quest. Issues in Contemporary Jewish History 3 (2012)

Titel der Ausgabe 
quest. Issues in Contemporary Jewish History 3 (2012)
Weiterer Titel 
The Making of Antisemitism as a Political Movement. Political History as Cultural History (1879–1914)

Erscheint 
2 Nummern pro Jahr
ISBN
2037-741X
Preis
frei zugänglich

 

Kontakt

Institution
Quest. Issues in Contemporary Jewish History
Land
Italy
c/o
Fondazione Centro di Documentazione Ebraica Contemporanea via Eupili 8 20145 Milano Italy E-Mail: <mail@quest-cdecjournal.it> Tel.: +39 02.31.63.38; 02.31.60.92
Von
Wyrwa, Ulrich

Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Europa. Politische Geschichte als Kulturgeschichte (1879–1914)

Herausgegeben von Werner Bergmann und Ulrich Wyrwa

Der entscheidende Unterschied zwischen der traditionellen, religiösen Judenfeindschaft und dem Antisemitismus lag zunächst weniger in der rassistischen Ausprägung als vielmehr darin, dass der Antisemitismus zu einer politischen Bewegung wurde. Diese Bewegung trat in die politische Arena, bildete sich als intentionale Gemeinschaft und schuf ihre eigenen politischen Netzwerke. Sie nutzte dabei die zeitgemäßen Medien um politisch gegen Juden zu agitieren, und sie versuchte durch spektakuläre Aktionen die Gesellschaft mit ihren antisemitischen Einstellungen zu durchdringen.

In der neuen Ausgabe der Zeitschrift QUEST werden die politischen Aspekte des Antisemitismus als politischer Bewegung in europäisch vergleichender Perspektive vorgestellt. Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf der Phase der Entstehung des politischen Antisemitismus, die mit der Prägung des Begriffs und dem ersten Auftauchen einer antisemitischen Partei im Jahr 1879 einsetzte und bis zum Ersten Weltkrieg reichte.

Dabei werden die aktuellen Debatten innerhalb der Geschichtswissenschaften über eine neue Politikgeschichte oder die kulturgeschichtliche Erweiterung der Politikgeschichte aufgegriffen um diese für die Antisemitismusforschung fruchtbar zu machen. So wird dezidiert nicht organisationsgeschichtlich nach den antisemitischen Parteien oder den politischen Ideen von Antisemiten gefragt, Themen der konventionellen Politikgeschichte, sondern nach öffentlichen Debatten und ihren Medien, nach der sozialen Praxis, nach symbolischen Vermittlungen, der Rolle von Zeichen und der Bedeutung der Sprache für die politische Agitation.

Diese neue Perspektive auf die Politikgeschichte als Kulturgeschichte erlaubt sowohl ein neues Verständnis dafür, worin das Politische in der Entstehung des Antisemitismus lag, und sie trägt ebenso zur Erkenntnis bei, dass soziale, ökonomische und moralische Konflikte in dieser Zeit der „Great Transformation“ (Karl Polanyi) entscheidenden Einfluss auf die Entstehung des Antisemitismus hatten. So bietet dieser Ansatz ein tieferes Verständnis dafür, wie Juden zu Sündenböcken für die soziale Frage, für die ökonomischen Umwäl-zungen, kulturellen Verwerfungen und sozio-moralischen Verunsicherungen der Zeit werden konnten. Schließlich ermöglicht es dieser Ansatz zu erklären, wie die religiöse Überlieferung der Judenfeindschaft zur Legitimation der neuen antisemitischen Haltungen und Einstellungen instrumentalisiert wurde.

Neben den methodologischen Fragen über die kulturellen Dimensionen des Politischen liegt das wissenschaftliche Interesse auf den europäischen Dimensionen dieser neuen politischen Bewegung. Die zentrale Frage ist, ob und inwiefern der Antisemitismus als ein europäisches Phänomen begriffen werden muss. Wie europäisch war der politische Antisemitismus? Die Beiträge sollen eine Antwort auf die Frage geben, ob von einem europäischen Antisemitismus oder nur von Antisemitismen in Europa gesprochen werden müsse.

Die Texte sind hervorgegangen aus einer Konferenz, die das Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin in Frühjahr 2010 veranstaltet hat und die aus dem Forschungskolleg zur Entstehung des Antisemitismus in Europa (1879-1914) hervorgegangen ist.

Da die angedeutete methodologische Fragestellung für Deutschland, Österreich und Frankreich bereits in zahlreichen Studien und Aufsätzen beleuchtet ist, wurde auf weitere Beiträge zum politischen Antisemitismus in diesen Ländern verzichtet.

Nach der Einführung durch die Herausgeber und einem Überblick zur christlichen Vorgeschichte des politischen Antisemitismus durch Victor Karady werden zunächst die Parlamentsdebatten in Rumänien hinsichtlich der Stellung der Juden in der Gesellschaft vorgestellt (Silvia Marton, Iulia Onac), daraufhin werden die öffentlichen Debatten und die Rolle antisemitischer Medien in Bulgarien (Veselina Kulenska), Kongresspolen (Maciej Moszyński) und Großbritannien (Susanne Terwey) untersucht. Es folgen Beiträge über politische Aspekte des Antisemitismus im Zarenreich (Theodore R. Weeks), in der Zivilgesellschaft der Stadt Göteborg (Christoph Leiska), im slowakischen Oberungarn (Miloslav Szabó) und ländlichen Litauen (Klaus Richter). Fragen zur Brisanz des Antisemitismus im politischen Katholizismus werden am Beispiel von Kroatien-Slawonien (Marija Vulesica), des habsburgischen Galizien (Tim Buchen) und der Stadt Mantua (Ulrich Wyrwa) diskutiert, und die Politik antisemitischer Gewalt wird an den russischen Pogromen von 1905 sowie den Ritualmord-Krawallen auf der griechischen Insel Korfu im Jahr 1891 thematisiert. Dem folgt eine Bilanz zum politischen Antisemitismus in europäisch vergleichender Perspektive, in der zugleich offene Fragen und methodologische Fallstricke der Antisemitismusforschung diskutiert werden (Reinhard Rürup).

Am Ende des Thementeils stehen zwei Bildergalerien, in denen zumindest abschließend im Medium ikonographischer Quellen zwei Aspekte des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich präsentiert werden sollen. Einmal antisemitische Aufkleber als Quellen zur Alltagsgeschichte des Antisemitismus (Isabel Enzenbach) und schließlich Karikaturen über deutsche und österreichische Antisemiten (Ulrich Wyrwa).

Inhaltsverzeichnis

TABLE OF CONTENTS

Focus

The Making of Antisemitism as a Political Movement. Political History as Cultural History (1879-1914)
edited by Werner Bergmann, Ulrich Wyrwa

Political Antisemitism and its Christian Antecedent. Trying to Make Sense of Nonsense
by Victor Karady

Designing Citizenship. The “Jewish Question” in the Debates of the Romanian Parliament (1866-1869)
by Silvia Marton

Romanian Parliamentary Debate on the Decisions of the Congress of Berlin in the Years around 1878–1879
by Iulia Maria Onac

The Antisemitic Press in Bulgaria at the End of the 19th Century
by Veselina Kulenska

“A quarter of a century of struggle” of the Rola Weekly. “The great alliance” against the Jews.
by Maciej Moszyński

British Discourses on ‘the Jew’ and ‘the Nation’ 1899–1919
by Susanne Terwey

Middle-class Gothenburg, Jewish Participation, and the Limits of Liberal Tolerance 1870–1900
by Christoph Leiska

Russians, Jews, and Poles: Russification and Antisemitism 1881–1914
by Theodor R. Weeks

“Because words are not deeds.” Antisemitic Practice and Nationality Policies in Upper Hungary around 1900
by Miloslav Szabó

Antisemitism, “Economic Emancipation” and the Lithuanian Co-operative Movement before World War I
by Klaus Richter

How Antisemitic was the Political Catholicism in Croatia-Slavonia around 1900?
by Marija Vulesica

“Learning from Vienna Means Learning to Win”: the Cracovian Christian Socials and the ‘Antisemitic Turn’ of 1896
by Tim Buchen

Antisemitic Agitation and the Emergence of Political Catholicism in Mantua around 1900
by Ulrich Wyrwa

Jewish Self-Defense and Black Hundreds in Zhitomir. A Case Study on the Pogroms of 1905 in Tsarist Russia
by Stefan Wiese

Antisemitic Rumours and Violence in Corfu at the End of 19th Century
by Maria Margaroni

Anti-Jewish Prejudices, Antisemitic Ideologies, Open Violence: Antisemitism in European Comparison from the 1870s to the First World War. A Commentary
by Reinhard Rürup

The Image of Antisemites in German and Austrian Caricatures
by Ulrich Wyrwa

Stamps, Stickers and Stigmata. A Social Practice of Antisemitism Presented in a Slide-show
by Isabel Enzenbach

Discussion

M. Flores, S. Levis Sullam, M.-A. Matard-Bonucci, E. Traverso (a cura di)
Storia della Shoah in Italia. Vicende, memorie, rappresentazioni
Contributions by Franklin H. Adler and Guri Schwarz

Reviews

Limes. Rivista italiana di geopolitica. “Israele più solo, più forte”
by Arturo Marzano

András Kovács
The Stranger at Hand. Antisemitic Prejudices in Post-Communist Hungary
by Adam Kerpel-Fronius

Vladas Sirutavičius, Darius Staliūnas (eds.)
A Pragmatic Alliance. Jewish-Lithuanian Political Cooperation at the Beginning of the 20th Century
by Klaus Richter

Luigi Reale
Mussolini's Concentration Camps for Civilians. An insight into the nature of fascist racism,
by Matteo Stefanori

Filippo Petrucci
Gli ebrei in Algeria e in Tunisia, 1940–1943
by Daniela Melfa

Jeffrey Veidlinger
Jewish Public Culture in Late Imperial Russia
by Elissa Bemporad

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