J. Peltzer u.a. (Hrsg.): Politische Versammlungen und ihre Rituale

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Titel
Politische Versammlungen und ihre Rituale. Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und der Kirche im späten Mittelalter


Herausgeber
Peltzer, Jörg; Schwedler, Gerald; Töbelmann, Paul
Reihe
Mittelalter-Forschungen 27
Erschienen
Ostfildern 2009: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
287 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Schwarz, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der Band, der von den Formen und Funktionen der Mitbestimmung der höchsten Würdenträger des Reiches und der Kirche auf den großen Versammlungen des Spätmittelalters handelt, ist hervorgegangen aus der Tagung, die im November 2007 durch den Sonderforschungsbereich 619 „Ritualdynamik“ und das Historische Seminar/Institut für fränkisch-pfälzische Geschichte und Landeskunde der Universität Heidelberg veranstaltet wurde. Gemäß den Grundsätzen dieses SFB sind Konzeption und Ausrichtung der Sammelschrift einerseits dem sogenannten „Ritualansatz“ verpflichtet1, eine aus den gegenwärtigen Kulturwissenschaften nur noch schwer wegzudenkende Forschungsrichtung zur Entschlüsselung vormoderner Gesellschaften2, die auch durch grundsätzliche Kritik in ihrer Wirkmächtigkeit bislang kaum ernsthaft beeinträchtigt worden ist.3 Damit verbunden wurde andererseits die wesentlich aus der klassischen Verfassungsgeschichte hervorgegangene Hof- und Reichstagsforschung, die namentlich durch die Forschungen von Peter Moraw, Erich Meuthen und Johannes Helmrath neue Anschübe erhalten hat und die in der monumentalen Dissertation von Gabriele Annas vor kurzem noch einmal auf eine ganz neue Grundlage gestellt wurde.4

Gut ist die Einleitung, die die Herausgeber Jörg Peltzer, Gerald Schwedler und Paul Töbelmann dem Band gegeben haben, da sie nicht nur das Gelände beschreibt und den Rahmen absteckt, sondern – im Blick auf die Organisation, die Prozesse und die Repräsentation auf den Versammlungen – auch spezifische Fragen stellt, die von den Autoren zu beantworten versucht werden. Reflexionen über den Gegenstand „Politische Versammlungen“ liefern Jürgen Miethke (S. 21–36) und Martin Kaufhold (S. 263–272) – Miethke in einem weitgespannten Überblick über die Konzilien der Alten Kirche und des Mittelalters, Kaufhold im Hinblick auf die Entscheidungsspielräume im Spannungsfeld von Repräsentation und Ritual. Jürgen Dendorfer (S. 37–54) fragt nach der Inszenierung von Entscheidungsfindungen auf den Konzilien des 15. Jahrhunderts und untersucht dabei vor allem das Zeremoniell der sessio generalis, den performativ gestalteten Abschluss der Entscheidungsfindung auf dem Basler Konzil. Nachweislich habe auch das Basiliense, das unter allen Konzilien die Rationalisierung der Entscheidungsfindung am weitesten getrieben habe, nicht auf symbolisch-zeremonielle Formen verzichten können, ja mit der feierlichen Eröffnung vom 14. Dezember 1431 habe das Gepränge des Zeremoniells die fragliche päpstliche Bestätigung geradezu überspielt. Hieran anknüpfend fragt Achim Thomas Hack (S. 55–92) nach Zeremoniell und Inszenierung des päpstlichen Konsistoriums im Spätmittelalter und vermutet, dass die zeremoniellen Grundzüge des Konsistorialempfangs bereits in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts – mithin in einer sehr frühen Phase der (modernen) Geschichte dieser Institution – ausgebildet gewesen seien. Unter dem attraktiven Leitgedanken „Das Reich ordnen“ widmet sich Jörg Peltzer (S. 93–112) den Sitzordnungen auf den Hoftagen des 13. und 14. Jahrhunderts, wobei er sich vor allem mit dem problembeladenen Nürnberger Hoftag König Albrechts I. von 1298 beschäftigt, für den gleich mehrere Sitz- und Rangstreitigkeiten bezeugt sind. In wichtigen weiterführenden Gedanken transponiert Peltzer diese Zusammenhänge bzw. deren Konsequenzen in den Kontext der Neuordnungen des Reiches im 15. Jahrhundert. Gabriele Annas (S. 113–150) fragt nach dem Zusammenhang zwischen Rang, Amt und Person bei fürstlichen Besuchern von Reichsversammlungen im späten Mittelalter. Gerald Schwedler (S. 151–179) beschäftigt sich mit dem Zustandekommen von Konsensentscheidungen auf spätmittelalterlichen Hoftagen, während sich André Krischer (S. 181–206) am Beispiel der Städtekurie mit Inszenierung und Verfahren auf den Reichstagen der Frühen Neuzeit auseinandersetzt. Jörg Feuchter (S. 207–218) knüpft an die Forschungen Johannes Helmraths zur Oratorik an und sucht Zugänge zur Redekultur auf vormodernen französischen Generalständen. Der für die grundsätzliche Ausrichtung des Bandes besonders signifikante Beitrag von Paul Töbelmann betont unter Zuhilfenahme einer Fülle von Einzelbespielen namentlich aus dem 13. und 14. Jahrhundert, dass es sich bei Prachtentfaltungen, Glanz und Pomp auf den Reichsversammlungen nicht um Adiaphora, sondern um zentrale Bausteine der mittelalterlichen Lehnsgesellschaft gehandelt habe (S. 219–246). Stephan Selzer wiederum stellt Überlegungen zur Optik des Reichstags an und untersucht dabei Kleidung und Heraldik fürstlicher Besucher auf spätmittelalterlichen Reichsversammlungen (S. 247–262).

Eine hilfreich die Beiträge bündelnde und um weitere Gedanken ergänzte Schlussbetrachtung von Stefan Weinfurter (S. 273–280), der noch einmal die grundlegende Bedeutung einer performierten Handlungsabfolge unterstreicht, sowie ein von Johannes Fuchs und Anuschka Gäng bearbeitetes Namens- und Ortsregister beschließen den Band, für dessen wissenschaftliche Substanz es spricht, dass man seine Beiträge auch dann gewinnbringend lesen kann, wenn man sie nicht oder zumindest nicht ausschließlich vor der Folie der Ritualforschung aufnimmt – sei sie nun allgemein oder in der spezifischen Erweiterung einer besonderen Dynamik der Rituale aufgestellt. Der Band als Ganzes wie seine Beiträge im Einzelnen erweitern unser Bild der politischen Versammlungen von Kirche und Reich im Spätmittelalter beträchtlich, fügen neue, so bisher nicht wahrgenommene Dimensionen hinzu. Nur gelegentlich – wie etwa wenn gesagt wird, dass die Verschriftlichung der Rangordnung an der Spitze des Reiches durch die Goldene Bulle Kaiser Karls IV. letztendlich darauf abgezielt habe, diese Rangordnung „ihrer Dynamik zu berauben“ (S. 110) – erscheint die Deutung vor dem Hintergrund der ausgeworfenen Fangnetze ein wenig zu selbstreferentiell.

Anmerkungen:
1 Zum SFB 619 im Überblick: Ritualdynamik – Soziokulturelle Prozesse in historischer und kulturvergleichender Perspektive, Heidelberg 2003, siehe: <http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/4581>; Andrea Belliger / David Krieger (Hrsg.), Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch, Opladen 1998, bes. S. 7–9.
2 Vgl. Gerd Althoff, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003; ders., Rituale. Symbolische Kommunikation. Zu einem neuen Feld der historischen Mittelalterforschung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 50 (1999) S. 140–154.
3 Philipp Buc, The Dangers of Ritual. Between early medieval texts and social scientific theory, Princeton 2001.
4 Gabriele Annas, Hoftag – Gemeiner Tag – Reichstag. Studien zur strukturellen Entwicklung deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters (1349–1471), 2 Bde., Göttingen 2004 (mit einer CD-ROM: Verzeichnis der Besucher deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters, 1349 bis 1471). Vgl. dazu Jörg Schwarz: Rezension zu: Annas, Gabriele: Hoftag - Gemeiner Tag - Reichstag. Studien zur strukturellen Entwicklung deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters (1349-1471). Göttingen 2004, in: H-Soz-u-Kult, 15.03.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-1-190>.

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