Berliner Debatte Initial 18 (2007), 6

Titel der Ausgabe 
Berliner Debatte Initial 18 (2007), 6
Weiterer Titel 
Märkte denken

Erschienen
Berlin 2007: Selbstverlag
Erscheint 
6 Ausgaben jährlich
ISBN
978-3-936382-52-5
Anzahl Seiten
144 Seiten
Preis
10 Euro

 

Kontakt

Institution
Berliner Debatte Initial. Sozial- und geisteswissenschaftliches Journal
Land
Deutschland
c/o
Berliner Debatte Initial, PF 580254, 10412 Berlin, Tel.: (+49-331) 977 4540, Fax: (+49-331) 977 4696, E-Mail: redaktion@berlinerdebatte.de; Redaktion: Ulrich Busch, Erhard Crome, Wolf-Dietrich Junghanns, Raj Kollmorgen, Thomas Möbius, Thomas Müller (verantwortlicher Redakteur), Gregor Ritschel, Robert Stock, Matthias Weinhold, Johanna Wischner. Redaktionelle Mitarbeit: Adrian Klein, Benjamin Sonntag.
Von
Müller, Thomas

Keine Frage: Der Markt hat gegenwärtig Konjunktur. Unter dem Eindruck der Globalisierung und ihrer Folgen ist der Markt stärker als je zuvor zu einem Kristallisationspunkt politischer Wertvorstellungen und Handlungskonzepte geworden. In Deutschland setzen fast alle Parteien inzwischen auf den Markt, dem sie neben der Steuerung des privatwirtschaftlichen Waren- und Dienstleistungsverkehrs in zunehmendem Maße auch die Lenkung der öffentlichen Verwaltung und die Distribution öffentlicher Güter zutrauen. Was unter dem Begriff des „Marktes“ dabei jeweils verstanden wird, in welchen Bereichen und unter welchen Bedingungen man auf ihn setzt und welche Ziele man dabei verfolgt, bleibt freilich politisch umstritten. Während die einen die konkurrenzlose Leistungsfähigkeit und Effizienz des Marktes betonen und auf seine spontane Selbstorganisationsfähigkeit vertrauen, verweisen die anderen auf Risiken und Grenzen seiner ungehinderten Entfaltung und fordern staatliche Richtlinien und Kontrollen. Vervollständigt wird die Liste der Kontrahenten schließlich durch die entschiedenen Kritiker der „Marktideologie“, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, unvermeidliche Pathologien des Marktes, wie etwa konjunkturelle Krisen oder strukturelle Arbeitslosigkeit, aufzudecken und die von ihnen ausgehenden Gefahren anzuprangern.

Betrachtet man die diskursiven Auseinandersetzungen um den Begriff des Marktes mit etwas Abstand, so fällt auf, daß vom Markt fast immer nur im Singular die Rede ist. Simplifizierungen und die Reduktion auf Schlagworte gehören nun einmal zur politischen Sprache und sind als solche auch nicht zu beklagen. Daß es den Markt nicht gibt, sondern stets immer nur eine Vielzahl von Märkten, wie Arbeitsmärkte, Bildungsmärkte, Finanzmärkte, Gewaltmärkte u.a.m., kann als bekannt vorausgesetzt werden. Märkte existieren überhaupt nur im Plural. Aber – und hier fangen die theoretisch interessanten Fragen an – was genau sind Märkte eigentlich und wie funktionieren sie? Gehorchen sie nur der Logik von Angebot und Nachfrage, und beruhen sie ausschließlich auf Tauschbeziehungen? Damit nicht genug, es stellen sich weitere Fragen: Was genau wird getauscht? Wer hat Zugang zum Tausch? Wie sind die Rahmenbedingungen und Sicherheiten? Weiterhin ist zu erkunden, wo die Differenz zwischen Markt und Wettbewerb verläuft und ob zum Markt die Geldvermittlung essentiell dazugehört. Wenn man sich der Vielfalt der Märkte auf quasi-phänomenologische Weise nähert, dann wird die geläufige Verwendungsweise des Marktbegriffs fragwürdig, und es erscheint zweifelhaft, ob alle Prozesse und Interaktionsformen, die mit dem Begriff des „Marktes“ belegt werden, auch tatsächlich als Märkte begriffen werden sollten. Die wachsende Zahl begrifflicher Hilfskonstrukte – man denke nur an die Rede von „Quasi-Märkten“ oder von „simuliertem Wettbewerb“ – gibt Anlaß zu der Vermutung, daß hier erheblicher Klärungsbedarf besteht. Licht in die Vielfalt von Märkten und ihre Konzeptualisierung zu bringen, ist das Ziel dieses Heftes.

Eröffnet wird der Schwerpunkt mit einem engagierten Plädoyer von Birger Priddat, der mehr Märkte nicht nur fordert, sondern Innovation als Königsweg zur Erschließung neuer Märkte aufzeigt. Die folgenden vier Autoren sind skeptischer, was die Möglichkeiten des Marktes betrifft. Frank Janning thematisiert durchaus steuerungspessimistisch den Zusammenhang von Marktversagen und Konsumentensouveränität. Kommodifizierungs- und Dekommodifizierungsprozesse von Sozialleistungen mit Blick auf aktuelle bundespolitische Trendwenden diskutiert Friedbert Rüb. Im Anschluß daran erörtert Johannes Bellmann, inwiefern die Marktorientierung im Schulwesen zu Quasi-Märkten und zu Umwälzungen im Schulsystem führt. Eine Ökonomie ganz eigener Art, nämlich die sich wandelnde Kriegsökonomie mit ihren Gewaltmärkten, klopft Klaus Schlichte auf divergierende Effekte ab. Abgerundet wird der Schwerpunkt durch einen Literaturessay zur neuen Soziologie der Märkte (Daniel Schluchter) und eine sowohl dichte als auch streitbare Abhandlung zum Konzept der Verdinglichung, das ja seinerseits zum festen Inventar einer spezifischen Form von Markt- und Kapitalismuskritik gehört (Christoph Henning).

Außerhalb des Schwerpunktes werden zwei Erstübersetzungen von Condorcet präsentiert, die diesen gemeinhin zum rationalistischen Fortschrittsoptimisten gestempelten Philosophen als republikanischen Verfassungstheoretiker und satirischen Stilisten zeigen. Wir hoffen, daß die Mischung von historischen, systematischen und politischen Argumenten Interesse weckt, den Blick auf Märkte schärft und neue Aussichten eröffnet.

Inhaltsverzeichnis

Märkte denken. Zusammengestellt von Harald Bluhm und Karsten Malowitz

Editorial (S. 2-3)

Schwerpunkt: Märkte denken

Harald Bluhm, Karsten Malowitz: Märkte denken – Ideengeschichtliche und ideenpolitische Koordinaten (S. 4-25)

Birger P. Priddat: Mehr Markt: Innovation und emerging markets (S. 26-35)

Frank Janning: Marktversagen und Verbraucherschutz. Die Legitimation politischer Steuerung (S. 36-44)

Friedbert W. Rüb: Vom Wohlfahrtsstaat zu Wohlfahrtsmärkten (S. 45-57)

Johannes Bellmann: Das Monopol des Marktes – Wettbewerbssteuerung im Schulsystem (S. 58-71)

Klaus Schlichte: Die politische Ökonomie des Krieges (S. 72-84)

Daniel Schluchter: Soziologie der Märkte. Ein Literaturessay (S. 85-97)

Christoph Henning: Verdinglichung als Schlüsselbegriff Kritischer Theorie. Zur Antikritik an Axel Honneths Rekonstruktion (S. 98-114)

Condorcet

Daniel Schulz: Condorcets demokratischer Liberalismus (S. 115-126)

Condorcet: Brief eines jungen Mechanikers an die Verfasser des Républicain, 16. Juli 1791 (S. 127-128)

Condorcet: Über die Notwendigkeit, die Verfassung durch die Bürger ratifizieren zu lassen (S. 129-136)

Besprechungen und Rezensionen

Elisabeth Beck-Gernsheim: Die Kinderfrage heute. Über Frauenleben, Kinderwunsch und Geburtenrückgang. Rezensiert von Rudolf Woderich (S. 137-140)

André Steiner (Hg.): Preispolitik und Lebensstandard. Rezensiert von Ulrich Busch (S. 141-144)

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