K. Arnold u.a. (Hrsg.): Geschichtsjournalismus

Cover
Titel
Geschichtsjournalismus. Zwischen Information und Inszenierung


Herausgeber
Arnold, Klaus; Hömberg, Walter; Kinnebrock, Susanne
Reihe
Kommunikationsgeschichte, Bd. 21
Erschienen
Berlin 2010: LIT Verlag
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kirsten Moritz, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Abteilung Didaktik der Geschichte, Universität Göttingen

Die häufig beschworene Konjunktur von historischen Inhalten hat nicht nur Folgen für Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik: Für den Journalismus ist der „Geschichtsboom“ unter anderem insofern bedeutend, als dass „ein neues Ressort, eine neue Sparte oder eine neue Form von Journalismus zunehmend an Kontur zu gewinnen [scheint]: der Geschichtsjournalismus.“ (S. 7) Diese Form des Journalismus stand im Fokus einer 2009 von der Fachgruppe Kommunikationsgeschichte der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt abgehaltenen Tagung, deren Ergebnisse im Sammelband „Geschichtsjournalismus. Zwischen Information und Inszenierung“ zusammengetragen wurden. Zielsetzung des Bandes ist es, den Geschichtsjournalismus in seiner ganzen Breite und in seinen unterschiedlichen Aspekten zu beleuchten (S. 8). In der Einleitung wird knapp die Aktualität und Relevanz des Themas verdeutlicht und die einzelnen Beiträge werden kurz vorgestellt (S. 7ff.). Darüber hinaus erfolgt jedoch kein weiterer Bezug zum Forschungsfeld.

Der erste der fünf Abschnitte des Sammelbandes beschäftigt sich mit den Grundlagen des Geschichtsjournalismus und hat überblicksartigen Charakter. Dass es sich hier tatsächlich um ein „expandierendes Feld“ (S. 27) handelt, zeigt Walter Hömberg in seinem Überblick über das Spektrum geschichtsjournalistischer Produktionen. Dagegen wirft Horst Pöttker in seinem Beitrag die Frage nach der Qualität des Geschichtsjournalismus auf. Dabei legt er den Fokus auf den journalistischen Primat der Aktualität, der naturgemäß für den Geschichtsjournalisten eine schwierige Herausforderung darstellt. Seine These, dass Medienprodukte mit historischen Inhalten intensiver vom Publikum aufgenommen werden, wenn sie einen Gegenwartsbezug aufweisen, untermauert der Autor mit den Ergebnissen einer eigenen Studie. Der Historiker Frank Bösch beleuchtet das Verhältnis von Fachwissenschaft und Journalismus. Er konstatiert, dass es sich bei Geschichtsjournalismus und Geschichtswissenschaft nicht um „idealtypisch getrennte Systeme“ (S. 46) handele, sondern dass „das Verhältnis zwischen Geschichtswissenschaft und Medien mit Begriffen wie Interaktion und Korrelation zu beschreiben“ (S. 60) sei. Ein Erfahrungsbericht von Jochen Kölsch, der sich dem Bereich des Geschichtsfernsehens in seinen ganz unterschiedlichen Ausformungen widmet, veranschaulicht die beiden vorherigen Beiträge.

Der zweite Teil des Buches unter dem Titel „Geschichtsjournalisten“ (S. 85) befasst sich mit den Personen, Strukturen und Zielen, die hinter den Medienprodukten mit historischem Inhalt stehen. Auf diese Weise werden Aspekte miteinbezogen, die in bisherigen Untersuchungen keine oder nur eine untergeordnete Rolle eingenommen haben.1 Klaus Arnold definiert den Geschichtsjournalismus als „Fachjournalismus [–] ein eigenständiges Berichterstattungsfeld mit eigenen Strukturen“ (S. 90). Im Folgenden stellt er die Ergebnisse einer Befragung von Geschichtsredakteuren vor. Eines der Resultate ist, dass der Grad der Professionalisierung von Geschichtsredaktionen nicht allzu hoch und die Bearbeitung historischer Themen in den Medien nur teilweise fest institutionalisiert sei. Senta Pfaff-Rüdiger, Claudia Riesmeyer und Michael Meyen fragen nach der „Deutungsmacht des Fernsehens“ (S. 109): Die Autorinnen und der Autor beantworten die aufgeworfene Frage anhand einer Analyse der „wechselseitigen Orientierung von Geschichtsjournalisten und dem Publikum von Geschichtssendungen“ (S. 109). Die Münchner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen zu dem populäre Annahmen relativierenden Ergebnis, dass von einer Deutungsmacht des Fernsehens nur sehr eingeschränkt gesprochen werden könne, weil sich die massenmedialen Produkte in weit höherem Maße als bisher angenommen auch an den Vorlieben und Erwartungen der Rezipienten orientieren. Jürgen Wilke betrachtet Personen, in deren Lebensläufen Journalismus und Geschichtswissenschaft verbunden sind, und fügt somit den beiden vorherigen Aufsätzen eine konkrete lebensgeschichtliche Dimension hinzu. Die von ihm außerdem dargebotenen Ergebnisse einer Inhaltsanalyse der Rubrik „Zeitläufte“ aus der Wochenzeitung „Die Zeit“ bleiben dabei merkwürdig unverbunden mit diesen Fallbeispielen.

Das Verhältnis von Geschichtsjournalismus und Erinnerungskultur ist Thema des dritten Kapitels. Als strukturgebendes Element werden dabei der Gedenktagsjournalismus und dessen Bedeutung für die Erinnerungskultur betrachtet. Ilona Ammann legt in ihrem Aufsatz die theoretischen Grundlagen zur Behandlung dieser Thematik und kommt zu dem Ergebnis, dass der Gedenktagsjournalismus in der heutigen Mediengesellschaft mehrere Funktionen wahrnehme. Unter anderem gehörten dazu die Herstellung von Zeitbezügen sowie die Möglichkeit unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen, sich zu artikulieren. Die theoretischen Ausführungen von Ammann werden in den beiden folgenden Beiträgen konkretisiert: Die Rolle der Presseberichterstattung in der Erinnerungskultur wird zum einen von Martin Krieg anhand der Berichterstattung über den 20. Juli 1944 und zum anderen von André Donk und Martin R. Herbers am Beispiel der Zeitungsartikel über den 11. September 2001 analysiert. Vor allem dem Medienwissenschaftler Krieg gelingt ein innovativer Blick, indem er die Ergebnisse einer Inhaltsanalyse der Presseberichterstattung seit 1954 mit Daten von Bevölkerungsumfragen kombiniert.

Der vierte Abschnitt des Sammelbandes trägt den Titel „Populäre Vermittlung von Geschichte“ (S. 217) und konzentriert sich auf Fernsehdokumentationen. Erfreulich ist, dass sich sowohl der Beitrag von Stefanie Samida als auch der Aufsatz von Manuela Glaser, Bärbel Garsoffky und Stephan Schwan auf Produktionen über Archäologie beziehen. Damit wird ein weiteres Feld jenseits der gängigen Produktanalysen historischer Fernsehdokumentationen zum Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg erschlossen. Während sich der erste der beiden Aufsätze auf die Produktionen als Ganzes bezieht, behandelt der daran anschließende Beitrag von Glaser, Garsoffky und Schwan das Gestaltungselement des Re-enactments. Im Gegensatz zu der verbreiteten Kritik an dieser Form der Inszenierung kommen die Autoren auf Basis einer empirischen Studie zu dem Schluss, dass sie das „Eintauchen in vergangene Zeitepochen erleichtern“ helfe (S. 246). Im Beitrag von Alexander Schubert stehen kulturhistorische Großausstellungen im Fokus. Der Autor zeichnet die Entwicklung dieser Ausstellungsart seit 1977 nach und legt ihre unterschiedlichen Motive dar. Historische Großausstellungen werden dabei als Impulsgeber für die Behandlung bestimmter Themen in den Massenmedien dargestellt. Nicht nur bei diesem Beitrag wäre es wünschenswert gewesen, wenn das Verhältnis zwischen Journalismus und anderen Formen der öffentlichen Geschichtsdarstellung deutlicher geworden wäre. Die Frage danach wird zwar in der Einleitung des Bandes aufgeworfen, bleibt aber weitgehend unbeantwortet (S. 7f.).

Der letzte Teil des Sammelbandes betritt Neuland, indem er den Fokus auf die „Geschichte des Geschichtsjournalismus“ (S. 269) legt. Ein von Edgar Lersch verfasster Aufsatz widmet sich den Vorreitern des Geschichtsfernsehens beim Süddeutschen Rundfunk, Heinz Huber und Artur Müller, deren Produktionen und dem zugrunde liegenden historiografischen Konzept sowie den „Präsentations- bzw. Darstellungsroutinen der [frühen] Fernsehhistoriographie“ (S. 273).Wichtigstes Resultat dieser Beschäftigung: Eine klassische Form der historischen Dokumentation, die heutzutage von einigen Kritikern als Messlatte aktueller Beurteilungen angeführt wird und „die sich auch noch aus theoretisch entwickelten Prinzipien ableiten ließe und deshalb einen quasi normativen Anspruch erheben könnte“ (S. 289), scheint es nie gegeben zu haben. Abschließend behandelt Christian Hißnauer in seinem Beitrag das Dokumentarspiel der 1960/70er-Jahre als frühe Form des hybriden Histotainments. Der Göttinger Wissenschaftler weist damit auf ein bisher in der Forschung wenig betrachtetes Feld hin, dessen Bearbeitung auch für die Analyse aktueller Dokumentardramen gewinnbringend sein könnte (S. 312f.).

Es bleibt zu resümieren, dass der Band sein selbstgestecktes Ziel erreicht, das neue Ressort Geschichtsjournalismus in seinen unterschiedlichen Facetten zu beleuchten und dessen spezielle Kontur herauszuarbeiten. Die Kompilation von Aufsätzen vermeidet jene Eindimensionalität der Betrachtung, die sich in der bisherigen Forschung darin niederschlägt, dass diese sich in erster Linie mit Produkt- und Programmanalysen populärer Geschichtsdarstellung beschäftigt.2 Es wäre jedoch wünschenswert gewesen, wenn die ebenfalls meist vernachlässigte Seite der Rezipientinnen und Rezipienten näher und gesondert betrachtet worden wäre. Verschiedene Beiträge beziehen deren Perspektive zwar erfreulicherweise mit ein, aber eine dezidierte Betrachtung der Rezipientenseite, die über die dargebotenen Ansätze hinaus vor allem das festzustellende Desiderat der Wirkungsanalysen beheben könnte, erfolgt nicht. Aus geschichtsdidaktischer und geschichtswissenschaftlicher Sicht bleibt noch auf die methodische Vielfalt der Beiträge zu verweisen, die Anregungen bei der Suche nach Methoden zur Analyse von Geschichtskultur geben können.

Anmerkungen:
1 So blendet beispielsweise die Studie zur Entwicklung des Geschichtsfernsehens von Edgar Lersch und Reinhold Viehoff die Akteure zwar nicht völlig aus, behandelt diese jedoch in einem Unterkapitel und stellt die Analyse der Produkte in den Vordergrund: Edgar Lersch / Reinhold Viehoff, Geschichte im Fernsehen. Eine Untersuchung zur Entwicklung des Genres und der Gattungsästhetik geschichtlicher Darstellungen im Fernsehen 1995 bis 2003, Berlin 2007; vgl. die Rezension von Michael Meyen, in: H-Soz-u-Kult, 30.01.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-082> (06.11.2011).
2 Beispielhaft sei hier verwiesen auf: Saskia Handro, „Wie es euch gefällt!“ Geschichte im Fernsehen, in: Zeitschrift für Geschichtsdidaktik 6 (2007), S. 213-231; Judith Keilbach, Geschichtsbilder und Zeitzeugen. Zur Darstellung des Nationalsozialismus im bundesdeutschen Fernsehen, Münster 2008; vgl. die Rezension von Frank Bösch, in: H-Soz-u-Kult, 17.04.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-2-041> (06.11.2011).

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