1. Promovierendentage zur deutschen Zeitgeschichte. Methoden, Inhalte und Techniken im Umgang mit ‚Streitgeschichte’

1. Promovierendentage zur deutschen Zeitgeschichte. Methoden, Inhalte und Techniken im Umgang mit ‚Streitgeschichte’

Organisatoren
Institut für Hochschulforschung Wittenberg – HoF Wittenberg an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Kooperation mit der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin
Ort
Wittenberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.07.2005 - 31.07.2005
Url der Konferenzwebsite
Von
Anne Krüger, Berlin

1.Promovierendentage zur deutschen Zeitgeschichte

Veranstalter: Institut für Hochschulforschung Wittenberg – HoF Wittenberg an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Kooperation mit der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin

Datum, Ort: 28.-31.07 2005, Stiftung Leucorea, Wittenberg

Rund 25 NachwuchswissenschaftlerInnen, die sich mit der Geschichte der Bundesrepublik und/oder der SBZ/DDR im Rahmen einer gesamtdeutschen Perspektive befassen, waren der Einladung in die Stiftung Leucorea 1 in Wittenberg gefolgt. Ziel der ersten „Promovierendentage zur deutschen Zeitgeschichte. Methoden, Inhalte und
Techniken im Umgang mit ‚Streitgeschichte’" sollte es sein, durch einen inhaltlichen und persönlichen Austausch dem wissenschaftlichen Nachwuchs bereits im Stadium des Promovierens die Möglichkeit zu geben, eigene Netzwerke zu knüpfen. Daneben sollte vor allem auf Methoden und Techniken des Schreibens einer Dissertation eingegangen werden. Damit wollten die Organisatoren Jens Hüttmann (HoF Wittenberg), Ulrich Mählert (Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin) und Peer Pasternack (HoF Wittenberg) den Promovierenden nicht nur einen thematischen Austausch, sondern auch die Diskussion von Problemen und Krisen ermöglichen.

Eine Podiumsdiskussion zu den „Perspektiven der deutschen Zeitgeschichtsforschung nach 1945“ gab den thematischen Rahmen der Tagung vor. Hier sollte insbesondere der allgemeine Stand der Zeitgeschichtsforschung mit Bezug auf die DDR-Geschichtsforschung erörtert werden. An der Diskussion nahmen Sigrid Meuschel (Universität Leipzig), Christoph Kleßmann (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam), Hermann Wentker (Institut für Zeitgeschichte, Abteilung Berlin) und Dorothee Wierling (Forschungsstelle für Zeitgeschichte, Hamburg) teil. Moderiert wurde die Podiumsveranstaltung von Tillmann Bendikowski (Medienagentur Geschichte, Hamburg).
Eröffnet wurde die Diskussion mit dem Verweis auf die These Ulrich Herberts 2, der die deutsche Zeitgeschichte als „Hegemon“ der Geschichtswissenschaft wenn nicht gar der Geisteswissenschaft überhaupt bezeichnet. Diese These stieß bei den Diskutierenden auf allgemeine Zustimmung, wenngleich die Tatsache an sich kritisiert wurde. Wentker kritisierte die Dominanz der Zeitgeschichte, weil sie ihm wegen ihres ausschließlichen Gegenwartsbezugs als methodisch problematisch gilt. Meuschel konstatierte zudem, dass ein über den Zeitrahmen des 20. Jahrhunderts hinausgehendes Wissen bei vielen Studenten derzeit kaum noch vorhanden sei.
Bendikowski lenkte den Fokus der Diskussion auf die Frage nach der gegenwärtigen Situation der DDR-Forschung. Im Gegensatz zum Forschungsboom der 90er-Jahre, die durch eine äußerst problematische Verquickung von Wissenschaft und Politik gekennzeichnet war, ist heute ein „hohes Maß an Selbstreferenzialität“ in der DDR-Forschung zu beobachten.3 Auch Kleßmann warnte vor wissenschaftlicher „Kleinteiligkeit“, die dazu führe, dass die Forscher unter sich blieben. Verwiesen wurde auch darauf, dass immer noch weitgehend komparative und interdisziplinäre Ansätze fehlten.
An diesem Punkt stellte sich die Frage, welche methodischen und theoretischen Ansätze geeignet wären die Geschichte der SBZ/DDR zu untersuchen. Während Meuschel sich aufgrund fehlender integrierender Momente der beiden deutschen Nachkriegsstaaten für einen Diktaturvergleich aussprach, in dessen Rahmen Nationalsozialismus und DDR als „zwei paradigmatische Irrwege in die Moderne“ zu interpretieren seien, widersprachen ihr Kleßmann und Wierling in diesem Punkt. Beide sehen durch die vielfältigen Erfahrungen der Menschen in Ost und West die Grundlage für eine „Beziehungsgeschichte“ gelegt. Die entscheidende Frage schien jedoch, wie eine solche Vergleichsgeschichte zu analysieren ist. Während Kleßmann die Geschichte beider deutscher Nachkriegsstaaten als asymmetrisch verflochtene Parallelgeschichte sieht, betonte Wentker den Kontrast zwischen den beiden deutschen Staaten. Einigkeit gab es darüber, dass in der DDR-Forschung Ansätze gefunden werden müssen, die ihr aus der puren Beschäftigung mit sich selbst heraushelfen. Dies müsse zumindest im deutsch-deutschen Vergleich wenn nicht sogar auf transnationaler Ebene geschehen.

Der stark praxisbezogene Teil der Tagung wurde am Freitag mit dem Seminar „Geschichte erzählen. Erfahrungen mit guten und schlechten Büchern“ von Tillmann Bendikowski eröffnet. Der freiberuflich tätige Historiker und Journalist berichtete zunächst von beruflichen Möglichkeiten außerhalb einer akademischen Laufbahn. Anhand konkreter Beispiele verdeutlichte Bendikowski dann Schwächen und Stärken von historischen Publikationen, um die Teilnehmer für das Schreiben eigener Veröffentlichungen zu sensibilisieren. Analysiert und diskutiert wurden auch die konkreten Vermarktungsstrategien einzelner Verlage.

Im Anschluss daran informierte der Verleger und Historiker Jörg Meidenbauer (Martin Meidenbauer Verlagsbuchhandlung, München) über unterschiedliche Möglichkeiten, die eigene Dissertation zu veröffentlichen. Im Vordergrund seines Vortrags stand die Gegenüberstellung der Publikation im Internet oder in einem Verlag. Der schnellste Weg zum Doktortitel ist der über die Veröffentlichung auf dem Dokumentenserver einer Hochschule. Eine breitere Leserschaft innerhalb der Fachdisziplin (im Gegensatz zu den durch schnelle „Verfallszeiten“ gekennzeichneten und daher auf absolute Aktualität bedachten Naturwissenschaften) ist dagegen bei einer Buchpublikation zu erwarten. Für die Realisierung einer Veröffentlichung in einem Verlag folgten praktische Hinweise, die einen Einblick in Kosten, Rechtsfragen und über den reinen Druck hinausgehende Leistungen der Verlage boten.

Unter dem Titel „Information overload: Metadaten und Hypertext als virtuelle Lösung? Ein Praxisbericht“ informierte Maren Brodersen (Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam) über Zugriffsmöglichkeiten für Zeithistoriker/innen im Internet. Als Redakteurin des Informations- und Kommunikationsnetzwerks für Historiker/innen H-Soz-u-Kult gab sie einen Einblick in aktuelle Internetressourcen (Zeitschriften, Oral-History-Sammlungen, Bibliotheksportale und thematische Websites) und die damit verbundenen Recherchemöglichkeiten. In ihrem Vortrag zeigte Brodersen Möglichkeiten, die Informationsflut des Internets einzudämmen und eine fachspezifische Suche zu systematisieren. Dabei dienten die Website von H-Soz-u-Kult, die Portale Clio-online und Zeitgeschichte-online sowie die elektronische Zeitschrift „Zeithistorische Forschungen“ als Beispiele für Informations- und Serviceleistungen der Zunft. Das größte Problem für die Bewältigung der Informationsflut bzw. für eine systematische Suche im Internet ist, nach Brodersen die fehlende Verwendung von verbindlichen Metadaten für die Klassifizierung von Internetressourcen. Standardregeln, die die Suche nicht nur vereinfachen, sondern auch eine Spezifizierung des Gesuchten durch eine Verknüpfung verschiedener Suchanfragen ermöglichen, wären hier hilfreich, die Verknüpfung verschiedener Datenbankangebote über eine Metasuche sind ein erster Schritt in Richtung Problemlösung.

Am dritten Tag der Tagung sollten praxisbezogene Informationen vermittelt und diskutiert werden. Die aktive Mitarbeit der Teilnehmer wurde bereits zwei Tage zuvor garantiert, durch die Bildung so genannter „Stellvertreterpaare“. In individuellen Zweiergesprächen hatten diese „Stellvertreterpaare“ am Freitag die Möglichkeit, sich sowohl über das jeweilige Forschungsprojekt des Partners als auch über ihre persönlichen Rahmenbedingungen und Erfahrungen des Promovierens auszutauschen. Während dieses Austauschs sollte das eigene Promotionsvorhaben so erklärt werden, dass es vom jeweiligen „Stellvertreter“ am Samstagnachmittag den anderen Teilnehmern präsentiert werden konnte. An dieser Stelle wurden die gesammelten und allen Teilnehmern zugänglich gemachten „Fundstücke“ einbezogen. Jeder Teilnehmer war im Vorfeld aufgefordert worden, ein für seine Arbeit relevantes Dokument, Tonbeispiel, Bild etc. mit einer kurzen Erklärung einzusenden, um so die Beschäftigung mit dem jeweiligen Thema schon einmal zu ermöglichen. Alle Teilnehmenden hatten diese „Fundstücke“ vorab auf einer CD-Rom erhalten.

Um Anregungen und Hilfestellung für diese „Stellvertreterpräsentation“ zu geben, wurde zunächst ein Workshop zum Thema „Wissenschaftliche Vorträge halten“ von der Sprechwissenschaftlerin Kati Hannken-Illjes (FU Berlin) angeboten. Sie legte den Teilnehmern nahe, dass es keinen „Königsweg“ des Präsentierens gebe. Um in der Situation des Vortragens entspannt reden zu können, komme es daher darauf an, für sich die individuell passende und den Rahmenbedingungen angemessene Haltung zu finden.
Die anschließenden „Stellvertreterpräsentationen“ dienten den Promovierenden einerseits als methodische Übung, um ein neues, fremdes Thema knapp darzustellen. Gleichzeitig bot sich hier die Gelegenheit, über das eigene Thema hinauszuschauen. So zeigte sich in den anschließenden Gesprächen, dass trotz thematischer Unterschiede immer wieder Schnittstellen und Anknüpfungspunkte in den Arbeiten der Anderen gefunden werden konnten. Diskutiert wurde auch die individuelle Situation der Promovierenden, wobei es um Fragen der Finanzierung, der Quellenlage oder der Einbindung in wissenschaftliche Projekte und Netzwerke ging. Generell bestand großes Interesse sowohl an den Forschungsthemen – trotz bzw. gerade wegen der Themenvielfalt – als auch an den Problemen der Mitpromovierenden. Es zeigte sich, dass das explizite Angebot dieser Tagung, sich produktiv mit „Gleichgesinnten“ auszutauschen, angenommen und genutzt wurde.

Abgeschlossen wurde der Tag durch eine Exkursion zum „Haus der Geschichte“ in Wittenberg, wo Christel Panzig (PFLUG e.V., Wittenberg) eine Führung durch die Dauerausstellung „Alltag in der DDR“ und das Zeitzeugenarchiv des PFLUG e.V. bot. Die Ausstellung versucht das Alltagsleben in der DDR durch die Rekonstruktion von Wohnmilieus widerzuspiegeln. Diese sehr naturalistische Inszenierung von DDR-Geschichte ließ bei einigen Teilnehmern Erinnerungen aufkommen und trug gleichzeitig dazu bei, sich mit den Problemen einer um Authentizität bemühten Darstellung von Geschichte auseinanderzusetzen.

Bereits im Verlauf der Tagung hatte vor Beginn der jeweiligen Veranstaltungen eine „Morgenrunde“ stattgefunden, die von den Promovierenden dazu genutzt worden war, Probleme und Krisen des Promovierens (wie z.B. die „Materialkrise“ oder die „Relevanzkrise“) anzusprechen und eigene Erfahrungen und Hilfestellungen beizusteuern. In der letzten „Morgenrunde“ am Sonntag gab Jens Hüttmann einen Einblick in eine Studie von THESIS, einem interdisziplinären Netzwerk für Promovierende, über die Situation der Promovierenden in Deutschland. Die Studie benennt die Betreuungszufriedenheit als Schlüsselvariable für den erfolgreichen Abschluss oder aber den Abbruch der Dissertation. Beanstandet wurden vor allem das hohe Alter der Promovierenden und eine schlechte Betreuungssituation. Trotz aller Reformen herrsche immer noch das konventionelle Meister/Schüler-Modell vor. Eine Alternative könnten neue Promotionsmodelle mit stärkerer Vernetzung thematisch verwandter Forschungsthemen sowie ein höherer Grad an Internationalität und Interdisziplinarität darstellen.

Fazit:
In Wittenberg hat sich an diesem letzten Juliwochenende eine sehr heterogene Gruppe von Promovierenden zusammengefunden. Unterschiede bestanden nicht nur in der jeweiligen Fachrichtung und den konkreten Themen. Die individuellen Rahmenbedingungen der Teilnehmer waren äußerst unterschiedlich. Doch bot gerade diese Heterogenität die Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen. Vor allem deshalb fand die Tagung bei allen Promovierenden eine positive Resonanz. Große Zustimmung fanden – auch wenn die einzelnen Veranstaltungen in ihrer Relevanz verschieden bewertet wurden – die erbrachten „Dienstleistungen“ für Promovierende anstelle einer rein fachlichen Diskussion. Der Austausch unter den Teilnehmern über Methoden, Theorie und Recherchemöglichkeiten auf der einen und über finanzielle und wissenschaftliche Rahmenbedingungen, persönliche Erfahrungen und Krisen auf der anderen Seite wurde als sehr positiv bewertet. Der Bedarf nach Austausch und Vernetzung besteht ebenso wie der Wunsch nach einer Wiederholung der Promovierendentage, eines regelmäßigen Austauschs und weiterführender Kolloquien. Eine Fortsetzung ist geplant.

Anmerkungen:
1 Stiftung des öffentlichen Rechts an der Martin-Luther-Universität Halle–Wittenberg, die an die Tradition der bis 1817 bestehenden Universität Wittenberg anknüpft. Die Leucorea wurde 1994 gegründet. Für weitere Hinweise vgl. http://www.leucorea.uni-halle.de/ [Zugriff am 8.8.2005].
2 Ulrich Herbert (2004), Nach den Katastrophen. Entwicklungsstand und Perspektiven der deutschen Zeitgeschichtsforschung. Vortrag zur Feier des 75. Gründungstags des Westfälischen Instituts für Regionalgeschichte in Münster am 18. März 2004, abrufbar unter: http://zzz.lwl.org/LWL/Kultur/WIR/aktuelles/1096532755/ [Zugriff am 8.8.2005].
3 Kocka, Jürgen (2003), Der Blick über den Tellerrand fehlt. DDR-Forschung – weitgehend isoliert und zumeist um sich selbst kreisend, in: Frankfurter Rundschau (FR), 22. August 2003, Nr. 195, S. 7.

Kontakt

Jens Hüttmann, Dipl. Pol.
HoF Wittenberg
Stiftung LEUCOREA
Collegienstr. 62
06886 Wittenberg

eMail jens.huettmann@hof.uni-halle.de
tel. 03491-466 142
fax. 03491-466255
mobil. 0160 - 1470236


Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts