N. Herbrand u.a. (Hrsg.): Die Bedeutung der Tradition...

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Titel
Die Bedeutung der Tradition für die Markenkommunikation. Konzepte und Instrumente zur ganzheitlichen Ausschöpfung des Erfolgspotenzials Markenhistorie


Herausgeber
Herbrand, Nicolai O.; Röhrig, Stefan
Erschienen
Anzahl Seiten
607 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hilmar Sack, Berlin

„Zukunft braucht Herkunft“ – der vorliegende Sammelband zeigt überdeutlich, dass Odo Marquards Kurzformel zur nachhaltigen Bedeutung der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft bis in die Etagen der Marketingabteilungen deutscher Unternehmen vorgedrungen ist. Mehr noch: Zählt man in den einzelnen Beiträgen die expliziten Verweise, dann lässt sich überspitzt konstatieren, dass hier von Marketingstrategen offensichtlich der eingängige Claim gefunden wurde, um in Abgrenzung von klassischen Kommunikationsmaßnahmen eine derzeit populäre, spezifisch historische Ausrichtung in Werbung und Marketing zu legitimieren.

Die beiden Herausgeber – Nicolai-Oliver Herbrand, Geschäftsführer eines Private-Equity-Unternehmens und geschäftsführender Gesellschafter eines Beratungsunternehmens, sowie der DaimlerChrysler-Manager Stefan Röhrig – formulieren im Vorwort den Anspruch, den aktuellen Forschungsstand zur „Bedeutung der Tradition für die Markenkommunikation“ darstellen und den Status quo der Verwendung der Markenhistorie in der Unternehmenspraxis exemplarisch skizzieren zu wollen. Das Ziel dieses ambitioniert als „erstes Grundlagenwerk“ zum Thema annoncierten Werkes ist es, das Potenzial der „erfolgsrelevanten Ressource ‚Historie’“ für ein effektives und effizientes „ganzheitliches History Management“ (S. IV) zu beleuchten. Die Autoren des exzellent vermarkteten Buches wenden sich daher vorrangig an eine – um im Fachjargon zu bleiben – Zielgruppe in Forschung und Praxis, das heißt vornehmlich an Manager und Berater in verantwortlicher Position, aber auch an Wissenschaftler und Studenten, hier allerdings vorrangig der Betriebswirtschaftslehre und weniger der Sozial- und Geisteswissenschaften.

Die beeindruckende Fülle von 26 Beiträgen beleuchtet das Thema aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln. Durchaus überzeugend wird die verbreitete Meinung widerlegt, dass die Beschäftigung mit Geschichte in Unternehmen noch immer ein Schattendasein führe. Die Diskussion über „Arisierung“, Zwangsarbeit und Raubgold hat in der Wissenschaft und in einer breiteren Öffentlichkeit längst ein Interesse geweckt, das über eine eher unkritische Festtagshistorie hinausweist und die Unternehmensgeschichte aus ihrer früheren Randexistenz herausgeholt hat. Auch die Anfänge des verstärkten Umgangs mit Geschichte in den Unternehmen sind in eben dieser, durch die Schatten der NS-Vergangenheit hervorgerufenen Krisenbewältigung zu suchen – ein Umstand, den die Beiträge allerdings nur am Rande thematisieren. Heute wird auch in Deutschland nach US-amerikanischem Vorbild mehr als früher erkannt, dass die Geschichte als das einzig dauerhafte Alleinstellungsmerkmal eines Unternehmens interessante neue Wege in der Unternehmens- und Produktpräsentation weisen kann.

Diese „Potenziale der Markenhistorie im Kontext des Markenmanagement“ behandelt vor allem der zweite Abschnitt des Sammelbandes. Die Autoren, vorrangig Professoren aus der Betriebswirtschaftslehre, darunter so renommierte Wissenschaftler wie Heribert Meffert, gehen der Frage nach, was eine Marke stark macht. Sie arbeiten heraus, welche Bedeutung die Tradition für die Markenidentität und damit wesentlich zusammenhängend für den Markenwert hat, ohne diese aber überbewerten zu wollen, wie Jutta Menninger und Diane Robers von der PricewaterhouseCoopers AG am Ende ihres Beitrags betonen (S. 256f.).

Diesen wissenschaftlichen Ausführungen schließen sich im dritten Abschnitt „Anwendungsbeispiele“ zur gelungenen Nutzung der Markentradition in Werbung, Marketing und Unternehmensmuseen/„Erlebniswelten“ an. Offensichtlich handelt es sich größtenteils um eine jüngere Managergeneration, die den Wert der Unternehmens- und Produktgeschichte für die Unternehmenskultur und das Marketing erkannt hat. Die Best-Practice-Beispiele stammen ganz überwiegend von renommierten mittelständischen Unternehmen und so genannten Global Playern. Die ebenso erstaunliche wie störende Häufung von Beispielen der DaimlerChrysler AG erklärt sich aus der Vita des Herausgebers Stefan Röhrig, der nach eigener Aussage über mehr als dreißig Jahre Berufserfahrung in diesem Konzern verfügt.

Insbesondere mit Blick auf den Anspruch eines Lehrbuchs hätte eine stärker didaktische Aufmachung gerade diesem dritten Abschnitt gut getan. Genauso unbefriedigend bleibt die fehlende thematische Fokussierung in der Darstellung der Fallbeispiele. Eine inhaltliche Bündelung zu Fragen etwa der jeweiligen Motivation und der Verankerung in der Unternehmensorganisation hätte dem letztlich ermüdenden Eindruck einer weitgehend unkritischen Selbstdarstellung der Unternehmen vorbeugen können. Interessant wäre auch eine vergleichende Perspektive zum Ausland gewesen, um dadurch zum einen deutsche Spezifika, zum anderen womöglich noch ungenutzte Potenziale stärker herauszuarbeiten. Unter der Fragestellung, wer in den Unternehmen eigentlich die historische Aufarbeitung als Grundlage des History Marketing leistet, hätten auch die Möglichkeiten der Unternehmensgeschichte als eines neuen und dynamischen Arbeitsfelds gerade für Historiker beleuchtet werden können. Damit hätte das Buch einen erweiterten Leserkreis gewinnen und auch für die Anliegen einer praktisch orientierten Geschichtswissenschaft von größerem Nutzen sein können.

Wer auf die vielen Fallbeispiele verzichten kann, sollte gleich zum empfehlenswerten Schlusskapitel der Herausgeber blättern, das – mit 50 Seiten ungewöhnlich lang – den Versuch einer Zusammenfassung wagt. Gegenüber einer vornehmlich auf Jubiläen, also auf das einmalige Event bezogenen Anwendung geht es Herbrand und Röhrig hier um die feste Verankerung von Geschichte im Marketing. Damit zeigen sie zu Recht das vorhandene Defizit in den Unternehmen auf, die den Nutzen von Geschichte noch zu wenig strategisch betrachten. Inwieweit aber das propagierte „History Management“ wirklich die im Vorwort ohne weitere Erläuterung zu bloßen Modebegriffen „populistisch geprägter Publikationen“ (S. III) abgewerteten Fachtermini wie „History Marketing“ und „Vintage Marketing“ zu ergänzen, wenn nicht gar zu ersetzen vermag, erscheint fraglich. Denn gerade die Lektüre dieses Sammelbandes zeigt, dass sich insbesondere das „History Marketing“1 als ernstzunehmender Fachbegriff auch in der deutschen Wissenschaft und bei den Entscheidungsträgern der Unternehmen durchgesetzt zu haben scheint.

Der für Historiker interessanteste Abschnitt dürften die einleitenden Kapitel zur Historie der Marke und ihrer Rolle in der Gesellschaft sein. Marken und Unternehmen werden hier nicht nur als essentieller und integraler Bestandteil des ökonomischen, sondern auch des gesellschaftlichen Handelns, als Bestandteil der Unternehmenskultur und als gesellschaftlicher Faktor begriffen. Im Verständnis von Unternehmensgeschichte als Gesellschaftsgeschichte haben nach Hartmut Berghoff Unternehmen Bedeutung als ökonomischer Motor der wirtschaftlichen Entwicklung, als Handlungsfeld sozialer Interaktionen, als politische Akteure und kulturschaffende Institutionen.2 Gerade Marken nehmen dabei, wie Klaus-Peter Wiedmann herausarbeitet, wichtige Funktionen wahr, die tief in die Lebenswirklichkeit von sozialen Systemen eingreifen. Wiedmanns Beitrag zur Vernetzung von Marke und Gesellschaft auf der Ebene des Individuums, der sozialen Gruppen und der Sozialorganisationen (S. 23-52), aber auch Stefan Heinemanns Ausführungen über die Marken in den „großen Erzählungen“ (S. 77-104) sind für Historiker gewinnbringende Kapitel.

Zu faktisch oder potenziell bestehenden Wirkungen der Markenwelt auf die Ausformung sekundärer Bedürfnisse sowie von Normen und Wertsystemen sieht Wiedmann zu Recht noch Defizite in der Analyse. Er erkennt hier eine Dominanz von „eindeutig ideologiegeprägter Spekulation und oberflächlicher Reflexion“ (S. 34). Die Präsenz konstruierter moderner Konsum-, Marken- und Lebensstilmythen steht in einem auffallenden Kontrast zur Verdrängung herkömmlicher nationaler Mythen aus der staatlich-politischen Sphäre in der Bundesrepublik und scheint längst zum Transporteur eines „Geschichtsgefühls“ geworden zu sein. In den Unternehmen und ihren Markengeschichten lässt sich die eigentlich starke Kontinuitätserzählung der Bundesrepublik sehen. Vor diesem Hintergrund ist absehbar, dass Unternehmens- und Produktjubiläen in der historischen Forschung zur Festkultur künftig stärker als bisher Berücksichtigung finden werden. Leider bleibt das Verhältnis von notwendigen wissenschaftlichen Maßstäben und möglicher Popularisierung von Geschichte im „History Management“ nebulös. Umgekehrt stellt sich zudem die grundsätzliche Frage, welche Folgen es für die Geschichtswissenschaft hat, wenn nun PR-Experten und Marketingberater die Geschichte für sich entdecken und über ihre emotional wirksamen Erzählungen Geschichtsbilder mitprägen. Auch hierzu erfährt man in dem Sammelband nur wenig, was sicherlich auch eine Folge davon ist, dass unter immerhin 37 Autorinnen und Autoren nur ein ausgewiesener Historiker zu finden ist.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a.: Schug, Alexander, History Marketing. Ein Leitfaden zum Umgang mit Geschichte in Unternehmen, Bielefeld 2003 (rezensiert von Christian Kestel: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-3-149>).
2 Vgl. zuletzt: Berghoff, Hartmut, Moderne Unternehmensgeschichte. Eine themen- und theorieorientierte Einführung, Stuttgart 2004 (rezensiert von Ralf Banken: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-2-190>). Siehe demnächst auch: ders. (Hrsg.), Marketinggeschichte. Die Genese einer modernen Sozialtechnik, Frankfurt am Main 2007 (angekündigt für Mai).

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