P. Merziger: Nationalsozialistische Satire und 'Deutscher Humor'

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Titel
Nationalsozialistische Satire und 'Deutscher Humor'. Politische Bedeutung und Öffentlichkeit populärer Unterhaltung 1931-1945


Autor(en)
Merziger, Patrick
Reihe
Beiträge zur Kommunikationsgeschichte 23
Erschienen
Stuttgart 2010: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
407 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Adelheid von Saldern, Historisches Seminar, Leibniz Universität Hannover

Wie oft steht auf dem Klappentextes eines Buches, dass der Autor oder die Autorin mit vorliegender Studie Neuland betrete, doch nach der Lektüre muss diese Aussage leider oft relativiert werden. Anders steht es mit dem hier zu besprechenden Buch. Über nationalsozialistische Satire und über „Deutschen Humor“ im Nationalsozialismus gibt es bislang keine Buchveröffentlichung.1 Mit den Kenntnissen über den so genannten „Flüsterwitz“ glaubten viele, dass damit das gesamte Gebiet abgedeckt sei. Außerdem passten Forschungen über Witz und Humor offenbar nicht zu den dringend erforderlichen Analysen des Terrors und der Verfolgung sowie des Krieges und des Holocaust. Schließlich erschien es uninteressant, über Witz und Humor zu forschen, solange die Vorstellung dominierte, dass die gesamte Öffentlichkeit von Propaganda, Steuerung und Kontrolle gekennzeichnet gewesen sei.

In den letzten Jahren hat sich freilich das „Forschungsfenster“ mit Blick auf die NS-Zeit konzeptionell erweitert. Insbesondere erfordert das soziale Konstrukt der NS-Volksgemeinschaft, stärker als früher auf Inklusionsprozesse zu schauen und die zahlreichen Mittel zu untersuchen, die der Inklusion von „Volksgenossen“ beiderlei Geschlechts dienten. Hierzu gehörte offenbar auch, die Bildung einer schichtenübergreifenden „Lachgemeinschaft“ zu fördern. Merzigers Dissertation rekonstruiert die diesbezüglichen Konzeptionen, Diskussionen und Narrative. Texte und Bilder dieses Genres stammten häufig von Autoren, die sich selbst dem bürgerlichen und christlichen Milieu zurechneten. Merziger macht deutlich, dass die Durchsetzung des „Deutschen Humors“ eher von unten nach oben verlief als umgekehrt. „Zuerst erwies sich der ‚Deutsche Humor‘ als populär, das regte die Diskussion um das Komische an, und schließlich akzeptierte man diese Form als eine dem Nationalsozialismus angemessene“ (S. 367). Die Studie zeigt, dass jener Teil der Öffentlichkeit, der durch die Komik bestimmt wurde, mit dem Begriff der Propaganda nicht zutreffend gekennzeichnet werden kann. Merziger zeichnet ausführlich nach, wie die verschiedenen Auffassungen und Konzeptionen teilweise kontrovers diskutiert wurden, allerdings innerhalb eines durch die NS-Diktatur vorgesetzten Gesamtrahmens. Er spricht von Aushandlungsprozessen, die sich zwischen Publikum, Autoren und Kritikern herausgebildet hätten, und er belegt dies mit zahlreichen Beispielen. Es sei nicht um Erfüllung von irgendwelchen NS-Vorgaben, sondern um konstruktive „Mitarbeit am Aufbau des nationalsozialistischen Deutschlands“ gegangen (S. 367).

Das Buch umfasst zwei Teile. Der erste Teil handelt vom Scheitern einer nationalsozialistischen Satire. Zwar gelang es der NSDAP, in der „Kampfzeit“ vor 1933 die Satire für ihren politischen Kampf erfolgreich einzusetzen und auch im NS-Staat war Satire an sich erwünscht, weswegen sie zunächst gefördert wurde. Doch bald ließen sich aus NS-Sicht die Schwachstellen nicht mehr übersehen: Erstens war die Satire auf Verletzungen von Personen ausgerichtet, zweitens bestand die Gefahr, dass die in der Satire aufs Korn genommenen Menschen ungewollt an Bekanntheit gewannen und schließlich fehlte ihr eine positive, aufbauende Idee. So wurde, wie im zweiten Teil der Dissertation ausführlich beschrieben und analysiert wird, die als destruktiv angesehene Satire zum ungeliebten Kind der NS-Politiker und zusehends vom Konzept des „Deutschen Humors“ überrundet.

„Deutscher Humor“ wurde in den zeitgenössischen Diskussionen zu einem feststehenden Begriff. Er galt fortan sogar als eine Eigenschaft gerade des deutschen Menschen, die „ihn erst zu einer wahren Gemeinschaft bereit mache“ (S. 202). Der Humor avancierte zur idealen Form des Komischen. Kennzeichnend für diese Art von Komik war die Repräsentation von Gutmütigkeit, die die Auseinandersetzung mit der Welt auf ein harmloses Gleis schob. Gleichzeitig blieb der politische Bereich ausgespart. Gerade in seiner Beschränktheit und Redundanz habe, so Merziger, die politische Bedeutung des „Deutschen Humors“ für die NS-Herrschaft gelegen. „Gesunder Volkshumor“ fungierte als eine Art Lebenshilfe, da die Menschen auf diese Art lernten, ihr Leben selbst im Krieg immer auch von einer humorvollen Seite zu nehmen. „Er war deshalb so attraktiv, weil in ihm die alltäglichen Nöte und Sorgen der Deutschen zum Thema werden konnten, ohne dass sich ein ‚Volksgenosse‘ verletzt fühlte, aber auch ohne dass man die schreckliche Realität des Nationalsozialismus hätte thematisieren müssen“ (S. 366). Merziger interpretiert dies überzeugend nicht als Flucht aus dem Alltag und auch nicht als Zerstreuung, sondern als eine Flucht in den Alltag, als Wahrnehmung einer stark eingegrenzten Realität, die die verbrecherischen Seiten der NS-Wirklichkeit außen vor ließ, um auf diese Weise die Eingliederung der „Volksgenossen“ in die NS-Gemeinschaft zu erleichtern.

Zwar überwogen in den Texten und Bildern, die dem „Deutschen Humor“ zuzuordnen sind, bei Weitem die Inklusions- und Integrationsbemühungen, doch wurden Exklusionen nicht völlig ausgespart. Diese zeichneten sich dadurch aus, dass es sich nur um leichte Abweichungen von jenen Normen handelte, die im NS-Regime zählten. So war es möglich, dass zum Schluss eines Narrativs der Abweichler erneut die Möglichkeit erhielt, sein Verhalten zu ändern und sich dann wieder in die normgerecht lebende Gemeinschaft einzugliedern. Solche sinnstiftenden und integrativ wirkenden Erzählungen bedienten, so Merziger, die Sehnsucht vieler Menschen nach Versöhnung und einer harmonischen Gemeinschaft.

Mit Blick auf die Medien des „Deutschen Humors“ untersucht Merziger die beliebten „Volkskomödien“, die „bürgerlichen“ Bücher und den Hörfunk. Unter den „Volkskomödien“ erzielten die Amateurtheater mit ihren unterhaltenden Komödien vor allem in ländlichen Gegenden besondere Attraktivität. Auf dem Büchermarkt waren Heinrich Spoerl und Fritz Müller-Partenkirchen mit Blick auf Humoresken, Anekdoten und Witzbilder die beliebtesten Autoren. Spoerls Buch „Man kann ruhig darüber sprechen“ erzielte beispielsweise eine Auflage von über 900.000 Exemplaren. Der Hörfunk nahm allerdings eine Sonderstellung ein. Da der Hörfunk die Körpersprache, die für diese Art von Komik essentiell war, nicht visualisieren konnte, außerdem es den Zuhörern vielfach an der nötigen Konzentration mangelte, sei „Deutscher Humor“ allenfalls in den Sketchen und Darbietungen der Conférenciers zu finden. Statt des „Deutschen Humors“ dominierten auf dem Unterhaltungssektor Sendungen, die eine heitere Stimmung erzeugen sollten. Die vielen einschlägigen Sendungen verfolgten ebenfalls das Ziel einer medial hergestellten Gemeinschaft.

Die Relevanz von Heiterkeit in NS-Rundfunksendungen ist unbestreitbar und auch schon von anderer Seite herausgearbeitet worden.2 Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass der Rundfunk in der NS-Zeit nicht ohne Rundfunkzeitungen zu denken ist.3 Und in diesen Begleitmedien, etwa im „N.S. Funk“, findet man zahlreiche Zeichnungen, die dem Genre „Deutscher Humor“ entsprachen. Des Weiteren ist anzumerken, dass – nicht zuletzt angesichts des Ausfalls des Politikbereichs – eine der großen Ressourcen für Komik und Humor im Rundfunk und in anderen Medien die Geschlechterrollen und das Geschlechterverhältnis abgaben, weswegen es erstaunt, dass Merziger gerade diesem Aspekt offensichtlich keine konzeptionelle Bedeutung für Entstehung und Erfolg der „Deutschen Humor-Narrative“ zumisst.

Patrick Merzigers Studie zeigt zusammenfassend gesehen, dass sich der „Deutsche Humor“ während der NS-Zeit nicht in zeitlosen und harmlosen Narrativen niederschlug. Indem er die Sehnsüchte vieler Menschen nach Gemeinschaft in den Mittelpunkt seiner Ergebnisse stellt, gelingt es ihm, die aktuellen Forschungen über die NS-Volksgemeinschaft, die ihrerseits oftmals die Medien ausblenden, wesentlich zu bereichern. Zudem erweist sich das Buch als ein wichtiger Baustein für eine noch zu schreibende, national vergleichende Geschichte der Komik als Teil der populären Künste, eine Geschichte, in der die dazugehörigen Narrative historisiert und kontextualisiert werden. Auf diese Weise könnten unsere Kenntnisse über die jeweils zeitspezifischen Weltsichten und Denkhorizonte, die Ordnungsvorstellungen und Sinnsetzungen sowie die Konsenszonen und Toleranzgrenzen diverser Publika von ganz anderer Seite ergänzt, erweitert und vertieft werden.

Anmerkungen:
1 Eine Ausnahme stellt Martina Kessels (Universität Bielefeld) Buchprojekt über den „Deutschen Humor“ als Loyalitätsnarrative in der Epoche der Weltkriege dar.
2 Dazu siehe vor allem die Analysen von Monika Pater, Rundfunkangebote, in: Inge Marßolek u.a. (Hrsg.), Zuhören und Gehörtwerden, Bd. 1: Radio im Nationalsozialismus. Zwischen Lenkung und Ablenkung, Tübingen 1998, S. 129-241.
3 Vgl. Lu Seegers, Hör zu! Eduard Rhein und die Rundfunkprogrammzeitschriften (1931-1965), 2. Aufl. Potsdam 2003 (1. Aufl. 2001); vgl. die Rezension von Christoph Classen, in: H-Soz-u-Kult, 07.03.2003, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-1-130> (29.11.2010).

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