J. Radkau u.a. (Hgg.): Naturschutz und Nationalsozialismus

Cover
Titel
Naturschutz und Nationalsozialismus.


Herausgeber
Radkau, Joachim; Uekötter, Frank
Reihe
Geschichte des Natur- und Umweltschutzes 1
Erschienen
Frankfurt am Main 2003: Campus Verlag
Anzahl Seiten
487 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefanie Hennecke, Bernd Schütze, Annette Voigt und Axel Zutz

Der Tagungsband dokumentiert die Vorträge des Kongresses "Naturschutz und Nationalsozialismus – Erblast für den Naturschutz im demokratischen Rechtsstaat?" vom Juni 2002 in Berlin, ausgerichtet von der Stiftung Naturschutzgeschichte in Zusammenarbeit mit der Fakultät für Geschichtswissenschaften und Philosophie der Universität Bielefeld (Joachim Radkau).

Schirmherr Bundesminister Jürgen Trittin stellt einführend eine "sehr erhebliche ideologische Schnittmenge" (S. 38) zwischen Naturschutz und Nationalsozialismus fest und schlussfolgert: "(E)s gab eigentlich keinen Punkt, an dem Naturschutz und Nationalsozialismus ideologisch grundsätzlich unvereinbar waren." (S. 38) Radkau führt gegenläufig argumentierend ein: "Wenn man die NS-deutsche Realität als durchaus heterogen begreift, dann brauchen NS-Allianzen von Naturschützern nicht viel zu besagen." (S. 42) Mit diesen beiden Positionen - der Annahme einer ideologischen Schnittmenge und der These, Verbindungen hätten nicht per se etwas zu besagen - lassen sich die Pole charakterisieren, zwischen denen die Tagungsbeiträge liegen.

Stellt also die Zeit des Nationalsozialismus für die Praxis des heutigen Naturschutzes eine ‘Erblast‘ dar? Der leider im Tagungsband nicht abgedruckte, die Tagung einführende Vortrag von Ulrich Herbert hat gezeigt, dass Geschichtswissenschaft immer auch aktuelle politische Relevanz hat und diese auch reflektieren muss. Gerade diese Frage mit aktuellem politischem Bezug, die Frage nach der Erblast für den Naturschutz wurde jedoch auf dem Kongress weder beantwortet noch ausreichend diskutiert und daher konsequenter Weise im Titel des Tagungsbandes weggelassen. Gert Gröning und Joachim Wolschke-Bulmahn 1 haben gezeigt, dass die Zahl der Vertreter des Berufsfeldes, die dem NS positiv gegenüber standen, sei es als aktive Mitstreiter, sei es als passive Mitläufer, sehr hoch gewesen ist. In der Zeit des NS wurden wichtige praktische und theoretische Beiträge zur Entwicklung der Profession geleistet. Allein diese Tatsachen sollten misstrauisch machen, nicht allein gegenüber der politischen und moralischen Integrität der beteiligten Personen, sondern vor allem gegenüber den wissenschaftlichen, kulturellen und ideologischen Grundlagen. Professionelles Selbstverständnis und Selbstdarstellung müssen vor dem Hintergrund, dass wichtige Vorreiter Anhänger der nationalsozialistischen Ideologie waren, reflektiert werden. Außerdem stellt sich die Frage, inwiefern Naturschutz und NS gemeinsame kulturtheoretische Grundlagen haben.

Das Themenspektrum des Tagungsbandes ist breit gestreut: Es werden einzelne Personen aus dem Naturschutz der Zeit des NS rechts- und institutionsgeschichtliche Aspekte sowie Ideen und Konzepte des Natur- und Heimatschutzes vorgestellt und auch der Umgang mit der NS-Vergangenheit nach 1945 thematisiert. Einerseits sind die meisten dieser Beiträge sehr interessant, sie bearbeiten überwiegend "Neuland" und klären zum Teil geschichtswissenschaftliche Streitfragen. Andererseits wird in den meisten Beiträgen leider kaum auf die - aus der Perspektive des heutigen Berufsfeldes Naturschutz relevante - Frage der Erblast eingegangen.
Gesine Gerhards Beitrag zeigt, dass es keine Anhaltspunkte gibt, aus denen sich schließen ließe, dass Richard Walther Darré (bis 1942 Reichsernährungsminister) vor 1945 anthroposophische Landwirte protegierte. Damit zeigt sie nicht nur, dass die Selbstdarstellung des Begründers der "Blut-und-Boden"-Theorie bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen als Beschützer nicht der Wahrheit entsprach, sondern sie kritisiert auch die These einer "Steiner connection" durch Anna Bramwell 2 (1985) bzw. eines "grünen Flügels" in der NSDAP. (S. 260). Thomas Lekan zeigt, dass das Reichsnaturschutzgesetz (RNG) nicht für einen effektiven Schutz der Landschaft umgesetzt wurde. Naturschutz musste sich wirtschaftlichem Wachstum, Kriegsvorbereitungen und Expansionismus unterordnen. Problematisch ist seine These, dass die Naturschützer in ihrer "Ahnungslosigkeit im Hinblick auf die innere Dynamik des Nationalsozialismus", den Zusammenhang der "Blut-und-Boden"-Theorie mit der "Lust an territorialen Eroberungen" nicht erfasst hätten (S. 163). Nach seiner Analyse blieben einerseits der Naturschutz und die ideologischen Ziele des NS zum Teil "völlig unvereinbar" (S. 163), anderseits stellt er die "nahtlose" Anfügung (S. 158) der Argumentationen gegen fremdländische Baueinflüsse und nichtheimische Arten an die "nationalsozialistische Rhetorik" heraus. Klaus Fehn erläutert die Planungen und die ideologischen Begründungen der Osterweiterung sowie das Idealbild deutscher Kulturlandschaft. Er zeigt die "unlösbare Verbindung zwischen einer expansiven Raumpolitik und einer aggressiven Rassenpolitik" (S. 213) sowie den "hohen Stellenwert der deutschen 'Kulturlandschaft'" (S. 213) bei den führenden Vertretern der deutschen Landschaftspflege. Fehn erweitert den Stand der Forschung kaum um neue Fakten (Siehe Gröning, Wolschke-Bulmahn 1987). Problematisch in diesem Zusammenhang ist Frank Uekötters Charakterisierung der Raum- und Landschaftsplanung im NS durch die "unmittelbare Nähe zu den Verbrechen", wie er in der Einleitung schreibt (S. 21). Denn die Planungen des "Reichskommissariats für die Festigung deutschen Volkstums" befanden sich nicht in der "unmittelbaren Nähe", sie waren vielmehr wesentlicher Teil der Verbrechen des NS. Er negiert damit die strukturelle Übereinstimmung zwischen den Leitbildern der Raum- und Landschaftsplanung für die "eingegliederten Ostgebiete" und der zugleich expansionistischen wie auch heimatverbundenen Ideologie des NS. Friedemann Schmoll formuliert die These der Entwicklung eines kulturellen zu einem völkischen Antisemitismus am Beispiel der Reklame-Kritik des Natur- und Heimatschutzes nach 1918. Naturschutz und Antisemitismus seien "unauflöslich an missglückte Emanzipation aus vorkapitalistischen Verhältnissen geknüpft; beide diagnostizierten Entfremdung als 'Überfremdung'" (S. 174). "Die Utopie einer ’reinen’ Umwelt findet ihre Entsprechung in der Vorstellung einer judenreinen Welt." (S. 180) Unklarheit entsteht, wo Schmoll einerseits davon ausgeht, dass der Naturschutz grundsätzlich eine "xenophobische Grundhaltung" (S. 181) habe, andererseits aber sagt, dass Antisemitismus kein zwangsläufiges Element des Naturschutzes sei (S. 180). Hier fehlt dem Autor die Klarheit, die er an anderer Stelle findet: "In der natürlichen Ordnung 'Heimat' irritiert der Jude." (S. 175) Mit diesem Satz trifft Schmoll einen ideologischen Kern des Heimat- und Naturschutzes im NS, dessen weitere Aufarbeitung bis heute aussteht.

Neben diesen Beiträgen, in denen eine aktuelle Relevanz nicht thematisiert wird, finden sich sogar zahlreiche Aufsätze, die der These anzuhängen scheinen, es gäbe keine Erblast für den Naturschutz aus der Zeit des NS. Radkau überschreibt seinen einführenden Aufsatz mit der Frage: "Naturschutz und Nationalsozialismus – wo ist das Problem?" Hochproblematisch ist die Ignoranz gegenüber den Opfern, die Radkau mit seiner These zum Diskurs im NS formuliert: "Hier gab es keine herrschende Doktrin, sondern unterschiedliche Positionen, über die offen diskutiert wurde" (S. 43). Die Tatsache, dass viele ehemalige Teilnehmer der Diskussion – mit möglichen anderen ”Positionen” - Berufsverboten unterlagen, emigrieren mussten oder ermordet wurden, macht Radkaus These unhaltbar. Er ignoriert den Arierparagraphen im Reichsbund für Vogelschutz, auf den Anna Wöbse in ihrem Beitrag (S. 318) hinweist, wie auch die von Schmoll dargelegte xenophobische Grundhaltung des Naturschutzes. Edeltraut Klueting zeichnet die Entwicklungsgeschichte des RNG und anderer Umweltgesetze aus der Zeit des NS nach. Deutlich wird, dass das RNG für Klueting keine Erblast für den Naturschutz nach 1945 darstellt. Die Gesetzesvorhaben werden von ihr nicht in ihrer politischen Dimension ausgeleuchtet, nicht danach gefragt, welche Eingriffe in persönliche oder demokratische Freiheiten ermöglicht werden. Karl Ditt steht in seinem Beitrag "Die Anfänge der Naturschutzgesetzgebung in Deutschland und England 1935/49" in ähnlicher Weise zu dieser Frage. Ditt, der das RNG für "bemerkenswert unideologisch" (S. 119) hält, kann fünf Fortschritte durch das RNG feststellen, lässt dabei aber die relevante Schnittmenge zwischen Naturschutz und NS leider vollkommen unbeachtet. Ein bedenklicher Zug in Ditts Beitrag ist der auf die autoritäre Durchsetzung von Naturschutzpolitik eingeengte Blickwinkel. "Aus der Perspektive der Folgezeit der 1950er Jahre, (...) , erscheint die Zeit des Dritten Reiches jedoch geradezu als Blütezeit des Naturschutzes." (S. 125) Hier hätte die Frage diskutiert werden können, inwieweit der Naturschutz mit der Idee eines autoritären Staates sympathisiert, wenn es um die Durchsetzung seiner Interessen geht. Thomas Zeller entwickelt die These der Folgenlosigkeit und des Scheiterns der Landschaftsgestaltung im NS am Beispiel der Landschaftsanwälte um Alwin Seifert und ihrer Projekte im Straßen- und Wasserbau. Konzentriert auf die Durchsetzungsstrategien kommt er zu dem Ergebnis, "Bodenständigkeit" sei ein "misslungener Versuch Seiferts, eine ideologische Unterfütterung seiner Arbeit zu erlangen" (S. 281). Das gleiche Argumentationsmuster einer in offener Auseinandersetzung unterlegenen Position wendet er auf die "Versteppungs"-Debatte an. Uekötter dient dieses Beispiel im Vorwort zur Konstatierung "bemerkenswerte(r) Freiräume", die innerhalb des NS-Regimes geblieben seien (S. 14). Bemerkenswerte Freiräume? Die "Versteppungs"-Paranoia ist ein politisch völkisch und rassistisch konnotiertes Konstrukt, das nahtlos in die NS-Ideologie passte. Zeller geht es mehr um das Scheitern Seiferts als um die Analyse seines Wirkungsradius und die Verankerung seiner Argumente in der Fachwelt bis 1945 und darüber hinaus. Ein grundsätzliches Problem von Zellers Beitrag liegt in der Begrenzung auf den Zeitraum 1933-1945. Die beschriebenen Auseinandersetzungen führten nämlich gerade nicht zu einem "ergebnislosen Wirrwarr" (S. 294), sondern stellten die Konstitutionsphase der bundes- und DDR-deutschen Landschaftsplanung und Naturschutzorganisation dar.

Andere Autoren gehen von einem NS-Erbe für den Naturschutz aus, ziehen daraus aber keine Schlussfolgerungen für die aktuelle Theorie und Praxis des Naturschutzes. Anna-Katharina Wöbse beschreibt Lina Hähnles Verstrickungen mit dem NS. Sie zeigt die erfolgreichen Bestrebungen Hähnles, die "Gleichschaltung" (S. 316) zu nutzen, alle Konkurrenten auszuschalten und die Vogelschutzgruppen des Landes unter dem Dach des Reichsbundes zu vereinen. Wöbse fordert leider erst in ihrem Schlusssatz eine Auseinandersetzung der heutigen Naturschutzbewegung "mit den Schwachstellen" (S. 328) und vermutet, diese seien "aus einem überhöhten Sendungsbewusstsein bei gleichzeitiger Marginalität und einer falsch gedeuteten apolitischen Haltung" (S. 328) entstanden. Andreas Dix rekonstruiert das Nachkriegskapitel ostdeutscher Landschaftsplanung und stellt als scheinbare Besonderheit fest, dass "trotz der fundamental unterschiedlichen politischen Einbindung" (S. 359) "einige Grundzüge landschaftsplanerischen Wirkens (aus der NS-Zeit) in die DDR hinein erhalten" (S. 353) blieben. Dix kommt in das Dilemma, Kontinuitäten anprangern zu wollen, ohne zwischen dem ideologischen Gehalt der NS-Planungen und ihrer Modernität zu differenzieren. Das Scheitern der landschaftsplanerischen Ansätze in der SBZ/DDR wird außer durch einen Hinweis auf personelle Kontinuitäten kaum geklärt. Die Andeutung, dies liege im stalinistischen System begründet (S. 361f.), bleibt unausgeführt. Es findet sich keine klare Position bezüglich Kontinuitäten/Diskontinuitäten der Landschaftsplanung vom NS zur DDR. Ludwig Fischer behandelt mit Schoenichen nicht nur einen einflussreichen Vertreter des Natur- und Heimatschutzes, der die Orientierung des Naturschutzes an der NS-Programmatik forderte und auch nach 1945 mit "einer notdürftig bereinigten Terminologie" (S. 183) weiter wirkte, sondern weist auch auf die konzeptuelle Kontinuität der "nationalkulturellen" Bedeutung der Ideologie der "Urlandschaft" im Naturschutz nach 1945 hin. Fischer zeigt, dass Schoenichen "Urlandschaft" aus völkischen Gründen schützen will. Traditionelle deutsche Kulturlandschaft repräsentiere das "Heldische" des Deutschen im Kampf gegen die Natur. Fischer deutet hier leider nur an, was an Schoenichens Konzept als Erblast für die heutige Naturschutzpraxis relevant ist: "(D)ie inneren Widersprüche ist ein Naturschutz-Konzept, das 'eigentliche Natur' von ihrer Bedeutung für kulturelle Identität entwirft, auch dort nicht los geworden, wo jedem ideologischen Ballast des Naturverständnisses abgeschworen scheint." (S. 205) Tomas Potthast zeigt, dass und warum es vor 1945 nur schwache Annäherungen zwischen der ganzheitlichen Ökologie und dem Naturschutz gegeben hat, obwohl sie theoretisch-ideologisch bestens zu einander zu passen scheinen (S. 228). Die Ökologie passte sich jedoch "mittels Bezügen zur Biologie als Weltanschauung und vor allem durch Gleichsetzung von 'Lebensgemeinschaft und Lebensraum' mit 'Blut- und Boden' und dem Beharren auf 'Gemeinschaft als Lebensform der Natur' in den NS ein, ohne sich auf der theoretischen Ebene dem biologistisch-deterministischen Rassismus vollständig anzuschließen." (S. 238). Nach 1945 zeigten sich auch in der Ökologie personelle wie konzeptuelle Kontinuitäten. Thienemann und Friedrichs strichen lediglich die "Blut-und-Boden"-Formulierungen; in der Ökologie kam es zunächst nicht zu einem Bruch mit den holistischen Traditionen. Potthast zeigt, dass die ganzheitliche Ökologie - die ja auch heute im Naturschutz eine große Rolle spielt - einen stark außerwissenschaftlichen Gehalt aufweist, der "zutiefst nicht-demokratisch" (S. 254) ist.

Nur vier der achtzehn Autorinnen und Autoren des Tagungsbandes gehen der ursprünglichen Fragestellung der Tagung nach der Erblast für den deutschen Rechtsstaat direkt nach, während sie bei allen anderen bisher besprochenen Beiträgen, wenn überhaupt, nur am Rande berührt wurde. Sie gehen von der These aus, dass Naturschutz und Landschaftsplanung auch heute noch auf den gleichen kulturellen und politisch relevanten Grundgedanken basieren wie vor 1945 und dass diese Grundannahmen offensichtlich anschlussfähig waren an die Ideologie des NS.

Hansjörg Küster stellt deswegen den heutigen Naturschutz in Frage: Die Pflanzensoziologie sei eine deskriptive Methode, aber sie sei nicht dazu geeignet, den "Grad der Natürlichkeit einer bestimmten Vegetation festzulegen" (S. 59). Heute noch gelten "heimische Pflanzen" als Norm im Naturschutz, immer noch ist vom Erreichen einer "Potentiellen natürlichen Vegetation" die Rede. Küster trifft den Nerv des Naturschutzes, wenn er formuliert: "Nur ein totalitärer Staat kann wissen, welche statische Natur er schützen und einrichten will." (S. 63) Jens Ivo Engels diskutiert die Frage, ob das RNG als typisch nationalsozialistisches Gesetz angesehen werden muss. Dabei formuliert er die für die Tagung und den Tagungsband selten deutlich ausgesprochene These einer tatsächlich vorhandenen Erblast und wendet sich damit gegen Klueting und Ditt: "Entgegen der Behauptung vieler Naturschützer, das RNG enthalte nur sachliche Regelungen und sei frei von ideologischem Gedankengut, trugen das Gesetz und die Geschichte seines Zustandekommens deutlich die Züge eines autoritären Regimes." (S. 388) Rüdiger Haufe weist nach, dass einige der heute "wieder entdeckten" ehemaligen Mitglieder des neu gegründeten Bundes Thüringer Heimatschützer Anhänger völkisch-rassistischer Ideen und später der NS-Ideologie waren. Haufe zeigt deutlich, wie problematisch das für die Akzeptanz des heutigen Vereines und seiner Ziele ist und wie sehr sich dieser einer latenten Sympathie mit den Ideen seiner "Altvorderen" verdächtig macht, solange er sich nicht explizit davon distanziert. Auch Stefan Körner beschäftigt sich intensiv mit der Frage nach der Erblast. Er geht auf die "politische konservative" und "zivilisationskritische" Programmierung des Heimatbegriffes (S. 410), der dem frühen Natur- und Heimatschutz zu Grunde lag, ein, und beschreibt anhand von Schönichens Definition des Naturschutzes die "Anschlussfähigkeit" (S. 407) dieses Heimatbegriffes an die Ideologie des NS. Aus dem Nachweis einer gemeinsamen kulturkonservativen weltanschaulichen Basis von NS-Ideologie und frühem Natur- und Heimatschutz kann Körner überzeugend die Nachkriegsentwicklung des deutschen Naturschutzes als Prozess der Verdrängung der eigenen kulturellen Basis interpretieren, nachdem diese durch die Zeit des NS in Misskredit geraten war. Er wirbt daher abschließend für eine offensive Reflexion der eigenen kulturtheoretischen Grundlagen im Naturschutz, um auf der Grundlage einer differenzierenden Begriffsbestimmung ohne Verdrängung der eigenen Erblast zu einem ”progressiven Heimatbegriff” (S. 431) als Basis aktueller Naturschutzpraxis zu kommen. ”Denn nur auf Basis dieser Differenzierung ist erklärbar, dass Landschaft einerseits Symbol konservativer Politik bis hin zu rassistischen Unterdrückungsverhältnissen, andererseits aber auch Symbol einer paradiesisch-sozialistischen Gesellschaft sein kann.” (S. 434).

Das Thema der Erblast des nationalsozialistischen Naturschutzes und seiner völkischen Vorläufer für den aktuellen Naturschutz bleibt brisant. Eine angemessene Auseinandersetzung mit diesem Problem ist auf der Tagung und im daraus entstandenen Tagungsband nur in einzelnen Beiträgen gelungen. Bestimmte Fragen, wie z.B. nach den Opfern im Naturschutz 3, wurden gar nicht oder kaum gestellt. Zudem wurde eine Pointierung der ”erhebliche(n) Unterschiede in den Thesen und Perspektiven” und ”wesentliche(n) Meinungsverschiedenheiten”, wie Uekötter sie einleitend ankündigt (S. 14), die den Diskursrahmen während der Tagung und im Tagungsband eröffnet hätten, letztlich nicht vorgenommen. Auch eine wirksame Formulierung verbindender Leitthesen oder zusammenfassende Gesamtaussagen sucht der Leser vergeblich. Dies mag auch daran liegen, dass die Veranstalter davon ausgingen, dass der NS–Staat geprägt war von ”rivalisierenden Cliquen, Organisationen, Ressorts – und der Natur- und Landschaftsschutz war da keine Ausnahme” (S. 15). Strukturelle Übereinstimmungen oder ideologische Nähe von Naturschutz und Nationalsozialismus, Antisemitismus sowie der Ausschluss jüdischer Naturschützer können auf der Basis einer solchen ”Polykratie-These” nur schwer thematisiert werden.

Ausführlicher Text mit Besprechungen der einzelnen Tagungsbeiträge in: Grüner Weg 31a - Zeitschrift für die Sozial- und Ideengeschichte der Umweltbewegungen, Nr. 56, Sommer 2004. Im Internet: http://de.indymedia.org/2004/11/97926.shtml

Anmerkungen:
1 Vgl. Gröning, Gert; Wolschke-Bulmahn, Joachim, Die Liebe zur Landschaft. Teil III. Der Drang nach Osten. Zur Entwicklung der Landespflege im Nationalsozialismus und während des Zweiten Weltkrieges in den ”eingegliederten Ostgebieten”, Münster 1987; Herlyn, Ulfert; Gröning, Gert (Hgg.), Arbeiten zur sozialwissenschaftlich orientierten Freiraumplanung, Band 9, München 1987. Aktuell: Gröning, Gert, Naturschutz und Nationalsozialismus”, in: Lorenz, Klaus-Peter, Politische Landschaft – die andere Sicht auf die natürliche Ordnung, Duisburg 2002, S. 159-187.
2 Bramwell, Anna, Blood and Soil. Richard Walther Darré and Hitler’s ”Green Party”, Abbotsbrook 1985.
3 Z. B. Dr. Wolf, Benno, Mitarbeiter der Staatlichen Stelle für Naturschutz in Preußen, gestorben im KZ Theresienstadt. Siehe: Natur und Landschaft 9/10 2003, S. 437

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