Den Schwerpunkt dieses Heftes bilden Fragen nach dem Geschlecht in der Geschichte des naturwissenschaftlichen Wissenssystems und seiner Arbeitsweisen. Als soziale Kategorie wurde Geschlecht in der Wissenschaftsgeschichte in den letzten Jahren breit diskutiert, unter anderem, um zu verstehen, mit welchen sozialstrukturellen, kulturellen und berufspolitischen Barrieren Frauen bei ihrem Zugang zur Wissenschaft konfrontiert waren. Mit der kulturellen Kategorie Geschlecht lassen sich Arbeitsbeziehungen einer wissenschaftlichen Disziplin oder Institution und die Rolle von Geschlechterdifferenz als Habitus analysieren. Dabei geht es auch um die Frage, wie die wissenschaftlichen Akteure ihre Arbeitsweisen selbst als männlich oder weiblich kodieren. Geschlecht ist nicht zuletzt eine epistemologische Kategorie. Prinzipiell ist wissenschaftliches Wissen genauso anfällig wie jedes kulturelle Phänomen für Deutungen, die explizit oder implizit mit den ubiquitären, meist dichotomen Geschlechterstereotypen arbeiten. Geschlechterbilder lassen sich in zahlreichen Prozessen der Generierung naturwissenschaftlichen Wissens ebenso aufzeigen wie in der Deutung von Forschungsergebnissen. Dies gilt zumal dort, wo Geschlecht, Sexualität und Fortpflanzung selbst zum Forschungsgegenstand werden. Kritisch untersucht wird dies in diesem Heft unter anderem an der rassen- und geschlechterpolitischen Indienstnahme biowissenschaftlicher Forschung. - Herausgabe und Redaktion: Regine Othmer und Carola Sachse
Inhalt:
Carola Sachse: Von Männern, Frauen und Hunden. Der Streit um die Vivisektion im Deutschland des 19. Jahrhunderts
Astrid Schürmann: Marie Curie und ihr Laboratoire: Frauenförderung avant la lettre?
Hélène Rouch: Die Geschlechterdifferenz bei Adrienne Sahuqué und Simone de Beauvoir. Ihre Lektüre biologischer und medizinischer Diskurse
Helga Satzinger: Weimarer Mischung: Drei Photomontagen von Hannah Höch und die biowissenschaftlichen Debatten um Geschlechter, Rassen und Gene
Susanne zur Nieden: Theo Langs Forschungen zur Homosexualität im »Dritten Reich«
Außer der Reihe: Heike Hartung: Jezebel’s Daughters: Gefährliche Frauen im spätviktorianischen Sensationsroman
Bilder und Zeichen: May B. Broda: Die fotografischen Tagebücher der Renée Schwarzenbach-Wille (1883–1959) – Macht und Emotion
Diskussion: Marc de Leeuw, Sonja van Wichelen: Ein neuer Zivilisationsdiskurs? Der Film Submission, Ayaan Hirsi Ali und der »Krieg gegen den Terror« in den Niederlanden