A. Robrecht: Diplomaten in Hemdsärmeln?

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Titel
Diplomaten in Hemdsärmeln?. Auslandskorrespondenten als Akteure in den deutsch-britischen Beziehungen, 1945–1962


Autor(en)
Robrecht, Antje
Reihe
Beiträge zur England-Forschung 63
Erschienen
Augsburg 2010: Wißner-Verlag
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
€ 42,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norman Domeier, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Auslandskorrespondenten sind aus Zeitung, Radio und Fernsehen nicht wegzudenken: Medienkonsumenten können ihre Gesichter, Stimmen und Namen den globalen Nachrichten-Umschlagplätzen Washington, Brüssel und London besser zuordnen als manche Regierungsmitglieder ihren Ressorts. Mag die Gatekeeper-Funktion der Korrespondenten angesichts einer durch neue Medien wie das Internet beförderten Nachrichtenschwemme abgenommen haben, scheint im Gegenzug ihre Bedeutung für die Einordnung und Bewertung von Nachrichten noch wichtiger geworden zu sein.

Sinngebung und Deutung von Ereignissen gehören seit dem Auftreten von hauptberuflichen Correspondenten im 18. Jahrhundert zu ihrer Kernaufgabe. In den sich entwickelnden bürgerlichen Öffentlichkeiten spielten sie eine entscheidende Rolle dabei, die öffentliche Meinung zu prägen und Ereignisse in „Medienereignisse" zu verwandeln. Die millionenfach multiplizierten Einschätzungen von Auslandskorrespondenten drücken seither Ereignissen, Strukturen und Prozessen den Stempel auf, lange bevor Historiker sie analysiert haben. Umso erstaunlicher ist es, dass ihre individuelle und kollektive Arbeitsweise, ihre professionellen Netzwerke, die Beziehungen zwischen den Heimatredaktionen und ihren journalistischen men on the spot, berufliche Selbstbilder, politische und soziale Rollenzuschreibungen nur wenig behandelt wurden, kurzum, all das, was Auslandskorrespondenten ausmacht, historiografisch ein schwarzes Loch ist.

Diese Forschungslücke hat jetzt Antje Robrecht geschlossen. In ihrer Dissertation untersucht sie die Auslandskorrespondenten als Akteure in den deutsch-britischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg. In einem klaren und prägnanten Stil nimmt sie die deutschen Korrespondenten in London und die britischen Korrespondenten in Berlin/Bonn in den Blick. Als tertium comparationis fungiert der – idealtypisierte – Diplomat, um dadurch die Leitfrage der Studie zu entwickeln, inwieweit die Auslandskorrespondenten als Botschafter ihres Landes, inwieweit sie als eigenständige Journalisten agierten.

Neben Rollenbildern ist Robrecht vor allem an den praktischen Rahmenbedingungen des Korrespondentenberufes interessiert, also an lokalen, technischen, finanziellen und redaktionellen Bedingungen der Berichterstattung in Zeitungen, die bis in die frühen 1960er-Jahre noch die unbestrittenen Leitmedien darstellten. Die Berichterstattung selbst liegt ausdrücklich nicht im Fokus der Arbeit, ein Problem, auf das unten eingegangen wird. Der gewählte Untersuchungszeitraum der Studie von 1945 bis in das Jahr der Spiegel-Affäre 1962 erscheint sinnvoll, wobei deren simple und eindimensionale Deutung als „bestandene Bewährungsprobe" der bundesdeutschen Demokratie und ihres erfolgreich westernisierten Journalismus hinterfragt werden kann.1

Robrecht kommt zu interessanten Ergebnissen. Die Gruppe der deutschen London-Korrespondenten nach 1945 war ausgesprochen heterogen, was ihre Erfahrungen während der Zeit des Nationalsozialismus (NS) betrifft. Das Gros bildeten Emigranten, die teilweise die britische Staatsbürgerschaft angenommen hatten. Bemerkenswert ist der Befund einer transnationalen deutsch-britischen Identität bei diesen Akteuren, denn üblicherweise ist noch heute die Staatsangehörigkeit von Auslandskorrespondent und Publikum deckungsgleich – ein wesentliches Problem für die Entfaltung einer europäischen Öffentlichkeit. Doch auch das gegenläufige Ideal des Korrespondenten, der seine Nation repräsentiert, behielt seine Wirkungskraft. Angesichts der lange Jahre personell schwach ausgestatteten und vorsichtig agierenden westdeutschen Auslandsvertretungen hatten einige deutsche London-Korrespondenten das Gefühl, die diplomatische und politische Vertretung der Bundesrepublik zu gewährleisten.

Das schwierige Neben- und Miteinander von NS-Gegnern, NS-Journalisten und den im Dritten Reich aufgewachsenen Jugendlichen entsprach der Lage in den westdeutschen Redaktionen nach 1945; erfolgreiche Remigranten wie Sebastian Haffner oder Richard Löwenthal blieben Ausnahmen. NS-belastete Journalisten wurden jedoch vergleichsweise rasch durch die „45er-Generation" abgelöst. Diese – als typische Vertreter können etwa Walter Leonhardt und Gert von Paczensky gelten – wurden zu einer zentralen Trägergruppe der Westernisierung in der Bundesrepublik und ersetzten allmählich den Konsensjournalismus der Nachkriegszeit durch einen (staats-)kritischen Journalismus nach angelsächsischem Vorbild, wie Robrecht überzeugend herausstreicht.

Einen wichtigen Unterschied zwischen Deutschen und Briten bildete die Verweildauer. Während die deutschen Korrespondenten lange auf ihrem Londoner Posten blieben und damit dem Typus des Länderexperten entsprachen, wechselten ihre britischen Kollegen oft nach wenigen Jahren in Bonn auf andere Stationen. Damit gaben sie dem noch heute vorherrschenden mobilen Auslandsjournalisten Gestalt. Ein Grund dürfte jedoch auch die Unattraktivität des provinziellen Bonn im Vergleich zu den Weltmetropolen gewesen sein.

Konzeptionell und methodisch kann Robrechts Arbeit (Betreuer: Eckart Conze) ihre Herkunft aus der Geschichte der Internationalen Beziehungen nicht verleugnen. Die Perspektive ist stark etatistisch darauf ausgerichtet, „welche Funktionen den Korrespondenten im hitzigen Klima des Kalten Krieges von politischer Seite zugedacht wurden" (Klappentext). Solcher Funktionalismus wirkt im konkreten historischen Kontext deplatziert. Denn die Regierung der frisch gegründeten Bundesrepublik verfügte nur über eingeschränkte Handlungsfähigkeit und war sowohl bei den deutschen wie den britischen Korrespondenten auf guten Willen angewiesen. Mithin befand sie sich in einer subalternen Position. So musste Adenauer wegen der noch unterentwickelten staatlichen Auslandsrepräsentanz eine offensive Interviewpolitik betreiben. Die meisten Korrespondenten ließen sich jedoch nicht mehr einfach als Transmissionsriemen in die Medienöffentlichkeit benutzen. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert verstanden sich Journalisten im Allgemeinen und Auslandskorrespondenten im Besonderen zunehmend selbstbewusster als Kulturvermittler und politische Größen eigener Art.2 Ihre Deutungsmacht beeinflusste die Geschichte der Moderne besonders stark, da sie anders als diejenige der Intellektuellen nicht nur in exzeptionellen Situationen, sondern alltäglich ausgeübt wurde.

Mit der Überschätzung des Nationalstaatlichen gerät, was für traditionelle Politikhistoriker paradox klingen mag, das eigentlich Politische im Untersuchungszeitraum aus dem Blick: Die Korrespondenten, ihre Zeitungen und nicht zuletzt auch die Herausgeber und Eigentümer hätten als eigenständige Akteure auf dem internationalen politischen Feld der Jahre 1945 bis 1962 präziser konturiert werden können. Den Nationalstaat als „lebensgeschichtlichen Bezugsrahmen und Loyalitätenpol" (Hans Ulrich Wehler) muss – zumindest für diese Epoche – niemand aufgeben. Spätestens seit der Jahrhundertwende waren allerdings auch die transnationalen Merkmale führender Presseorgane und Journalisten politisch bedeutungsvoll. Beispielsweise die Frankreichfreundlichkeit des Berliner Tageblattes unter Theodor Wolff im Kaiserreich oder die Deutschlandfreundlichkeit der Times unter Geoffrey Dawson in der Zwischenkriegszeit. Solche nicht nur von Kalkül, sondern auch von moralischen Weltbildern zehrenden Positionen hätten einen roten Faden durch die unübersichtliche Nachkriegs-Medienlandschaft ziehen können.

Für einen umfassenden Zugriff auf Auslandskorrespondenten als historische Akteure ist überdies ihre Berichterstattung zentral. Zweifellos ist ohne die Analyse von Medienproduzenten eine genaue Analyse von Medienprodukten wenig sinnvoll, so Robrechts Rechtfertigung ihres gruppenbiografischen Ansatzes (das Fehlen eines Personenregisters ist bedauerlich). Allerdings gilt auch der Umkehrschluss: Ohne die Analyse der Berichterstattung, ohne die medial verhandelten politischen, sozialen und kulturellen Kontroversen, an denen sie beteiligt waren, wirkt eine Strukturanalyse von Korrespondenten blutleer, zumal auch ihr Rollen- und Berufsbild nur als ein in konkreten historischen Situationen gelebter Habitus gefasst werden kann. Folglich kommt es zu wenig erhellenden Schlussfolgerungen wie dieser: „In vielen Punkten glich der Arbeitsalltag der britischen und westdeutschen Korrespondenten dem von Auslandskorrespondenten an anderen Einsatzorten und zu anderen Zeiten."(S. 168f.) Mit Leben füllt sich Robrechts Studie an den Stellen, wo der Wirkungsmächtigkeit der Auslandskorrespondenten nachgegangen wird. So zum Beispiel als in der Lenz-Affäre (1953) der Guardian für, die Times gegen die Adenauer-Regierung Position bezog. Beide Auslandskorrespondenten verließen bewusst den Beobachterposten, um die politischen Ereignisse zu beeinflussen und zu gestalten.

Das Fazit der Arbeit, wonach die Korrespondenten beides waren, ermittelnde Reporter und vermittelnde Diplomaten, ist plausibel. Durch den staatsfixierten Zugriff wird jedoch ihre Eigenständigkeit als politische Akteure nicht deutlich. Ein Grund für die Unschärfe liegt auch darin, dass in der Studie „der Diplomat" nur als gleichsam zeitloser Typus verstanden wird, nicht aber in seiner historischen Realität nach dem Zweiten Weltkrieg. So spielen der bis heute andauernde Bedeutungsverlust der Diplomatie und der Machtzuwachs des Journalismus keine Rolle; eine korrelative historische Entwicklung, zu der medien- und politikgeschichtliche Untersuchungen wünschenswert wären.

Trotz der Phantomschmerzen wegen der fehlenden Einbeziehung der Berichterstattung: Antje Robrecht hat eine Sozial- und Strukturgeschichte der deutsch-britischen Auslandskorrespondenten nach 1945 vorgelegt, die einen bedeutsamen Beitrag zur Erforschung einer der einflussreichsten Berufsgruppen und intellektuellen Deutungsklassen der Moderne leistet.

Anmerkungen:
1 Diese Einschätzung Robrechts in Anlehnung an Christiane von Hodenberg, Die Journalisten und der Aufbruch zur kritischen Öffentlichkeit, in: Ulrich Herbert (Hrsg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945-1980, Göttingen 2002, S. 278-312; vgl. die Rezension von Franz-Werner Kersting, in: H-Soz-u-Kult, 27.06.2003, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-2-183> (19.09.2011).
2 Vgl. Frank Bösch/Dominik Geppert (Hrsg.), Journalists as Political Actors. Transfers and Interactions between Britain and Germany since the late 19th Century, Augsburg 2008; vgl. die Rezension von Bernhard Fulda, in: H-Soz-u-Kult, 24.07.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-070> (19.09.2011).

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