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Titel
Fräulein Mutter und ihr Bastard. Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900-1970


Autor(en)
Buske, Sybille
Reihe
Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts 5
Erschienen
Göttingen 2004: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lu Seegers, Institut für Geschichte, Universität Siegen

Als „Bastarde“ oder „Hurenkinder“ wurden uneheliche Kinder in Deutschland lange Zeit beschimpft und mit ihren Müttern gesellschaftlich diskriminiert. Mit ihrer Dissertation legt Sybille Buske erstmals eine Studie zur Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland im 20. Jahrhundert vor. Ziel ihrer Untersuchung ist es, „die Wechselwirkungen zwischen dem Rechtswandel und den sich verändernden gesellschaftlichen Einstellungen gegenüber Illegitimität zu analysieren“ (S. 12). Der Schwerpunkt liegt auf der Zeit nach 1945 in der Bundesrepublik. Besonders die 1960er-Jahre stehen im Mittelpunkt, da in diesem Jahrzehnt vielfältige Reformbemühungen und Neuorientierungen zu konstatieren sind. Schließlich wird das Thema in den weiteren Kontext von Demokratisierung und Liberalisierung eingeordnet, den die Forschergruppe um Ulrich Herbert, zu der Buske gehört, als kennzeichnend für gesellschaftliche Wandlungsprozesse in der Bundesrepublik nach 1945 begreift.1

Auf innovative Weise verbindet Buske rechtsgeschichtliche Ansätze mit sozial- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen sowie geschlechtergeschichtlichen Perspektiven. Ihr gelingt es, sowohl die Lebenssituationen von ledigen Müttern und ihren unehelichen Kindern als auch den gesellschaftlichen Einstellungswandel zu erschließen. Sie reflektiert die sozialen Praktiken im Zusammenhang mit den rechtlichen Diskussionen verschiedener Akteure und ordnet diese in übergeordnete nationale Diskurse um die Moderne ein.

Im ersten Kapitel werden die Unehelichkeit und ihre Wahrnehmung von 1880 bis 1914 behandelt. Buske zeigt die vielfach drastische Lebenssituation von unehelichen Kindern und ihren Müttern auf. Im 19. Jahrhundert hatte sich ein System der Überwachung nichtehelicher Kinder herausgebildet, das vor allem auf Berufsvormundschaften basierte. Ledige Mütter galten, wenn sie aus dem bürgerlichen Milieu stammten, als „gefallene Unschuld“, wenn sie Arbeiterinnen oder Dienstbotinnen waren, als „Dirnen“. Die Beurteilung der Nichtehelichkeit war eingebunden in die zeitgenössische „Sittlichkeitsdebatte“. Ängste vor „Entwurzelung“ und „Entfremdung“ wurden als vermeintliche Folgen der rasanten Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozesse auf den weiblichen Körper projiziiert, der die pathologischen Erscheinungen der Gesellschaft zu repräsentieren schien. Insofern wurde die Nichtehelichkeit zum Synonym für den nationalen Degenerationsdiskurs, mit dem Kulturkritiker vor dem Ersten Weltkrieg die Erscheinungen der industriellen Moderne bekämpfen wollten.

Im Mittelpunkt des zweiten Kapitels stehen die Reformbemühungen um das Nichtehelichenrecht in der Weimarer Republik. Die Weimarer Verfassung verankerte Ehe und Familie als grundrechtlich geschützte Bereiche – mit dem Auftrag, unehelichen Kindern Chancengleichheit einzuräumen. Allerdings verbesserte sich die Lage dieser Kinder kaum, da aufgrund der Wirtschaftskrise die Zahlungsfähigkeit der Väter abnahm. Die Reform des Nichtehelichenrechts seit 1920 wurde aufgrund von kirchlich-konservativer Kritik 1930 wieder auf Eis gelegt.

Im dritten Kapitel wird die Entwicklung des Familienrechts im Nationalsozialismus dargestellt. Unter rassepolitischen Gesichtspunkten sollten nur „biologisch wertvolle“ uneheliche Kinder in den Genuss einer rechtlichen Besserstellung kommen. Es gab Kritik an den Reformplänen von Seiten der Kirchen und der Wehrmacht, die den Entwurf als Gefährdung der Stellung der Ehe ansahen, ohne sich jedoch an seinem rassepolitischen Gehalt zu stören. In den Kriegsjahren wurde die Unterscheidung zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern quasi „unter der Hand“ weiter relativiert, was familienpolitische Leistungen wie etwa den Unterhalt betraf. Gleichzeitig radikalisierte sich die Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegenüber als „asozial“ und „erbbiologisch“ minderwertig erachteten, ledigen Müttern und Kindern.

Im vierten Kapitel wendet sich Buske der Bundesrepublik bis 1960 zu. Der Anstieg nichtehelicher Geburten in den unmittelbaren Nachkriegsjahren wurde von den Kirchen und von maßgeblichen Vertretern der Soziologie als Indiz für den Zerfall von Familie und Gesellschaft gewertet. Christlich-naturrechtliche Ordnungsvorstellungen der katholischen Kirche stießen im Zusammenhang mit tradierten Familien- und Sittlichkeitsvorstellungen auch in der Bevölkerung auf breite Resonanz. Zwar war die Kompromissformel des Grundgesetzes, nach der den unehelichen Kindern die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen seien wie den ehelichen Kindern, fast wortgleich mit der Weimarer Verfassung, doch tat man sich mit der Umsetzung im Privatrecht schwer. Zu sehr knüpfte die durch den Nationalsozialismus diskreditierte Familienpolitik nach 1945 an den Wertmaßstäben des Kaiserreichs an, um sich nicht zuletzt auch von sozialistischen Modellen abzugrenzen. Unverheiratete Mütter hatten in den 1950er-Jahren eine schwache Position. Das Recht des Kindes auf Alimente konnte nur das Jugendamt gelten machen, wobei das Gericht deren Höhe von einer Beurteilung des Lebenswandels der Mutter abhängig machte.

Für Buske markiert der Beginn der 1960er-Jahre eine neue Phase in den Auseinandersetzungen um die Stellung lediger Mütter. Die Forderung nach einer grundlegenden Reform des Nichtehelichenrechts fand mit der Stabilisierung der familiären und gesellschaftlichen Verhältnisse erstmals einen positiven Widerhall. Durch das Familienrechtsänderungsgesetz von 1961 konnte der Mutter nun die elterliche Gewalt zugesprochen werden, wenn sie einen entsprechenden Antrag stellte. In der Praxis zeitigte das Gesetz aber kaum Konsequenzen. Für grundlegender erachtet Buske die Empfehlungen des Deutschen Juristentages von 1962. Geplant wurden hier die Abschaffung der Amtsvormundschaft zugunsten stärkerer elterlicher Rechte sowie die Beteiligung des Kindes am väterlichen Erbe. Dieser Einstellungswandel ging auch an den Kirchen nicht spurlos vorüber. Die evangelische Kirche distanzierte sich von ihrer negativen Einstellung gegenüber der Sexualität und unterstützte die Reformversuche. Die katholische Kirche konnte sich mit ihrer Position, das uneheliche Kind vom väterlichen Erbe auszuschließen, nun nicht mehr durchsetzen.

In dem Kapitel „Das Private als Politikum 1965 bis 1970“ interpretiert Buske diese Zeit als „eine Art Wasserscheide in der öffentlichen Wahrnehmung und Deutung von Illegitimität“ (S. 271). Die Medien seien zu einem wichtigen Transmissionsriemen des gesellschaftlichen Einstellungswandels avanciert. Auch wenn der Autorin im Prinzip zuzustimmen ist, wäre eine ausführlichere Analyse auch der Rundfunkberichterstattung wünschenswert gewesen. Ebenso hätte man noch intensiver nach den Motivationen jener JournalistInnen fragen können, die sich des Themas annahmen. Auch fällt die Charakterisierung der einzelnen Printmedien zu kurz aus, um den Stellenwert der Debatte wirklich einschätzen zu können.

Ferner reflektiert Buske die komplexe Wechselwirkung zwischen Medien und gesellschaftlichen Einstellungen nicht ausreichend. Gerade hochauflagige Printmedien nehmen in der Regel Entwicklungen auf, die in der Gesellschaft zumindest schon virulent sind. Plausibel ist allerdings wiederum Buskes Schlussfolgerung, dass das neu erwachte Interesse der Medien an ledigen Müttern und ihren Kindern auf dem Umstand beruhte, dass sich anhand dieser Gruppe „der Opferstatus von Minderheiten darstellen und kritisieren und damit strukturelle Defizite des Wirtschaftswunderlands Bundesrepublik benennen ließen“ (S. 321). So bedingte die Medialisierung des Themas auch die Selbstorganisation der Betroffenen – zum Beispiel im „Verband lediger Frauen“, der mit Unterstützung des Familienministeriums sowohl alltagspraktische als auch politische Wirkungen entfalten konnte.

Im letzten Kapitel wird der Prozess der Durchsetzung der Reform des Nichtehelichenrechts in den Jahren 1966 bis 1970 untersucht. Maßgeblich daran beteiligt waren Elisabeth Schwarzkopf sowie der damalige Justizminister Gustav Heinemann. Heinemann maß das Unehelichenrecht am Prinzip der Humanität und griff damit auf zeitgenössische Debatten zurück, in denen Menschenrechte und Gerechtigkeit Schlüsselbegriffe waren. Die Diskussionen um das Nichtehelichenrecht wurden damit aus der Sittlichkeitsdebatte herausgelöst und nunmehr Teil des Demokratisierungsdiskurses.

In einer konzisen Zusammenfassung („Vom Problem zur Lebensform“) zeigt die Autorin noch einmal den Wandel auf, der in Bezug auf die Unehelichkeit in der Bundesrepublik stattgefunden hat. Erst durch das Zusammentreffen eines gesellschaftlichen Normenwandels und eines ökonomischen Strukturwandels waren die Bedingungen für die Reform gegeben. Damit gerieten auch die Institutionen Ehe und Familie stärker in die Kritik. Die ledige Mutterschaft wurde nun als durchaus attraktives Gegenmodell zur Ehe stilisiert. Gleichwohl wiesen feministische Journalistinnen seit den frühen 1970er-Jahren immer wieder auf Benachteiligungen lediger Frauen in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik hin. Angesichts der Tatsache, dass heute ein hoher Prozentsatz lediger Mütter auf Sozialhilfe angewiesen ist, stellt sich immer noch die Frage, ob sich ihre Situation in der Breite tatsächlich entscheidend verbessert hat.

Anmerkung:
1 Vgl. Herbert, Ulrich (Hg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945-1980, Göttingen 2002 (rezensiert von Franz-Werner Kersting: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-2-183>).

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