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Titel
History Marketing. Ein Leitfaden zum Umgang mit Geschichte in Unternehmen


Autor(en)
Schug, Alexander
Reihe
Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement
Anzahl Seiten
217 S.
Preis
€ 25,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Kestel, Wirtschafts- und Innovationsgeschichte, Otto-Friedrich-Universität Bamberg

In einer Zeit nicht enden wollender Legitimationszwänge der kultur- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen an den Hochschulen, insbesondere der Geschichtswissenschaften, ist der Ruf nach Sinnstiftung über das Studium hinaus unüberhörbar. Wie kann eine oft als „brotlos“ geltende Kunst zum Broterwerb jenseits von Lehramt und Arbeitsamt effektiv eingesetzt werden? Eine mögliche Antwort auf diese Frage gibt Alexander Schug, der mit seinem „Praxis-Guide“ „History Marketing. Ein Leitfaden zum Umgang mit Geschichte in Unternehmen“ die praktische Nutzanwendung von Geschichte in und für Unternehmen untersucht und das „History Marketing“ als ernstzunehmendes Tätigkeitsfeld für Historiker entwirft. 1

Schug, Historiker von Profession und Geschäftsführer einer eigenen „History Marketing-Agentur“, wendet sich mit seinem Ratgeber nicht nur an Historiker und Geisteswissenschaftler, die sich für dieses Feld interessieren, sondern in erster Linie an Unternehmer und Verantwortliche in der Unternehmenskommunikation, indem er für Unternehmensgeschichte als essentiellen und integralen Bestandteil der Unternehmenskultur plädiert und gleichzeitig darin exzellente Entfaltungsmöglichkeiten im Bereich des Marketings sieht. Dabei will Schug einem oberflächlichen bzw. schöngefärbten „Geschichtsverständnis“ im Sinne einer Instrumentalisierung im Hinblick auf vordergründige „History sells“-Erwartungen keinesfalls das Wort reden.

Das gut lesbare Buch ist in drei Teile gegliedert: „1. Weshalb Unternehmensgeschichte wichtig ist“, „2. History Marketing: Die Praxis“ und „3. History Marketing als neues Berufsfeld“. Die 4 Kapitel (Teil 1 besteht aus 2 Kapiteln) sind durch thematisch passende Interviews ergänzt bzw. illustriert. In der Einleitung beklagt Schug das oft mangelhafte bzw. oft gänzlich nicht vorhandene historische Bewusstsein in Unternehmen und Verbänden. Er konfrontiert diesen Befund mit seiner These, dass Geschichte als Instrument in der Unternehmenskommunikation kreativ eingesetzt werden kann. Dieses Potential werde in Unternehmen oft völlig unterschätzt, und zwar besonders im Hinblick auf eine feste, also nicht nur „Event-orientierte“ Verankerung von Geschichte im Bereich des Marketings.

Das 1. Kapitel „Geschichte als positive Sinnstiftung für Unternehmen und Verbände“ erläutert die Prämissen des History Marketings: Die einmalige Identität und das Image eines Unternehmens seien glaubwürdig zu vermitteln, Unternehmens- und Produktidentität jedoch im Zeitalter heterogener Unternehmensstrukturen und kurzer Produktlebenszyklen ständiger Verflüchtigung ausgesetzt. Unternehmen („historische Wesen“) müssten daher Alleinstellungsmerkmale aufbauen, wobei das History Marketing eine sehr geeignete Hilfe sein kann. Mit einem nach innen und nach außen hin ausgeprägten Geschichtsbewusstsein könne ein Unternehmen seine Rolle in der Gesellschaft zudem verantwortungsbewusster wahrnehmen (Corporate Citizenship).

„History Marketing“, so definiert Schug, „hat nicht unbedingt etwas damit zu tun, das Handeln von Unternehmen in die Wirtschaftsgeschichte oder allgemeine Geschichte einzuordnen, und ist nicht eine privatfinanzierte Serviceleistung für die Wissenschaft“. Der Ansatz des History Marketings läuft entgegengesetzt: „Die Geschichte eines Unternehmens, die Produktgeschichte und die Beziehungsgeschichten zu seinen Zielgruppen und Märkten sind eine der wichtigsten Ressourcen des Unternehmens- bzw. Markenbildes. […] Durch die Geschichte unterscheidet sich ein Unternehmen mit seinen Produktmarken eindeutig von Wettbewerbern, weil Geschichte einmalig ist, nicht kopiert und nicht erfunden werden kann und für jeden überprüfbar ist. […] Die Geschichte ist der Beweis für alle Marken- und Kompetenzversprechen und Imagedimensionen, mit denen sich Unternehmen ausstatten. Die Geschichte ist das einzig dauerhafte Alleinstellungsmerkmal, auf das sich Unternehmen heute noch beziehen können.“ Der Blick zurück verbindet sich mit dem Blick nach vorne, denn History Marketing sieht Geschichte durch die Dokumentation von Kompetenz und Erfahrung als Teil der Zukunftsperspektiven eines Unternehmens, wodurch es für alle Unternehmen, gleich welcher Größe, geeignet sei.

Schug plädiert dabei unmissverständlich auch für die Aufarbeitung so genannten „Schwarzer Flecken“ in der Firmengeschichte. Das Unternehmen müsse dabei die führende Rolle spielen. „Macht es das nicht, machen es andere. […] History Marketing wird in diesem Kontext zum Bestandteil einer präventiven Krisenkommunikation.“ Im 2. Kapitel unter der Überschrift „Geschichte als kritischer Faktor der Unternehmenskommunikation“ vertieft Schug den Umgang mit brisanten Epochen bzw. Aspekten der Unternehmenshistoriografie: NS-Zeit, Zwangsarbeiterfrage, Umweltskandale etc. Ausgehend von dem unmissverständlichen Ergebnis der Zwangsarbeiterdebatte in den 1990ern, nämlich dass es eine Öffentlichkeit für die Geschichten von Unternehmen gibt, könne nur gelten: „Je länger das Gedächtnis eines Unternehmens unprofessionell gemanagt und die Geschichte wie im Falle der Zwangsarbeiterfrage verschleiert oder ignoriert wird, desto größer ist der materielle Schaden und vor allem der Imageverlust.“ Die Lösung liege also in der Flucht nach vorne, der Risiko-Audits und Schwachstellen-Analysen vorausgehen müssen. Am Beispiel der Zwangsarbeiterfrage bei Volkswagen und dem Umgang Schweizer Banken mit Nazi-Gold und herrenlosen Vermögenswerten illustriert Schug ausführlich Aufarbeitungs- bzw. Nicht-Aufarbeitungsstrategien und deren Auswirkungen auf das jeweilige Unternehmen.

Im 2. Teil (3. Kapitel) geht es um „Die Praxis“ des History Marketings. Anlässe und die jeweiligen Instrumente müssen eruiert und aufeinander abgestimmt werden. Unerlässliche Voraussetzung, um History Marketing überhaupt sinnvoll einsetzen zu können, sei die (professionelle) Anlage eines Unternehmensarchivs. Anlässe für History Marketing seien durchaus in runden Jubiläen und Geburtstagen zu sehen (Gründer, Standort, Produkte, Patente, Preise etc.), hier spiele der Präsentations- und Repräsentationsaspekt eine wichtige Rolle, doch gebe es darüber hinaus etliche andere Möglichkeiten, beispielsweise in den Bereichen Umweltschutz/Nachhaltigkeit, Sozialpartnerschaft/soziale Leistungen oder Geschlechtergeschichte als Reflexion der Personalpolitik, denn „[d]ie alleinige Legitimation durch das Alter ist niemals ausreichend, um der Öffentlichkeit zu sagen: Arbeitet für uns, kauft unsere Produkte, kauft unsere Aktien etc“.

Instrumente und Maßnahmen des History Marketings sind freilich vom jeweiligen Anlass und dem entsprechend verfolgten Ziel abhängig. Schug entwirft über die Definition von Ausgangspunkt, Ziel und Zielgruppe einen Maßnahmenkatalog mit praktischen Beispielen, die von Radiospots auf CD-ROM über Reisestipendien und Studienpreise hin zu Seminaren zur Schulung historischen Bewusstseins reichen. Dieser Teil beinhaltet auch weitgehende Informationen zur Anlage eines Museums/einer Ausstellung, zur Eventkommunikation, zum Merchandising, zum Sponsoring, zu den verschiedensten Publikationsformen (z.B. Festschrift, Newsletter, Werbetext) und zur Medienkooperation allgemein. Breiten Raum nimmt das in Zusammenarbeit mit Dipl.-Archivarin Tessa Neumann erarbeitete Unterkapitel „In sechs Schritten zum eigenen Unternehmensarchiv“ ein, das pragmatisch und ergebnisorientiert Möglichkeiten der Anlage einer solchen „internen Servicestelle“ aufzeigt.

Für den Historiker ist der 3. Teil „History Marketing als neues Berufsfeld“ sicher der spannendste. Zwar habe sich besonders der Kommunikationsbereich als Arbeitsfeld für Historiker etabliert, doch fehle gerade im bundesdeutschen System des Geschichte-Studiums an den Hochschulen ein Pendant zur amerikanischen Public History, also dem Einsatz und der Umsetzung geschichtswissenschaftlicher Fähigkeiten für eine Vielzahl von Anwendungsgebieten außerhalb von Universität und Schule, zumal die Geschichtsdidaktik primär auf den schulischen Einsatz ausgerichtet sei. Public History ist in den Vereinigten Staaten mittlerweile fester Bestandteil der amerikanischen Geschichtskultur geworden. Dies und das wachsende Interesse an Geschichte in der Gesellschaft begründet Schugs berechtigte Forderung nach Etablierung praktisch ausgerichteter Kurse für Historiker. Ein Serviceteil mit Fallbeispielen, Materialien und „Dienstleistern“ sowie eine Zusammenstellung wichtiger Literatur runden das Buch ab.

Wenden sich die beiden ersten Teile primär an Unternehmer, so hat der letzte und bei weitem kürzeste Teil den Historiker zum Adressaten. Hier stellen sich allerdings weitergehende Fragen, die, will man sich History Marketing tatsächlich als Berufsfeld erschließen, einer vertieften Behandlung bedürfen. So liefert Schug zwar exzellente Argumente für History Marketing in Unternehmen, beschreibt aber nicht, was wünschenswert gewesen wäre, den Weg des Absolventen dahin (nützliche Zusatzqualifikationen während des Studiums, Kontaktaufbau, Branchenkenntnisse, Professionalität etc.). Man darf auch nicht Gefahr laufen, aus der Elfenbeinwarte der Wissenschaft die Kommunikationsrollen zu vertauschen bzw. das spezifische Problem der Historiker zu verkennen, denn im Regelfall möchte der Historiker im Hinblick auf seine Existenzsicherung zunächst etwas vom Unternehmen – und nicht umgekehrt. Die eigentliche Leistung ist es, ein Unternehmen zu überzeugen und für die „Historie“ dauerhaft zu gewinnen, damit es schließlich in Geschichte (und Geschichtswissenschaftler) investiert. Somit ist der Historiker außerhalb der Universität grundsätzlich und ständig in einer noch viel größeren Legitimationsnot als an der Hochschule. Auch durch die Existenz von History Marketing ist die Legitimationsfrage in der unternehmerischen Praxis keineswegs gelöst, denn History Marketing ist – wie Schug selbst schreibt – ja nur ein Teil im Marketing-Mix eines Unternehmens. Unternehmen investieren oftmals nur dann tatsächlich in Geschichte, wenn es konkrete Anlässe gibt, und zwar abhängig von den Konjunkturen einer mehr oder minder kritischen Öffentlichkeit.

Das erfrischende Buch will ein Leitfaden, ein Ratgeber zum Umgang mit Geschichte in Unternehmen sein. Diesem Anspruch wird es voll gerecht. Es ist nicht Intention dieses „Praxis-Guides“, fachwissenschaftlich neue Theorien zur Unternehmensgeschichte zu entfalten und in die aktuelle Forschungsdiskussion einzubetten. Dem sorgfältig recherchierten und sehr anschaulich aufgemachten Band möchte man eine breite Akzeptanz besonders in Unternehmerkreisen wünschen. Dass er Historikern und kreativen Geisteswissenschaftlern allemal Perspektiven eröffnet und zum Nachdenken anregt, ist Alexander Schugs verdienstvolle Leistung.

Anmerkung:
1 Siehe dazu: Vallendar, Benedikt, Geschichte – ein Geschäft. In: Rheinischer Merkur, Ausgabe Nr. 11 2004, S. 13.

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