J. Paulmann (Hg.): Auswärtige Repräsentationen

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Titel
Auswärtige Repräsentationen. Deutsche Kulturdiplomatie nach 1945


Herausgeber
Paulmann, Johannes
Erschienen
Köln 2005: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
314 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Reiner Marcowitz, Deutsches Historisches Institut, Paris

„Internationale Beziehungen“ oder auch „Internationale Geschichte“ sind seit einigen Jahren die Oberbegriffe für ein breites thematisches Feld geworden, das in Abkehr von der traditionellen Diplomatiegeschichte sowohl die klassischen zwischenstaatlichen Verhältnisse umfasst als auch das weite Beziehungsgeflecht transnationaler und transkultureller Kontakte einer Vielzahl von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. Wie fruchtbar hierbei auch ein kulturgeschichtlicher Ansatz sein kann, belegt der von Johannes Paulmann herausgegebene Sammelband, der auf eine Tagung an der International University Bremen im Mai 2004 zurückgeht.1 Im Mittelpunkt stehen unterschiedliche Formen auswärtiger Repräsentation mit einem Schwerpunkt auf der Bundesrepublik Deutschland bis in die 1970er-Jahre, aber erfreulicherweise auch mit einzelnen Beiträgen zur DDR.

In seiner instruktiven Einleitung umreißt Paulmann die Prämissen der Fragestellung. Erstens erfuhr die deutsche Kulturdiplomatie nach 1949 zumindest in der Bundesrepublik eine entscheidende Neuakzentuierung: An die Stelle des hergebrachten „Kulturimperialismus“ seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert trat aufgrund seiner Diskreditierung durch die nationalistische Hybris des „Dritten Reichs“ die Bereitschaft zum echten „Kulturaustausch“. Folglich stellt die wechselnde Form der auswärtigen Repräsentanz auch einen Indikator für den allenthalben konstatierten Prozess der „Liberalisierung“ (Ulrich Herbert), „Umkehr“ (Konrad H. Jarausch) oder „Westernisierung“ (Anselm Doering-Manteuffel) der Bundesrepublik dar. Zweitens umfasst auswärtige Repräsentation weit mehr als die bisher schwerpunktmäßig und zudem oft nur institutionell und konzeptionell erfasste amtliche Auswärtige Kulturpolitik. Vielmehr müssen zusätzlich Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft in den Blick genommen werden, neben offiziellen Staatsbesuchen also internationale Festspiele und Kunstausstellungen ebenso behandelt werden wie Sportwettkämpfe und Industriemessen. Drittens belegt gerade der Fall der Bundesrepublik, dass jede Außendarstellung stets auch einen nach innen gewandten Aspekt hatte: Die Westdeutschen trieb immer besonders die Frage um, wie sie im Ausland wahrgenommen wurden. Diese bisweilen exzessive „reflexive Selbstwahrnehmung“ (S. 2) erklärte sich sowohl aus der Bereitschaft zur eindeutigen Distanzierung von der nationalsozialistischen Vergangenheit als auch aus der Absicht, im aktuellen Systemkonflikt mit dem anderen deutschen Teilstaat zu bestehen.

Entsprechend dem in der Einleitung entwickelten breiten Forschungsansatz sind auch die 15 empirischen Fallstudien weit gefächert und vier Gruppen zugeordnet: „kulturelle Selbstdarstellungen“, „gesellschaftliche und wirtschaftliche Vertretungen“, „staatliche Repräsentationen“ sowie „auswärtige Kultur- und Informationspolitik“ – eine aus formalen Gründen verständliche, indes nicht immer überzeugende Einteilung, weil die einzelnen Sektoren sich teilweise überschneiden. Trotz aller Heterogenität lassen sich aus den verschiedenen Beiträgen doch grundlegende Feststellungen ableiten. Dazu gehört zunächst die Erkenntnis, dass selbst vordergründig unpolitische Initiativen immer auch genuin politische Interessen verfolgen, ja vielleicht sogar eine wichtige (außen-)politische Vorreiterrolle spielen können. Dies belegen Holger R. Stunz’ Analyse der Internationalen Maifestspiele in Wiesbaden in den 1950er-Jahren – eine frühe Form kultureller „Neuer Ostpolitik“ – sowie die sportgeschichtlichen Untersuchungen von Rudolf Oswald zum „Wunder von Bern“ und vor allem von Uta Andrea Balbier zur Olympiade 1972 in München, die das Bild „heiterer“ Spiele vermitteln und die Bundesrepublik als ein selbstbewusstes, aber auch weltoffenes Land repräsentieren sollte.

Überdies spiegelt sich in der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik die Janusköpfigkeit der westdeutschen Aussöhnungspolitik mit den ehemaligen Kriegsgegnern: Das selbstkritische Eingeständnis eigener Schuld ging immer einher mit dem selbstbewussten Anspruch auf eine zweite Chance. Dies verdeutlichen die Beiträge von Guido Müller zur „Dankspende des Deutschen Volkes 1951-1956“ und von Sabine Horn zur ersten „documenta“ 1955. Die für die Bundesrepublik so charakteristische Mischung aus Selbstbewusstsein und Zurückhaltung spiegelte aber auch das internationale Gebaren des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), wobei die Relation je nach Adressaten – westeuropäische Nachbarn, USA, Osteuropa – schwankte, wie Werner Bührer aufzeigt. Gleichzeitig verquickten sich in der Bundesrepublik frühzeitig politische und wirtschaftliche Selbstdarstellung; dafür spricht die Tatsache, dass Staatsgäste seit Anfang der 1950er-Jahre regelmäßig Visiten bei der Firma Krupp absolvierten, die Simone Derix untersucht. Bezeichnenderweise war auch die DDR-Wirtschaftsdiplomatie adressatenbezogen: Peter E. Fäßler arbeitet heraus, dass sie bis in die 1960er-Jahre – neben dem generellen Hinweis auf die Qualität ihrer Produkte „Made in Germany“ – vor allem den Antifaschismus des eigenen Staates betonte, um gleichzeitig westdeutsche Firmen unter Hinweis auf Verfehlungen im „Dritte Reich“ zu diskreditieren. Im Kontakt mit blockfreien Staaten und Entwicklungsländern trat allerdings der Hinweis auf den eigenen Anti-Imperialismus und auf die Traditionslinie zwischen dem alten deutschen Kolonialismus sowie dem angeblichen westdeutschen Imperialismus in den Vordergrund.

Die besondere Sensibilität der westdeutschen Öffentlichkeit für das eigene Bild im Ausland verdeutlicht Frieder Günthers Analyse des Staatsbesuchs von Bundespräsident Theodor Heuss in Großbritannien im Jahr 1958: Einige wenige kritische Pressestimmen führten in westdeutschen Zeitungen über mehrere Wochen zu intensiven Erörterungen des deutsch-britischen Verhältnisses und dessen Belastung durch die Erfahrung des „Dritten Reichs“ sowie des Zweiten Weltkriegs. Ambivalente Reaktionen der deutschen wie der polnischen Zeitgenossen löste auch das wohl berühmteste Bild bundesdeutscher Außenrepräsentation aus, der Kniefall des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt am 7. Dezember 1970 vor dem Mahnmal für die Opfer des Warschauer Ghettos, wie Friedrich Kießling herausarbeitet. Im Übrigen setzte Brandt mit der Stiftung des „German Marshall Fund of the United States“ 1972 auch nach Westen ein zwar nicht ganz so spektakuläres, doch nicht minder wichtiges Aussöhnungszeichen, wie Daniela Münkel aufzeigt.

Vier Beiträge des Sammelbandes beschäftigen sich mit unterschiedlichen Facetten der „Auswärtigen Kultur- und Informationspolitik“: Eckard Michels erläutert die Gründungsgeschichte westdeutscher Kulturinstitute im Ausland, die zunächst sehr zurückhaltend und erst seit Mitte der 1950er-Jahre offensiver betrieben wurde – insbesondere vor dem Hintergrund des deutsch-deutschen Systemkonflikts. Die Auswirkungen einer unmittelbaren kulturdiplomatischen Konkurrenz von Bundesrepublik und DDR untersucht Peter Ulrich Weiß am Beispiel Rumäniens in den 1950er- und 1960er-Jahren. Wie sehr die zuständigen staatlichen und nichtstaatlichen Stellen in der Bundesrepublik um das eigene kulturpolitische Selbstverständnis rangen, zeigt Ulrike Stoll am Beispiel der Asientournee eines bayerischen Trachtenballetts Anfang der 1960er-Jahre auf. Eine besondere Form auswärtiger Kulturdiplomatie der Bundesrepublik stellte schließlich die wenig bekannte Auslandsnachrichtenagentur „Deutsche Korrespondenz“ dar, die Norbert Grube vorstellt: Sie lancierte in den 1950er-Jahren vor allem erfolgreich positive Nachrichten über die Adenauersche Politik in die ausländische Presse, die dann auch wieder von westdeutschen Zeitungen übernommen wurden – und dadurch Westbindung und soziale Marktwirtschaft international wie national propagierten.

Wie alle Beiträge dieses Sammelbandes verdeutlichen, lohnt eine weitere Beschäftigung mit der Kulturdiplomatie der Bundesrepublik Deutschland. Ziel müsste dabei dreierlei sein: Erstens wäre das, was in Form eines Sammelbandes verständlicherweise nur schlaglichtartig behandelt werden kann, zu einer konsistenten Darstellung zu verdichten, also eine Geschichte der westdeutschen Selbstdarstellung in den archivalisch gut aufzuarbeitenden 1950er und 1960er-Jahren zu schreiben. Zweitens wären staatliche Kulturdiplomatie und kulturpolitische Initiativen weiterer gesellschaftlicher Akteure noch stärker miteinander zu verbinden, dabei Interaktionen ebenso aufzuzeigen wie gegenläufige Tendenzen. Drittens wären die Reaktionen des Auslands auf die einschlägigen westdeutschen Aktionen stärker einzubeziehen, also die subjektive Binnenperspektive der „reflexiven Selbstwahrnehmung“ mit jener der tatsächlichen Wahrnehmung von außen zu kombinieren, um daran zu ermessen, wie sehr das Bild der Bundesrepublik im Ausland und die westdeutsche Perzeption dieser Außenwahrnehmung wirklich differierten.

Anmerkung:
1 Vgl. auch den Bericht von Christiane Fritsche und Johannes Paulmann: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=551.

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