Cover
Titel
Lykien. Ein archäologischer Führer


Autor(en)
Marksteiner, Thomas
Erschienen
Anzahl Seiten
215 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Hülden, Institut für Klassische Archäologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Thomas Marksteiner darf zweifellos als einer der profundesten Kenner des antiken wie des heutigen Lykiens gelten, also jener kleinasiatischen Region, die sich zwischen den Buchten von Fethiye und Antalya erstreckt. Schon als Student nahm er an den von Jürgen Borchhardt geleiteten österreichischen Ausgrabungen in Limyra teil, und sowohl in seiner Wiener Dissertation als auch in seiner am selben Ort abgeschlossenen Habilitation hat er sich lykischen Themen gewidmet.1 Im Jahr 2002 löste er Borchhardt als Direktor der Limyra-Grabung ab und hatte diese Position bis 2007 inne. Nicht nur in Limyra aber hat Marksteiner Spuren hinterlassen, er war auch an anderen Forschungsprojekten beteiligt – genannt seien etwa das Tübinger Lykien-Projekt von Frank Kolb oder die von Jacques des Courtils geleitete französische Grabung in Xanthos. Außerdem hat er diverse Surveys durchgeführt, wobei der letzte Andriake, den Hafen von Myra, zum Gegenstand hatte. Angesichts einer solch umfang- wie detailreichen Beschäftigung mit der Materie erscheint es besonders begrüßenswert, wenn Marksteiner nun einen archäologischen Führer zu Lykien vorlegt, um einem breiteren Publikum diese touristisch attraktive Landschaft an der türkischen Südwestküste näher zu bringen.

In der Einleitung steckt Marksteiner die Zielsetzung seines Führers ab. Dem archäologisch interessierten Leser will er die wichtigsten lykischen Ruinenstätten nahebringen und ihm Orientierungshilfe sowie einen möglichst umfassenden Überblick über die jeweiligen antiken und byzantinischen Monumente bieten (S. 7). Bevor er sich jedoch den einzelnen Orten zuwendet, stattet Marksteiner den Leser noch mit einer Fülle an Hintergrundinformationen aus. So behandelt ein Kapitel die geologische Beschaffenheit und die Siedlungsgeographie der lykischen Halbinsel, ein weiteres klärt über die antiken wirtschaftlichen Verhältnisse der Region auf, und ein letztes bietet einen geschichtlichen und kulturhistorischen Überblick. Dieser beginnt mit den wenigen schriftlichen und archäologischen Spuren der Bronzezeit und informiert dann umfassend über die wesentlichen Merkmale der mittlerweile recht gut erforschten Epoche der sogenannten Dynasten, die vom 6. bis zum 4. Jahrhundert v.Chr. über die einzelnen Landesteile Lykiens herrschten. Es folgen die etwas weniger ausführlichen Abhandlungen zu Hellenismus und Kaiserzeit sowie zur spätrömischen bis byzantinischen Zeit. Ein eigens der Ausbreitung des Christentums gewidmeter Abschnitt schließt das durchwegs gelungene und mit jeweils passenden Zitaten aus der antiken Literatur versehene Kapitel ab.

Für seinen mit den einzelnen Ortschaften Lykiens befassten Hauptteil hat sich Marksteiner auf die sogenannten lykischen Kernländer beschränkt, wohingegen er die als Nordlykien bezeichneten und nur bedingt zugehörigen Regionen wie die Milyas oder die Kibyratis zu Recht ausklammert. Der „klassischen“ Dreiteilung Lykiens folgend nimmt er sich einer annähernd gleichgewichteten Auswahl von Orten zunächst im westlichen (Telmessos, Kadyanda, Pinara, Tlos, Xanthos, Letoon und Patara), dann im zentralen (Antiphellos, Phellos, Timiussa, Tyberissos, Apollonia/Aperlai, Kyaneai, Hoyran, Istlada und Trysa) und schließlich im östlichen Landesteil an (Myra samt Umland, Limyra, Arykanda und Rhodiapolis). Zwei Exkurse beschäftigen sich darüber hinaus mit Olympos und einigen Sehenswürdigkeiten in seiner Umgebung sowie mit der lykischen Abteilung des Archäologischen Museums von Antalya. Als Entscheidungskriterien für die Ortswahl haben das Ziel eines repräsentativen Gesamtüberblicks über „hervorragende Beispiele der wichtigsten Monumentgattungen und Siedlungsformen“ (S. 8) sowie die generelle Bedeutung der Stätte, aber auch eine entsprechend gute Erreichbarkeit gedient.

Die Vorstellung der einzelnen Orte läuft immer nach demselben Schema ab: An eine knappe, aber präzise Beschreibung der Lage und der Zugangsmöglichkeiten schließt zunächst eine allgemeine Übersicht der jeweiligen Ruinenstätte und ihrer historischen Hintergründe an, wobei mitunter wieder antike Textstellen in Übersetzung oder paraphrasiert eingestreut sind. Gelegentlich finden sich zudem neben allgemeinen touristischen Hinweisen (so etwa S. 56 im Zusammenhang mit Tlos auf den Canyon des nahegelegenen Saklıkent) auch solche auf Übernachtungsmöglichkeiten, die jedoch auf die bloße Namensnennung und eine grobe preisliche Kategorisierung beschränkt sind und den Reisenden somit zwingen, auf eine entsprechende Beschilderung am Ort zu hoffen oder sich dort durchzufragen. Danach unternimmt Marksteiner mit dem Leser einen detaillierten Rundgang durch die Ruinenstätten und stellt deren wichtigste Monumente ausführlich und in ihrem Kontext vor. Ergänzt werden nahezu alle Beschreibungen durch zumeist vom Verfasser selbst gemachte Farbfotos von sehr guter Qualität.2 Außerdem ist zu beinahe jeder Ruinenstätte ein Orientierungsplan beigegeben. Mit den Plänen einiger Orte werden allerdings weniger „geländetaugliche“ Reisende mit geringem Orientierungssinn womöglich gewisse Schwierigkeiten haben. So sind in der Regel keine Wege in die Pläne eingezeichnet, was freilich auch daran liegt, dass viele der Stätten nicht erschlossen sind, sondern (glücklicherweise!) ihren ursprünglichen Charme bewahrt haben. Insofern erfordert mancher Besuch ein gewisses Maß an Abenteuerlust. Allerdings hätte man dem Reisenden manchmal durchaus mehr Hilfestellung geben können, indem beispielsweise in die vereinzelt auch lückenhaften Pläne zumindest eingetragen worden wäre, von welcher Seite man sich am besten nähert und wo man gewöhnlich den Rundgang zu beginnen hat.3

Nur punktuell kann hier auf die zu den einzelnen Stätten dargebotenen Informationen eingegangen werden. Insgesamt ist erneut ihre umfassende Fülle und prägnante Darstellung hervorzuheben. Lobenswert ist auch der Blick ins Umland, der insbesondere im Fall von Myra dem Reisenden wenig bekannte, aber spektakuläre Bauten wie ein hervorragend erhaltenes Turmgehöft oberhalb der Stadt, die befestigte Anlage von Beymelek oder einige christliche Klöster erschließt. An der einen oder anderen Stelle der Ortsbeschreibungen findet der Kenner natürlich immer auch Kleinigkeiten, die ihm zusätzlich erwähnenswert erschienen wären. So vermisst man bei Xanthos und beim Letoon vielleicht den Hinweis darauf, dass beide Stätten seit 1988 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehören. Und im Zusammenhang mit Patara hätte das erst vor einigen Jahren gefundene „Stadiasmus-Monument“ durchaus genannt werden können, dessen Inschrift mit Straßenbauarbeiten befasst ist und wichtige geographische Angaben zum antiken Lykien enthält.4 Bedauerlich ist ferner die nur sporadische Erwähnung der in den 1990er-Jahren durch das Tübinger Lykien-Projekt entdeckten Siedlung auf dem Avşar Tepesi. Sie ist aufgrund bestimmter historischer Umstände der sonst nahezu durchgängigen hellenistischen, kaiserzeitlichen und byzantinischen Überbauung entgangen und vermag insofern ohne Ausgrabung einen hervorragenden Eindruck von einer Siedlung der lykischen Dynastenzeit zu geben.5 Auf Grund der schwierigen Zugänglichkeit ist es aber sicherlich verständlich, dass ihr kein eigener Abschnitt zuteil geworden ist. Allerdings hätte die Siedlung – weil in gewisser Weise als Vorgängerin der hellenistisch-kaiserzeitlichen Polis Kyaneai gehandelt – im Zusammenhang mit dieser zumindest knapp gewürdigt werden können.

All diese eher kleinlichen Kritikpunkte, denen man schließlich vielleicht noch das etwas schlichte Layout des Bandes hinzufügen könnte6, verblassen allerdings vor dem Gesamteindruck, den Marksteiners Beschreibungen der einzelnen Orte hinterlassen. Wo vorhanden, sind überall die Resultate der jüngsten Forschung in die Darstellung mit eingeflossen, wobei es dem Autor gelingt, nicht nur die eigenen Ergebnisse, sondern auch diejenigen anderer adäquat zusammenzufassen und verständlich zu vermitteln. Im Hinblick darauf wäre es allenfalls noch wünschenswert gewesen, wenn die Literaturhinweise am Ende des Buches etwas umfangreicher ausgefallen wären. Gerade wegen des hohen Informationsgehalts des Führers und weil Marksteiner als Experte zudem zu vielen komplexen Themen Stellung bezieht, hätte er dem auf weitere Aufklärung bedachten Leser durchaus ein wenig mehr Fachliteratur zumuten können. Dies um so mehr, da sich sein ebenso handlicher wie robuster Führer ohnehin hauptsächlich an ein Publikum von einschlägig orientierten Fachleuten und Studenten sowie kulturell interessierten Individualtouristen richtet; denn eines ist klar: In Lykien zu reisen bedeutet, sich in weiten Teilen nach wie vor abseits der großen Touristenströme und ausgetrampelter Pfade zu bewegen. Denjenigen, die daran Gefallen finden, hat Thomas Marksteiner einen umfassenden Reiseführer beschert, der zudem das Zeug zu einem fundierten Überblickswerk zu einer einzigartigen Region der Antike und ihrer Kultur hat.

Anmerkungen:
1 Thomas Marksteiner, Die befestigte Siedlung von Limyra. Studien zur vorrömischen Wehrarchitektur und Siedlungsentwicklung in Lykien unter besonderer Berücksichtigung der klassischen Periode, Wien 1997 und ders., Trysa. Eine zentrallykische Niederlassung im Wandel der Zeit. Siedlungs-, architektur- und kunstgeschichtliche Studien zur Kulturlandschaft Lykien, Wien 2002.
2 Auf S. 42f. ist allerdings die Untertitelung der beiden Abbildungen vertauscht. Außerdem fragt man sich, warum S. 84f. vier bis auf die Blickrichtung nahezu identische Fotos der drei Tempel des Letoons auf eine Doppelseite „gepackt“ wurden, wohingegen anderenorts – wie etwa in den Abschnitten zu Istlada und Aperlai – gänzlich auf Abbildungen verzichtet wurde.
3 Auf dem Plan von Apollonia (S. 125) hätte man beispielsweise zumindest die Lage des nahegelegenen Dorfes sowie der an der antiken Siedlung im Osten vorbeiführenden Fahrstraße kenntlich machen können. Ein anderes verbesserungswürdiges Beispiel bildet der sehr summarische sowie ohnehin nicht aktuelle und besonders schön geratene Plan von Kyaneai auf S. 128. Mit seiner Hilfe dürfte sich etwa der reliefgeschmückte und im Text ausführlich gewürdigte Sarkophag des Khudalije nur schwerlich lokalisieren lassen, und Gleiches gilt für das Bouleuterion und das „Stheneleion“. Etwas ungeschickt ist überdies, dass auf dem vorne und hinten im Buch abgedruckten Übersichtsplan von Lykien nicht alle Orte verzeichnet sind.
4 Zu diesem Monument und seiner Inschrift siehe Sencer Şahin / Mustafa Adak, Stadiasmus Patarensis. Itinera Romana provinciae Lyciae, Istanbul 2007.
5 Zu dieser Siedlung siehe Andreas Thomsen, Die lykische Dynastensiedlung auf dem Avşar Tepesi, Bonn 2002.
6 Innovativität hinsichtlich der Gestaltung kann das auf Solidität setzende Buch gewiss nicht für sich in Anspruch nehmen; hier hat der Verlag seine Möglichkeiten sicherlich nicht ausgeschöpft. Ein Beispiel für einen aktuellen, aber deutlich mehr den modernen Lese- und Sehgewohnheiten angepassten und insofern (jedoch auch vom Gegenstand her) auf eine erweiterte Leserschaft abzielenden Reiseführer bildet: Wolfram Letzner, Eine antike Metropole in Kleinasien. Ephesos, Mainz 2010. Siehe dazu die Rezension von Oliver Hülden in: H-Soz-u-Kult, 04.04.2011 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-2-007> (14.04.2011).

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