G. Isekenmeier: 'The Medium is the Witness'

Cover
Titel
'The Medium is the Witness'. Zur Ereignis-Darstellung in Medientexten - Entwurf einer Theorie des Medienereignisses und Analyse der Fernsehnachrichten vom Irak-Krieg


Autor(en)
Isekenmeier, Guido
Reihe
WVT Handbücher und Studien zur Medienkultur 2
Anzahl Seiten
292 S.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ilona Ammann, Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung, Ludwig-Maximilians-Universität München

„Es sind nicht Texte, sondern Bilder, die die Wende zum 21. Jahrhundert markieren und sich in unsere Köpfe eingebrannt haben“.1 Wir befinden uns in einem digitalen, visuellen Zeitalter, das geprägt ist von global zirkulierenden Nachrichtenbildern, die für die Wahrhaftigkeit des Ereignisses stehen. Insbesondere bei außergewöhnlichen Nachrichtenereignissen spielt die Visualisierung eine entscheidende Rolle. Ein Paradebeispiel ist der Irakkrieg von 2003, der aufgrund der Digitalisierung eine globale Bildzirkulation auslöste. In seiner Dissertation trägt Guido Isekenmeier diesem Visualisierungstrend Rechnung. Im Zentrum steht die Frage, wie über die Bilder des Irakkrieges eine realistische Ereigniswiedergabe erzeugt wurde.

Die Arbeit gliedert sich im Wesentlichen in einen theoretischen (I) und einen empirischen Teil (II). Einleitend setzt Isekenmeier beim Medienereignisbegriff von Daniel Dayan und Elihu Katz an, wonach Medien Ereignisse nicht einfach wiedergeben, sondern sie erst hervorbringen.2 Medienereignisse werden demzufolge nicht als Tatsachendarstellung, sondern als performative Akte verstanden. Ihre Begriffsauffassung entwickelten Dayan und Katz anhand der television ceremonies, die sich durch Eigenschaften wie preplanned, announced und advertised auszeichnen. Medienereignisse sind weder überraschend noch unerwartet und im strengen Sinne auch nicht ereignishaft. Sie sind wertgeladene Feste des Konsenses, bei denen die Frage nach Wahrheit oder Fälschung eine untergeordnete Rolle spielt. Die objektive und wahre Wiedergabe von plötzlichem Geschehen obliege den Nachrichtenereignissen. Isekenmeier skizziert den Kontrast zwischen „sprachlich-deskriptivem Journalismus und visuell-performativen Zeremonien“ und grenzt sich zugleich von dieser „allzu einfache(n) Gegenüberstellung“ der klassischen Medienereignisforschung ab (S. 221). Er lenkt den Blick auf Nachrichtenereignisse, die er ebenfalls als performative Akte und somit als Medienereignisse versteht. Im Unterschied zu visuellen Zeremonien obliege ihnen jedoch die Aufgabe der wahren Ereigniswiedergabe. Aufgrund des performativen Fokus der Medienereignisforschung seien diese bislang jedoch nicht berücksichtigt worden. Diese Annahme ist jedoch so nicht haltbar. So haben beispielsweise bereits Elihu Katz und Tamar Liebes 3 die Medienereignistypen um disruptive events (überraschende, ungeplante Ereignisse) erweitert. Isekenmeier geht davon aus, dass medialer Ereignis-Realismus über Bilder hergestellt wird und legt den Fokus auf realistische Visualisierungsstrategien. Ziel der Arbeit ist eine Theorie von Medienereignissen, die jegliche Verarbeitung von aktuellen Ereignissen im Sinne der Performativität realistischer Medien- und Nachrichtenereignisse umfasst. Um es vorwegzunehmen: Dies gelingt ihm nur bedingt.

Zunächst (Kap. I.1) bestimmt Isekenmeier auf Grundlage der Sprechakttheorie Medienereignisse als Kombination von konstativ-realistischen und performativ-bardischen Elementen. Diese Abgrenzung ist zwar nicht immer trennscharf, dient ihm jedoch als „operative Fiktion“ (S. 231), um sich auf Bilder zu konzentrieren und die sprachliche Begleitung zu vernachlässigen. Im Rückgriff auf Jacques Derrida geht Isekenmeier davon aus, dass auch konstative Aussagen Ereignisse erzeugen und somit performativ sind. Insofern ist eine Darstellung realistisch, wenn sie vorgibt eine unabhängige Realität wiederzugeben, das heißt ihre Performativität besteht darin, von ihrem konstativen Charakter zu überzeugen. Ausgehend von der Performativität von Medienereignissen wirft Isekenmeier die Frage auf, wie dieser Realismus entsteht. Er unterstellt dabei, dass die realistische Ereignisdarstellung über transnationale Bilder verlaufe, da diese unabhängig von nationalen Grenzen funktionieren. Die bardische Darstellung bezieht sich im Gegensatz dazu auf die sprachliche, nationale Interpretation. Die empirische Beweisführung dieser Unterstellung bleibt er jedoch weitgehend schuldig.

Auf Basis des Ereignisbegriffes von Derrida leitet Isekenmeier eine Typologie von insgesamt vier realistischen Visualisierungsstrategien ab: den Realismus der Bewegung, der Unsichtbarkeit, der Unterbrechung und der Topologie. Voraussetzung ist die indexikalische Ablichtung des Ereignisses sowie der Realitätseffekt technischer Bilder. Dieser infrastrukturelle Hintergrund wird im Kapitel „In Richtung einer Medien-Ereignis-Geschichte“ (I.2) behandelt, das gleichzeitig den Übergang von der Theorie zur Empirie bildet. Ereignis-Medien sind mediale Konfigurationen, die in der aktuellen Berichterstattung zum Einsatz kommen und sich auf den technischen Rahmen beziehen. Der Autor setzt den televisuellen Ereignis-Realismus in Vergleich zu anderen medialen Konfigurationen und präzisiert so dessen Spezifika quasi ex negativo. Als Vergleichsmatrix dienen der akustische Realismus (Telefon) sowie die imaginäre Ereignisdarstellung des Kinofilms.

Alles in allem unterscheidet sich der visuelle Ereignis-Realismus von (a) bardischen Strategien der Ereignispräsentation, welche die Ereignishaftigkeit unterschlagen, von (b) auditiver Ereignisberichterstattung, die auf eine Inszenierung von Indexikalität angewiesen ist und über Reporter vor Ort oder hörbare Indexikalität (wie erkennbare Bombengeräusche) hergestellt wird sowie von (c) kinematographischen Ereignisbildern, die das Ereignis hyperrealistisch visualisieren.

Im empirischen Teil untersucht Isekenmeier die verschiedenen Ausprägungen der theoretisch abgeleiteten Typologie anhand der Fernsehnachrichten über den Irakkrieg 2003 aus vier Ländern: Vereinigte Staaten, Großbritannien, Schweiz und Deutschland. Filmbilder des Ereignisses dienen als Kontrastfolie, um den visuellen Ereignis-Realismus weiter zu präzisieren. Isekenmeier resümiert, dass sich der Realismus der Plötzlichkeit durch die Bewegtheit des Ereignisses über unscharfe oder unruhige Bildsequenzen darstellt, der Realismus des Geheimnisses über meist grünstichige Nachtsichtbilder, der Realismus der Unterbrechung vor allem durch Bildausfälle sowie der Realismus der Topologie über Gebäude- und Städteansichten. Zudem gehen bestimmte Darstellungsweisen mit spezifischen Ereignis-Medien einher. Bezüglich des Irakkrieges lassen sich mindestens zwei Ereignis-Medien differenzieren, die sich wiederum auf zwei Typen des Realismus beziehen. Einerseits finden sich im Untersuchungsmaterial Aufnahmen von unbemannten Überwachungskameras in Bagdad, die durch ihren festen Kamerastandort eine Affinität zum Realismus der Topologie aufweisen. Andererseits wird das Ereignis von Handkameras und Videotelefonen eingebetteter Korrespondenten geprägt, die dem Realismus der Bewegung entsprechen.

Obwohl die bardische Funktion in der Arbeit vorrangig keine Rolle spielt, wird sie in Kapitel II.2 („Das Bild des Ereignisses und seine bardische Einfassung“) aufgrund der Überschneidungen von realistischen Bildern und bardischen Texten aufgegriffen. Denn die realistische Darstellung über Bilder wird häufig mit (visuellen) bardischen Elementen kombiniert: Bardische Figuren (zum Beispiel Sprecher) und Rahmungen (grafisches Setting) werden um das Ereignis herum ins Bild gesetzt. Klassisches Beispiel ist das Studiobild mit Nachrichtensprecher. Hier steht auf der einen Seite das Bild mit seiner realistischen Funktion, das Ereignis zu zeigen, und auf der anderen Seite der Journalist als Verkörperung der bardischen Funktion. Dieser bringt dem Zuschauer das Ereignis näher, lässt ihn durch die Kommentierung das Ereignis stellvertretend erleben und garantiert eine routinisierte Rezeption des Ereignisses.

Alles in allem entwickelt Guido Isekenmeier auf Basis der Sprechakttheorie die Medienereignisforschung weiter und macht mit der Typologie realistischer Visualisierungsstrategien deutlich, wie über Bilder Authentizität vermittelt wird. In dieser Typologie liegt denn unter anderem der Verdienst der Arbeit. Dabei überzeugt er durch eine fundierte Analyse der Belegbeispiele. Insgesamt wären jedoch ein systematischeres Vorgehen sowie eine übersichtlichere Ergebnisdarstellung wünschenswert gewesen. Aufgrund der oft assoziativen Gedankengänge ergeben sich Zusammenhänge oft erst beim Querlesen, was die Lesbarkeit der Arbeit erschwert. Teilweise fehlen präzise Begründungen und Argumentationen, worunter insbesondere die Transparenz des empirischen Vorgehens leidet. Dies beginnt beispielsweise bereits damit, dass Isekenmeier nicht explizit erwähnt, welchen Irakkrieg er untersucht. Angaben zu den untersuchten Beiträgen oder zum Stichprobenzeitraum muss sich der Leser selbst mühsam erschließen, die Auswahl der Belegbeispiele bleibt unklar.

Offen bleibt zudem die Frage nach Intention und Notwendigkeit des Bildmaterials aus verschiedenen Ländern. Das internationale Sample legt zunächst ein komparatistisches Vorgehen nahe, spielt jedoch in der Arbeit kaum eine Rolle. Isekenmeier begründet dies folgendermaßen: Die „Transnationalität realistischer Darstellung, ihr Funktionieren über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg“ (S. 227) ist die methodische Voraussetzung für die Auswahl des Untersuchungsmaterials aus unterschiedlichen Ländern. Hier zeigt sich auf der empirischen Ebene dasselbe Problem wie auf der Theorieebene. Was die Transnationalität der Bilder ausmacht sowie welches Bildmaterial über Sendergrenzen hinweg identisch ist, bleibt ungeklärt. Isekenmeier resümiert zwar, dass sich nationale Unterschiede auf Nachrichtentexte beschränken, welche die global zirkulierenden Bilder renationalisieren. Eine transparente, empirische Belegführung dieser Behauptung fehlt jedoch. Dies wirft zudem die Frage auf, wodurch sich nationale Bildstrategien auszeichnen. Die Anwendung der Sprechakttheorie auf den Untersuchungsgegenstand ist im Ansatz sicherlich fruchtbar, das Potential wird jedoch nicht gänzlich ausgeschöpft und lässt eine Reihe von Fragen offen.

Anmerkungen:
1 Hubert Burda, „Iconic Turn weitergedreht“ – Die neue Macht der Bilder, in: Christa Maar / Hubert Burda (Hrsg.), Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder, Köln 2004, S. 9-13, hier S. 11; vgl. die Rezension von Jens Jäger, in: H-Soz-u-Kult, 31.08.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-3-152> (28.05.2010).
2 Daniel Dayan / Elihu Katz, Media Events. The Live Broadcasting of History, Cambridge 1992.
3 Elihu Katz / Tamar Liebes, ‘”No more Peace!”: How Disaster, Terror and War Have Upstaged Media Events’, in: International Journal of Communication 1 (2007), S. 157-116.

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