Titel
Hör zu!. Eduard Rhein und die Rundfunkprogrammzeitschriften (1931-1965)


Autor(en)
Seegers, Lu
Reihe
Veröffentlichungen des Deutschen Rundfunkarchivs 34
Erschienen
Anzahl Seiten
486 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Classen, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Bis in die unmittelbare Vergangenheit hat die Mediengeschichte innerhalb der Geschichtswissenschaften und der Zeitgeschichte nur eine Nischenexistenz geführt, und dies lag nicht nur an der traditionellen Reserviertheit der Historiker gegenüber den Massenmedien an sich, sondern auch an der Mediengeschichtsschreibung selbst, die sich allzu lange als reine Institutionengeschichte verstanden hat oder auf die im engen Sinne politische Dimension medialer Inszenierungen fixiert war. Die eigentliche Bedeutung von Massenmedien als gesellschaftsbezogene Institutionen, in denen sich zeittypische Diskurse ebenso abbilden wie sie umgekehrt medial überformt, katalysiert oder auch unterdrückt werden, blieb damit weitgehend ausgeblendet. Angesichts der Bedeutung, die den Massenmedien spätestens seit dem 20. Jahrhundert in nahezu allen Gesellschaftsbereichen zukommt, war eine Aufwertung dieses Gegenstandes, wie er sich in jüngster Zeit vollzieht, längst überfällig.

In welchem Maße die Zeitgeschichtsschreibung von der Überwindung des überkommenen Verständnisses von Mediengeschichte als „Spartengeschichte“ profitieren kann, illustriert nicht zuletzt das Buch von Lu Seegers, das auf ihrer 2000 in Hannover eingereichten geschichtswissenschaftlichen Dissertation beruht. Die Erkenntnisse, die dieses Buch vermittelt, reichen weit über den engeren Gegenstand, nämlich die Programmzeitschriften „Sieben Tage“ (1931-1939), „Hier Berlin und alle deutschen Sender“ (1936-1941) und „Hör zu!“ (seit 1946) hinaus und sind geeignet, grundsätzliche Einsichten in politische, soziale und mentale Aspekte der nationalsozialistischen und bundesrepublikanischen Geschichte in ihren Kontinuitäten und Brüchen zu vermitteln.

Gerade die Programm- und Illustriertenpresse gehört bisher zu den von der Forschung kaum beachteten Gegenständen, obwohl ihre gesellschaftliche Resonanz diejenige der noch immer bevorzugt untersuchten hochkulturellen Medienprodukte um ein Vielfaches übertraf. In den frühen 60er Jahren erreichte die „Hör zu!“ zeitweise eine Druckauflage von 4,2 Mio. Exemplaren und wurde von über elf Mio. Menschen gelesen – allein schon ein Grund, sich diesen Publikationen und insbesondere der Hör zu! anzunehmen und kulturkritische Ressentiments zu überwinden.

Lu Seegers tut dies mit einem differenzierten sozial- und kulturhistorischen Ansatz, der verschiedene Perspektiven und Blickwinkel miteinander kombiniert. Im Zentrum steht dabei der Aufstieg der „Hör zu!“ zur marktbeherrschenden Programmzeitschrift und Illustrierten der Bundesrepublik. Ein Blick auf zwei ihrer Vorläufer, die in der Weimarer Republik und im Dritten Reich im renommierten Berliner Ullstein-Verlag (1934 enteignet und später in „Deutscher Verlag“ umbenannt) erschienen, sensibilisiert für die Voraussetzungen und Kontinuitäten in personeller, inhaltlicher und struktureller Hinsicht, die die medienpolitischen Zäsuren von 1933 und 1945 in erheblichem Maße relativieren. Zugleich zeigen sich jedoch auch einige gravierende Veränderungen, die sich zumeist aus längerfristigen gesellschaftlichen Wandlungsprozessen ergaben, die teilweise über die politischen Systemgrenzen hinweg anhielten.

Inhaltlich stehen zwei Aspekte im Zentrum der Untersuchung, nämlich die Berichterstattung über die Radio- und Fernsehtechnik sowie jene Kampagnen, mit denen die Rundfunkzeitschriften unter Ausnutzung ihrer Publizität versuchten, Einfluss auf die Programmgestaltung der Sender bzw. die Medienpolitik zu nehmen. Fast schon der Stellenwert eines Exkurses (freilich eines besonders gelungenen) kommt der Untersuchung der Ratgeber-Rubrik „Fragen Sie Frau Irene“ in der „Hör zu!“ im Hinblick auf die dort vertreten geschlechtsspezifischen Leitbilder zu.

Komplettiert wird all dies schließlich durch einen berufsbiografischen Zugang, der die Karriere des langjährigen „Hör zu!“ - Chefredakteurs Eduard Rhein (1900-1993) beleuchtet. Zwar stellt seine Person eine Art „Klammer“ für den multiperspektivischen Ansatz dar, doch nur scheinbar markiert dabei seine Biografie auch die Grenzen der Analyse: Vielmehr verweisen sein Aufstieg und Fall als „Hör zu!“ Chefredakteur Mitte der 60er Jahre ihrerseits auf eine aus sozialhistorischer Sicht mittlerweile etablierte Periodisierung, die den Zeitraum zwischen 1930 und 1960 als Einheit begreift, und für deren Plausibilität jenseits der politischen Umbrüche die Untersuchung weitere Belege liefert.

Als technischer Redakteur verdankte Eduard Rhein seine Karriere zu einem erheblichen Teil dem Aufstieg des neuen Mediums Rundfunk und der Faszination, die davon in den 20er Jahren ausging. Er trat als „Vermittler“ zwischen der neuen, technischen Welt und dem mit der Technik und dem Medium noch kaum vertrauten Publikum auf. Insofern half er, den Prozess der Veralltäglichung und Habitualisierung des Rundfunks voranzutreiben, der Anfang der 30er Jahre, als die Nationalsozialisten sich des Rundfunks bemächtigten, bereits weit fortgeschritten war. In dieser Zeit entwickelten sich die Rundfunkzeitschriften von stark medienbezogenen Publikationen mit einem Schwerpunkt bei der Rundfunktechnik zu „unpolitischen“ „Familienillustrierten mit Programmteil“. 1

In ihrer eskapistischen, harmonisierenden Tendenz entsprach etwa die 1936 neu herausgebrachte Zeitschrift „Hier Berlin“ dem Ideal einer glücklichen, konfliktfreien, konsum- und erlebnisorientierten „Volksgemeinschaft“, ohne dass es – so darf man vermuten – dafür der nationalsozialistischen Presselenkung bedurft hätte. Eduard Rhein trug, obgleich zweifellos kein Nationalsozialist, seinen Teil dazu bei, indem er den volksgemeinschaftlich ausgerichteten Technik- und Fortschrittsmythos des Regimes bediente und mit prägte. 2 Die nach wie vor kapitalistisch strukturierte Presselandschaft erwies sich in den als „unpolitisch“ geltenden Nischen zumindest bis zum Krieg in hohem Masse als kompatibel mit den nationalsozialistischen Interessen. Auch am Beispiel der populistischen Kampagnen, mit denen etwa die publizistisch ambitioniertere Rundfunkzeitschrift „Sieben Tage“ unter ihrem Chefredakteur Ludwig Kapeller gegen Ende der Weimarer Republik mit völkischen, anti-modernen und antipluralistischen Stereotypen die Programmverantwortlichen im Rundfunk unter Druck setzte, kann Seegers zeigen, in welchem Maße die von den Nationalsozialisten später radikalisierten ideologischen Muster bereits vor 1933 gesellschaftlich verbreitet und akzeptiert waren.

Zugleich trug nicht zuletzt das mit Hilfe ästhetisierter Technik-Mythen inszenierte Versprechen einer „modernen“ Konsumgesellschaft zur Akzeptanz der nationalsozialistischen Herrschaft bei. Seegers sieht darin einen Beleg für Jeffrey Herfs umstrittene Charakterisierung des Nationalsozialismus als „reactionary modernism“. 3 Das Buch leistet somit auch einen Beitrag zum bisher auf Basis der Massenmedien noch kaum beschrittenen Feld der NS-Konsensforschung. 4

Der beispiellose Aufstieg der „Hör zu!“ in der Bundesrepublik hing einerseits mit den guten Kontakten des jungen Verlegers Axel C. Springer zur britischen Besatzungsmacht zusammen. Zeitweise hatte die Zeitschrift faktisch das Monopol auf den Abdruck des NWDR-Programms inne und trat, ganz in der Tradition der frühen Programmpresse, als „offiziöse“ Programmzeitschrift des NWDR auf. Auf Dauer nicht minder entscheidend war jedoch das konzeptionelle Geschick, mit dem Rhein das Blatt kongenial am Markt platzierte. Unter Rückgriff auf etablierte, in Einzelfällen auch schwer belastete Journalisten und Grafiker konturierte er „Hör zu!“ als Service- und Ratgeberinstanz, die den Bedürfnissen des vielfach verunsicherten Nachkriegs-Publikums nach Orientierung, Sicherheit und Geborgenheit entgegenkam.

Das gleiche privatistische Bedürfnis nach „Normalität“ bediente die Zeitschrift, indem sie die vermeintlich unpolitische Unterhaltungskultur der Vorkriegszeit weiter popularisierte. Das seinerzeit übliche Politik-Verständnis, das „Politik“ auf die herausragenden Akteure des politischen Systems im engen Sinne begrenzte und davon strikt die vermeintlich nicht kontaminierte gesellschaftliche Sphäre unterschied, machte die personellen, inhaltlichen und ästhetischen Kontinuitäten erst möglich. Anscheinend gab es darüber auch keine nennenswerten Auseinandersetzungen mit der britischen Besatzungsmacht, vielmehr argumentierte Axel Springer gegenüber der zuständigen Kontrollinstanz, durch den harmonisierenden, eine „heile Welt“ inszenierenden Charakter der „Hör Zu!“ könne diese „unbemerkt, dafür umso wirkungsvoller beitragen zu einem anständigen politischen Neuaufbau und zur Entgiftung der Nachkriegsatmosphäre“. 5

Neben dem starken Kontinuitätsmoment und der spezifischen Mischung aus Unterhaltungs- und Serviceelementen beruhte der Erfolg der Zeitschrift aber zugleich auf der Rezeption moderner Elemente. So präsentierte sich das Blatt trotz der konservativ-biederen Grundtendenz zugleich als „moderne“ Zeitschrift: Das galt sowohl auf einer äußerlichen, ästhetischen Ebene, im Hinblick auf Comic-Elemente und die Titelgestaltung des Zeichners Kurt Ard, die sich stilistisch an amerikanischen Vorbildern orientierte, als auch inhaltlich, indem das konservative Ideal einer bürgerlichen, familienbezogenen Gesellschaft als aufgeschlossen gegenüber Konsum und moderner Technik inszeniert wurde.

Nicht zuletzt waren auch die Vermarktungsstrategien up to date. Rhein erzeugte mit Hilfe geschickten Merchandisings und den professionell von einem eigenen Redaktionsteam unter seiner persönlichen Leitung produzierten Fortsetzungsromanen nicht nur eine intensive Leser-Blatt-Bindung, er baute die Marke „Hör zu!“ auch zu einem Zeitpunkt erfolgreich über den Zeitschriften-Sektor hinaus aus, als der Begriff „Branding“ noch niemandem etwas sagte: So wurden die Fortsetzungsromane als Bücher vermarktet, ein eigenes Schallplatten-Label gegründet und vor der „Hör zu!“- Identifikationsfigur „Mecki“ war dank breiter Lizenzierung gegenüber der Spielwarenindustrie in den 50er Jahren (und darüber hinaus) kaum ein Kinderzimmer sicher.

So geschickt Chefredakteur und Verleger seinerzeit die symbiotischen Effekte dieses „Medienverbundes“ ausnutzten, so heftig bekämpfte Eduard Rhein vergleichbare Tendenzen anderswo. Denn die Kampagnen der „Hör zu!“ dienten nicht nur dazu, sich in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der Hörer gegen die Aufnahme traditionell verfemter avantgardistischer Musikstile und des Jazz in die Rundfunkprogramme zu wenden. Vielmehr nutzten Chefredakteur und Verleger zeitweise die ganze publizistische und ökonomische Macht der Zeitschrift, um gegen vermeintliche Korruption und kommerzielle Werbung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk anzugehen bzw. sich schließlich überhaupt für ein Fernsehen in privater, unternehmerischer Verantwortung stark zu machen. Stets inszenierte sich die „Hör zu!“ dabei populistisch als „Anwalt der Hörer“ obwohl hinter den Kampagnen gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk primär Unternehmensinteressen des Verlagshauses Springer oder gar persönliche Interessen des wirtschaftlich mit der Schallplattenindustrie verbundenen Chefredakteurs standen. Aber nicht nur deshalb hinterlassen sie einen ausgesprochen schalen Nachgeschmack: Zumindest partiell erinnern sie auch fatal an ein eingespieltes Muster, mit dem die Nationalsozialisten gegen Ende der Weimarer Republik den verhassten „Systemrundfunk“ mit Korruptionsvorwürfen überzogen und sein Führungspersonal diskreditierten.

Dass die „Hör zu!“ nicht nur mit rückwärtsgewandten, statischen Konzepten operierte, um den im Hinblick auf die Kriegsfolgen vielfach noch rekonvaleszenten Deutschen publizistisch Heilung angedeihen zu lassen, zeigt schließlich die Analyse der Ratgeber-Rubrik „Fragen Sie Frau Irene“, hinter der sich der liberale Publizist Walther von Hollander verbarg. Die dort vermittelten geschlechtsbezogenen Leitbilder waren zu Anfang noch deutlich von naturmystischen Vorstellungen eines „ausgleichenden“ Wesens der Frau bestimmt, die demzufolge auch nahezu allein für das Gelingen einer Ehe verantwortlich gemacht wurde. Relativ schnell wandelte sich Hollanders Ideal allerdings zum Modell einer partnerschaftlichen Beziehung, bei dem die formalrechtliche Gleichstellung von Mann und Frau nicht mehr durch solche überkommenen Geschlechterstereotype unterlaufen wurde. Die immer stärkere Ausrichtung der Rubrik auf Fragen der Erziehung und Rechte von Jugendlichen kündet zudem von dem Konfliktpotential, das zwischen den Generationen in der sich langsam liberalisierenden Gesellschaft erwuchs. Den Zeitgeist der 60er Jahre, also die Wende zu einer zunehmend plural verfassten Gesellschaft, in der Konflikte immer offener ausgetragen wurden, vermochte Chefredakteur Rhein jedoch nicht mehr nachzuvollziehen. Seine Karriere bei Springer endete daher nicht zufällig kurz nach dem Ende der Adenauer-Ära.

Insgesamt illustriert das Buch, dass die schnelle Identifikation der Bevölkerungsmehrheit mit der 1949 keineswegs besonders populären Teilstaats-Neugründung Bundesrepublik nicht nur auf die bipolare Konstellation des „Kalten Krieges“ und den schnellen Wirtschaftsaufschwung zurückzuführen ist. Maßgeblich war vielmehr auch eine spezifische Zeitkultur, in der Vergangenheit und Zukunft auf besondere Weise miteinander verflochten waren. Der nachhaltige Bruch von 1945/49 im politischen System wurde in den 50er Jahren dadurch abgefedert, dass in vielen Bereichen an vermeintlich durch den Nationalsozialismus nicht affizierte „unpolitische“ nationale Traditionen angeknüpft werden konnte. Die realen Umbrüche und gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse liefen so quasi subkutan ab, die konsumistische Moderne schien mit den traditionellen, homogenisierenden Gesellschaftsvorstellungen kompatibel.

Lu Segeers kommt das Verdienst zu, für den Bereich der populären Publizistik ein facettenreiches und zugleich eindringliches Bild dieser „biederen Moderne“ der frühen Bundesrepublik von ihren Ursprüngen im Nationalsozialismus bis zu ihrer Erosion in den 60er Jahren gezeichnet zu haben.

Anmerkungen:
1 Thomas Bauer, Deutsche Programmpresse 1923 bis 1941. Entstehung, Entwicklung und Kontinuität der Rundfunkzeitschriften. München u.a. 1993, S. 154.
2 Vgl. S. 262ff.
3 Vgl. Jeffrey Herf, Reactionary modernism. Technology, culture, and politics in Weimar and the Third Reich. Cambridge 1984.
4 Vgl. dazu insbes. Klaus-Michael Mallmann, / Gerhard Paul, (unter Mitarbeit von Hans-Henning Krämer): Herrschaft und Alltag: ein Industrierevier im Dritten Reich. Bonn 1991.
5 Vgl. S. 172.

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