C. Wahl: Sprachversionsfilme aus Babelsberg

Cover
Titel
Sprachversionsfilme aus Babelsberg. Die internationale Strategie der Ufa 1929–1939


Autor(en)
Wahl, Chris
Anzahl Seiten
458 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malte Hagener, IfAM – Institut für Angewandte Medienforschung, Leuphana Universität Lüneburg

Der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Schwerpunkt der Filmhistoriografie innerhalb einer erweiterten Mediengeschichte entwickelt: Herrschte bis weit in die 1980er-Jahre die Vorstellung, der Tonfilm sei vor allem ein ästhetischer Rückschritt gewesen, so ist seitdem ein äußerst differenziertes Bild entstanden, das sich für die Jahresbilanzen der Elektroindustrie wie für das Schicksal von Kinomusikern interessiert und das ebenso transnationale Verflechtungen wie intermediale Vernetzungen berücksichtigt. Einen weiteren bedeutenden Mosaikstein zum großen Puzzle der Medienkultur der 1930er-Jahre fügt nun Chris Wahl mit den Ergebnissen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projektes zu den Sprachversionsfilmen der Universum-Film AG (Ufa) hinzu. Zu Beginn der Tonfilmzeit war nämlich noch keineswegs klar, dass sich Synchronisation und Untertitelung als primäre linguistisch-kulturelle Adaptionsformen von Filmen durchsetzen würden, so dass bis Ende der 1930er-Jahre noch Sprachversionen gedreht wurden, bei denen lediglich die Darsteller ausgetauscht und die Dialoge übersetzt wurden, aber sonst das meiste identisch blieb. Als ein Ergebnis der vorliegenden Studie lässt sich festhalten, dass es derart viele Variationen von Versionen und Fassungen gab, dass man sich fragt, ob man nicht neue Begriffe dafür finden müsste – und einige werden auch vorgeschlagen. Ob man daraus gleich die „generelle Versionshaftigkeit des Films“ (S. 378) ableiten will, sei dahingestellt und erscheint im Zusammenhang mit dieser wichtigen Untersuchung auch nicht zentral. Bedeutsamer ist Wahls Umgang mit Wissen und Annahmen, die man für gesichert und unumstritten hielt – das bisher herrschende Bild der 1930er-Jahre wird durch die sorgfältige historische und faktenreiche Arbeit verkompliziert, dekonstruiert und rekontextualisiert.

Wahl teilt den behandelten Zeitraum in drei Perioden auf: 1929 bis 1932, als sich im Angesicht rascher (technologischer, wirtschaftlicher und politischer) Veränderungen praktisch monatlich neue Entwicklungen und Handlungsoptionen ergaben, eine zweite Phase von 1933 bis 1936, als sich die Ufa auch im neuen NS-Staatswesen als führende Filmproduktionsfirma etablierte, und schließlich die Zeit von 1937 bis 1939, als es nur noch vereinzelt Versionen gab, weil das nationalsozialistische Deutschland außenpolitisch weitgehend isoliert dastand. Einmal mehr deutlich wird dabei die fast schizophrene Doppelgesichtigkeit des deutschen Filmwesens zwischen 1933 und 1939, als man einerseits politisch den neuen Machthabern gefallen wollte, andererseits aber auch weiterhin auf den internationalen Markt schielte, ja diesen häufig sogar aus wirtschaftlichen Gründen benötigte. In dieser Hinsicht interessant ist, dass Frankreich in Sachen Versionen das wichtigste Zielland der Ufa war – trotz aller politischen Probleme gab es stets erneute Versuche, diesen wichtigen Markt zu erschließen und zu dominieren (was allerdings nie gelang).

Wahls Buch bietet eigentlich zwei Studien in einem – zum einen eine äußerst faktenreiche Studie zur internationalen Strategie und Versionsproduktion der Ufa, zum anderen theoretische und methodologische Überlegungen zur Sprache im Film, zu Fragen von Version, Fassung und Remake wie auch zur linguistischen Übersetzbarkeit und kulturellen Transponierbarkeit von Film. Auch wenn der zweite Aspekt des Buches in seiner Streuung durch verschiedene Teile des Buches nicht immer ganz stringent erscheint, so eröffnet dieser doch einen Horizont, der der historischen Studie einen Mehrwert verleiht, weil er die Ergebnisse anschlussfähig an aktuelle Diskussionen macht. Der Umbruch zum Digitalen, in dem die Reproduzierbarkeit des Kunstwerks nochmals einen exponentiellen Schub erhält, ebenso wie die Vervielfältigung von Filmen in DVDs, Computerspiele, Videoinstallationen oder Spielfiguren hat die Frage nach dem Original und der Kopie, nach der Version und der Fassung in den Fokus des Interesses gerückt. Dementsprechend wichtig sind für die derzeit theoretisch boomende Medienwissenschaft historische Einzeluntersuchungen, die materialreich dicht und analytisch detailliert sind, weil nur so die entsprechende Grundierung im Material gegeben ist.

Wahl hat nicht nur die Vorstandsprotokolle der Ufa und die Fachpresse der Zeit konsequent durchgesehen und ausgewertet, sondern auch zahlreiche europäische Archive besucht, so dass ein äußerst detailreiches und quellengesättigtes Bild der Ufa-Strategie in den 1930er-Jahren entsteht. Tendenziell liegt der Schwerpunkt eher auf der Produktions- und Firmengeschichte als auf der detaillierten Analyse der Versionen, auch wenn zu zahlreichen Beispielen wichtige Beobachtungen gemacht werden. Hier wären sicher weitere Anschlussuntersuchungen möglich, die durch eine genaue Analyse mögliche Adaptionsleistungen auch am Film selbst nachweisen könnten.

Die Studie exemplifiziert über die Filmhistoriographie hinaus die Ankunft der transnationalen Verflechtungsgeschichte, der histoire croisée in der Filmwissenschaft. Zwar gibt es bereits Vorläufer zur gleichen Epoche – etwa eine Untersuchung zur Präsenz US-amerikanischer Filme in deutschen Kinos nach 1933 und eine Anthologie zur weltweiten Zirkulation von deutschen Filmen zur NS-Zeit 1 – doch gerade die Konzentration auf Versionen, die immer schon zwischen dem Nationalen und dem Hybriden schwanken, unterstreicht die Bedeutung dieses Buches. Wenn das Nationale als Kategorie auftaucht, dann nur mehr in problematisierter Form, als kulturelles Konstrukt, das niemals direkt gegeben ist, sondern immer diskursiv erst erzeugt werden muss.

Begrüßenswert ist auch die Beigabe einer DVD, die quasi als zitatorischer Nachweis die im Text diskutierten Filmstellen zeigt, so dass man die Argumentation nachvollziehen kann. So etwas würde man sich für mehr Filmbücher wünschen – ob der möglichen technischen und rechtlichen Bedenken, die sicher im Vorfeld eine Rolle gespielt haben, muss hier auch der Verlag für diese Pionierleistung lobend erwähnt werden. Mit gleicher Sorgfalt wurde die umfassende Filmographie (wobei hier eine andere, nicht chronologische, sondern alphabetische Ordnung der Übersichtlichkeit gut getan hätte), die Bibliographie und das vorbildliche Register angefertigt – erst durch solche Hilfsmittel kann eine historische Basisarbeit überhaupt erst wirklich ihre Wirkung entfalten. Und seine Wirkung entfalten wird dieses Buch zweifelsohne, das nicht nur ein Baustein für zukünftige Forschungen zur deutschen Filmgeschichte der 1930er-Jahre darstellt, sondern auch als Beitrag zu einer erweiterten Medienwissenschaft sowie zur Kultur- und Wirtschaftsgeschichte Deutschlands zu verstehen ist.

Anmerkung:
1 Markus Spieker, Hollywood unterm Hakenkreuz. Der amerikanische Spielfilm im Dritten Reich (= Filmgeschichte international; Band 6), Trier 2003 und Roel van de Winkel / David Welch (Hrsg.), Cinema and the Swastika. The International Expansion of Third Reich Cinema, Basingstoke 2007; vgl. die Rezension von Martin Loiperdinger: Van de Winkel, Roel; Welch, David (Hrsg.): Cinema and the Swastika. The International Expansion of Third Reich Cinema. New York 2007, in: H-Soz-u-Kult, 16.07.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-3-046> (22.02.2010).

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