Cover
Titel
Trümmerfilme. Das deutsche Kino der Nachkriegszeit


Autor(en)
Shandley, Robert R.
Erschienen
Berlin 2010: Parthas Verlag
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harro Segeberg, Institut für Medien und Kommunikation, Universität Hamburg

Dieses Buch ist die deutsche Übersetzung einer bereits 2001 in der Temple University Press/Philadelphia erschienen Arbeit von Robert Shandley. Sie hieß dort „Rubble Films“, was im Untertitel gegenüber der deutschen Übersetzung etwas spezifischer ergänzt wurde um „German Cinema in the Shadow of the Third Reich“. Der Text dieser Arbeit wurde in der deutschen Übersetzung weder grundlegend überarbeitet noch erweitert. Was mit anderen Worten bedeutet, dass die Forschung der letzten zehn Jahre in der jetzt vorliegenden deutschen Fassung nicht berücksichtigt worden ist.1 Dafür mag es Gründe geben, aber über die hätte man als Leser doch gerne etwas erfahren. So, wie das Buch vorliegt, lenkt die Aktualisierung eines bibliografischen Nachweises (S. 296) oder die Nennung des Jahres 2009 als möglicher Rezeptionsperspektive (S. 17) die Erwartungen des Lesers in eine nicht ganz zutreffende Richtung.

Folgt man dem nicht und versucht die Arbeit mit dem Kenntnisstand des Jahres 2001 zu lesen, dann ist der weite Horizont, der hier aufgespannt wird, durchaus beeindruckend. Das zeigt sich vor allem darin, dass der Leser nicht nur mit den schon damals bekannten Nachkriegsklassikern wie „Die Mörder sind unter uns“ (1946), „Ehe im Schatten“ (1947) oder „Liebe 47“ (1948) vertraut gemacht wird, sondern zudem einem in seiner Vielfalt beeindruckendem Spektrum von Filmen begegnet. Ergänzt wird das Ganze um ein einleitendes Kapitel zur, wie man heute weiß, nie wirklich geglückten „Demontage der Traumfabrik“ Ufa und anderer Filmfirmen des Dritten Reiches (S. 19ff.).

Der von Shandley als ‚Trümmerfilm‘ bezeichnete Film meint, wie die Arbeit im Einzelnen ausführt, kein Genre im klassischen Sinne, sondern beschreibt eine eher thematische Auswahl von 17 Spielfilmen aus den Jahren zwischen 1946 und 1949 in Deutschland (von deutschen Firmen) gedrehten mehr als 50 Spielfilmen. Merkmal dieser Auswahl war die Anforderung, dass die Filme „die grundlegende Inszenierung des besiegten und zerstörten Deutschlands gemeinsam haben“ (S. 10). In der Erfüllung dieser Aufgabe machten sie aber Anleihen bei sehr unterschiedlichen Genres. Dazu zählen „von Liebesfilmen und Familienmelodramen bis zu Gangsterfilmen und Detektivgeschichten“ (ebd.) und dem Trümmer-‚Western‘ „Die Mörder sind unter uns“ (S. 56ff.) alle für ein populäres Kino einschlägigen Star/Genre-Muster.

Mithilfe einer solchen eher weichen Begrifflichkeit will Robert Shandley der Gefahr entgehen, Filme als „transparente historische Dokumente“ zur mehr oder weniger direkten Widerspiegelung von „Einstellungen der Filmemacher und des Publikums“ zu behandeln (S. 15). Stattdessen soll es das Ziel der Arbeit sein, aus Filmen als stets „mehrdeutige[n] Texte[n]“ einen durchaus wechselseitigen (und wohl auch offenen) Dialog zwischen Filmemacher und Publikum zu rekonstruieren (S. 16). Einem solchen Vorhaben, das mehr, als der Verfasser anfangs vermutet, mit dem Ansatz Siegfried Kracauers zu tun hat, entspricht es, dass die Arbeit nicht nur auf Texte, sondern auf Kontexte und in diesen Kontexten auf Filmbesprechungen als deren rezeptionsleitende Paratexte achtet.

In der Erörterung bekannter Trümmer-Klassiker dominiert, dem Ansatz der Arbeit entsprechend, die Diskussion zur Befolgung oder Nicht-Befolgung klassischer Genre-Regeln. So kann das Fehlen eines finalen Showdowns in Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“ auf ein grundlegendes politisch-moralisches Krisensymptom in der unmittelbaren Nachkriegsgesellschaft hinweisen (vgl. S. 72 und öfter) und der Rückgriff auf die melodramatische „‚Ökonomie der Gefühle‘“ (S. 81) in Filmen wie Helmut Käutners „In jenen Tagen“, Harald Brauns „Zwischen gestern und morgen“ und Wolfgang Liebeneiners „Liebe 47“ das Ersetzen neo-realistischer Tendenzen „durch Beispiele guter Deutscher in bösen Zeiten“ (S. 88) plausibel erscheinen lassen. – Erst spätere Kritiker hätten darin ein „ideologische[s] Scheitern“ (S. 92) gesehen. Aber auch Shandley selbst konstatiert, dass Käutner einfach nicht verstanden habe, dass „die Umstände“, unter denen er filmte, nicht einen moralischen, sondern „einen politischen Film“ notwendig gemacht hätten (S. 98). Harald Braun habe ebenfalls nicht mehr als einen „Hotelfilm“ zum Dritten Reich mit den aus dieser Zeit bekannten Ufa-Stars „über die Verbrechen ‚jener Tage‘ und nicht die Verbrechen bestimmter Leute“ (S. 109) gedreht. Liebeneiner schließlich habe sich zwar um eine „deutliche Herausarbeitung geschlechtspezifischer Rollen“ bemüht, dabei aber einen erstaunlich „mitfühlende[n] Umgang mit den Themen Geschlecht, Sexualität und Patriarchat“ praktiziert (S. 117). Diese Kritik hätte sich mit Massimo Perinellis „Liebe '47 - Gesellschaft '49. Geschlechterverhältnisse in der deutschen Nachkriegszeit“2 erheblich präzisieren lassen.

Überwiegend unbekanntes Gelände beschreitet Shandley dort, wo er darauf hinweist, dass es „[e]ntgegen der landläufigen Meinung […] deutsch-jüdische Trümmerfilm-Regisseure“ (S. 124) gegeben habe. Hier geht es, nach einem erstaunlich aufgeschlossenen Blick auf Kurt Maetzigs an der Kinokasse erfolgreiches „Melodram als kritische Geschichtsschreibung“ (S. 129), „Ehe im Schatten“ (1948), vor allem um Filme, die sich nicht auf die für einen Erfolg beim Kinopublikum unverzichtbaren populären ‚Narrative’ einlassen konnten oder wollten und es daher nicht in den Mainstream eines auch im Nachkrieg vor allem unterhaltenden Erzählkinos geschafft haben. Dazu zählen Arthur Brauners „Morituri (1948) mit seinem am moralischen Universalismus seines Opferpathos noch scheiternden „erste[n] Spielfilm [...], der ein Konzentrationslager zeigte“ (S. 143), der an die Displaced Persons des Holocaust gerichtete programmatische Palästina-Film „Lang ist der Weg“ (1948) oder eine von Autoren der Frankfurter Schule noch in den USA geplante experimentelle filmische Typologie des Antisemitismus (S. 159-165). Als auf ihre Art filmisch und moralisch-politisch jeweils erfolgreich erscheinen demgegenüber der Versuch, den Antisemitismus des Nationalsozialismus von seiner in den Plot einer Detektivgeschichte eingefassten kriminalistischen Vorgeschichte in der Weimarer Republik her aufzudecken (Erich Engel, R. A. Stemmle, „Affäre Blum“ 1948), sowie das wagemutige Projekt eines den Antisemitismus von seinen antisemitischen Projektionen her aufschlüsselnden Filmes zur Assimilationsproblematik (J. Baky, „Der Ruf“ 1949).

Zum zentralen ‚Trümmerfilm‘ zurück lenken insgesamt vier Filme, die aus den ideologisch und politisch noch vergleichsweise offenen Jahren der DEFA zwischen 1946 und 1948 stammen. Gemeint sind damit Klassiker wie Gerhard Lamprechts „Irgendwo in Berlin“ (1946), Werner Klingers „Razzia“ (1947), Peter Pewas‘ „Straßenbekanntschaft“ (1948) und Gustav von Wangenheims „Und wieder ’48“ (1948). Als bemerkenswert treten dabei verschiedene Aspekte hervor: Zu nennen sind hier der (Neo-)Realismus eines Gerhard Lamprecht, der die Trümmer des Nachkriegs aus einem Motiv in einen Akteur des Zeitgeschehens verwandeln konnte, und der nur in Grenzen geglückte Versuch eines Schwarzmarktkrimis bei Werner Klinger. Außerdem zählen dazu die von den Geschlechterproblemen des Nachkriegs handelnde filmische Volkserziehung und Gesundheitsaufklärung Peter Pewas‘ sowie der wie ein Theaterstück gefilmte Versuch von Wangenheims zur Rückverankerung des Aufbruchs von 1948 in den demokratischen Traditionen des Jahres 1848. Hierbei verwandeln sich die Ruinen des Nachkriegs in einen „Hörsaal für einen historischen Materialismus“ und eine der Trümmerfrauen in eine – gäbe es das – „kommunistische Nonne“ (S. 225).

Filmisch innovativ, aber auch ‚gedächtnislos‘ (S. 244) wird es für Robert Shandley demgegenüber in Rudolf Jugerts „Film ohne Titel“ (1947). Hinzu kommen die „Projektion kollektiver (Männlichkeits-)Phantasien“ (S. 248) in Josef von Bakys rückhaltlos auf Hans Albers konzentriertem Starfilm „Und über uns der Himmel“ (1947), die abermalige „Projektion gesellschaftlicher Nöte auf weibliche Sexualität“ in Käutners „Der Apfel ist ab!“ (1948) sowie R.A. Stemmles satirische „Berliner Ballade“ (1948). Dem darin bereits deutlich signalisierten „Ende des Trümmerfilmdiskurses“ (S. 266) wird dann noch ein weiteres abschließendes Kapitel zum Verschwinden des Trümmerfilms aus der Nachkriegs-(Film-)Geschichte gewidmet. Es wirbt engagiert und kenntnisreich für ein historisch differenziertes Verständnis für das von moralischen Überanstrengungen wie (geschlechter-)politischen Untiefen keineswegs freie „Erlösungsnarrativ“ (S. 278) des Trümmerfilms.

Anmerkungen:
1 Das sind, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, als Überblicksdarstellung die entsprechenden Kapitel in: Sabine Hake, Film in Deutschland. Geschichte und Geschichten seit 1895, Reinbek bei Hamburg 2004. Oder als filmhistorische Spezialstudie: Detlef Kannapin, Dialektik der Bilder. Der Nationalsozialismus im deutschen Film. Ein Ost-West-Vergleich, Berlin 2005; vgl. die Rezension von Katrin Hammerstein, in: H-Soz-u-Kult, 15.12.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-4-203> (21.02.2012).
2 Massimo Perinellis, Liebe '47 - Gesellschaft '49. Geschlechterverhältnisse in der deutschen Nachkriegszeit, Hamburg 1999. Ähnlich auch, mit einem komparatistischen Blick aus den 1940er- in die 1950er-Jahre: Annette Brauerhoch, „Fräuleins“ und GIs – Geschichte und Filmgeschichte, Frankfurt 2006; vgl. die Rezension von Lu Seegers, in: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-4-007> (21.02.2012).

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