3. Promovierendentage zur deutschen Zeitgeschichte nach 1945. Methoden, Inhalte und Techniken im Umgang mit ,Streitgeschichte'

3. Promovierendentage zur deutschen Zeitgeschichte nach 1945. Methoden, Inhalte und Techniken im Umgang mit ,Streitgeschichte'

Organisatoren
Institut für Hochschulforschung Wittenberg – Hof Wittenberg an der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg und Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Ort
Wittenberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.07.2007 - 22.07.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Anne Krüger, Berlin

Wird Wittenberg zur „Kaderschmiede DDR-Forschung“? Diese Frage drängt sich auf, fanden doch dort vom 19. bis zum 22. Juli 2007 bereits zum dritten Mal die „Promovierendentage zur deutschen Zeitgeschichte nach 1945“ statt. Veranstalter waren das Institut für Hochschulforschung der Martin-Luther-Universität Halle/ Wittenberg und die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. 1 Wiederum trafen in der Stiftung Leucorea Nachwuchsforscherinnen und -forscher der deutsch-deutschen Zeitgeschichte zusammen. Sie vermittelten Einblicke in ihre aktuelle Arbeit und knüpften am dringend erforderlichen Netzwerk innerhalb der Forschungslandschaft.

Die Promovierendentage in Wittenberg zeichnen sich dadurch aus, dass sie über den rein fachlichen Austausch hinausgehen. Denn Wissenschaft baut auch auf dem Schreiben und Präsentieren von Forschung auf. Vor allem jedoch basiert jedes Projekt auf Techniken, die es überhaupt erst ermöglichen, das eigene Forschungsvorhaben zu realisieren. Bevor es jedoch um die Orientierung im eigenen Promotionsprojekt gehen sollte, sorgte Peer Pasternack (Leipzig/ Wittenberg) für Orientierung in der Lutherstadt Wittenberg. In seiner Stadtführung „Wittenberg als Geschichtsinszenierung“ brachte er den Teilnehmern den Tagungsort näher. Indem er ihnen einen Blick hinter die historisierenden Fassaden bot, ging er auf die Geschichte dieser Art der „Inszenierung“ und die dahinter liegenden Fakten ein.

I. Erfahrungen mit dem Alltag der SED-Diktatur

Dass sich an „Alltag“ als eigenem Forschungsgegenstand die Geister scheiden, zeigte sich gerade jüngst wieder in den Kontroversen um den Bericht der „Sabrow-Kommission“. Zentraler Streitpunkt war hierbei der Vorwurf, die Konzentration auf den Alltag rücke die entscheidenden Dimensionen der DDR – Terror und Repression – an den Rand. Die Kritik fokussierte sich dabei vor allem auf eine der Empfehlungen des Berichtes: den Alltag in der DDR in das Zentrum von Forschung und gesellschaftlicher Aufarbeitung zu rücken. Gegner dieses Vorschlags befürchteten hierdurch eine „Homöopathisierung“ (Ines Geipel), Ergebnis wäre ein „Weichspülen“ der DDR-Geschichte (Jochen Staadt).2

Zum Auftakt der Promovierendentage waren deshalb Christoph Kleßmann (Potsdam) und Günther Heydemann (Leipzig) nach Wittenberg eingeladen worden, um über die immer noch existierende Kluft zwischen Herrschaftsgeschichte auf der einen und Alltagsgeschichte auf der anderen Seite zu diskutieren. Beide Wissenschaftler verwiesen zunächst darauf, dass diese Debatte bereits in den 1980er-Jahren geführt wurde. Damals hatte die Gründung der Geschichtswerkstätten, deren methodologischer Ansatz der oral history darauf basierte, die Erfahrungen der Menschen zum Forschungsgegenstand zu erheben, für Kontroversen gesorgt.

Insgesamt habe der Ansatz einer „Geschichte von unten“, so Kleßmann, zeigen können, dass Repression sich vor allem in alltäglichen Erfahrungen widerspiegelt. Eine Trennung von Herrschaft und Alltag sei dementsprechend nicht möglich. Gleichzeitig betonte Kleßmann jedoch auch, dass Herrschaft nicht nur durch Repression gesichert werde. Nach und nach habe das „sowjetische Produkt DDR“ Bindekräfte entwickelt, die die Loyalität der Bevölkerung gesichert haben. Es sei ein Rückschritt, diese Loyalität allein mit dem im Neumann-Papier genannten „Angst-Anpassungssyndrom“ aufgrund von Repression zu erklären. 3 Um Erinnerung und damit auch die Forschung anschlussfähig zu gestalten, müssten gerade diese ambivalenten Erfahrungen der Bürger zwischen persönlichem Vorteil und verschiedenartig erlebter Repression berücksichtigt werden.

Heydemann unterstrich in Bezug auf diese streitgeschichtliche Debatte die Max Webersche Anforderung der Wertneutralität in der Wissenschaft. Gleichzeitig sei jeder Forscher standortgebunden. Dies müsse besonders in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Diktaturen auch deutlich werden. Geschichtswissenschaft habe die Verpflichtung, in der Beschäftigung mit autoritären Systemen immer auch einen „normativen Bodensatz“ zugrunde zu legen. Um die Öffentlichkeit zu erreichen, dürfe die Geschichtswissenschaft deshalb auch mal „banal“ sein. Die Popularisierung von Forschungsinhalten wirke aufklärend, da auf diese Weise dazu beigetragen werde, das Interesse der Bevölkerung an zeitgeschichtlichen Themen zu steigern.

Hier traf es sich gut, dass Stefan Rhein, Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten 4, im Publikum saß. Er berichtete über den enormen Besucherzuwachs des Museums, seitdem die Entdeckung von „Luthers Toilette“ publik geworden sei. Damit gab er ein Beispiel für den Erfolg von Popularisierung, da diese Entdeckung – so banal sie auch scheinen möge – das Luther-Haus weit über die Grenzen von Wittenberg hinaus bis in die USA bekannt gemacht habe.

II. Forschung publizieren und präsentieren

Das Potential von Popularisierung war ebenfalls Thema der Diskussion um das neue Zeitgeschichtsprojekt „einestages“ von Spiegel Online. 5 Mit seiner Präsentation dieses zeithistorischen Mitmach-Webs warb der Spiegel Online-Redakteur Florian Harms (Hamburg) bei den Promovierenden darum, die hier gebotene Chance zur Präsentation des eigenen Projekts zu ergreifen und als Autor zu diesem Portal beizutragen. Die Idee von „einestages“ ist, es den Nutzern selbst zu ermöglichen, Texte, Bilder, Tondokumente und Videos zu Themen der Zeitgeschichte einzubringen und mit anderen Nutzern über alle veröffentlichten Themen und Dokumente zu diskutieren. Zwar wurde der erklärte Versuch von Spiegel Online, mit dieser multimedialen Sammlung unterschiedlichster Beiträge eine „kollektive Erinnerung“ schaffen zu wollen, durchaus kritisch gesehen. Doch stieß die Möglichkeit, in diesem Portal über das eigene Thema zu publizieren und es damit einer breiten Öffentlichkeit jenseits der reinen Fachwelt zu präsentieren, bei den Nachwuchswissenschaftlern auf reges Interesse.

Einen weiteren innovativen Weg, zeitgeschichtlich zu publizieren, stellte Jan-Holger Kirsch (Potsdam), Redakteur bei Zeitgeschichte-online 6, vor. Hierbei rückte er zunächst das wissenschaftliche Schreiben als solches in das Zentrum seines Vortrags. Diese Fähigkeit sei der fundamentale Kern jeglichen wissenschaftlichen Arbeitens. Erst im Prozess des Schreibens realisiere sich Forschung – so seine These. Schreiben als „wissenschaftliche Textproduktion“ könne dabei auch durch visuelle und audiovisuelle Elemente erweitert werden. Zeitgeschichte-online bietet hierfür die Möglichkeit, durch textfremde Medien wie beispielsweise Videos oder Tondokumente Inhalt und Aussage des reinen Texts zu erweitern und dadurch den Weg zu „experimentellen Formen der Zeitgeschichtsschreibung“ zu öffnen.

Wie stelle ich mein Projekt so dar, dass es nicht nur für alle verständlich ist, sondern zudem noch das Interesse des Publikums weckt? Diese zentrale Frage war Gegenstand des Vortrags „Elemente einer guten Einleitung“ von Jens Saadhoff (Dresden). Die Highlights des eigenen Themas zu erkennen, sei eine fundamentale Voraussetzung für einen guten Vortrag. Die persönliche Leidenschaft für das eigene Projekt müsse in einem Vortrag deutlich werden. Nur wer sich selbst hierfür die entscheidenden Fragen stelle, könne auch im Publikum Interesse wecken und die Relevanz des Themas transportieren. Gleichzeitig berichtete Saadhoff, der 2005 an den 1. Promovierendentagen teilgenommen hatte, über seinen Berufseinstieg als selbständiger Trainer und Kommunikationsberater 7 und bot damit auch ein Beispiel für den weiteren Weg nach der Promotion.

III. Der Weg zur erfolgreichen Promotion

Der konkrete Forschungsalltag war Thema in den beiden Erfahrungsberichten von Wolfgang Lambrecht (Chemnitz) und Fabian Klabunde (Hamburg), die jeweils als Morgenrunde konzipiert waren. Lambrecht und Klabunde, beide bereits Teilnehmer der vorangegangenen Promovierendentage, nutzten diesen informellen Rahmen zu einem eigenen Beitrag, in dem sie ihren Forschungsalltag thematisierten und so einen Erfahrungsaustausch unter den Doktoranden anregten. Wolfgang Lambrecht erzählte in seinem Bericht „Wie wird man fertig?“ von seinem persönlichen Weg zur Promotion, den verschiedenen Krisen und Höhepunkten, die den Verlauf gekennzeichnet haben. „Wohin mit den Daten?“ fragte Fabian Klabunde und bot im Anschluss daran auch gleich einige Lösungsmöglichkeiten in Form von unterschiedlichen Datenbanken zur Literaturverwaltung.

Doch steht man im Forschungsalltag vor allen Dingen jeden Tag erneut wieder vor der Frage, welchen Arbeitsschritt man als nächstes zu bewältigen hat. Lässt sich hier mit gezieltem Coaching der „Weg zur erfolgreichen Promotion“, so der Titel des diesjährigen Workshops, finden? Anja Frohnen (Impulsplus, Köln) bot Grundregeln und Techniken des Projektmanagements, erläuterte unterschiedliche Arbeitstypen und stellte verschiedene Arbeitsphasen vor, die jeder Promovierende auf dem Weg zum erfolgreichen Abschluss durchquert. 8 Zwar kann Coaching nicht den erfolgreichen Weg detailgenau vorzeichnen. Doch regte Frohnen mit ihren Ratschlägen und Tipps zum Nachdenken über die weiteren Arbeitsschritte an.

Der Weg der Promotion war auch das Thema der Stellvertreterpräsentationen. Ein Schiff mit Kurs auf „El doktorado“ oder eine Eisenbahn bepackt mit Quellenmaterial – mit viel Kreativität wie auch mit Bezug zum jeweiligen Promotionsthema visualisierten die Teilnehmer die für die Stellvertreterpräsentation gestellte Aufgabe: In Anlehnung an den Workshop sollte dieses Mal versucht werden, stellvertretend für den jeweiligen Partner darzustellen, wie in den letzten sechs Monaten seine Arbeitsphasen an der Promotion verlaufen sind. Daran anschließend sollte der Stellvertreter einen Sechs-Monats-Fahrplan für den weiteren erfolgreichen Projektverlauf seines Partners entwerfen. Dazu waren wie bereits in den letzten beiden Jahren zu Beginn der Tagung Stellvertreterpaare gebildet worden. Hinter dem Konzept des Stellvertreters steht der Ansatz, den Austausch zwischen den Doktoranden sowohl über die Inhalte als auch besonders über ihre Rahmenbedingungen des Promovierens zu fördern.

IV. „Kaderschmiede DDR-Forschung?“

Jenseits von Austausch über Inhalt und Rahmenbedingungen des Promovierens wurde auf den 3. Promovierendentagen in Wittenberg auch nach der konkreten Situation von Promovierenden in der DDR-Forschung gefragt. Jens Hüttmann (Berlin) stellte dazu erste Ergebnisse der von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur beauftragten empirischen Studie „Kaderschmiede DDR-Forschung?“ vor. Inhalt der Studie ist eine Bestandsaufnahme zu Situation, Inhalten und Perspektiven von Promovierenden im zeitgeschichtlichen Forschungsfeld der DDR-/Deutschlandforschung. Teil der Untersuchung ist eine Momentaufnahme aktuell laufender oder jüngst abgeschlossener Promotionen, die Forschungstrends widerspiegelt und erstmals empirisch deutlich macht, in welchem Umfang und anhand welcher Themen sich die Promovierenden der DDR-/Deutschlandforschung annehmen. Deutlich zeigt sich eine überproportionale Repräsentanz von ostdeutschen Promovierenden und seit einschließlich 2002 Promovierten. 50 Prozent der Befragten gaben in dem Online-Fragebogen an, (mindestens) die ersten vier Schuljahre lang eine Schule in Ostdeutschland besucht zu haben. Dies lässt vermuten, dass persönliche Betroffenheit für die DDR-Forschung eine wichtige Rolle spielt.

Die Studie verdeutlicht aber noch eine andere Tatsache, die sich auch auf den 3. Promovierendentagen zeigte: Vernetzung ist wichtig und wird nachgefragt. Nicht zuletzt aus diesem Grund fanden sich in Wittenberg in diesem Jahr zum wiederholten Mal Doktoranden ein, die bereits in den Vorjahren an den Promovierendentagen teilgenommen hatten. Dennoch waren die Promovierendentage auch wieder offen für neue Teilnehmer – nicht nur aus der DDR-Forschung. Denn das Ziel der Promovierendentage ist es, den Austausch zwischen den unterschiedlichen Forschungsfeldern, insbesondere auch der Forschung zur Bundesrepublik, voranzubringen. Um diese Vernetzung auch weiterhin zu fördern, sind die 4. Promovierendentage für 2008 bereits in Planung.

Anmerkungen:
1 siehe Tagungsberichte:
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=848;
http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1283;
Muhle, Susanne; Schröter, Kathleen, Über die Lust und Last des wissenschaftlichen Schreibens. 2. Promovierendentage zur deutschen Zeitgeschichte, Wittenberg 6.–9. Juli 2006, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 9 (2006), S. 799–802.
2 vgl. Lüdtke, Alf, Alltag: Der blinde Fleck?, in: Deutschland Archiv 5 (2006), S.894-901. Vgl. auch die Dokumentation der Debatte "Zur Zukunft der Aufarbeitung der SED-Diktatur", in: Zeitgeschichte-online, Materialien zum Votum der Expertenkommission Aufarbeitung SED-Diktatur, Mai 2006. URL:<http://www.zeitgeschichte-online.de/md=Votum-Expertenkommission>.
3 „Verantwortung wahrnehmen, Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen“; (Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption gemäß Koalitionsvertrag vom 11.11.2005 zur Vorlage an den Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages); Entwurf (Stand: 22.06.2007); http://www.bundesregierung.de/nsc_true/Content/DE/Artikel/2007/07/Anlage/2007-07-05-diskussionsentwurf-gedenkstaettenkonzept,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/2007-07-05-diskussionsentwurf-gedenkstaettenkonzept
4http://www.martinluther.de/cgi-bin/vm/luther
5 Arbeitstitel des neuen Zeitgeschichtsportals bei Spiegel Online; ab September 2007 online
6http://www.zeitgeschichte-online.de/
7http://www.q-mon.de/
8 www.akademische-karriere.de

Kontakt

Anne Krüger

HoF Wittenberg
Collegienstr. 62
06886 Wittenberg

0176-29539311

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