P. M. Steinsiek: Forst- und Holzforschung im "Dritten Reich"

Cover
Titel
Forst- und Holzforschung im "Dritten Reich".


Autor(en)
Steinsiek, Peter Michael
Reihe
Freiburger Schriften zur Forst- und Umweltpolitik, Bd. 18
Erschienen
Remagen 2008: Verlag Kessel
Anzahl Seiten
382 S.
Preis
€ 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Zechner, Berlin

Über Jahrzehnte hinweg gehörte die NS-Zeit nicht unbedingt zu den bevorzugt untersuchten Epochen der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung. So setzte etwa die Beschäftigung mit dem Themenkomplex 'Deutsche Historiker im Nationalsozialismus' breit und teilweise kontrovers erst in Folge der gleichnamigen Sektion auf dem Frankfurter Historikertag 1998 ein.1 Der Rolle von Geistes- und Naturwissenschaften während der Jahre 1933-1945 widmeten sich in den letzten zehn Jahren unter anderem Arbeiten zu den großen Forschungsorganisationen.2 Daneben erschienen Publikationen zu einzelnen disziplinären Feldern wie Kulturwissenschaften, Agrar- oder Rüstungsforschung.3 Die Geschichte der Forstwissenschaften hingegen wurde für den entsprechenden Zeitraum kaum aufgearbeitet, so dass der Interessierte bislang auf allgemeiner angelegte Arbeiten zur nationalsozialistischen Forst- und Waldgeschichte zurückgreifen musste.4

Diesem Desiderat will nun Peter-Michael Steinsiek in der vorliegenden Monographie zumindest für den Bereich der Forst- und Holzforschung abhelfen, indem er die diesbezüglichen Akteure, Institutionen und Themen unter dem Aspekt der politischen Steuerung zu untersuchen verspricht. Gleich zu Beginn des Buches kritisiert er die heute vorherrschende Perspektive der Industriegesellschaft nach dem Ende des „Hölzernen Zeitalters“, aus der heraus die frühere Bedeutung des Waldes als Arbeitsplatz und Ressourcenlieferant „von der Geschichtsforschung bisher nicht hinlänglich wahrgenommen“ (S. 5) worden sei.

Hinsichtlich der Forst- und Holzforschung konstatiert Steinsiek für seinen Untersuchungszeitraum „nie dagewesene Steigerungsraten“ (S. 15), die insbesondere im Zusammenhang mit der sich radikalisierenden Autarkie- und Kriegspolitik des NS-Regimes standen: Wald und Forst seien in jenen Jahren „vollständig in die wirtschaftspolitischen Ziele des ‘Dritten Reiches’ eingebettet“ (S. 4) gewesen. Im Fokus der folgenden Quellenauswertung steht auf Grund der kriegsbedingten Zerstörung der meisten Reichsforstamts-Akten die Restüberlieferung im Umfang von ungefähr 10 Prozent des ursprünglichen Materials, ergänzt um einzelne weitere Archivbestände sowie veröffentlichtes forstliches Schriftgut.

Der erste Teil der Arbeit bietet dann wesentlich eine aus den Akten gewonnene Auflistung und Darstellung von Einrichtungen beziehungsweise Projekten und Bearbeitern, ergänzt um Organigramme und Tabellen. Dabei diente der Großteil der aufgeführten Forschungsvorhaben direkt oder indirekt der Ertragssteigerung im Waldbau, der effizienteren Holznutzung oder der Gewinnung von holzbasierten Ersatzstoffen. Interessanterweise finden sich darunter auch aus heutiger Sicht geradezu 'grün' anmutende Fragestellungen, zum Beispiel die Treibstoffgewinnung aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz oder die biologische Schädlingsbekämpfung mittels Waldameisen.5

Während eine intensivere Beschäftigung mit den einzelnen Projekten wohl in erster Linie für Forstwissenschaftler aufschlussreich sein dürfte, erörtern die anschließenden Kapitel projektübergreifende Aspekte wie Forstpolitik, Nachhaltigkeit, Naturschutz und Waldbaukonzepte (Stichwort ‘Dauerwald’). Steinsiek wendet sich hier außerdem zwei bisher in der Forschung wenig behandelten Themen zu: zum einen dem Beitrag der Forstwissenschaften zur Ausbeutung der Waldbestände im besetzten Osteuropa und zur ‘Wiederbewaldung des Ostens’, zum anderen der geplanten kolonialforstlichen Erschließung Afrikas zur Entlastung deutscher Wälder.

Der mit einem Personenregister und einem biographischem Index abgeschlossene Band liefert auf Grundlage des erhaltenen Aktenmaterials umfängliche, oft bisher unbekannte Informationen zu Akteuren, Institutionen und Themen der Forst- und Holzforschung in den Jahren der NS-Herrschaft. Zudem thematisiert er durchaus kritisch einzelne weltanschauliche Schnittmengen zwischen Forstwissenschaft und Nationalsozialismus (‘Ausmerze’, ‘Ewiger Wald’, ‘Gemeinnutz vor Eigennutz’) sowie die aktive Beteiligung deutscher Forstwissenschaftler am Projekt eines „forstlichen Imperialismus“ (S. 113) in Osteuropa und Afrika.

Jedoch wird die Studie einem wissenschaftsgeschichtlichen Erkenntnisinteresse nur eingeschränkt gerecht, da sie die politische Steuerung der Forschungen nicht im Detail untersucht und die NS-Wissenschaftspolitik auf gerade einmal vier Seiten abhandelt. Implizit scheint der Autor von zwei weitgehend selbständigen Subsystemen ‘Forstwissenschaft’ und ‘Nationalsozialismus’ auszugehen, deren hauptsächliche Austauschbeziehungen Projektanträge respektive Mittelbewilligungen gewesen seien. Damit kommen aber die vielfältigen partiellen Interessenkonkordanzen zwischen Wissenschaft und Politik nicht recht in den Blick, wie sie für den thematisch verwandten und weltanschaulich ebenfalls aufgeladenen Bereich der Agrarforschung bereits überzeugend analysiert worden sind.6

Ferner befremdet der bisweilen unachtsame Umgang mit Begriffen aus dem Umfeld der nationalsozialistischen Weltanschauung, obwohl Steinsiek sich dieser Problematik durchaus bewusst ist und dem Leser nur den „sehr häufigen und verwirrenden Gebrauch“ (S. 12) von Anführungszeichen ersparen will. Dennoch sollten in einer Arbeit zur NS-Zeit Termini wie „Gleichschaltung“ (S. 3) oder „Machtergreifung“ (S. 281) durchgehend als zeitgenössisches Vokabular deutlich gemacht werden. An anderer Stelle finden sich zudem unglücklich gewählte Formulierungen wie „Landzuwächse“ (S. 14) für die annektierten oder besetzten Territorien und „Hochzuchtmensch“ (S. 254) für das Menschenideal der Rassenideologie.

Gleichwohl bietet der ansonsten sorgfältig lektorierte Band in seiner Materialfülle eine gute Grundlage für künftige Untersuchungen zur Geschichte der deutschen Forstwissenschaften. Dafür wäre es aber sicherlich wünschenswert, das Thema unter Ausweitung der Quellenbasis stärker in seinen wissenschaftshistorischen und wissenschaftspolitischen Kontext zu stellen.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Diskussionsbeiträge zur Geschichtswissenschaft in der NS-Zeit unter <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/beitrag/diskusio/nszeit.htm>.
2 Vgl. etwa Doris Kaufmann (Hrsg.), Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Bestandsaufnahme und Perspektiven der Forschung. 2 Bde., Göttingen 2000 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bd. 1); sowie Lothar Mertens, 'Nur politisch Würdige'. Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933-1937, Berlin 2004 (vgl. Michael Hau: Rezension zu: Mertens, Lothar: 'Nur politisch Würdige'. Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933-1937. Berlin 2004, in: H-Soz-u-Kult, 02.05.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-2-077>).
3 Vgl. Hartmut Lehmann / Otto Gerhard Oexle (Hrsg.), Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften. Band 1: Fächer - Milieus - Karrieren, Göttingen 2004 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 200) (vgl. Manfred Hettling: Rezension zu: Lehmann, Hartmut; Oexle, Otto Gerhard (Hrsg.): Nationalsozialismus in den Kulturwissenschaften. Band 1: Fächer - Milieus - Karrieren. Göttingen 2004, in: H-Soz-u-Kult, 23.03.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-1-212>); Susanne Heim (Hrsg.), Autarkie und Ostexpansion. Pflanzenzucht und Agrarforschung im Nationalsozialismus, Göttingen 2002 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bd. 2) (vgl. Alexander von Schwerin: Rezension zu: Heim, Susanne (Hrsg.): Autarkie und Ostexpansion. Pflanzenzucht und Agrarforschung im Nationalsozialismus. Göttingen 2002, in: H-Soz-u-Kult, 12.03.2003, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-1-138>); sowie Helmut Maier (Hrsg.), Rüstungsforschung im Nationalsozialismus. Organisation, Mobilisierung und Entgrenzung der Technikwissenschaften, Göttingen 2002 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bd. 3) (vgl. Paul Erker: Rezension zu: Maier, Helmut (Hrsg.): Rüstungsforschung im Nationalsozialismus. Organisation, Mobilisierung und Entgrenzung der Technikwissenschaften. Göttingen 2002, in: H-Soz-u-Kult, 06.08.2003, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-3-080>).
4 Vgl. etwa Heinrich Rubner, Deutsche Forstgeschichte 1933-1945. Forstwirtschaft, Jagd und Umwelt im NS-Staat, 2. erweiterte Auflage St. Katharinen 1997 (zuerst 1985); sowie Johannes Zechner, ‚Ewiger Wald und ewiges Volk’. Die Ideologisierung des deutschen Waldes im Nationalsozialismus, Freising 2006 (= Beiträge zur Kulturgeschichte der Natur, Bd. 15).
5 Vgl. zu dieser Thematik weiterführend etwa Joachim Radkau / Frank Uekötter (Hrsg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2003 (= Geschichte des Natur- und Umweltschutzes, Bd. 1) (vgl. Axel Zutz: Rezension zu: Radkau, Joachim; Uekötter, Frank (Hrsg.): Naturschutz und Nationalsozialismus. Frankfurt am Main 2003, in: H-Soz-u-Kult, 23.08.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=3201>); sowie Franz-Josef Brüggemeier / Mark Cioc / Thomas Zeller (Hrsg.), How Green Were the Nazis? Nature, Environment, and Nation in the Third Reich, Athens, Ohio 2006 (= Series in Ecology and History) (vgl. Kees Gispen: Rezension zu: Brüggemeier, Franz-Josef; Cioc, Mark; Zeller, Thomas (Hrsg.): How Green Were the Nazis? Nature, Environment, and Nation in the Third Reich. Athens, Ohio 2006, in: H-Soz-u-Kult, 16.02.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-1-113>).
6 Vgl. Susanne Heim, Kalorien, Kautschuk, Karrieren. Pflanzenzüchtung und landwirtschaftliche Forschung in Kaiser-Wilhelm-Instituten 1933 bis 1945, Göttingen 2003 (= Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bd. 5) (vgl. Gesine Gerhard: Rezension zu: Heim, Susanne: Kalorien, Kautschuk, Karrieren. Pflanzenzüchtung und landwirtschaftliche Forschung in Kaiser-Wilhelm-Instituten 1933 bis 1945. Göttingen 2003, in: H-Soz-u-Kult, 13.09.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-3-143>).

Kommentare

Von Steinsiek, Peter-M.19.10.2009

Stellungnahme zur HSK-Rezension meines Buches "Forst- und Holzforschung im 'Dritten Reich'“ durch Johannes Zechner, M.A., vom 8.10.2009 (<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-4-028>)

Inhaltliche Unterschiede, welche die Positionen von Herrn Zechner und mir zu Fragen der Forst- und Holzforschung im „Dritten Reich“ kennzeichnen, sollen hier nicht zur Sprache kommen. Es geht vielmehr um eine Bemerkung, welche sich im vorletzten Absatz der Besprechung meines Buches durch Herrn Zechner findet. Dort wird kritisiert, ich sei bisweilen unachtsam „mit Begriffen aus dem Umfeld der nationalsozialistischen Weltanschauung“ umgegangen und hätte Formulierungen unglücklich gewählt.

Obgleich Herr Zechner darauf hinweist, dass ich den Gebrauch entsprechender Formulierungen in der Einführung erläutere, muss hier der Eindruck entstehen, als würde ich im Übrigen gegenüber NS-Begrifflichkeiten wenig Sorgfalt walten lassen. Mehr noch, Herr Zechner zeigt sich sogar „befremdet“ und leistet damit dem Verdacht Vorschub, es könne eventuell mehr als nur „Unachtsamkeit“ dahinter stecken.

Ich widerspreche dieser Einschätzung von Herrn Zechner entschieden. Die Sprache und der Duktus des Buches besagen etwas ganz anderes. Auch das Stilmittel der Ironie, welches ich gelegentlich verwende und dessen Wesen und Absicht ich als bekannt voraussetze, macht ganz deutlich, wie ich Begrifflichkeiten gebraucht und verstanden wissen möchte. Solche Dinge erschließen sich aus den jeweiligen Zusammenhängen des Buches sofort, den LeserInnen der Rezension freilich werden sie vorenthalten.

Zur Illustration sei der besagte einleitende Abschnitt meines Buches hier im Wortlaut wiedergegeben (S. 12): „Es ist üblich und gerechtfertigt, Begriffe und Bezeichnungen, die im „Dritten Reich“ geprägt worden sind, in Anführungszeichen zu setzen, um die eigene Distanz zum Nationalsozialismus und seiner Sprache deutlich zu machen. In der vorliegenden Arbeit würde die konsequente Umsetzung dieser Vorgehensweise jedoch zu einem sehr häufigen und verwirrenden Gebrauch solcher Zeichen führen. Um mit Anführungszeichen im Wesentlichen nur Zitate zu kennzeichnen, wurde ihre Verwendung in allen anderen Fällen stark eingeschränkt.“

Man mag darüber streiten, ob der von mir gewählte Weg geeignet ist, sein Ziel zu erreichen. Wer das Buch in die Hand nimmt, wird jedoch sehen, dass darin Kenntlichmachungen, wie sie Herr Zechner fordert und denen ich keinesfalls widerspreche, durchaus ihren Platz haben. Den Vorwurf mangelnder Sorgfalt oder sogar eines zweifelhaften Bewusstseins in Bezug auf NS-Begriffe weise ich daher als grundlos zurück. Mir ist nicht erinnerlich, dass beispielsweise Heinrich Rubner und seiner „Deutsche[n] Forstgeschichte 1933-1945“ (1985, 2. Aufl. 1997), die auch Herr Zechner zitiert, Ähnliches vorgehalten worden wäre.


Von Zechner, Johannes19.10.2009

Replik auf die Stellungnahme von Peter-Michael Steinsiek zu meiner HSK-Rezension des Buches Forst- und Holzforschung im „Dritten Reich“ vom 8.10.2009 (<http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-4-028>)

Peter-Michael Steinsiek scheint bei der Lektüre meiner Rezension und in seiner Stellungnahme dem Missverständnis erlegen zu sein, ich würde ihn mit der Kritik an einzelnen Formulierungen eines „zweifelhaften Bewusstseins in Bezug auf NS-Begriffe“ beschuldigen. Belegen lässt sich eine solche Lesart jedoch weder durch den Gesamttenor meiner Rezension, die den NS-kritischen Ansatz durchaus würdigt, noch durch das wiedergegebene Zitat.

Ich habe ganz im Gegenteil lediglich darauf hingewiesen, dass mir der „bisweilen“ – also nicht durchgängig – „unachtsame“ Umgang mit nationalsozialistischer Terminologie kritikwürdig erscheint. Begriffe wie „Landzuwächse“ oder „Hochzuchtmensch“ halte ich auch weiterhin für schlicht „unglücklich gewählte“ Formulierungen, ohne Steinsiek damit in irgendeiner Weise Sympathie mit rechtslastigem Gedankengut unterstellen zu wollen.

Vielmehr war es meine Absicht, für mehr sprachliche Sensibilität gerade in historischen Arbeiten zur NS-Zeit zu plädieren. In diesem Zusammenhang halte ich freilich das von Steinsiek angeführte und auch mir bekannte „Stilmittel der Ironie“ für nur begrenzt zweckdienlich.


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