F. Hahn: Studien zum Neuen Testament

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Titel
Studien zum Neuen Testament. Hrsg. von Jörg Frey u. Juliane Schlegel, Bd. 1: Grundsatzfragen, Jesusforschung, Evangelien; Bd. 2: Bekenntnisbildung und Theologie in urchristlicher Zeit


Autor(en)
Hahn, Ferdinand
Reihe
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 191-192
Erschienen
Tübingen 2006: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
707 S. / 758 S.
Preis
€ 139,00 / 144,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Paul Metzger, Fachbereich Evangelische Theologie, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Als Ergänzung zum Opus Magnum des emeritierten Münchner Neutestamentlers Ferdinand Hahn, der "Theologie des Neuen Testaments"1, legen die Herausgeber des hier anzuzeigenden Bandes, Jörg Frey und Juliane Schlegel, in zwei voluminösen Bänden dessen gesammelte Studien vor. Die insgesamt 70 versammelten Aufsätze zu verschiedenen Themen der Neutestamentlichen Wissenschaft, die im Rahmen der Rezension nicht vollständig aufgeführt werden können, präsentieren einen Ausschnitt der Forschungen Hahns, die in einem Zeitraum von 35 Jahren (1970-2005) entstanden sind. Sie verstehen sich als Vorarbeiten und Ergänzungen zur Theologie des Neuen Testaments und lassen so zum einen die Genese der Gesamtschau besser nachvollziehen und führen andererseits einzelne Aspekte der Forschung Hahns aus, die im Rahmen der Theologie nur angedeutet werden konnten.

Zu Beginn des ersten Bandes führt der Autor selbst kurz in seine Aufsätze ein (S. 1-13). Er betont darin seine Überzeugung, dass sich der Exeget darum bemühen müsse, nicht nur in Fachkreisen Gehör zu finden, sondern sich und seine Forschungen auch in Kirche und Gesellschaft einzubringen. Neutestamentliche Exegese ist insofern verstanden als theologische und kirchliche Wissenschaft. Insbesondere gelte es der sicherlich notwendigen Ausdifferenzierung der Neutestamentlichen Wissenschaft in verschiedene kleine Aufgabengebiete und der damit verbundenen Detailarbeit immer das Ganze des Neuen Testaments entgegenzustellen. Neben der Vielfalt der neutestamentlichen Aussagen solle das Augenmerk auch immer auf die sachliche Einheit der Schriftensammlung gerichtet sein (S. 2). Dieser Perspektive fühlen sich sodann die einzelnen Studien verpflichtet.

Geordnet sind die Aufsätze thematisch, nicht chronologisch. Sie beginnen mit grundsätzlichen Problemen, die der Neutestamentlichen Wissenschaft aufgetragen sind (Teil 1: Grundsatzfragen, S. 17-181) Während philologische, historische und religionsgeschichtliche Aspekte der Wissenschaft wichtig und unbedingt zu behandeln sind, so steht doch die hermeneutische Frage nach dem Verstehen der Texte im Vordergrund ("Exegese, Theologie und Kirche", S. 17-28). Dies zeichnet die Neutestamentliche Wissenschaft als solche aus und hierin liegt auch ihre Relevanz für die (kirchliche) Gegenwart (S. 3). In wissenschaftstheoretischer Perspektive hält Hahn an der historisch-kritischen Methode fest, reflektiert diese aber genau und scheut auch nicht davor zurück, andere Herangehensweisen an den Text in die Forschung zu integrieren. Abgelöst ist die historische Kritik damit allerdings nicht, sondern lediglich ergänzt ("Probleme historischer Kritik", S. 29-46). Neben fundamentaltheologischen Erwägungen zu Konzeption einer Neutestamentlichen Theologie ("Zum Problem einer neutestamentlichen Theologie", S. 137-150) finden sich in diesem ersten Teil weiterhin Überlegungen zur vermeidlichen Alternative Religionsgeschichte oder Theologie des Neuen Testaments ("Eine religionswissenschaftliche Alternative zur neutestamentlichen Theologie?", S. 137-150). Hier spricht sich Hahn – wenig verwunderlich – für die Theologie aus, weil nur sie dem Anspruch der kanonisierten Texte gerecht werde, während eine Religionsgeschichte des Neuen Testaments die Texte nur gleichsam von außen betrachten kann (S. 162).

In einem zweiten Hauptteil des Buches (Teil 2: Zur Jesusforschung, 185-370) behandelt er die Rückfrage nach dem historischen Jesus, fragt nach Kriterien der Rekonstruktion ("Methodologische Überlegungen zur Rückfrage nach Jesus", S. 185-252) und wendet sich schließlich den Bildworten Jesu zu, die seiner Meinung nach für die Botschaft Jesu typisch sind und in denen seine Macht und das unerhört Neue seiner Botschaft deutlich werden (S. 272): "Die Bildworte vom neuen Flicken und vom jungen Wein" (S. 253-272), "Die Worte vom Licht. Lk 11,33-26" (S. 273-304) und "Jesu Wort vom bergeversetzenden Glauben" (S. 305-326). Der Teil zur Jesusforschung schließt mit den Studien "Das Gleichnis von der ausgestreuten Saat und seine Deutung (Mk 4,3-8.14-20)" (S. 327-336) und "Das Gleichnis von der Einladung zum Festmahl" (S. 337-370) ab.

Nach den Forschungen zur Jesusfrage präsentiert der Band im dritten Teil ausgewählte Studien Hahns "Zum Markus- und Matthäusevangelium" (S. 373-492). Als "eng verknüpft" (S. 6) bezeichnet Hahn dabei die beiden ersten Materialteile. Doch geht es nun nicht mehr primär um die Eruierung vorösterlicher (Jesus-)Tradition, sondern um deren Verarbeitung und theologische Deutung im Rahmen der Endgestalt Evangelium. Die erste Untersuchung dieses Teils betrachtet die "Verschriftlichung mündlicher Tradition in der Bibel" (S. 373-384). Hier klagt Hahn ein, dass sich die synoptische Forschung zu wenig um die Wechselwirkung von mündlicher und schriftlicher Überlieferung kümmere (S. 384). Darauf folgen Beiträge, die sich mit dem Glaubensverständnis bei Markus, mit den Erfüllungsaussagen bei Matthäus (speziell Mt 5,17) und schließlich mit eschatologischen Aspekten innerhalb der synoptischen Apokalypse in ihrer jeweiligen Version beschäftigen.

Mit Forschung zur johanneischen Theologie endet der erste Band ("Zum Johannesevangelium", S. 495-688). Hier finden sich Auslegungen einzelner kleinerer Texteinheiten wie Joh 1,18.34 (S. 495-500), 1,35-51 (S. 501-520) oder 3,3.5 (S. 559-562), aber auch größere thematische Untersuchungen wie "Sehen und Glauben im Johannesevangelium" (S. 521-538) oder "Das Glaubensverständnis im Johannesevangelium" (S. 539-558). Besonders betont Hahn selbst die Studie zum "Prozeß Jesu nach dem Johannesevangelium" (S. 603-688), in der er das Verhältnis des Johannesevangeliums zu den synoptischen untersucht und zu dem Ergebnis kommt, dass der Evangelist wohl an einem unabhängigen Traditionsstrom partizipiert (S. 604). Christologisch stellt sich dabei heraus, dass im Johannesevangelium vor allem drei Vorstellungen zu Bestimmung Christi heranzuziehen sind: die Sendung und Hingabe des mit dem Vater einen Sohnes, das Schema von Abstieg und Aufstieg des Erlösers und die Ausgestaltung der Erhöhung Christi am Kreuz (S. 688).

Der zweite Band der Studien widmet sich der "frühchristlichen Bekenntnisbildung" (Teil 5, S. 3-109). Hierin erkennt Hahn den Brückenschlag von vorösterlicher Jesustradition zur Verkündigung Jesu als Christus. Deren Grundlage bleibt dabei stets die Zusammenordnung des Glaubens an den einen Gott und an das Heilswerk Christi. Zunächst wendet sich Hahn dabei dem grundlegende Axiom des Monotheismus zu ("Der christliche Gottesglaube in biblischer Sicht", S. 3-18) und untersucht das Verhältnis zwischen der Verkündigung Jesu zur nachösterlichen Botschaft seiner Jünger ("Die Verkündigung Jesu und das Osterzeugnis der Jünger", S. 19-28). Während die Auferstehung als Bestätigung Jesu und als Inkraftsetzung seiner Botschaft verstanden werden konnte, musste gerade das vorgängige Scheitern, also sein Tod am Kreuz, erklärt werden ("Der Tod Jesu nach dem Zeugnis des Neuen Testaments", S. 29-44). Neben diesen Überlegungen finden sich im fünften Teil weiterhin Studien zum Geistverständnis des Neuen Testaments und zur Entwicklung des Apostolicums. Im sechsten Teil ("Apostelgeschichte", S. 113-154) sind zwei Aufsätze zur Überlieferung christlicher Tradition aufgenommen, die Lukas aufgriff und verarbeitete. Hierbei werden zunächst die christologischen Aussagen untersucht, sodann die Frage nach einer antiochenischen Quelle behandelt.

Umfangreicher ist dagegen der siebente Teil: "Zur paulinischen und deuteropaulinischen Theologie" (S. 157-421). Die ersten drei Studien widmen sich der paulinischen Benutzung und Interpretation des Alten Testaments. Neben einem allgemeinen Überblick zur generellen "Interpretatio Christiana des Alten Testament bei Paulus" (S. 157-168) werden vor allem dessen Behandlung von Gen 15,6 und "das Gesetzesverständnis im Römer und Galaterbrief" (S. 187-222) erörtert. Zwei weitere Aufsätze ("Das Verständnis der Taufe nach Röm 6", S. 223-240; "Taufe und Rechtfertigung", S. 241-270) beschreiben, wie die Taufe im paulinischen Denken gefasst und wie sie in seine theologischen Überlegungen eingepasst ist. Dabei betont Hahn, dass die Taufe bei Paulus ein Geschehen ist, das den Menschen an einer eschatologischen Wirklichkeit (S. 232) partizipieren lässt, das ihm aber auch den Imperativ aufgibt, so zu sein, wie er nun ist: befreit und begnadigt (S. 237). Im Anschluss diskutiert Hahn das Problem einer eventuellen Entwicklung des paulinischen Denkens, speziell der Rechtfertigung ("Gibt es eine Entwicklung in den Aussagen über die Rechtfertigung bei Paulus?", S. 271-298). Hier setzt er sich besonders mit Udo Schnelle 2 auseinander und beantwortet die Frage nach einer Entwicklung negativ. Vor allem aufgrund der kurzen Zeitspanne, in der die uns erhaltenen paulinischen Briefe entstanden sind, hält es Hahn für abwegig, mit einer weitreichenden Veränderung im paulinischen Denken zu rechnen. Dies hängt natürlich auch mit der engen Verzahnung der Rechtfertigung mit anderen paulinischen Grundgedanken zusammen, wie der nächste Aufsatz "Gerechtigkeit Gottes und Rechtfertigung des Menschen nach dem Zeugnis des Neuen Testaments" (S. 299-312) zeigt. So wie die Rechtfertigung im Kontext der Soteriologie zu behandeln ist, muss auch die Rede von der Neuschöpfung des Menschen in dieser Perspektive gesehen werden. Damit beschäftigt sich der folgende Aufsatz zu II Kor 5,14-6,2. Einen weiteren Themenkreis betritt der Autor, wenn er sich dem paulinischen Verständnis des Herrenmahls zuwendet ("Das Herrenmahl bei Paulus", S. 323-334; "Teilhabe am Heil und Gefahr des Abfalls", S. 335-358). Daran schließen sich in je eigenen Aufsätzen Bemerkungen zu II Kor 1,12-2,1, zu II Kor 1,17 und zu Röm 11,26a an. Den umfangreichen paulinischen Teil der Studien Hahns beschließen zwei Aufsätze, die neben paulinischer auch deuteropaulinische Theologie einschließen. Inhaltlich wird zunächst das Thema einer Präexistenz Christi behandelt ("Die Schöpfungsmittlerschaft Christi bei Paulus und den Deuteropaulinen", S. 391-408), sodann "Beobachtungen zur Soteriologie des Kolosser- und des Epheserbriefes" (S. 409-421) gemacht.

Der achte Teil der Studien ("Zu Ekklesiologie, Amtsverständnis und Ethik", S. 422-528) beschäftigt sich vor allem mit ekklesiologischen Themen. Zunächst betont Hahn im Hinblick auf das Apostelamt den Zusammenhang zwischen dem Apostel als dem Zeugen der Auferstehung Christi und seinem Auftrag zur Evangeliumsverkündigung. Nach einer kurzen Studie zum Begriff des "mysterion" im Neuen Testament (S. 449-456) führt Hahn das Verständnis der Kirche bei Paulus vor ("Die Einheit der Kirche nach dem Zeugnis des Apostels Paulus", S. 457-469) und zeigt, dass die Kirche notwendig eine Kirche sein muss, weil sie als eschatologische Wirklichkeit (S. 469) zu verstehen ist. In diesem Kontext wendet er sich dann der Frage des Amtsverständnisses zu und untersucht zunächst "Grundfragen von Charisma und Amt in der gegenwärtigen neutestamentlichen Forschung" (S. 471-485). Danach wendet er sich "Berufung, Amtsübertragung und Ordination im ältesten Christentum" (S. 487-504) zu. Beide Studien zeigen dabei die Notwendigkeit, neutestamentliche Forschung in den kirchlichen Kontext und in dessen Gesprächszusammenhänge einzubringen. Deutlich betont Hahn dabei als Ergebnis, dass es zwar eine Ordnung der Kirche immer gegeben habe, diese aber nicht erstarrt gewesen sei. Insofern sei es eine ökumenische Aufgabe, gerade im Hinblick auf das Amtsverständnis neutestamentliche Impulse aufzunehmen und fortzuentwickeln (S. 503f.). Nach diesen Aufsätzen zur Kirche wendet sich Hahn der christlichen Ethik zu, die in den ekklesiologischen Horizont des Neuen Testaments einzuzeichnen sei, weil Ethik immer "als Jünger- und als Gemeindeethik" (S. 511) anzusehen sei. Deshalb folgen an dieser Stelle des Bandes die Aufsätze "Neutestamentliche Grundlagen einer christlichen Ethik" (S. 505-516) und "Die christologische Begründung urchristlicher Paränese" (S. 517-528).

Der neunte Teil beschäftigt sich mit Themen der Johannesoffenbarung (S. 529-640). Zunächst stellt der Verfasser den "Aufbau der Johannesoffenbarung" (S. 531-540) dar und erkennt in den 7-Reihen das Leitkriterium des Hauptteils der Apokalypse. Sodann wendet er sich den rahmenden Passagen zu und untersucht deren liturgische Elemente (S. 541-556). Gerade diese Studie zeigt deutlich, dass die Offenbarung eine gottesdienstliche Verwendung fand. Nach der Gesamtschau und ihrer Seitenelemente beschäftigt sich Hahn danach mit den "Sendschreiben der Johannesapokalypse" (S. 557-594) und untersucht vor allem die Form der dort begegnenden Rede, die den prophetischen Anspruch des Sehers deutlich zu Tage treten lassen. Kurze Beiträge beschreiben das Geist- (S. 595-602) und Schöpfungsverständnis der Offenbarung (S. 603-612). Sehr schön gibt Hahn die Intention der Apk wieder, wenn er als deren Absicht einerseits die nüchterne, aber prophetische Geschichtsdeutung und andererseits die Vermittlung des christlichen Trostes bestimmt ("Die Johannesoffenbarung als Geschichtsdeutung und als Trostbuch", S. 625-640). Richtig beschreibt er, dass es sich bei der Erwartung des himmlischen Jerusalems um die Hoffnung auf das Ende der Mühen und die damit verbundene Vollendung des Heils handelt (S. 613-624).

Der zehnte und letzte Teil der Studien widmet sich den "Spättraditionen" des frühen Christentums (S. 643-675). In ihm macht Hahn "Randbemerkungen zum Judasbrief" (S. 643-652), verbindet paulinische Texte zum Thema Prophetie und Lebenswandel mit Aussagen der Didache und des Hirten des Hermas (S. 653-664). Dabei zeigt Hahn fast bedauernd auf, wie die Echtheit der Prophetie zunehmend nicht mehr an inhaltlich-sachliche Kriterien gebunden wurde, sondern eher an den Lebenswandel des Propheten. Der letzte sehr lesenswerte Aufsatz widmet sich dem in der Kirchengeschichte und auch gegenwärtig aufbrechenden Problem der Kindertaufe ("Kindersegnung und Kindertaufe im ältesten Christentum", S. 665-675). Hahn zeigt einen Weg aus der Diskussion zur Taufe, die vor allem von den Antipoden Joachim Jeremias und Kurt Aland geführt wurde. Sowohl der Aufschub der Taufe wie auch deren Vollzug ist theologisch bei Kindern legitim. Allerdings sollte in der zunehmend säkularen Welt überlegt werden, ob eine Kindersegnung nicht die Taufe vorläufig ersetzen könnte und so dem Täufling ermöglicht werden könnte, sich selbst zu entscheiden (S. 675).

Den Band beschließen eine ausführliche Bibliografie Hahns (erstellt von C. Hoegen-Rohls), ein Stellen-, ein Autoren- und ein Sachregister (erstellt von Tanja Schultheiß). Diese Register sind eine wertvolle Hilfe für das Navigieren in den beiden Bänden, die das Werk ihres Autors über die Jahre hinweg gelungen präsentieren und eindrucksvoll die exegetische Weite, das besonnene, ausgewogene Urteilen und das stets faire, der wissenschaftlichen Sache angemessene Formulieren Hahns demonstrieren. So wie der Autor den Herausgeber/innen seiner Werke dankt, so kann dies auch durchaus der Leser tun, der eine Fülle von wichtigen und interessanten Studien in diesen beiden Bänden findet.

Anmerkungen:
1 Vgl. meine Rezension bei H-Soz-u-Kult, 15.09.2003 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-3-162>.
2 Vgl. Schnelle, Udo, Wandlungen im paulinischen Denken, Stuttgart 1989.

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