stände“ oder „fremder Kulturen“ bzw. „Rassen“ galten (und gelten z.T. bis heute) Frauen allgemein als unkontrollierter und „emotionaler“, Männer dagegen als „rationaler“ und damit auch weniger abhängig von ihren Gefühlen. Insbesondere negativ konnotierte Gefühle wie Angst, Trauer, Schmerz, aber auch Scham wurden traditionell bevorzugt dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben – wobei es durchaus zu widersprüchlichen Vorstellungen und Codierungen von Gefühlen kommen konnte, etwa wenn (wie bei Freud) (stumme) Trauer als „typisch“ weibliche Verhaltensweise bzw. Reaktion auf einen Verlust gedeutet wurde, während Melancholie gleichermaßen als männlich und kreativ konnotiert und zur Kulturkraft ersten Ranges erhoben wurde. Zu denken ist auch an eine systemisch komplementäre Aufteilung ambivalenter Gefühlslagen: z.B. den Frauen die Angst vor einem Krieg oder vor gewalttätigen Übergriffen zuzuschreiben, den Männern dagegen Mut, Hass, Wut oder schlicht Aggressivität (vgl. dazu den Beitrag von Sylka Scholz).

Die Konstruktionen von Geschlecht und von Gefühlen sind in einer sehr engen Weise miteinander verflochten und können nicht kontextfrei untersucht werden. Eindeutig ist lediglich, dass in jedem bisher bekannten kulturellen Zusammenhang normative Vorstellungen hinsichtlich der Unterscheidbarkeit zweier Geschlechter in Aussehen und Verhalten (zu beidem gehört der Gefühlsausdruck) wie auch von der Angemessenheit von Gefühlen für Situationen eines bestimmten Typs wirksam sind und beides nicht voneinander ablösbar ist: keine Gefühlsäußerung ganz ohne Gender, kein Gender ohne entsprechende Gefühle – wobei auch „undoing gender“ in bezug auf Emotionen, etwa „neutrale“ Gefühlsdarstellungs-strategien, zu untersuchen interessant und wichtig wäre.

Im vorliegenden Themenheft „Gefühle“ sind Beiträge aus verschiedenen kulturwissenschaftlichen Feldern (Literaturwissenschaft, Philosophie, Geschichte, Sozialwissenschaften) zusammengeführt, die sich der Emotionenforschung aus der Perspektive der Geschlechterforschung nähern.

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis: „Gefühle“

Einleitung

Catherine Newmark
Weibliches Leiden – männliche Leidenschaften. Zum Geschlecht in älteren Affektenlehren

Franziska Frei Gerlach
„Eins werden und bleiben“. Die Verhandlungen um Liebe, Freundschaft und Geschwisterschaft in Jacobis Woldemar

Carolin Arni
Emotionen in der Querelle des femmes du Seconde Empire oder: Freundschaft und Rivalität in der Moderne

Ingrid Vendrell Ferran
Emotionen und Sozialität in der frühen Phänomenologie. Über Möglichkeiten von Frauen in der ersten Phase wissenschaftlicher Schulenbildung.

Außer der Reihe

Elisabeth Klaus
Rhetoriken über Krieg: Karl Kraus gegen Alice Schalek

Bilder und Zeichen

Sandra Brandeis Crawford
Die Rekonstruktion des Selbst als kreativer Akt. Textmontagen

Mechthild Veil
Die Malerin Sandra Brandeis Crawford

Diskussion

Barbara H. Rosenwein
Gender als Analysekategorie in der Emotionsforschung

Sylka Scholz
Gewaltgefühle. Überlegungen zum Zusammenhang von Männlichkeit, Gewalt und Emotionen

Informationen

Hanna Hacker
„That’s true but I resisted giving you this story“: 25 Interviews, feministisch, wissenschaftshistorisch, warten auf ihre Analytikerinnen

Tagungsbericht: „Gender – Genre – Geschlecht. Travelling Concepts“. Tagung des Netzwerks Graduiertenkollegien Gender Studies Schweiz und des Kooperationsprojekts Gender Studies Schweiz an der Universität Bern (Tanja Rietmann)

Tagungsbericht: „Transferring Gender: Contested Gender Cultures Across the European Union“. Universität Erfurt (Florian Groetsch/Alexander Knoth)

Rezensionen

Antje Langer
Klandestine Welten. Mit Goffman auf dem Drogenstrich
Margrit Brückner, Christa Oppenheimer
Lebenssituation Prostitution, Sicherheit, Gesundheit und soziale Hilfen
Sabine Grenz, Martin Lücke (Hrsg.)
Verhandlungen im Zwielicht, Momente der Prostitution in Geschichte und Gegenwart
(Sammelrezension Silvia Kontos)

Angelika Schaser
Frauenbewegung in Deutschland 1848-1933 (Eva Buchholz)

Irina Hundt (Hrsg.)
Über Grenzen hinweg. Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung und zur Problematik der transnationalen Beziehungen in der deutschen Frauenbewegung (Jenny Warnecke)

Ursula Lüfter, Martha Verdorfer, Adelina Wallnöfer
Wie die Schwalben fliegen sie aus. Südtirolerinnen als Dienstmädchen in italienischen Städten 1920–1960 (Maria S. Rerrich)

Claudia Opitz, Brigitte Studer, Frédéric Sardet (Hrsg.)
Häusliche Gewalt. De la violence domestique, Traverse 2 (Christina Antenhofer)

Sharon Marcus
Between Women. Friendship, Desire, and Marriage in Victorian England (Anna Maria Stuby)

Gudrun Loster-Schneider, Gaby Pailer (Hrsg.)
Lexikon deutschsprachiger Epik und Dramatik von Autorinnen (1730-1900) (Erdmut Jost)

Elke Hartmann, Udo Hartmann, Katrin Pietzner (Hrsg.)
Geschlechterdefinitionen und Geschlechtergrenzen in der Antike (Sabine Müller)

Helga Bilden, Bettina Dausien (Hrsg.)
Sozialisation und Geschlecht. Theoretische und methodologische Aspekte (Albrecht Müller)

Karin Flaake, Kristina Hackmann, Irene Pieper-Seier und Stephanie Radtke
Professorinnen in der Mathematik. Berufliche Werdegänge und Verortungen in der Disziplin (Carmen Baumeler)

Isabel Zorn, Susanne Maass, Els Rommes, Carola Schirmer, Heidi Schelhowe (Hrsg.)
Gender Designs IT. Construction and Deconstruction of Information Society Technology (Annette Kirschenbauer)

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