Kulturwissenschaftliche Bildforschung

Burda, Hubert; Maar, Christa (Hrsg.): Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder. Köln 2005 : DuMont Buchverlag, ISBN 3-8321-7873-2 452 S. € 24,90

: Bildwirklichkeiten. . Göttingen 2005 : Wallstein Verlag, ISBN 3-89244-877-9 73 S. € 14,00

Büttner, Frank; Wimböck, Gabriele (Hrsg.): Das Bild als Autorität. Die normierende Kraft des Bildes. Münster 2005 : LIT Verlag, ISBN 3-8258-8425-2 512 S. € 49,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Jäger, Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg "Medien und kulturelle Kommunikation" (SFB/FK 427), Universität zu Köln

In rascher Abfolge erscheinen Sammelbände zum Bild, zur Bildlichkeit und generell zur Problematik des Visuellen in der (westlichen) Kultur.1 In den Geisteswissenschaften – und beileibe nicht nur dort – inspiriert die Bilderfrage die Forschung. Auch der Historikertag 2006 steht unter dem Motto „GeschichtsBilder“, mit dem der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHHD) sein Fach „als eine moderne, theorie- und methodenorientierte Geistes- und Kulturwissenschaft“ präsentieren möchte (http://www.historikertag.de). Können Teile dieser Bildorientierung sicherlich als eher kurzlebige und zeitbedingte Erscheinungen aufgefasst werden, schlägt sich in den zahlreichen Publikationen dennoch ein reichhaltiger Ertrag dieser Forschungstendenz nieder. Die hier zu besprechenden drei Titel deuten die Bandbreite der Debatte an, die von ganz grundsätzlichen Fragen nach dem Wesen von Bildern bis hin zu Detailforschungen über einzelne Bildwerke reicht.

Insgesamt geht es im Folgenden um etwa eintausend Seiten Auseinandersetzung mit dem Bild im Rahmen kulturwissenschaftlicher Fragestellungen, die einen weiten disziplinären Rahmen umspannen. Es handelt sich um über 40 unterschiedliche Texte, die teils aus eher populären Vorträgen hervorgegangen sind, wie die Beiträge des Bandes „Iconic Turn“, und teils auf hochspezialisierter Forschung beruhen, wie die Beiträge des Bandes „Das Bild als Autorität“.

Martin Warnkes Buch „Bildwirklichkeiten“ ist an ein relativ weites kulturhistorisch interessiertes Publikum gerichtet. Seine Vorträge über „Bildgebrauch“, „Bilderwartung“ und „Bilderfüllung“ handeln von konkreten „Bildwirklichkeiten“, das heißt den Funktionen und dem Status von Künstlern und ihren Bildern in Mittelalter und Früher Neuzeit. Es ist kein geringer Verdienst, dass Warnke nochmals klar darauf verweist, dass Bilder keineswegs im Sinne von „Kunstwerken“ und Bilderproduzenten kaum als „Künstler“ im modernen Sinn anzusprechen sind. Vielmehr waren Bilder und ihre Produzenten in ein enges Geflecht von Kommunikation und Repräsentation eingebunden. Das Kapitel „Bilderwartung“ zum Herrscherporträt in der Frühen Neuzeit verdeutlicht, dass die bildliche Darstellung nicht allein repräsentative Funktion besaß, sondern gleichzeitig in Form der vermittelten Tugenden auch Anforderungen an die Herrscherpersönlichkeit heranzutragen vermochte, denen sich die betreffende Person kaum entziehen konnte. Im dritten Aufsatz „Bilderfüllung“ verknüpft Warnke diese Beobachtung damit, dass in Bildern nicht nur Erwartungen gegenüber dem Verhalten von Herrschern antizipiert werden konnten, sondern auch andere Dinge, Vorstellungen und Konzepte ausgedrückt wurden, die in der Realwelt erst in der Zukunft eine Chance auf Verwirklichung besaßen. Dieser utopische „Mehrwert“ von Bildern zeigt, dass Visualisierungen tief in die Handlungsweisen und Handlungskonzepte eingriffen, statt bestehende nur zu repräsentieren oder zu legitimieren. In einem Sprung in die Gegenwart bemerkt Warnke, dass unter den Bedingungen medialer Öffentlichkeiten die Repräsentation der Herrschenden noch immer notwendiger Bestandteil der politischen Kultur sei, aber nun viel stärker auf Person und Leib der Herrschenden einwirke.

An Warnkes Beobachtungen lassen sich die Beiträge aus „Das Bild als Autorität“ anschließen. Dort sind insgesamt 15 Arbeiten zu Bild und Bildlichkeit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit versammelt. Der Band ist durch die Frage verklammert, auf welche Weise dem Bild „Autorität“ beigemessen wurde. Gabriele Wimböck diskutiert in der Einleitung die zentralen Begriffe und führt vorbildlich in die Forschung ein. Fast alle Beiträge orientieren sich an der gestellten Aufgabe, und so wird ein Panorama der verschiedenen Verfahren ausgebreitet, wie Bilder normierende Kraft entfalten konnten – nämlich indem sie auf Autorität verwiesen oder selbst eine solche besaßen, die entweder inhaltlich oder medial fundiert war.

Einige der Beiträge seien hier hervorgehoben, weil sie Rahmenbedingungen von Bildrezeption diskutieren und damit Fragen aufwerfen, die auch über den epochalen Horizont der einzelnen Aufsätze hinausweisen. Ulrich Pfisterer verdeutlicht vor dem Hintergrund spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Wahrnehmungstheorien, dass mit Bildern klare Aussagen getroffen werden konnten, vor allem weil Bilder meist für einen bestimmten Rezipientenkreis konzipiert und ausgeführt wurden. Sabine Fastert erläutert, wie im 16. Jahrhundert Rhetorik, Proportionslehre, Physiognomik und Astrologie die Produktion und Rezeption von Porträtdarstellungen geleitet haben. Klaus Niehr liefert einen guten Überblick zur grundsätzlichen Einstellung gegenüber dem Bild, indem er analysiert, nach welchen Kriterien es als „wahr“ oder „unwahr“ galt. Norbert Schnitzler zeigt, wie das Verhältnis von Bild und Frömmigkeit unter Theologen in vorreformatorischer Zeit diskutiert wurde. Vor allem ging es darum, den „richtigen“ Gebrauch von Bildern einzuüben und bloße Bildanbetung zu verhindern. Ein Mittel dafür war neben der Unterweisung des niederen Klerus auch die Beigabe von Text, der immer wieder betonte, dass die Darstellung nur auf das Dargestellte verweise, also nicht selbst Gegenstand der Verehrung sein dürfe.

Der Band zeigt, wie die praktische Erforschung von Bildern in historischen Kontexten aussehen kann und wie zentral dieser Zugang zu Fragen von Normierungsprozessen, Religion und gesellschaftlicher Repräsentation ist. Die hier exemplarisch vorgestellten Beiträge könnten in adaptierter Form Anregungen für entsprechende Forschungen zu späteren Epochen geben. So ließe sich erneut diskutieren, in welchen Zusammenhängen bestimmte Medien Autorität entfalteten bzw. wie diese ihnen zugesprochen oder abgesprochen wurde.

Carsten-Peter Warncke beschließt den Band mit der provokant formulierten These, dass „die europäische Kulturgeschichte seit der klassischen Antike eine Geschichte der systematischen Unterdrückung des Bildes“ sei (S. 486), und betont damit, wie tief verwurzelt eine bildskeptische Haltung gerade auch in der Bildungselite war (und ist). Darin kann man zugleich einen kritischen Hinweis auf eine Bildforschung sehen, die im Bild letztlich doch nur den Widerschein von Texten und Zeichen erkennen mag und mediale, materielle und bildimmanente Aspekte eher ausblendet bzw. Bildern in ihren Kontexten – vielleicht unbeabsichtigt – kaum ein wirkliches Eigengewicht beimisst.

Letzteres trifft auf einige Beiträge in dem von Christa Maar und Hubert Burda herausgegebenen Band „Iconic Turn“ zu, der zuerst 2004 erschienen ist und inzwischen in dritter Auflage vorliegt. Interessant ist auch, welche Disziplinen dort nicht vertreten sind: unter anderem Historiker/innen, Volkskundler/innen, Ethnologen/innen und Archäologen/innen.2 Nun ist es auch nicht der Anspruch der Herausgeber/in gewesen, alle Disziplinen zu vereinen, die sich intensiver mit der Bildproblematik auseinandersetzen. Doch werden damit gerade jene Disziplinen ausgeklammert, die besonders die Abhängigkeit der Bildproduktion und -rezeption von kulturellen, historisch bedingten Kontexten hervorheben. „Iconic Turn“ ist von den großen Zeitungen überwiegend positiv besprochen worden, so dass eine ausführliche Würdigung hier entfallen kann.3 Insgesamt verspricht der Band mehr, als er zu halten vermag. Zwar vereint er unterschiedliche Zugänge zum Phänomen „Iconic Turn“, wie sie von Naturwissenschaftler/innen, Geisteswissenschaftler/innen und Künstler/innen erläutert werden, doch einführende Zusammenfassungen oder weiterführende Ausarbeitungen von Fragestellungen bieten nur wenige der Texte – so interessant sie für sich genommen auch sein mögen.

Der Band ist in sieben Abschnitte gegliedert (in Klammern die Anzahl der Beiträge je Abschnitt): Bildbegriffe (2), Kopfbilder (3), Wissensbilder (4), Bildergeschichte (3), Kunstbilder (4), Historische Brückenschläge (3), Bildforscher (4). Eine tiefere Verklammerung wird nicht geleistet, aber die lesenswerte Einführung von Horst Bredekamp beschreibt den Begriff „Iconic Turn“ und leitet das Phänomen aus dem 19. Jahrhundert ab. Ferner betont Bredekamp die gegenseitige Befruchtung neuer und alter Medien und stellt die übergreifenden Bildbezüge heraus, egal in welchem Medium sie vermittelt würden.

Wie weit die kulturwissenschaftlichen Zugänge zum Bild von jenen der Neurowissenschaften entfernt sind, zeigt der Abschnitt „Kopfbilder“. Er lässt auch Zweifel aufkommen, ob der interdisziplinäre Austausch gerade mit den Neurowissenschaften sinnvoll ist, da er demonstriert, dass die Forschungen doch viel stärker nebeneinander her laufen, statt sich gegenseitig zu befruchten. Dazu braucht man sich nur Semir Zekis provokanten Ausruf anzuschauen, dass es eine „wirkliche“ Theorie der Kunst und Ästhetik nur mit der Neurobiologie geben könne (S. 78) – das mag die Zuhörer/innen des Vortrags aufgerüttelt haben, veranschaulicht aber auch ein wissenschaftspolitisches Interesse Zekis, der bereits ein Institut für Neuroästhetik in London gegründet hat.

Der Abschnitt „Wissensbilder“ thematisiert das Problem „Bild“ nur im weitesten Sinne. Vorgestellt werden bildgebende Verfahren, Internet, Forschungen zu Künstlicher Intelligenz und Quantenlogik (Wolfgang M. Heckl, Heinz-Otto Pleitgen, Rolf Pfeifer/Britta Glatzeder, Anton Zeilinger), doch sind diese Beiträge mit dem Titel des Bandes lediglich lose verknüpft. Im folgenden Abschnitt über „Bildergeschichte“ schildern Stefan Heidenreich und Peter Weibl die Folgen neuer Medien für die Kunst bzw. den Kunstbetrieb und versuchen eine historische Aufarbeitung. Der Abschnitt „Kunstbilder“ bietet Reflexionen von Künstlern über das eigene ästhetische Tun (Stephan Braunfels, Norman Foster, Bill Viola, Wim Wenders). Die „Historischen Brückenschläge“ von Jan Assmann, Bazon Brock und Peter Sloterdijk regen zum Nachdenken über grundsätzliche Zusammenhänge zwischen Bild und Schrift, Forschungsgeschichte und dem mythischen Urgrund gegenwärtiger Ästhetik an. Konkreter wird es im letzten Abschnitt, der mit „Bildforscher“ überschrieben ist (Hans Belting, Horst Bredekamp/Franziska Brons, Martin Kemp, Willibald Sauerländer). Belting bringt grundsätzliche Überlegungen aus seinem Konzept einer Bild-Anthropologie zur Geltung, indem er auf die engen Bezüge zwischen Bild und Körper verweist. Bei Bredekamp/Brons wird deutlich, welche Rolle ein neues Bildmedium (hier: Fotografie) als erkenntnis- und erzählstrukturierendes Element ausfüllen kann. Sowohl Kunst- als auch Naturwissenschaft erreichten einen Erkenntniszuwachs dank der Zuverlässigkeit fotografischer Abbildungsleistungen. In der Kunstwissenschaft wurde der Unterschied zwischen Original und Abbild diskutiert und akzeptiert, während in der Medizin die zur Abbildung nötigen Auswahlverfahren (Ausschnitt, Fokussierung, Färbung usw.) weitgehend aus der Diskussion gehalten wurden, um keine Zweifel an der Richtigkeit der Ergebnisse aufkommen zu lassen. Der Band schließt mit der Aufforderung Willibald Sauerländers, die Kunstgeschichte nicht zu überfrachten und sich wieder auf die ästhetischen Aspekte zu konzentrieren, während andere Aspekte einer medienwissenschaftlich geführten Bildwissenschaft überlassen bleiben sollten.

Die drei Bücher zeigen die Bandbreite von Fragestellungen und Zugängen zum Thema Bildlichkeit. „Iconic Turn“ ist hierbei vor allem eine Momentaufnahme. Die meisten Autoren/innen haben ihre Vorstellungen einer wie auch immer gearteten Bildwissenschaft oder des Anteils der eigenen Disziplin an (kulturwissenschaftlicher) Bildanalyse bereits an anderer Stelle dargelegt. Und so neu, wie der Untertitel verkündet, ist die „Macht der Bilder“ auch wieder nicht – das können die hier ebenfalls angeführten Bücher hinreichend belegen.

Bilder (oder vielleicht besser: Bildwerke) verschiedenster Objektträger besaßen zumindest in der abendländischen Kultur schon immer eine bedeutende Rolle als Kommunikationsmittel und kontemplative Elemente, als Ornamente und Statements. Ihre Funktionen sind ebenso vielfältig wie ihr Gebrauch. Dabei ist ihre Bedeutung kaum auf eine einzige überzeitliche Aussage festzulegen. Vielleicht müssten für verschiedene Bildtypen auch unterschiedliche Grade von Offenheit angenommen werden, müsste der jeweilige „Sinn“ entweder radikal historisiert oder stärker ent-historisiert als philosofische Frage formuliert werden.

Wie eine Historisierung funktioniert, führen die Arbeiten von Warnke und der Sammelband von Büttner/Wimböck an Beispielen vor. Das bedeutet freilich nicht, dass dort nicht auch ganz grundsätzliche Fragen nach Bild und Bildlichkeit zur Sprache kämen, nur sind sie konkreter auf eine vergangene Realität bezogen und auf einen spezifischen gesellschaftlichen Kontext – zu dem wiederum auch zeitlich übergreifende Bildvorstellungen gehören. Dies gilt ebenso für die Ausführungen Bredekamps und für den Abschnitt „Bildergeschichten“ bei Maar/Burda. So ergibt sich aus den vorliegenden Büchern gewissermaßen ein virtueller neuer Sammelband, dem jedoch noch eine stärkere Öffnung hin zur Neuzeit bis zur Zeitgeschichte zu wünschen wäre.4 Wünschenswert wäre ferner, dass medienwissenschaftliche Zugänge von den stärker historisch orientierten Disziplinen etwas mehr aufgegriffen würden, um so die Medienspezifika besser berücksichtigen zu können. Umgekehrt gilt, dass etwas mehr historische Fundierung den eher literatur- und medienwissenschaftlichen sowie auch den naturwissenschaftlichen Zugängen Gewinn bringen könnte.

Anmerkungen:
1 Kleine Auswahl neuerer Titel: Sachs-Hombach, Klaus (Hg.), Bildwissenschaft zwischen Reflexion und Anwendung, Köln 2005; ders. (Hg.), Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden, Frankfurt am Main 2005; Bruhn, Matthias; Borgmann, Karsten (Hgg.), „Sichtbarkeit der Geschichte“: Beiträge zu einer Historiografie der Bilder, Berlin 2005, online unter URL: <http://edoc.hu-berlin.de/e_histfor/5>; Hoffmann, Thorsten; Rippl, Gabriele (Hgg.), Bilder. Ein (neues) Leitmedium?, Göttingen 2006 (im Erscheinen). Siehe auch meinen Essay zum Schwerpunktthema „Bildgeschichte – Geschichte der Bilder“ des Wettbewerbs „Das Historische Buch 2006“: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?pn=texte&id=791=791>.
2 Dabei muss einschränkend hinzugefügt werden, dass Jan Assmann neben Ägyptologie Klassische Archäologie studiert hat.
3 Eine Zusammenfassung von Rezensionen in den überregionalen Zeitungen findet sich unter <http://www.perlentaucher.de/buch/17750.html>. Siehe auch die Rezension von Christiane Kruse: <http://www.sehepunkte.historicum.net/2005/05/7255.html>.
4 Vgl. dazu jetzt Paul, Gerhard (Hg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006.

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