M. Hausleitner: Vom Faschismus zum Stalinismus

Cover
Titel
Vom Faschismus zum Stalinismus. Deutsche und andere Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1941-1953


Herausgeber
Hausleitner, Mariana
Anzahl Seiten
251 S.
Preis
€ 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Franz Horváth, Hamburg / Ludwigslust

In den letzten Jahren sind mehrere vergleichend angelegte Sammelbände über die Geschichte und das Verhalten nationaler Minoritäten im Osten Europas im Osten Europas während der 1930er- und 1940er-Jahre erschienen. Alleine 2006 wurden zwei Aufsatzsammlungen über den Einfluss des Nationalsozialismus auf die „volksdeutschen“ und andere Minderheiten herausgegeben.1 Sie zeugen vom gewachsenen Interesse an der Geschichte dieser teilweise nicht mehr existenten Bevölkerungsgruppen. Insbesondere der von Kochanowski und Sach herausgegebene Band zeigt aber bereits durch den in Anführungszeichen gesetzten Begriff „Volksdeutsche“ die Schwierigkeiten und historischen Belastungen, die einer unverkrampften Beschäftigung mit dieser Thematik im Wege zu stehen scheinen. Und doch konnten die Forschungsergebnisse der letzten Jahre die ideologische Heterogenität der „Volksdeutschen“ verdeutlichen. Sie haben die widerstreitenden politischen Gruppierungen innerhalb dieser Minderheiten herausgearbeitet und auf deren vielfältigen Instrumentalisierungen durch das „Dritte Reich“ hingewiesen. Diese Arbeiten stellten zugleich die Affinität von Teilen der deutschen Bevölkerung zum Nationalsozialismus heraus, wie auch ihre bereitwillige Unterordnung unter die außenpolitischen Ziele des „Reiches“ sowie ihre Beteiligung an Kriegsverbrechen und am Holocaust.

Der hier anzuzeigende Sammelband von Mariana Hausleitner setzt bei eben dieser Mitwirkung südosteuropäischer deutscher Bevölkerungsgruppen an Kriegsverbrechen in Südosteuropa an und spannt dabei einen Bogen zum Stalinismus (und teilweise darüber hinaus bis 1956). Im Band sind die überarbeiteten Beiträge zweier Tagungen enthalten, die das Münchener „Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Südosteuropa“ 2005/2006 in Temeswar (Timişoara) und Fünfkirchen (Pécs) veranstalt hat. Die Aufsätze sind drei Blöcken zugeordnet: Im ersten Block finden sich Beiträge über das Schicksal und das Verhalten der deutschen Minderheiten in Kroatien (Marie-Janine Calic), in Bosnien und Kroatien (Carl Bethke) und in Rumänien (Mariana Hausleitner) während des Zweiten Weltkriegs. Die Aufsätze des zweiten Teils stellen den Umgang mit den Deutschen in den Mittelpunkt: Dennis Deletant untersucht die Südosteuropapolitik Großbritanniens 1944/1945, Armin Heinen geht auf die Behandlung der nationalen Minderheiten durch den rumänischen Staat ein, während Norbert Spannenberger den Zusammenhang zwischen Systemtransformation und politischer Säuberung in Ungarn aufzeigt. Neben diesen allgemeineren Untersuchungen widmen sich drei Aufsätze speziell den Ungarndeutschen. Pavel Polian vergleicht ihren Arbeitseinsatz in der Sowjetunion mit jenem der Rumäniendeutschen. Nóra Rutsch beschreibt die Integration von vertriebenen Ungarndeutschen in der DDR und Ferenc Eiler geht der Frage nach, wie sich die Ethnizität im lokalen Rahmen eines von Deutschen dominierten Dorfes im Laufe der Zeit zwischen 1930 und 1956 gewandelt hat. Im dritten Teil schließlich wird die Minderheitenpolitik Ungarns, Rumäniens und Jugoslawiens analysiert: Zoran Janjetovic und Lucian Nastasa befassen sich mit den Ungarn in Jugoslawien und Rumänien, Hannelore Baier, Hildrun Glass und Viorel Achim untersuchen die Lage der Deutschen, der Banater Juden und der Roma im Rumänien der Nachkriegszeit. Juliane Brandts Aufsatz über die Verschränkungen der ungarischen Gesellschafts- und Minderheitenpolitik gehört zweifellos zu den besten des Bandes. Michael Portmanns Beitrag über die kommunistische Nationalitätenpolitik in Jugoslawien zwischen 1944-1953 in der Region Vojvodina beschließt das vorliegende Sammelwerk.

Vergleicht man dieses mit den beiden erwähnten Büchern von 2006, fällt in erster Linie das Fehlen eines theoretischen Zugangs auf. Vor allem ein systematischer Vergleich nationalsozialistischer Volksgruppenpolitik mit der marxistisch-stalinistischen Nationalitätenpolitik hätte den Beiträgen den nötigen Hintergrund geben können. Da jedoch ein Theorieteil fehlt, muss sich der Leser insbesondere die Grundsätze kommunistischer Minderheitenpolitik selbst aus den Aufsätzen zusammensuchen. Ein Vergleich der beiden Systeme in Bezug auf ihren Umgang mit ethnischen Minderheiten findet sich noch am ehesten im Beitrag von Carl Bethke. Er unterstreicht die Verwicklung der Deutschen aus Kroatien in Kriegsverbrechen und stellt auch die Internierung von Deutschen in Lager nach dem Krieg dar. Bethkes Aufsatz steht für eine neue Art des Umgangs mit dem Schicksal südosteuropäischer deutscher Minderheitengruppen, denn er betrachtet diese Gruppen sowohl in ihrer Eigenschaft als Akteure als auch in ihrer Opferrolle, ohne jedoch das Augenmaß zu verlieren. Dementsprechend werden die unterschiedlichen Größenordnungen der von den Deutschen verursachten Verlusten an Menschenleben und der deutschen Opfer betont. Mit aktualpolitischem Bezug hält Bethke am Schluss seines Aufsatzes fest: „Für Wehleidigkeit, Lautstärke oder irgendwelche Forderungen von deutscher Seite gibt es bei diesem Thema keinen Anlass.“ (S. 39)

Es kann hier aus Platzgründen nicht auf alle Aufsätze eingegangen werden. Auffallend ist, dass die Autoren der Beiträge im ersten Teil (Calic, Bethke und Hausleitner) die deutschen Minderheiten überwiegend in ihrer Rolle als handelnde Akteure zeigen. Hingegen werden in den meisten anderen Aufsätzen die deutschen und auch die anderen ethnischen Gruppen (Ungarn, Roma, Juden) als Vertriebene, Enteignete und zur Zwangsarbeit eingesetzte Gruppierungen oder auch als Objekte staatlicher Entscheidungen und Maßnahmen behandelt. Die Vorstellungen, politischen Initiativen, Wünsche und Ängste dieser Minderheiten oder auch ihr Alltag in den jeweiligen Situationen erfahren selten Berücksichtigung. In dieser Hinsicht ragt Nóra Rutschs Aufsatz aus zwei Gründen hervor. Sie befasst sich zum einen mit dem ansonsten kaum bekannten Schicksal der Ungarndeutschen, die in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands angesiedelt wurden. Zum anderen untersucht sie auch Aspekte des alltäglichen Lebens wie die Wohn- und Arbeitsverhältnisse, die Eingliederung der vertriebenen Kinder in den Schulen, die Kultur- sowie Traditionspflege der Vertriebenen.

Somit dominiert in den meisten Aufsätzen der Blick der jeweiligen Staaten und Regierungen auf die Minderheiten. Diese werden zu häufig lediglich im Spiegel der sie betreffenden Verordnungen gesehen und zumeist als monolithische Kollektive behandelt. Hier macht sich die fehlende thematisch-theoretische Vorgabe bemerkbar, die den Sammelband vereinheitlichen und die einzelnen Aufsätze hätten strukturieren können. Somit leistet der Band in erster Linie einen Beitrag zur Geschichte der Lage von Minderheiten in Südosteuropa am Ausgang des Zweiten Weltkriegs. Auf diese Weise entsteht insgesamt doch ein rundes Bild über die Behandlung dieser Gruppen, das zum Ausgangspunkt weiterer Forschungen werden kann.

Anmerkung:
1 Jerzy Kochanowski, Maike Sach (Hrsg.), Die "Volksdeutschen" in Polen, Frankreich, Ungarn und der Tschechoslowakei. Mythos und Realität. Osnabrück 2006 (H-Soz-u-Kult Rezension vom 03.12.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-177>); Mariana Hausleitner, Harald Roth (Hrsg.), Der Einfluss von Faschismus und Nationalsozialismus auf Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa. München 2006 (H-Soz-u-Kult Rezension, 17.08.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-3-121>).

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