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Titel
Der verweigerte Dialog. Zum Verhältnis von Parteiführung der SED und Schriftstellern im Krisenjahr 1956


Autor(en)
Schiller, Dieter
Erschienen
Anzahl Seiten
270 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerd Dietrich, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Nach dem Krisenjahr 1953 kam das Krisenjahr 1956. Während das erste die DDR in Frage stellte, leitete das zweite die Auflösung der kommunistischen Weltbewegung ein. In beiden führten Entstalinisierungsprozesse in die Krise, folgten einem Tauwetter rigorose Disziplinierung, konnte das sozialistische Lager nur mit Gewalt, mit dem Einmarsch sowjetischer Panzer in Berlin und Budapest zusammengehalten werden. Wo waren und wo blieben da die Intellektuellen, genauer: jene antifaschistische und sozialistische Intelligenz, die das "andere" und das "bessere" Deutschland zu verkörpern suchte? Nachdem Siegfried Prokop die Haltung der DDR-Intelligenz im Krisenjahr 1953 1 analysierte, legt Dieter Schiller nun eine Darstellung für das Krisenjahr 1956 vor. Als Literaturhistoriker beschränkt er sich auf das Verhältnis von SED-Führung und Schriftstellern. Das ist insofern gerechtfertigt, als "die Schriftsteller damals im Zentrum der kulturpolitischen Auseinandersetzungen und Repressionen standen (S. 9).

"Es ist schwer," bekannte unlängst Eric Hobsbawm, "nicht nur die Stimmung, sondern auch die Erinnerung an jenes traumatische Jahr zu rekonstruieren". 2 Denn in diesem Jahr setzte "ein Umdenken von lawinenartigem Ausmaß" ein, so Werner Mittenzwei. "Für die sozialistischen Intellektuellen war das ihr geistiges Waterloo." 3 Dieter Schiller hat demgegenüber einen vergleichsweise kleinen Ausschnitt gewählt, der es ihm allerdings ermöglicht, tief in die einzelnen kulturpolitischen Ereignisse und Aktionen wie in die personalen Strukturen und Befindlichkeiten einzudringen. Seine Studie ist ganz aus den Quellen heraus geschrieben, die er im Bundesarchiv (SAPMO) und dem Archiv der Akademie der Künste recherchierte und durch Zeitzeugenauskünfte untermauerte. Die chronologische Aufbereitung umfasst den Zeitraum vom IV. Deutschen Schriftstellerkongress im Januar 1956 bis zur Kulturkonferenz der SED im Oktober 1957, von einer "Zeit der Debatten" bis zu einer Zeit "der Verurteilungen" (S. 48).

Die Darstellung setzt mit der öffentlichen Kontroverse zwischen Stefan Heym und Walter Ulbricht auf dem IV. Schriftstellerkongress ein, in der Ulbricht an Stalins Diktum von den "Ingenieuren der menschlichen Seele" festhält. Während die Schriftsteller vorsichtigen Widerspruch gegen offizielle Dogmen und Forderungen anmelden, signalisiert die Parteiführung nach außen hin noch Gesprächsbereitschaft, insbesondere nach dem XX. Parteitag der KPdSU. Intern wird freilich bald von einer Plattform der Schriftsteller gesprochen, die von der Parteilinie abweiche. Auf einer Vorstandssitzung des Schriftstellerverbandes im April 1956 und in einer folgenden Aussprache des Vorstands mit dem Politbüro kommen sowohl die tiefe moralische Krise zum Ausdruck, in die die sozialistische Intelligenz durch Chruschtschows Enthüllungen gestürzt wurde, als auch Widerstand gegen und Verunsicherung durch das Abwürgen der kritischen Diskussion über die Zustände in der DDR. Die Arbeitstagung des Ministeriums für Kultur vom 31. Mai und 8. Juni 1956 würdigt Dieter Schiller als "Höhepunkt, aber letztlich auch schon ein Abgesang des kurzlebigen und widerspruchvollen ostdeutschen Tauwetters" (S. 37). Wie sich die Kluft zwischen den kulturpolitischen Grundsätzen der SED und den Intellektuellen zusehends vertieft, zeigt er am Beispiel des Kongresses Junger Künstler Ende Juni 1956. In der Mitte der Studie steht die Aussprache des Politbüros mit Schriftstellern am 4. September 1956, in der "die Hoffnung der Schriftsteller auf einen kritischen Dialog bei der Parteiführung auf wenig Gegenliebe stieß" und die Parteioberen "weder bereit noch imstande" waren, "auf die Argumente und Hinweise ihrer Gesprächspartner substantiell einzugehen." (S. 76, 85) So nahmen die Intellektuellen die Sache selbst in die Hand: Mitte Oktober 1956 bildete sich im Club der Kulturschaffenden in Berlin ein lockerer Gesprächskreis, der sich Donnerstagskreis nannte und zu einem Forum kritischer Debatten avancierte. Nach der Niederschlagung des Ungarnaufstandes und der Verhaftung Wolfgang Harichs und Walter Jankas "waren die Würfel endgültig gefallen, von nun an wurde jede Art von Opposition als Partei- und staatsfeindliche Handlung gewertet und verfolgt" (S. 110). Die nun folgende Delegiertenkonferenz des Schriftstellerverbandes am 5. Dezember 1956, die 32. Tagung des ZK der SED im Juli 1957, der Bußgang Johannes R. Bechers und die Ablösung Paul Wandels sowie die Kulturkonferenz der SED im Oktober 1957 dienten der Disziplinierung der Intelligenz und der Erzwingung ideologischer und kulturpolitischer Konformität. Eine "schulmeisterliche, meist besserwisserisch und abstrafend, zuweilen auch jovial schulterklopfend daherkommende Haltung gegenüber [...] Intellektuellen verschiedenster Couleur war bei den kulturpolitischen Führungskadern zur Regel geworden und sollte es für mehr als ein Jahrzehnt bleiben." (S. 184)

Der eben dargestellte chronologische Abriss kann nur andeutungsweise die historische Dramatik des Jahres 1956 erfassen, wie sie sich in den Erschütterungen und Erfahrungen, den Widersprüchen und Haltungen der intellektuellen Akteure widerspiegelt. Dieter Schiller schildert eingehend, kenntnisreich und höchst detailliert, dass es den kritischen Intellektuellen dabei um eine Entstalinisierung und Demokratisierung der Kulturpolitik und schließlich der DDR ging, sie aber an der sozialistischen Alternative festhielten. Und er macht dies nicht pauschal, sondern namentlich. Die loyal oppositionellen Positionen von Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Wolfgang Harich, Stefan Heym, Walter Janka, Heinz Kahlau, Alfred Kantorowicz, Hans Mayer, Fritz Joachim Raddatz u.a. sind ebenso nachzulesen wie die teils kritischen, teils parteilichen Haltungen von Kurt Bartel (Kuba), Johannes R. Becher, Willi Bredel, Anna Seghers u.a. (aber diese Aufteilung ist schon problematisch). Natürlich kommen auch die mehr oder weniger offiziellen Auslassungen von Alexander Abusch, Paul Fröhlich, Kurt Hager, Alfred Kurella, Walter Ulbricht, Siegfried Wagner und Paul Wandel nicht zu kurz. Das Namensregister erleichtert deren Auffindung. Ein Dokumentenanhang gibt weiteren Aufschluss über den von den Schriftstellern angestrebten und von der Parteiführung verweigerten Dialog. Im wesentlichen sind alle oben angeführten chronologischen Stationen durch aussagekräftige Dokumente vertreten. Zu Recht betont Dieter Schiller zum Schluss, dass die erreichte äußere Disziplinierung "noch lange kein inneres Einverständnis und keine geistige Adaption der kultur- und kunstpolitischen Forderungskataloge" durch die Schriftsteller bedeutete. Den konkreten, politischen wie ästhetischen Auswirkungen dieses Zwiespalts nachzugehen, in den die sozialistischen Intellektuellen geraten waren, bleibt er uns allerdings schuldig. Das wäre wohl auch ein neues Buch.

Anmerkungen:
1 Vgl. Rez. von Jörg Rösler für H-Soz-u-Kult vom 08.05.2003. <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-2-131>.
2 Hobsbawm, Eric, Gefährliche Zeiten, München 2003, S.239.
3 Mittenzwei, Werner, Die Intellektuellen, Leipzig 2001, S.149f.

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