Gerbergasse 18, 28 (2023), 106

Titel der Ausgabe 
Gerbergasse 18, 28 (2023), 106
Weiterer Titel 
1983

Erschienen
Erscheint 
vierteljährlich
Anzahl Seiten
76 S.
Preis
Jahresabonnement: € 14,00, Einzelheft: € 3,50

 

Kontakt

Institution
Gerbergasse 18. Thüringer Vierteljahresschrift für Zeitgeschichte und Politik
Land
Deutschland
c/o
Geschichtswerkstatt Jena e.V. Heinrich-Heine-Straße 1 07749 Jena Telefon: +49 (0) 36 41 - 82 12 35
Von
Daniel Börner, Redaktion "Gerbergasse 18", Geschichtswerkstatt Jena

Es war mutmaßlich das gefährlichste Jahr des Kalten Krieges, aber es versinnbildlicht auch Mut und Hoffnung angesichts von Atombedrohung und Aufrüstungslogik: 1983. Das neue Heft blickt zurück auf die Zeit vor 40 Jahren, um Ereignisse und Prozesse nachzuzeichnen, die von diesem Jahr ausstrahlen – zum Teil bis in die Gegenwart.
Der Umgang des DDR-Regimes mit Andersdenkenden zeigte sich im Frühjahr und Sommer 1983 gegenüber zwei in Jena entstandenen, zwar nur kurzlebigen, aber wegweisenden Gruppen: der unabhängigen „Friedensgemeinschaft Jena“ und der Ausreisebewegung „Weißer Kreis“. Im Juli wurde öffentlich bekannt, dass der klamme SED-Staat einen Milliardenkredit westdeutscher Banken erhalten wird, vermittelt durch den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß. Auf dem regionalen Kirchentag in Wittenberg kam es im September zur symbolischen Umschmiedung gemäß der biblischen Losung „Schwerter zu Pflugscharen“, einem offiziell zensierten Ausspruch im „Friedensstaat DDR“. Im Oktober sang Udo Lindenberg im „Palast der Republik“ fast ausschließlich vor FDJ-Claqueuren den Song „Wozu sind Kriege da?“. Seine Kritik an der Raketenstationierung – in Ost und West – kostete ihn die ersehnte DDR-Tournee im Folgejahr. Und doch stand die Welt in jenem friedensbewegten Jahr (erneut) am Abgrund, weil die sowjetische Seite die NATO-Übung „Able Archer“ im November kurzzeitig als direkte Kriegsvorbereitung des Westens einordnete. Ende des Jahres erhielt Lech Wałęsa, stellvertretend für die freie Gewerkschaftsbewegung Solidarność, den Friedensnobelpreis, den in Oslo seine Frau und sein Sohn in Empfang nahmen, weil Wałęsa befürchten musste, nicht wieder nach Polen einreisen zu können.
Die Rubrik Zeitgeschichte enthält die Rekonstruktion eines Raubzugs der Staatssicherheit nach Antiquitäten in Südthüringen sowie das Porträt einer widerständigen Schülergruppe, die 1950 in Jena Flugblätter und die Satirezeitschrift „Tarantel“ verbreitete. Im Interview berichtet die Regisseurin Christa Pfafferott über ihre Recherchen zum Dokumentarflm „Die Ecke“, eine Spurensuche rund um ein Foto aus den letzten Kriegstagen 1945 im thüringischen Oberdorla. Der Schriftsteller Renatus Deckert nähert sich anhand eines rätselhaften Bücherfundes der Biografie eines hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiters und fragt: Wer war Peter G.?
Die Ausgabe wird abgerundet durch Buchbesprechungen zu einem geheimen Leipziger Tonband aus dem Jahr 1976, zu einem dissidentischen Erfurter Fotoalbum, zur Feldforschung in der ostdeutschen Provinz und zum kürzlich erschienenen „Schwarzbuch Putin“.

Inhaltsverzeichnis

TITELTHEMA 1983

03 Monika Lembke – Gegen das Vergessen
Brief an meinen Sohn

S.10: Axel Thielmann – Zu jung
Jena 1983 – was für eine Zeit!

S.13: Daniel Börner – Friedensgemeinschaft Jena 1983
Skizzen eines Protests

S.18: Rüdiger Rosenthal – Von Aufbrüchen lernen
Die DDR und warum ich damals oft nach Jena reiste

S.20: Almut Ilsen – Wir hatten Angst vor einem Atomkrieg
Die „Frauen für den Frieden“ in Ost-Berlin

S.25: Peter Engelbrecht – Männerfreundschaften und Milliardenkredite
Geschäfte im Grenzland

S.31: Christian Stöber – Zwischen perfider Perfektion und Menschenrechten
Der Abbau der Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze vor 40 Jahren

S.35: Krzysztof Okoński – Ein Kurzschluss im Ostblock
Wie ein Elektriker mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde

ZEITGESCHICHTE

S.40: Daniel Börner – Taranteln in die Briefkästen
Eine widerständige Schülergruppe 1950 in Jena

S.45: Sascha Münzel – Raubzug im Spielzeugland
Stasi und DDR-Antikhandel auf der Jagd nach Porzellanpuppen

ZEITGESCHEHEN / DISKUSSION

S.51: „Sich in der Erinnerung zu verbinden, ist eine Möglichkeit, Frieden zu finden.“
Ein Gespräch mit der Autorin und Regisseurin Christa Pfafferott über den Dokumentarfilm „Die Ecke“

S.54: Manfred May/Monika Aschenbach – Mehr als bunte Punkte auf einer Karte
Virtuelle Gedenkstätte – Orte der Heimerziehung in Thüringen 1945–1990

S.56: René Meyer – „Die wichtigste Eigenschaft des Revolutionärs ist Geduld.“
DDR-Computerkomödie „Zwei schräge Vögel“ digital restauriert

S.58: Renatus Deckert – Wer war Peter G.?
Über einen rätselhaften Bücherfund und den Schwindel beim Blick in die Abgründe der Diktatur

S.62: Thomas Purschke – „Als Wissenschaftler ist es meine Pflicht, auf Missstände hinzuweisen.“
Nachruf auf den Doping-Aufklärer Werner Franke

REZENSIONEN

S.64: Ernest Kuczyński – „Für uns, die wir noch hoffen“
Die Geschichte eines geheimen Leipziger Tonbands

S.66: Jochen Voit – „Im Leiden bin ich 1a.“
Gabriele Stötzers wunderbares autobiografisches Fotoalbum der Dissidenz

S.68: Sebastian Hollstein – Vielsagendes Schimpfen
Feldforschung in der ostdeutschen Provinz

S.70: Daniel Börner – Zerstörung als politisches Prinzip
Eine notwendige Fortsetzung der Schwarzbuch-Reihe

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