Leviathan 40 (2012), 4

Titel der Ausgabe 
Leviathan 40 (2012), 4
Weiterer Titel 
Loyalität

Erschienen
Baden Baden 2012: Nomos Verlag
Erscheint 
vierteljährlich
Anzahl Seiten
141 S.
Preis
Jahrespreis 98,00 € (Druckausgabe und elektronische Ausgabe)

 

Kontakt

Institution
LEVIATHAN. Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft
Land
Deutschland
c/o
Leviathan, Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Redaktion Dr. Claudia Czingon, Wissenschaftszentrum Berlin, Reichpietschufer 50, D-10785 Berlin; Tel. +49 30 25491 536; E-Mail: claudia.czingon@wzb.eu
Von
Blomert, Reinhard

Loyalität ist ein Schwerpunkt dieses Heftes: Wie kann man erreichen, dass Widerstandskämpfer sich nach ihrem Sieg wieder in die Gesellschaft einpassen, auch wenn sie ihre Ziele, für die sie gekämpft hatten, nicht verwirklicht haben? In jahrzehntelangen bewaffneten Bürgerkriegen kann Widerstand zur Lebensform werden. Die Boko-Haram-Bewegung, zunächst von muslimischen Politikern abhängig, hat sich verselbstständigt und ist unberechenbar geworden in ihrem Widerstand gegen westliche Bildung und korrupte Eliten, wie unser Autor Johannes Harnischfeger zeigt. Und der Historiker Heinz A. Richter legt dar, dass sich die Haltung des Widerstands verfestigen kann: Jede Obrigkeit erscheine den Griechen als Fremdherrschaft, die man hemmungslos schädigen kann. Soziologisch, politisch, ökonomisch und juristisch hat es Folgen, welche Einheit als moralischer Orientierungspunkt gewählt wird, wem man Anerkennung zollt. Es muss kein Widerstand sein, keine Sabotage, für ein Unternehmen reicht schon die innerliche Kündigung einer Anzahl ihrer Mitarbeiter, um große Schäden anzurichten. Und die Unternehmen versuchen deshalb, den Griff auf die Seelen ihrer Beschäftigten zu verstärken, wie Stephan Voswinkel und Gabriele Wagner in diesem Heft beschreiben. Auch in von Deindustrialisierung und Entvölkerung betroffenen Randgebieten lassen sich verstärkt staatsferne, resistenzartige Haltungen finden. Deshalb weisen Claudia Neu, Jens Kersten und Berthold Vogel in ihrem Aufsatz über Infrastrukturen darauf hin, wie notwendig der Erhalt der Kohäsion der Gemeinschaft ist.

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS & ABSTRACTS

Sören Petermann und Karen Schönwälder
Gefährdet Multikulturalität tatsächlich Vertrauen und Solidarität? Eine Replik … S 482–490

Der Artikel wendet sich gegen Positionen in der wissenschaftlichen Diskussion, die in der migrationsbedingten Diversität eine Ursache negativer Entwicklungen der sozialen Integration der Gesellschaft sehen. Gestützt auf umfangreiche empirische Daten des Göttinger „Diversity and Contact”-Projekts wird gezeigt, dass in deutschen Städten hohe Anteile von AusländerInnen an der Bevölkerung des Wohnviertels keineswegs mit verminderten sozialen Interaktionen einhergehen.
Zweitens wird gezeigt, dass auch die verschiedentlich unterstellte Abnahme des interpersonalen Vertrauens infolge erhöhter Diversität nicht nachweisbar ist. Während die migrationsbezogene Diversität der Wohngebiete für das Vertrauen unter den Menschen relativ irrelevant ist, gibt es in diverseren Gebieten mehr Interaktionen zwischen BewohnerInnen ohne bzw. mit Migrationshintergrund.

Aufsätze

Johannes Harnischfeger
Rivalität unter Eliten
Der Boko-Haram-Aufstand in Nigeria … S. 491–516

Die Führer der Boko Haram-Rebellen hatten enge Verbindungen zur muslimischen Elite Nordnigerias, und sie erhalten vermutlich weiterhin finanzielle Unterstützung von Politikern, die Druck auf den christlichen Präsidenten aus dem Süden ausüben wollen. Doch sie sind kein ‚Werkzeug‘ muslimischer Politiker. Ihr Kampf für eine strikte Form der Scharia richtet sich nicht nur gegen das Regime des christlichen Präsidenten, sondern auch gegen die eigenen korrupten Eliten.

Christoph Deutschmann
Die Dynamik des Konsums und die moralische Integration moderner Gesellschaften – ein Konzeptualisierungsversuch … S. 517–535

Die meisten Konsumsoziologen sind sich heute darin einig, daß der moderne Erlebniskonsum und seine Dynamik zur Bildung sozialer Identitäten beitragen und in diesem Sinn eine „moralische“ Funktion erfüllen. Eine Gegenposition dazu hat Daniel Bell mit seiner Kritik an den sozial desintegrativen Wirkungen des Konsumhedonismus eingenommen. Der Beitrag zeigt, daß beide Positionen sich vereinbaren lassen, wenn man die Konsumentenrolle nicht länger isoliert, sondern in ihrem Zusammenhang mit den Arbeitsrollen und den sozialen Mobilitätsprozessen der Konsumenten analysiert. In Anlehnung an das klassische „Trickle down“-Konzept wird ein Mehrebenmodell der Konsumdynamik entwickelt, das zwischen Anerkennung, Disziplinierung und Distinktion als moralischen Funktionen des Konsums unterscheidet.

Jörg Potthast
Politische Soziologie technischer Prüfungen
Das Beispiel Straßenverkehrssicherheit … S. 536–562

Wenn es um Sicherheit geht, sieht die sozialwissenschaftliche Forschung vor allem symbolpolitische Inszenierungen. Auch der Fall der Verkehrssicherheit liefert dafür reichlich Anhaltspunkte. Symbolpolitische Deutungen unterschätzen jedoch den Gestaltwandel des Politischen. Infrapolitische Deutungen heben dagegen auf unterschiedliche Formate von Tests und Prüfungen ab. Der Beitrag erörtert das Spannungsfeld beider Deutungen anhand der Karriereerzählung eines Ingenieurs, der über dreißig Jahre lang bei einem Autohersteller mit Sicherheitsfragen befasst war.

Jens Kersten, Claudia Neu und Berthold Vogel
Die demografische Provokation der Infrastrukturen … S. 563–590

Infrastrukturen sind stets mehr als reine Vorleistungen für die Wirtschaft oder Versorgungsleistungen für die Bevölkerung gewesen. In entwickelten Wohlfahrtsstaaten haben sie sozial und territorial integrierende Funktionen übernommen. Diese integrierende Wirkung entfalteten die öffentlichen Dienstleistungen vor allem durch ihre flächendeckende Bereitstellung, die allen Bürgern Zugang und Teilhabe an den gesellschaftlichen Entwicklungen ermöglicht. Wenn in Folge des demographischen Wandels – vor allem in ländlichen Räumen – Infrastruktur abgebaut und vielfach geschlossen wird, steht die soziale, wirtschaftliche und politische Kohäsion der Bundesrepublik zur Disposition: Der demographische Wandel führt mit seinen regional differenzierten Wachstums- und Schrumpfungsprozessen zu infrastrukturellen Brüchen, die gesellschaftliche Desintegration sowie den Verlust an sozialen Teilhabechancen, pluralistischer Öffentlichkeit und demokratischer Staatlichkeit nach sich ziehen. Die Antwort auf diese demographische Provokation liegt nicht im radikalen Rückzug der Infrastrukturen aus der Fläche, sondern in einer realistischen Ausdifferenzierung infrastruktureller Leistungserbringung.

Stephan Voswinkel und Gabriele Wagner
Die Person als Leistungskraft
Anerkennungspolitiken in Organisationen … S. 591–608

Flexibilisierung, Vermarktlichung und permanente Reorganisationen führen zu einer Erosion der auf Status und langfristigen Beziehungen in Organisationen gegründeten Anerkennungsverhältnisse. Organisationen versuchen vermehrt, der damit einhergehenden Unsicherheit von Chancen und Kriterien der Anerkennung entgegenzuwirken. Sie antworten auf die Unsicherheit der Anerkennung, indem sie Anerkennungskommunikationen fördern, allerdings mit ihren typischen Mitteln: Mit Formalisierung und Objektivierung. Anerkennung wird als Beurteilung gerahmt, an Kennziffern geknüpft, in Ranglisten überführt und in der Währung von Entgelt und Karriere gezahlt. Zugleich wird sie variabilisiert, zeitlich unter den Vorbehalt stets neuer Bewährung gestellt und so wiederum destabilisiert. Die Anerkennung der Person wird zu derjenigen der Subjektivität von Leistungskräften verengt.

Essay

Heinz A. Richter
Anmerkungen zur politischen Kultur Griechenlands und Zyperns … S. 609–620

Die Politische Kultur Griechenlands und die Türkei sind vom osmanischen Erbe des Klientelismus geprägt. Die politische Kultur Zypern hingegen wurde die britische Kolonialherrschaft von 1878 bis 1960 völlig (west-)europäisiert. Im Gegensatz zur Türkei wurde in Griechenland wurde nie das Konzept einer bürgerlichen Republik entwickelt. Den Griechen trat der Staat immer als Fremdherrscher gegenüber, den man im Gegenzug hemmungslos schädigen konnte.

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Bestandsnachweise 0340-0425